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Das Theater der Zukunft
Das TAT, das Frankfurter Theater am Turm, war Vieles: eine Bühne für Schauspieler, Tänzer, Sänger, für Widerständler und Quertreiber, ein Versuchslabor für neue Formen, ein Trainingsplatz für Mitbestimmung, es war ein Hort für Kinder- und Jugendtheater, ein experimentelles Volkstheater, eine Wanderbühne, eine Plattform für Performance, es war Tanztheater, Festival und eine Alternative zum Stadttheater - kurz ein Theater der Zukunft.
Bis heute strahlt das TAT eine ungebrochene Faszination aus. Für zahlreiche große Schauspieler und Theatermacher wurde es zur
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Produktbeschreibung
Das Theater der Zukunft

Das TAT, das Frankfurter Theater am Turm, war Vieles: eine Bühne für Schauspieler, Tänzer, Sänger, für Widerständler und Quertreiber, ein Versuchslabor für neue Formen, ein Trainingsplatz für Mitbestimmung, es war ein Hort für Kinder- und Jugendtheater, ein experimentelles Volkstheater, eine Wanderbühne, eine Plattform für Performance, es war Tanztheater, Festival und eine Alternative zum Stadttheater - kurz ein Theater der Zukunft.

Bis heute strahlt das TAT eine ungebrochene Faszination aus. Für zahlreiche große Schauspieler und Theatermacher wurde es zur künstlerischen Heimat. Claus Peymann behauptet, er sei am TAT "zur Welt gekommen", Rainer Werner Fassbinder arbeitete hier, Künstler wie John Cage, Heiner Goebbels, Jan Fabre, Jan Lauwers, Rosa von Praunheim, die Wooster Group und andere prägten das TAT. Unter dem letzten Intendanten William Forsythe entstand eine ganz neue Verbindung von Tanz, Theater und spektakulären Raumkonzepten.

- Essayband über alle Wegbereiterinnen und kreativen Köpfe dieses legendären Theaters
- ein halbes Jahrhundert TAT: von der Wanderbühne zum Zentrum der Avantgarde
- Essays, Gespräche, Dokumente, Fotos von Aufführungen und Probenarbeit, Plakate u.v.m.
- Kultur- und Zeitgeschichte im reich bebilderten Großformat
- mit umfangreichem Anhang: Spielstätten, Intendanten, Ensembles, Autorinnen und Autoren

Seismographen ihrer Zeit

Das TAT war schon Legende, bevor es 2004 geschlossen wurde. Mehr als ein halbes Jahrhundert deutsche und internationale Theatergeschichte wurde hier geschrieben; wer neue und deutliche theatralische Positionen suchte, konnte sie hier finden. Seine erste Hochphase erlebte das Frankfurter Theater am Turm mit gesellschaftskritischen Theaterarbeiten in den 1960er und 1970er Jahren. Ab Mitte der 1980er Jahre entwickelte es sich zu einem Labor neuer Theaterformen, das weltweit Aufsehen erregte. Bis heute zeigt die Geschichte des TAT, welche kreative Produktivität durch das Zusammenkommen kreativer Köpfe möglich ist, die auch Seismographen ihrer Zeit sind.

"Irre lebendige" Theatergeschichte

Die Einzigartigkeit des TAT belegen in diesem Buch Interviews, Archiv- und Originalbeiträge, die die verschiedenen Phasen dokumentieren, sowie Rückblicke zahlreicher Beteiligter, die auf der Bühne standen, hinter den Kulissen wirkten oder Freunde und Kritiker des Hauses waren. Mit 150 Fotos und Plakatentwürfen wird die wechselvolle Geschichte des TAT in diesem schön gestalteten und sorgsam edierten Band (herausgegeben von Karlheinz Braun, Ulrike Schiedermair und Sabine Bayerl) nachgezeichnet, der vor allem zeigt, was das TAT war: ein "dynamischer Ort" (Willem Dafoe) und "irre lebendig" (Tom Stromberg).

Ebenfalls lieferbar:

"Regietheater. Eine deutsch-österreichische Geschichte" über Theatermacherinnen und Theatermacher des 20. und 21. Jahrhunderts
Autorenporträt
Bayerl, SabineDie Lektorin SABINE BAYERL ist Herausgeberin mehrerer Monologe-Bände im Henschel Verlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2016

Der Ort, an dem der künstlerische Zeitgeist zu Hause war

Vor 50 Jahren wurde das Theater am Turm mit Handkes "Publikumsbeschimpfung" neu gegründet. Zum ersten Mal widmet sich jetzt ein Buch der Geschichte des TAT.

Von Michael Hierholzer

Die Episode, die später international immer wieder mit dem Theater am Turm verbunden wurde, war sehr kurz, von der häufigen Abwesenheit der Hauptfigur und letztlich vom Scheitern der Akteure bestimmt. Aber dass die Stadt Ende 1973 Rainer Werner Fassbinder verpflichtet hatte, der damals längst als bedeutendster zeitgenössischer Filmregisseur galt und stets auch mit Theatergruppen experimentierte, brachte Frankfurt den Ruf ein, einer der weltweit wichtigsten Orte der künstlerischen Avantgarde zu sein.

In einer Zeit, in der das Theater nach neuen Wegen suchte und sich als gesellschaftspolitisches Medium mit Weltveränderungsanspruch verstand, wurde die Entscheidung für Fassbinder als Signal begriffen, sich radikal der Moderne zu öffnen. Der kulturelle Ruhm Frankfurts drang bis in die New Yorker Off- und Off-off-Broadway-Szene. Lange noch zehrte Frankfurt davon. Auch die frühere Oberbürgermeisterin Petra Roth wurde auf ihren Amerika-Ausflügen in den neunziger Jahren gelegentlich noch auf Fassbinder und das TAT angesprochen. Wobei in den Hintergrund getreten war, dass der Name der Bühne eine Abkürzung für Theater am Turm bedeutete. Die drei Großbuchstaben standen längst für entschlossenes künstlerisches Handeln.

Die Proben am TAT gerieten, wie bei Fassbinder durchaus schon früher üblich, zu psychotherapeutischen Sitzungen mit emotionalen Ausbrüchen und Beziehungsdramen. Das Mitbestimmungsmodell und die autokratischen Züge des Meisters kollidierten. Zu den Sonderlichkeiten der Ära Fassbinder gehörte etwa auch der Plan, einen Psychologen einzustellen, der die Arbeit des Ensembles begleiten sollte. Tatsächlich wurde zu diesem Zweck dann ein Psychologiestudent in höherem Semester engagiert. Immerhin kam es zu einer Reihe von Premieren, und die "Family", zu deren herausragenden Köpfen Kurt Raab, Irm Hermann und zahlreiche andere Darsteller zählten, die dank Fassbinder Berühmtheit erlangten, prägte eine Zeitlang das Frankfurter Kulturleben.

Diese "Familie" war schließlich auch das eigentliche Kunstwerk, das sich Fassbinder zu formen vorgenommen hatte, um nach einiger Zeit freilich zu dem Schluss zu kommen, die einzelnen Mitglieder seien nicht in der Lage, "sich zu emanzipieren". Auch im Volksbildungsheim an der Eschersheimer Landstraße, wo das TAT angesiedelt war, hatte sich die gleichberechtigte Mitbestimmung aller am Produktionsprozess als nicht praktikabel erwiesen.

Aber selbst noch im Scheitern war dieses Theater auf der Höhe der Zeit wie kaum eine andere kulturelle Institution in Frankfurt. Hervorgegangen ist das TAT aus der Landesbühne Rhein-Main, ursprünglich eine Wanderbühne, die von Gemeinde zu Gemeinde zog, um dem nicht immer freiwillig gekommenen Publikum vor allem die Klassiker vorzuführen - Schulklassen wurden zum Vorstellungsbesuch gezwungen. Von Zwängen aller Art sich zu befreien war von Anfang an das Bestreben des neuen Theaters, das sich 1965 etablierte. Es war die Epoche des großen Kulturaufbruchs, als sich zahlreiche neue Theatergruppen bildeten.

In Frankfurt übernahmen Claus Peymann und Wolfgang Wiens die Leitung des TAT. Als eigentliches Gründungsdatum gilt freilich die Premiere von Peymanns Inszenierung der "Publikumsbeschimpfung", eines Stücks, das der damals noch sehr junge Autor Peter Handke verfasst hatte. Insofern ist 2016 ein Jubiläumsjahr: Vor 50 Jahren entstand das TAT, das in den folgenden Jahrzehnten eine Stätte der dann doch vornehmlich ästhetischen Auseinandersetzung werden sollte, wie es sie im deutschsprachigen Raum kein zweites Mal gab. Am 8. Juni 1966 war die Uraufführung. Eine Sensation. Ein Skandal für die einen. Ein Erweckungserlebnis für die anderen. Ein Spektakel. Die Theaterwelt wurde umgekrempelt. Die Verhältnisse standen kopf. Das Publikum wurde zur Zielscheibe der Schauspieler.

Von Anfang an mit von der Partie war Karlheinz Braun, der damals bei Suhrkamp den Theaterverlag leitete. Zusammen mit dem Kritiker Peter Iden stemmte er 1966 das Theaterfestival "experimenta". Das TAT war Spielstätte. Und Handkes "Publikumsbeschimpfung" Teil des Festivalprogramms. Die "experimenta" und das TAT waren fortan nicht mehr zu trennen, es gab sieben Folgen des Festivals, wobei zwischen den beiden letzten elf Jahre lagen.

Braun ist einer der Herausgeber des Bandes "Das TAT. Das legendäre Frankfurter Theaterlabor", der soeben im Leipziger Henschel-Verlag erschienen ist. Es ist die erste Würdigung des Theaters am Turm in Buchform, der erste Versuch, eine Geschichte des TAT zu schreiben. Viele ehemalige Mitarbeiter und Wegbegleiter kommen in der Publikation zu Wort, die mit etlichen Fotos und dank einer übersichtlichen Aufmachung alles andere als akademisch wirkt. Sie ist es auch nicht. Anekdotisches nimmt viel Platz ein, der Leser wird mit einer Vielzahl interessanter Personen konfrontiert, von denen ein paar in ihrer aktiven Lebensphase genügten, um Frankfurt heute intellektuell kräftig aufzumischen.

Die Geschichte des TAT ist die Geschichte seines Untergangs. Er war dem Haus gleichsam eingeschrieben. 1979 hat die Stadt die Bühne geschlossen. Der damals regierenden CDU passte die ganze Richtung nicht. Die Stadtverordnete Erika Steinbach, jüngeren Menschen durch ihre schrägen, neben allen Themen liegenden Twitter-Mitteilungen bekannt, sprach davon, das TAT-Ensemble habe sich "in masochistischer Wollust in ein frühkindliches Trotzverhalten gestürzt". Das Theater wurde zwar nach einem Jahr wiedereröffnet, litt aber fortan noch mehr unter chronischen Geldnöten, als es dies zuvor schon getan hatte. Dabei sollte die künstlerische Blütezeit erst noch kommen.

In den achtziger Jahren wandelte sich die Bühne zur ersten Adresse für das, was man postmodernes Theater nennen könnte. Die Debatten verlagerten sich vom Politischen wieder aufs Ästhetische. Die Grenzen von Tanz, Musik, Schauspiel, bildender Kunst, Performance lösten sich auf, an die Stelle von Erzählungen traten lose vereinte Bilder, Motive, Momente. Tom Stromberg kam 1985 ans TAT, zuerst als Dramaturg, später wurde er künstlerischer Leiter und Intendant. Er lud ausschließlich Künstler ein, deren Positionen er für bedeutsam hielt, machte keinerlei inhaltliche Vorgaben und bot somit einer neuen Generation von Theatermachern wie Jan Fabre oder Anne Teresa de Keersmaeker ein Forum. Das Theater hatte kein Ensemble mehr. Es lebte von erstklassigen Gastspielen.

1995 zog es ins Bockenheimer Depot um. Als neben Oper, Schauspiel und Ballett vierte Sparte der Städtischen Bühnen. Es war der Anfang vom unheimlich langen Ende des TAT. Ballettchef William Forsythe wurde 1996 auch TAT-Intendant, 1999 kamen Tom Kühnel und Robert Schuster als Hausregisseure an die Bühne und avancierten faktisch zu künstlerischen Leitern. Ihr Theater unterschied sich grundlegend von der bisher verfolgten Linie des Hauses. Spielerische Inszenierungen klassischer Texte, viel Brecht ohne viele Brechungen, ein Schauspielertheater statt postmoderner Spiegelfechtereien: Ein letztes Mal wird das TAT zu einem Ort, an dem sich der Zeitgeist ausdrückt. Es gibt eine Rückkehr zu traditionellen Formen. Einer der Schauspieler, die dafür stehen, ist Charly Hübner, der inzwischen Karriere als Film- und Fernsehdarsteller gemacht hat.

Die unklare Leitungsstruktur jedoch, der notorische Geldmangel der Stadt und Hans-Bernhard Nordhoff, den Hans-Thies Lehmann und Patrick Primavesi in ihrem einleitenden Essay zum TAT-Buch einen "ausnehmend unbegabten Kulturdezernenten nennen", befördern die endgültige Schließung eines Theaters, das stets eine Gegenposition zum Frankfurter Schauspiel bildete, ein Experimentierfeld, auf dem sich viele tummelten. Und ein Ort außergewöhnlicher künstlerischer Leistungen war. 2004 war Schluss.

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"Ein unfassbarer Reichtum und eine tolle Lektüre."
Esther Boldt, nachtkritik.de

"Ein Lese-Erlebnis. [...] Statements und Gespräche mit Zeitzeugen und Wegbegleiterinnen wachsen zusammen zur [...] elementaren Geschichte eines Theaters in extrem bewegter Zeit."
Deutschlandfunk Kultur