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Ein neues Bild des frühen Christentums
- Ein neues Bild der Jesusüberlieferung
Ist das Johannes-Evangelium erst um das Jahr 100 entstanden, wie die neutestamentliche Wissenschaft weithin meint oder schon drei Jahrzehnte früher? Das jedenfalls meint Klaus Berger. Hier begründet er seine Ansicht und legt dar, welche großen Konsequenzen die frühe Datierung des Johannes-Evangliums für unser Bild von der Frühzeit des Christentums hat.

Produktbeschreibung
Ein neues Bild des frühen Christentums

- Ein neues Bild der Jesusüberlieferung

Ist das Johannes-Evangelium erst um das Jahr 100 entstanden, wie die neutestamentliche Wissenschaft weithin meint oder schon drei Jahrzehnte früher? Das jedenfalls meint Klaus Berger. Hier begründet er seine Ansicht und legt dar, welche großen Konsequenzen die frühe Datierung des Johannes-Evangliums für unser Bild von der Frühzeit des Christentums hat.
Autorenporträt
Klaus Berger wurde 1940 geboren und habilitierte 1971. Von 1974 bis 2006 war er Professor für das Neue Testament an der Theologischen Fakultät in Heidelberg und hat bereits 70 Bücher publiziert. Seit 1994 ist er Familiar des Zisterzienserordens (Heiligenkreuz).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.06.1998

Andreas hieß der Jünger, den Jesus liebte
Wer war Johannes wirklich? Klaus Berger will zeigen, daß das vierte Evangelium das erste war

Wer war Jesus wirklich? Und wer berichtet uns wirklich von Jesus? Der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger tritt an, auf diese Frage eine in der populären Diskussion ungewohnte, sehr theologische Antwort zu geben: Es gehe beim christlichen Glauben "in Wirklichkeit" nicht nur um den Rabbi aus Nazareth, den gescheiterten Messiasprätendenten oder den Propheten der Gottesherrschaft, sondern umfassender um einen Menschen, der "vollständig durchlässig ist für die göttliche Präsenz in seiner Existenz". Und, so die provokante These, weil "das Johannes-Evangelium diesen Primär-Eindruck von Jesus so unvergleichlich intensiv schildert, steht es sachlich und zeitlich am Anfang". Unsere Vorstellungen von den theologischen Entwicklungen im ersten nachchristlichen Jahrhundert seien radikal revisionsbedürftig. Der Anspruch, damit ein historisch "echteres" Jesus-Bild zu gewinnen, verbindet sich damit aber ganz bewußt nicht; das vierte Evangelium ist so wenig wie die anderen Evangelien eine Biographie im modernen Sinne.

Wer neben der sachlichen Originalität auch zeitliche Priorität behauptet, muß historisch-chronologisch argumentieren. Deshalb bietet die erste Hälfte des Buches einen Versuch, nach kritischer Musterung und zum Teil scharfsinniger Kritik einiger Vorurteile der bisherigen Forschung eine Datierung des vierten Evangeliums auf das Ende der sechziger Jahre des ersten Jahrhunderts zu erweisen. Völlig neu ist solch eine Frühdatierung nicht, die "Priority of John" wurde etwa in dem postum erschienenen letzten Werk des englischen Bischofs J. A. T. Robinson 1985 vertreten. Doch sie widerspricht dem breiten Konsens neutestamentlicher Wissenschaft, welche die Abfassung des Evangeliums um 100 nach Christus, und damit nach den sogenannten Synoptikern Markus, Lukas und Matthäus, favorisiert.

Der wohl älteste handschriftliche Zeuge für das vierte Evangelium ist der sogenannte Papyrus 52 aus dem ägyptischen Oxyrhynchos oder dem Fayum. Er enthält nur Reste von fünf Versen aus dem achtzehnten Kapitel und wird aufgrund des Stils der Schrift meist auf circa 125 nach Christus datiert. Vorausgesetzt, die Datierung stimmt - so unumstritten, wie Berger meint, ist sie nicht -, darf man folgern, daß in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts das Johannes-Evangelium in Ägypten benutzt wurde. Ein Argument für die Heimat des Evangelisten, wie Berger will, wird daraus aber schwerlich, denn neutestamentliche Papyri allgemein sind wahrscheinlich nur aus Ägypten erhalten. Ein weiterer als Indiz angeführter Papyrus, der sogenannte Papyrus Egerton 2, dessen Text vielleicht die Benutzung des Johannes-Evangeliums voraussetzt, hilft in dieser Frage auch nicht weiter: Seine Datierung ist heftig umstritten.

Die altkirchlichen Nachrichten über die Herkunft des Evangeliums deuten mit keinem Wort auf Ägypten. Der vorliegende Band versäumt Wesentliches, wenn er diese Zeugnisse nicht umfassend einbezieht und kritisch auswertet, sondern nur sporadisch zur Bestätigung bereits vorher gefaßter Meinungen zitiert. Daß die letzte umfassendere Untersuchung im deutschsprachigen Bereich, die sich dieser Aufgabe unterzieht, Martin Hengels "Johanneische Frage" von 1993, mit keinem Wort erwähnt wird, erstaunt. Natürlich weiß der Verfasser aber, daß die frühchristliche Tradition über das Evangelium nach Kleinasien, genauer nach Ephesus, weist. Nach ihr soll "Johannes, der Jünger des Herrn", dort sogar mit dem "Erzketzer" Kerinth im Badehaus zusammengetroffen sein. So muß Berger eine Wanderschaft des Evangelisten von "Alexandrien über Palästina nach Kleinasien" konstruieren, von wo er vielleicht nach Ägypten zurückgekehrt ist. Der Kompromißcharakter dieser Hypothese ist deutlich.

Doch bezieht Berger die Hauptargumente für die Lokalisierung des vierten Evangeliums nicht aus diesen externen Zeugnissen, sondern aus Beobachtungen am Text selbst, welche die alexandrinische Prägung des Verfassers belegen sollen. Hier wird nun halsbrecherisch argumentiert. So, wenn Berger aus dem zutreffend beobachteten fehlenden Interesse des Textes an "bäuerlichen Gegebenheiten oder am ländlichen Leben" sogleich auf städtische Herkunft schließen möchte. Besonders städtisches Lokalkolorit ist doch im Text ebensowenig zu entdecken! Oder wenn er den aus Alexandrien stammenden frühchristlichen Missionar Apollos herbeizitiert, von dem in Wahrheit kein einziges Wort überliefert ist.

Ernster zu nehmen ist das Bemühen, den religionsgeschichtlichen Hintergrund des vierten Evangeliums aufzuklären und es so auch zu lokalisieren. Seit langem wird die These von der jüdisch-hellenistischen, besonders alexandrinischen Prägung des vierten Evangeliums vertreten. Doch überzeugt die vorgeführte Argumentation kaum, die sich oft auf das stichwortartige Benennen punktueller Analogien ohne differenzierende Umschau beschränkt. So nützt der Verweis auf eine bei Johannes wie beim jüdischen Zeitgenossen Philo von Alexandrien begegnende Theologie vom "Wort" oder "Logos" Gottes wenig. Sie kann im einzelnen sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und ist es tatsächlich auch.

Das Evangelium deutet selbst an, von wem es verfaßt sein will. Im Schlußkapitel, das von Berger zu Recht nicht als später zugefügt angesehen wird, heißt es nach der Schilderung eines Gesprächs zwischen dem auferstandenen Jesus, Petrus und dem namenlosen "Jünger, den Jesus liebhatte": "Dies ist der Jünger, der dies bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, daß sein Zeugnis wahr ist." Der sogenannte Lieblingsjünger, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine historische und nicht bloß symbolische Figur, wird als Urheber des vorhergehenden Evangeliums bezeugt.

Während die altkirchliche Exegese den Lieblingsjünger mit Johannes, dem Sohn des Zebedäus, identifizierte, kommt Berger zu einem ganz anderen Ergebnis: Mit dem Lieblingsjünger sei Andreas gemeint, der nach dem ersten Kapitel des Evangeliums wie sein Bruder Simon Petrus zunächst Anhänger Johannes des Täufers war und dann als einer der ersten zu Jesus überging. Wesentliches Argument Bergers für diese überraschende, historisch allerdings einigermaßen folgenlose Identifikation ist das besondere Verhältnis gegenüber Jesus, das beide auszeichnet. Die Identifikation des Lieblingsjüngers mit einer der beiden anderen, nur je einmal begegnenden anonymen Jüngergestalten des Evangeliums würde die These zu Fall bringen, wird Andreas doch deutlich von ihnen unterschieden. Aber Berger hat darin recht, daß eine solche Gleichsetzung nicht zwingend ist. Es bleibt jedoch die Frage, warum das Evangelium diese Identität bis zum Schluß so verhüllt haben sollte und sich nicht eindeutiger als "Andreas-Evangelium" zu erkennen gibt: Der Text hätte das "Insider-Spiel", von dem Berger spricht, für antike Konventionen viel zu weit getrieben.

Für wen schrieb Johannes?

Vor 70 nach Christus muß nach Ansicht des Autors das vierte Evangelium schon deshalb entstanden sein, weil es, anders als Matthäus, Lukas und vielleicht sogar der frühe Markus, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im ersten jüdischen Krieg nicht voraussetzt. Zur Begründung werden zwei Passagen des Evangeliums untersucht - die dritte hier einschlägige bleibt unbeachtet -, die in der Forschung gerne als rückwärtsgewandte Prophetien auf den Untergang des Tempels gedeutet wurden. Berger zeigt die Inkonsequenz dieser Interpretationen scharfsinnig auf. Seine eigene Argumentation wird aber dann einseitig, wenn er im Umkehrschluß meint, damit sei eine Datierung auf die Zeit vor dem Fall Jerusalems zwingend. Viel zuwenig wird dabei die insgesamt spürbare Distanz des Evangelisten zum Judentum und zu seiner Überlieferung berücksichtigt: Die aus den anderen Evangelien oder den Paulus-Briefen bekannten Streitfragen scheinen längst erledigt, der Ausschluß der Christen aus den Synagogen ist vollzogen.

"Die Juden" sind zu einer homogenen und abstrakten Größe geworden und werden mit der feindlichen Welt, dem Kosmos identifiziert. Im vierten Evangelium ist nicht mehr die "Härte der Auseinandersetzung" mit den Juden zu spüren, wie Berger meint, sondern die Härte der vollzogenen Trennung. Damit fällt aber auch die Rekonstruktion der bekämpften Gegner wie des Adressatenkreises, die der Autor meint vornehmen zu können. Als intendierte Leser nennt er "Täuferjünger", "christliche Pharisäer", "christliche Samariter", "Judenchristen, die sich an der Autorität des Petrus orientieren (,Petriner')", "Judenchristen, die den Trägern der Kindheitsgeschichten nach Lukas und Matthäus nahestehen und eine stark nationaljüdische Messianologie haben (,Messianisten')", sowie "eine palästinische Gruppe, die sich am Glaubenszeugnis der großen christlichen Frauen der Frühzeit orientiert (,Palästiner')". Wer so konstruiert, atomisiert das Evangelium und liest einzelne Stellen wie briefliche Korrespondenz, statt sie im Rahmen der ganzen Erzählung zu deuten. Über eine solche gezwungene historische Inanspruchnahme der Evangelien ist die Forschung längst hinaus, und gerade Berger hat in früheren Veröffentlichungen zu einer literaturgemäßeren Analyse der Texte methodisch Wertvolles beigetragen.

Das Verhältnis zur Jesus-Überlieferung der ersten drei Evangelien wird vom Verfasser nicht im Sinne eines zeitlichen Nacheinander, sondern einer "ökumenischen Komplementarität", so das ein wenig anachronistische Stichwort, verstanden: Die ersten drei Evangelien "einerseits und das Johannes-Evangelium andererseits sind zwar grundverschieden. Aber jedes enthält und besitzt auch spezifische Elemente des jeweils anderen. Das wäre, modern und im Bild gesprochen, wie wenn in einer lutherischen Kirche auch ein Madonnenbild und in der katholischen Nachbarkirche auch ein Konterfei Luthers hinge." Auch Wissenschaftler, welche die gewöhnliche Einordnung des vierten Evangeliums nach den anderen vertreten, haben die Originalität der johanneischen Theologie, ja sogar manche "bessere" historische Erinnerung, etwa in bezug auf den Todestag Jesu, nicht bestritten. Ihr dennoch gefälltes Urteil, das Jesus-Bild des vierten Evangeliums sei unhistorischer als das der anderen Quellen, wird man mit Berger kritisch auf seine unausgesprochenen Voraussetzungen prüfen.

Doch - Echtheit hin oder her - das Verhältnis des Johannes-Evangeliums zu den anderen Evangelien sowie zu der erschlossenen Redenquelle Q ist Punkt für Punkt und umfassend zu erörtern. Hierzu trägt Berger erwägenswerte Beobachtungen bei, das Problem insgesamt nimmt er nicht in den Blick. Mit Einwänden setzt er sich zuwenig auseinander, so daß sich die Ausführungen eher als Provokation zum Nachdenken denn als fundierte Problemlösung lesen. Ob nicht das stärkere Berücksichtigen der Fachliteratur doch zu besserer Begründung beigetragen hätte?

Ein großer zweiter Teil des Buches, der die "theologischen Themen" des Evangeliums darstellt, ist dadurch belastet, daß indirekt weiter für die Frühdatierung argumentiert wird. Das Gefühl, daß die vorausgehenden Abschnitte von der Hauptthese des Buches noch nicht wirklich überzeugen konnten, scheinen Autor und Leser zu teilen.

Leider tritt in den Hintergrund, was den Charme dieses Buches ausmacht: der Versuch, die vielen fremdartigen und metaphorischen theologischen Aussagen des vierten Evangeliums in heutiger, bisweilen bewußt unreligiöser Sprache neu zu formulieren. Der allzeit drohenden Gefahr, im recht geschlossenen johanneischen Sprachspiel steckenzubleiben, nur zu repetieren statt zu explizieren, erliegt Berger nicht. Was vorher Schwäche war, das Punktuelle, Unsystematische, bisweilen nur ungeduldig Angedeutete, wird hier zur Stärke und macht die Lektüre anregender als manches etablierte Lehrbuch johanneischer Theologie. Berger gelingt es, die theologische Originalität der Jesus-Deutung des Johannes anschaulich zu machen: "Jesus hat nicht Programme und Ideen verkündigt, sondern auch und wesentlich die physische, heilvolle Präsenz Gottes in sich selbst. Daher kann man Gott nur annehmen, wenn man ihn annimmt. Denn Gott bleibt verborgen. In Jesus allerdings wird anschaubar, wer er ist." Diesen "Kern des christologischen Geheimnisses", "Jesu Durchsichtigwerden für Gott" hat das vierte Evangelium in einmaliger Weise dargestellt. Bergers Buch läuft Gefahr, unnötig und wider bessere eigene Einsicht den Begriff theologischer Originalität zu demjenigen zeitlicher Priorität zu verengen, wenn es beweisen will, daß "am Anfang" Johannes war. Die Darstellung, die nachdrücklich an das vierte Evangelium erinnert, nötigt nicht dazu, die Theologiegeschichte des Urchristentums zu revidieren - vielleicht aber die eigene Theologie. HERMUT LÖHR

Klaus Berger: "Im Anfang war Johannes". Datierung und Theologie des vierten Evangeliums. Quell Verlag, Stuttgart 1997. 312 S., geb., 48,- DM.

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