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Richard Weihe untersucht die kulturgeschichtlichen Metamorphosen der Maske und schlägt einen weiten Bogen vom antiken Maskentheater bis zur Commedia dell'arte, von Cicero bis zu Machiavelli, Lavater, Plessner und gegenwärtigen Tendenzen. Während die Maske als Gesicht und Person (griech. "prósopon" in der Doppelbedeutung von Gesicht und Maske) in der Antike für die paradoxe Einheit des Verschiedenen stand, scheint die Gesellschaft heute diesem Konzept entgegenzuarbeiten. Im Zeichen von Körperdesign und Gentechnologie wird die Maske in die organische Struktur des Gesichts selbst inkorporiert.…mehr

Produktbeschreibung
Richard Weihe untersucht die kulturgeschichtlichen Metamorphosen der Maske und schlägt einen weiten Bogen vom antiken Maskentheater bis zur Commedia dell'arte, von Cicero bis zu Machiavelli, Lavater, Plessner und gegenwärtigen Tendenzen. Während die Maske als Gesicht und Person (griech. "prósopon" in der Doppelbedeutung von Gesicht und Maske) in der Antike für die paradoxe Einheit des Verschiedenen stand, scheint die Gesellschaft heute diesem Konzept entgegenzuarbeiten. Im Zeichen von Körperdesign und Gentechnologie wird die Maske in die organische Struktur des Gesichts selbst inkorporiert. Damit wird die Differenz von Natur und Kultur tendenziell obsolet, und die Maske operiert nicht mehr als Zeichen dieser Differenz.
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Autorenporträt
Richard Weihe, geboren 1961, besuchte die Schauspielakademie und studierte in Zürich, Oxford und Bonn Germanistik und Philosophie. Forschungsaufenthalte in Cambridge und Bergen. Er übersetzte Dramen sowie Lyrik aus dem Amerikanischen, unter anderem von Mark Strand, und arbeitete als Dramaturg und Moderator. Er ist Dozent am Studium fundamentale der Privaten Universität Witten/Herdecke. Er lebt in Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Wenn alles Maske ist, ist nichts Maske
Personen als Verstellungskünstler: Richard Weihe bricht das Welttheater auf uns Pappnasen herunter

Kaum ein Gegenstand, Bild oder Symbol hat eine solch weitreichende Tradition und kulturübergreifende Bedeutung wie die Maske. Die Griechen nannten sie "prósopon" und bezeichneten damit auch das Gesicht. Für sie gab es keinen Unterschied zwischen dem natürlichen und dem künstlichen Gesicht: Die Maske ist das Gesicht und umgekehrt. In der lateinischen Tradition bezeichneten "larva" und "persona" die Maske, die im Rollenspiel des Theaters und des Lebens die Beziehung zwischen der sichtbaren Oberfläche und einem unsichtbaren Inneren markiert. In den afrikanischen Sprachen gibt es kein Lexem, das Maske bedeutet. Maske ist alles das, was sie repräsentiert: Waldgeist, Kopfgeist, Ahnengeist und so weiter.

Der facettenreichen Kulturgeschichte der Masken begegnet Richard Weihe in den drei Teilen seines Buches. Es geht um die Unterscheidung zwischen Maske und Gesicht ("maschera"), die Gleichsetzung von Maske und Gesicht ("prósopon") und von Maske und Person ("persona"). Demnach ist Maske in der Bedeutung von "maschera" eine greifbare Form der Unterscheidung, ein Objekt mit zwei Seiten, einer Innen- und einer Außenseite, und einer Grenze, die das Innen mit dem Außen verbindet und auch trennt. Die Maske ist eine Urform des Symbols, indem sie zwei getrennte Dinge als eine Einheit repräsentiert. In unserer Kultur ist die Maske das fingierte Gesicht. Sie verdeckt das wahre und zeigt ein falsches Gesicht, weshalb sie für Lüge, Betrug und Fälschung prädestiniert ist. Maske und Maskerade ist auch eine Denkform, die Weihe in der Genesis begründet sieht.

Der Biß in den Apfel versprach Gotteserkenntnis, mündete jedoch in die Erkenntnis der Nacktheit und des Gefühls von Scham, das den nackten Körper dazu brachte, sich zu verkleiden und das Gesicht zu maskieren. Es sind die Kleider, die den Menschen zum Menschen, das heißt zum Träger von Rollen machen, wie schon Helmuth Plessner bemerkte. Am Ende der Renaissance interessiert man sich für die Dialektik von Lüge und Wahrheit der Maske, die dann von Machiavelli zu einer Theorie politischen Handelns ausgearbeitet wird. Die Maske dient dem Herrscher zur Stabilisierung seiner Macht, was ihn notfalls dazu bringt, "gegen die Treue, die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit und die Religion zu verstoßen". Heute verbinden wir mit der Scheinwirklichkeit der Masken die Virtualität im Cyberspace. Die Zweidimensionalität der Maske wird zur simulierten dreidimensionalen Welt, die wir mit unseren Körpern betreten sollen. Baudrillard prognostizierte das Absterben der realen Welt hinter der Referenzlosigkeit ihrer Simulation. Wenn die Welt sich nicht mehr in Natur und Kunst, Sein und Schein unterscheidet, bedeutete dies das Ende der Maske. Wenn alles Maske ist, ist nichts Maske.

Die Gleichsetzung von Maske und Gesicht bei den Griechen widerspricht der Auffassung der "maschera". Das "prósopon" begreift das Eigene und das Andere, das Natürliche und das Künstliche als denselben Aspekt einer Sache. Die "prosopische Einheit" bringt das Wesen des Theaters auf den Begriff, da der Schauspieler die Maske als Gesicht verwendet. In der griechischen Kunst kennzeichnet die Maske strenge Frontalität, sie blickt aus großen Augen, aber es fehlt ihr der Körper. Dionysos, der vielgestaltige Gott des Weines, braucht die Maske, um als Mensch zu erscheinen. Die Maske symbolisiert körperliche und seelische Transformationen im Kult des Weines. Die Maske des Dionysos verkörpert eine Urform des Bildes, denn er ist anwesend und abwesend zugleich, nicht Gott, sondern Mensch, nicht Mensch, sondern Tier, nicht Tier, sondern ein Anderes. Die Ambivalenz des Dionysos kennzeichnet ein Prinzip der Tragödie. Im Theater kommt sie als tragische Wahrheit auf die Bühne, wenn etwa Ödipus in seiner Gemahlin die eigene Mutter erkennt. Am Beginn der Moderne lehrt Diderot den Schauspieler, sein Gesicht als Maske einzusetzen. Er soll nicht die eigenen Gefühle zeigen, sondern den zu einem Gefühl passenden Ausdruck darstellen. Die Maske macht Körper und Gesicht des Schauspielers zur Materie seiner Kunst.

Der Begriff "persona", Maske und Rolle, findet im Theater wie im öffentlichen Leben Anwendung. Persona ist die Rolle, die jemand spielt. In der Patristik kommt es zu einer Bedeutungsverschiebung, die Maske und Maskerade auf den Dualismus von wahr und falsch, Schein und Sein brachte. Tertullian instrumentalisierte "persona" für eine antitheatralische Polemik und usurpierte den Begriff für die Formulierung der christlichen Trinitätslehre. Weihe führt aus, wie Theater und Theologie anfangs miteinander verknüpft waren und die Umwidmung eines Begriffs zu heftigen dogmatischen Auseinandersetzungen führte. Diese betrafen das grundsätzliche Problem, daß im Begriff "persona/prósopon" das Unvereinbare der Gottheit und des Menschen vereint werden sollte. Boethius definierte "persona" als "unteilbare Substanz eines vernunftbegabten Wesens" und begründete damit das Selbstverständnis des Menschen als Individuum. Die Maske verschwand einstweilen von der Bühne und war für das Individuum nur Symbol für Entfremdung.

Im Mittelalter wurde die Maske seitens der Kirche geächtet, kam aber in den Mysterienspielen wieder zur Anwendung. Der Teufel verkörperte das Maskenprinzip schlechthin, ihm fehlte sogar das Gesicht. In der frühneuzeitlichen Commedia del- l'arte agieren wieder Schauspieler auf der Bühne. Hinter der Maske treiben wenige, immer gleiche Figuren in immer neuen Geschichten ihr Spiel von Liebe, List und Eifersucht.

CHRISTIANE KRUSE

Richard Weihe: "Die Paradoxie der Maske". Geschichte einer Form. Wilhelm Fink Verlag, München 2004. 390 S., 18 Abb., br., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Von der griechischen Tragödie bis zu Jean Baudrillard spannt sich der Bogen, den Richard Weihe in den drei Teilen von "Die Paradoxie der Maske" spannt, geht man nach der Rezension von Christiane Kruse. Drei wesentliche Beziehungen zwischen Maske und Gesicht werden dabei untersucht: die Unterscheidung und die Gleichsetzung von Maske und Gesicht ("maschera" beziehungsweise "prosopon") und die Gleichsetzung von Maske und Person ("persona"). Dabei wird (natürlich) auch immer die Frage nach Lüge und Wahrheit, Schein und Sein verhandelt. Kruse äußert sich nicht dazu, inwiefern Weihe bei seinem Vorhaben, eine Kulturgeschichte des Maskentragens zu schreiben, erfolgreich war. Man kann jedoch, wenn man schon das Fehlen eines kritischen Einwands nicht als Zustimmung gelten lassen will, die Vielgestaltigkeit der Themen, um die es geht, als Indikator des Gelingens auffassen: Stationen der Bildungsreise sind Afrika und Attika, Genesis und Tertullian, die Patristik und Ödipus, Dionysos und Machiavelli, Mysterienspiel und Commedia dell?arte, Diderot und Cyberspace.

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