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Jeder glaubt zu wissen, was Menschenrechte sind. Viele werden aber unsicher, wenn sie genauer danach gefragt werden. Darf ein mutmaßlicher Terrorist zur Sicherheit einige Monate im Gefängnis festgehalten werden, auch wenn es keine konkreten Beweise gegen ihn gibt? Verlangt die Meinungsfreiheit, daß Chinesen ihre Staatsführung genauso offen kritisieren dürfen wie Amerikaner ihren Präsidenten? Verstoßen traditionelle muslimische Regeln über das Verhältnis von Mann und Frau gegen den Rechtsanspruch auf Gleichberechtigung? Allgemeiner gefragt: Gelten die Menschenrechte wirklich immer und überall…mehr

Produktbeschreibung
Jeder glaubt zu wissen, was Menschenrechte sind. Viele werden aber unsicher, wenn sie genauer danach gefragt werden. Darf ein mutmaßlicher Terrorist zur Sicherheit einige Monate im Gefängnis festgehalten werden, auch wenn es keine konkreten Beweise gegen ihn gibt? Verlangt die Meinungsfreiheit, daß Chinesen ihre Staatsführung genauso offen kritisieren dürfen wie Amerikaner ihren Präsidenten? Verstoßen traditionelle muslimische Regeln über das Verhältnis von Mann und Frau gegen den Rechtsanspruch auf Gleichberechtigung? Allgemeiner gefragt: Gelten die Menschenrechte wirklich immer und überall gleich? Oder liegt darin nicht gerade ihr Anspruch? Nach dem 11. September 2001 und angesichts umstrittener Globalisierungsprozesse stellen sich diese Fragen wieder einmal neu. Die Autorinnen und Autoren - Juristen, Literaturwissenschaftler, ein Arabist, Politikwissenschaftler sowie Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und aus der Politik - versuchen, begründete Antworten auf solche Fragen zu geben. Die Beiträge vermitteln klarere Vorstellungen über die Grundlagen der Menschenrechte und ihre Kraft und Schwäche zu Beginn des 21. Jahrhunderts.Inhalt:Christian Starck: Menschenrechte - aus den Büchern in die VerfassungenWilfried Barner: Vorspiele auf dem TheaterJochen Abr. Frowein: Terrorismus als Herausforderung für den MenschenrechtsschutzTilman Zülch: Auf keinem Auge blind: Der Einsatz für die Rechte bedrohter VölkerGeorg Nolte: Messias oder Machiavell? Die USA und ihre MenschenrechtspolitikKerstin Müller: Aktuelle Herausforderungen der internationalen Menschenrechtspolitik und die Rolle der BundesrepublikTilman Nagel: Erst der Muslim ist ein freier Mensch! - Die Menschenrechte aus islamischer SichtAi-er Chen: Das Verständnis der Menschenrechte in China und im WestenIlona Ostner: Wem gehört das Kind? - Von der elterlichen Gewalt zum Recht des KindesWerner Heun: Gleichheit im Zeitalter neuer UngleichheitThomas Buergenthal: Menschenrechte und Legitimität von Regierungen
Autorenporträt
Georg Nolte ist Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Rechtsvergleichung an der Georg-August-Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Allgemeines Völkerrecht, insbesondere zur Rolle der USA für die Völkerrechtsentwicklung, sowie ausgewählte Fragen des deutschen, ausländischen und vergleichenden Verfassungsrechts.Hans-Ludwig Schreiber ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Allgemeine Rechtstheorie an der Georg-August-Universität Göttingen. Arbeitsschwerpunkte: Biorecht, Medizinrecht, Rechtstheorie, Theorie des Strafrechts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2004

Der Westen in seinem Widerspruch
Untersuchungen über die Reichweite der Menschenrechte

In der westlichen Welt kann man nicht gegen Menschenrechte sein. Menschenrechte sind ein politisches Glaubensbekenntnis, zu dem es kein Wider gibt und das man kaum relativieren darf. Gab es eine Zeit, gibt es einen Raum ohne Menschenrechte? Nein, Menschenrechte gelten universal. Denn sie sind Naturrecht. Die Kreuzigung des Jesus von Nazareth also eine Menschenrechtsverletzung? Gewiß, fände sie heute statt. Und was bedeuten die zweitausend Jahre Differenz? Das müßte eine Theorie der Menschenrechte klären, die es aber noch nicht gibt. Es fehlt an grundlegenden Unterscheidungen. Sind zum Beispiel Rechte von Kindern gegen ihre Eltern Menschenrechte, wie die Sozialpolitikerin Ilona Ostner in einer Göttinger Vorlesungsreihe aus dem Sommersemester 2003 meint, oder nur Projektionen elterlicher Pflichten?

Der Staatsrechtler Christian Starck stellt die Entwicklung der Menschenrechte bis zur Säkularisierung dar und hebt mit Recht die christlichen Wurzeln hervor. Der Literaturwissenschaftler Wilfried Barner zeigt, wie das Theater an der Meinungsbildung über Unmenschlichkeit beteiligt war. Der Völkerrechtler Jochen A. Frowein behandelt Terrorismus und Menschenrechtsschutz mit seiner bekannten stahlharten Dogmatik, kommt in der Frage der Folterungen aber doch nicht ohne einen Weichmacher aus. Nach dem Dammbruch-Prinzip "Wehret den Anfängen" erklärt er Folter auch in extremen Notstandssituationen für unzulässig. Man vermißt einen Hinweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Tilmann Zülch, Generalsekretär und Gründer der Gesellschaft für bedrängte Völker, und Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, bestätigen, daß Politiker bei solchen Gelegenheiten nur das vortragen können, was sie auch in ihren jeweiligen Häusern sagen könnten. Der Göttinger Völkerrechtler Georg Nolte stellt die Menschenrechtspolitik der Vereinigten Staaten als eine Diskussion zwischen ihm und seinem amerikanischen Freund und Kollegen John dar. Angesichts der moralischen Aufladung des Themas war das verwegen. Die Darstellung ist jedoch so gut gelungen, daß der Rezensent meint, John habe Georg nach Punkten besiegt. Das Problem der Beurteilung liegt im Entwicklungsprozeß. Natürlich hat sich das "gute Volk von Virginia" 1776 selbst widersprochen, als es allen Menschen Freiheit und gleiche Rechte zugesprochen und gleichzeitig auf seinen Baumwollfeldern schwarze Sklaven eingesetzt hat. Aber es war klar, daß die weitere Entwicklung den Widerspruch im Sinne der gleichen Freiheit aller Menschen auflösen würde. Die Beibehaltung der Leibeigenschaft in Deutschland bis in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts dagegen war nicht widersprüchlich, weil legal. Aber es war eine welke Legalität.

Der Staatsrechtler und Politologe Werner Heun hat einen intelligenten Vortrag zur formalen Unlösbarkeit des Gleichheitsproblems beigesteuert. Und der amerikanische Völkerrechtler und Richter am Internationalen Gerichtshof Thomas Buergenthal untersucht die Frage, ob und inwieweit Menschenrechtsverletzungen nationale Regierungen delegitimieren, mit einer bei einem Richter überraschenden Nonchalance in der Behandlung der Souveränität.

Über die nichtchristlichen Wurzeln der Menschenrechte erfährt man naturgemäß nichts. Auch die Streitträchtigkeit wird nicht thematisiert. Immerhin kann sich jeder Staat jederzeit darauf berufen, ein anderer Staat hätte die Menschenrechte verletzt, und mit Intervention drohen. Daraus können Kriege entstehen, die der UN-Sicherheitsrat nicht nach menschenrechtlichen Prinzipien abwenden kann. Denn er ist kein Gericht, sondern ein politisches Gremium, in dem die großen Staaten knallhart ihre Interessen vertreten.

Dafür wird die Urfrage der Menschenrechte, ihre Abhängigkeit von Kultur und Religion, mit eindrucksvoller Klarheit abgehandelt. Daß der Islam und der fernöstliche Konfuzianismus Schwierigkeiten mit dem Konzept der Menschenrechte haben, kann man oft lesen. Hier erfährt man die genauen Gründe. Der Göttinger Arabist Tilman Nagel nennt einen bereits in der Überschrift seines Vortrages: "Erst der Muslim ist ein freier Mensch". In diesem Sinne hat der Islamrat für Europa 1981 festgestellt, der Islam garantiere die Menschenrechte in unüberbietbarer Form, weil er den einzelnen Menschen in die von Gott geschaffene Ordnung stelle; deshalb sollten alle Menschen den Islam annehmen. Ähnlich, aber rücksichtsvoller erklärt die taiwanische Rechtsphilosophin Ai-Er Chen, daß der Konfuzianismus ein Individuum als solches nicht kennt. Fokus der sozialen Beziehungen ist dort die Großfamilie. Ihr muß sich der einzelne ein- und unterordnen.

Beide Religionen lehnen die Menschenrechte also nicht nur ab, sie verwerfen sie wegen Isolierung des Individuums, der Islam als ketzerisch, der Konfuzianismus als barbarisch. Eingedenk unserer Erfahrungen mit Religionskriegen und im Vertrauen auf die Überlegenheit westlicher Maschinen nehmen wir diese Unwerturteile gelassen hin. Wir müssen uns jedoch bewußtmachen, daß die nah- und fernöstliche Kritik an den Menschenrechten auch vom westlichen Standpunkt aus schwer zu widerlegen ist. Der Islam nimmt den Universalitätsanspruch wörtlich, mit dem jede Religion auftreten muß und mit dem sich das Christentum seit den großen Religionsfrieden laufend selbst diskreditiert. Die Familie als Fokus der gesellschaftlichen Ordnung und als Orientierung für jeden einzelnen überbietet locker die leere Vergemeinschaftungsregel des kategorischen Imperativs. Der Westen lebt im Widerspruch. Das ist seine Stärke und seine Schwäche.

GERD ROELLECKE

Georg Nolte, Hans-Ludwig Schreiber (Hrsg.): "Der Mensch und seine Rechte". Grundlagen und Brennpunkte der Menschenrechte zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 208 S., Abb., br., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gerd Roellecke kritisiert in seiner Besprechung dieses von Georg Nolte und von Hans-Ludwig Schreiber herausgegebenen Bandes zu "Grundlagen und Brennpunkten der Menschenrechte zu Beginn des 21. Jahrhunderts", dass hier die "Streitträchtigkeit" der Menschenrechte nicht thematisiert werde. "Immerhin kann sich jeder Staat jederzeit darauf berufen, ein anderer Staat hätte die Menschenrechte verletzt ... Daraus können Kriege entstehen, die der UN-Sicherheitsrat nicht nach menschenrechtlichen Prinzipien abwenden kann", gibt Roellecke zu Bedenken. Gefallen hat der Rezensenten dagegen an dem "intelligenten Vortrag" zur "formalen Unlösbarkeit des Gleichheitsproblems" des Staatsrechtlers und Politologen Werner Heun gefunden - denn hier bestätigt sich offenbar die wichtigste Einsicht, die das Thema der Menschenrechte für Roellecke bereit hält: "Der Westen lebt im Widerspruch. Das ist seine Stärke und seine Schwäche." Gut gelungen fand der Rezensent außerdem den Beitrag von Georg Nolte, und auch die "Urfrage der Menschenrechte" - "ihre Abhängigkeit von Kultur und Religion" - wurde für Roellecke in den Beiträgen des Göttinger Arabisten Timan Nagel (zum Islam) und der taiwanesischen Rechtsphilosophin Ai-Er Chen (zum Konfuzianismus) "mit eindrucksvoller Klarheit abgehandelt".

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