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Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Kriminelle, Leistungsverweigerer, Triebtäter, Atommüll, bakteriologisch kontaminiertes Material - also jede Form von -Sondermüll-, pausenlos in riesige LKWs auf dem Autobahnnetz zirkulieren, in einer geschlossenen Welt, in die man zwar hinein, aus der man aber nicht wieder herauskommt. Erfahrung kommt immer später, als man sie braucht. Wir Neuen hatten keine Ahnung, daß es Unterschiede zwischen den Kojen gibt, wie wichtig es ist, die richtige Koje zu ergattern. Die Umgeladenen besetzten sofort die hinteren Plätze, und die sollten sich bald als der…mehr

Produktbeschreibung
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Kriminelle, Leistungsverweigerer, Triebtäter, Atommüll, bakteriologisch kontaminiertes Material - also jede Form von -Sondermüll-, pausenlos in riesige LKWs auf dem Autobahnnetz zirkulieren, in einer geschlossenen Welt, in die man zwar hinein, aus der man aber nicht wieder herauskommt.
Erfahrung kommt immer später, als man sie braucht. Wir Neuen hatten keine Ahnung, daß es Unterschiede zwischen den Kojen gibt, wie wichtig es ist, die richtige Koje zu ergattern. Die Umgeladenen besetzten sofort die hinteren Plätze, und die sollten sich bald als der gesündere Ort in der Hölle erweisen. Die Kojen schließen sich am Abend nach dem letzten Signal, so daß jeder abgetrennt ist und nachts nichts passieren kann, keiner wird im Schlaf erdrosselt, keiner während seiner Alpträume vergewaltigt.
Autopol heißt dieses Ghetto der Außenseiter: ein Alptraum für alle, die darin leben müssen.
Autorenporträt
Ilija Trojanow, 1965 in Sofia geboren, floh mit seiner Familie 1971 über Jugoslawien und Italien nach Deutschland, wo sie politisches Asyl erhielt. 1972 siedelte die Familie nach Kenia über. Von 1985 bis 1989 studierte Trojanow Rechtswissenschaften und Ethnologie an der Universität München, später gründete er hier den Kyrill & Method Verlag sowie den Marino Verlag. 1998 zog Trojanow nach Bombay, 2003 nach Kapstadt. Seine Bücher wurden mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem erhielt er 2006 den Preis der Leipziger Buchmesse für den Roman 'Der Weltensammler' (dtv 13581), 2009 den Preis der Literaturhäuser sowie den Würth-Preis für Europäische Literatur. 2017 wurde er mit dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln ausgezeichnet, 2018 mit dem Usedomer Literaturpreis. Ilija Trojanow lebt in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.1998

Nächste Ausfahrt Internet
Ilija Trojanow schreibt einen Abenteuerroman fürs Netz

Daß wir nun als gutes altes Taschenbuch in Händen halten, was als ein öffentlich-rechtliches Internet-Experiment begonnen hat, deutet auf Ambivalenzen der Autorschaft im interaktiven Zeitalter. Für das ZDF-Kulturmagazin "aspekte" hat sich Ilija Trojanow, so heißt es in der Vorbemerkung, auf den "digitalen Asphalt des Datenhighways" begeben und eine "Novel in Progress" konzipiert. Dem Genre nach handelt es sich um "einen Zukunfts-Thriller der besonderen Art", um ein "online-road movie". An suggestiven Namen für das "Projekt" ist jedenfalls kein Mangel. Was sich aber im Internet nichtlinear und dialogisch als zwangsläufig unübersichtliches Stück-Werk präsentierte, hat nun, in Trojanows gemeinsam mit Rudolf Spindler erstellter Buchfassung, verbindliche Romanform angenommen. Zwar sind die einzelnen auf verschiedenen Erzählebenen und Perspektiven kommentarlos dargebotenen Textsegmente mit einigem piktographischen Aufwand gegeneinander abgesetzt und mit einer Menge trüb-verwackelter Fotos dekoriert. Doch alles in allem ist in der Buchform dieser "novel" der "progress" als abgeschlossen zu betrachten. Es herrscht in "Autopol" jetzt erzählerische Ordnung. Das mitspielende Netz-Publikum hat sich auf die Plätze zurückbegeben, und nun hat wieder der Autor allein das Sagen.

Bei der multimedialen Verpackung dieses Romans zur Sache selbst vorzudringen ist nicht ganz einfach. Hinzu kommt, daß "Autopol" ein fröhliches Recycling von Themen, Figuren und Motiven betreibt, die der Leser aus anderen Zusammenhängen zu kennen meint. Sten Rasin, dem Helden, hat Trojanow den Namen eines aufständischen Kosakenführers aus dem siebzehnten Jahrhundert gegeben: Nun kehrt Rasin wieder als eisenharter politischer Widerstandskämpfer in einem orwellschen einundzwanzigsten Jahrhundert. Sein Psychogramm bescheinigt ihm "hohe Intelligenz, gepaart mit politischem Fanatismus". Wegen Gründung einer illegalen Organisation und anderer politischer Straftaten soll er nun, wie es im Newspeak heißt, "ausgeschafft" werden nach Autopol. So heißt der abgetrennte Teil des mitteleuropäischen Autobahnnetzes, auf dem die Teta AG, Europas mächtigster Konzern, Sondermüll und Schwerverbrecher in "Iso-Transportern" zirkulieren läßt, ehe sie zum Beispiel in Afrika endgelagert beziehungsweise zur Zwangsarbeit herangezogen werden.

Aber Sten Rasin, der digitale Asphalt-Cowboy, läßt so mit sich nicht umgehen. Sofort verschafft er sich Respekt unter den durchweg nicht so ehrenwerten Mithäftlingen - es handelt sich um "Polizistenmörder, Vergewaltiger, Serienkiller". Sten Rasin, der Einzelkämpfer gegen die Kontrollgesellschaft, organisiert im Handumdrehen eine Revolte, bei der die Beschäftigten der "Ruhestelle Ost 3", darunter auch ein "Seelversorger", als Geiseln genommen werden. Ein ehrgeiziger Nachwuchsjournalist, der sich unerkannt in Autopol eingeschleust hat, berichtet fortan exklusiv für einen - privaten - TV-Kanal über das Geiseldrama. Die Teta AG läßt sich scheinbar auf Verhandlungen ein.

Dann überstürzen sich die Ereignisse. Sten Rasin, stets dem Verhandlungspartner - der auf den schönen Namen Reggie Debis hört - wie den Haftkumpanen um mindestens eine Nasenlänge voraus, hat längst andere Pläne. Während Teta die Häftlingsrevolte blutig niederschlägt, entkommt der Held mit einer Handvoll Begleiter auf unterirdischen Pfaden. Auf einem sonntagvormittäglichen Rummelplatz trennen sich die Wege der Delinquenten.

Das alles ist im Schnitt der Charaktere und Situationen von comic-hafter Grellheit, dabei aber spannend genug, um den Leser auf locker bedruckten 188 Seiten beschäftigt zu halten. Der angekündigte "politische Sprengstoff" gelangt allerdings nicht zur Detonation. Und als "literarisches Experiment" darf man "Autopol" wohl nur im Hinblick auf die interaktiven Begleitumstände werten. In der Substanz bleibt das Werk recht konventionell. Ilija Trojanow, der für sein Romandebüt "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall" viel Lob erntete, erweist diesmal den Genrekonventionen des düsteren Zukunftsromans seine Reverenz. Sollten wir Sten Rasin nach seinem geglückten Ausbruch nicht wieder begegnen: Er wird uns nicht ernsthaft fehlen. CHRISTOPH BARTMANN

Ilija Trojanow: "Autopol". In Zusammenarbeit mit Rudolf Spindler. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997. 188 S., br., 24,- DM.

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