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Das Mädchen Steffi lebt für den Bass, die Klarinette und die Freundschaft
zu einem alten Jazzer in „Herz aus Jazz“ von Sara Lövestam
VON KRISTINA MAIDT-ZINKE
Das Mädchenbuch als literarisches Genre entpuppt sich als unsterblich, obwohl – oder gerade weil - es sich im Laufe des vorigen Jahrhunderts dem gesellschaftlichen Wandel kontinuierlich angepasst hat. Impulse für neue und unkonventionelle Mädchenbilder kamen aus Skandinavien, und auch hier hat Astrid Lindgren, die Mädchenbücher ausdrücklich schätzte, Pionierarbeit geleistet. Einerseits können die Geschichten um Pippi Langstrumpf, deren siebzigsten Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, als Parodie und Demontage der bis dahin tradierten Mädchenliteratur gelesen werden; andererseits schuf die Autorin mit Heldinnen wie Britt-Mari, Kerstin oder Kati auch Mädchenfiguren im eher „klassischen“ Sinn, die aber ihren deutschsprachigen Genre- und Generationsgenossinnen stets eine Menge an Witz, Eigenständigkeit und Realitätssinn voraushatten.
Diese Tradition setzt sich fort bei schwedischen Nachwuchsautorinnen wie der 1980 geborenen Sara Lövestam: Ihr Roman Herz aus Jazz hat eine Protagonistin, die keineswegs alle Konventionen sprengt, aber dennoch ihre Individualität behauptet. Die Probleme, mit denen die 15-jährige Steffi Herrera kämpft, sindvergleichsweise harmlos: Im värmländischen Provinzgymnasium wird sie gemobbt, die ältere Schwester behandelt sie von oben herab, der kleine Bruder nervt, die netten Eltern sind überfordert.
Ihre Außenseiterrolle verdankt die musikalisch begabte Schülerin sowohl der Tatsache, dass ihr Vater aus Kuba stammt, als auch ihrer Begeisterung für Jazzmusik aus der Swing-Ära. Und für den schwedischen Entertainer Povel Ramel (1922-2007), über dessen Eigenarten junge Leserinnen hierzulande sich wohl erst einmal im Internet informieren müssen, um Steffis so gar nicht alterstypische Vorliebe wenigstens ansatzweise zu verstehen.
Seit dem Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand gehört Gerontophilie zum Standard der schwedischen Unterhaltungsliteratur. Die Hochbetagten, so lautet die Botschaft, sind oft viel besser drauf als die Jungen, haben mehr Lebensmut und originellere Ideen. Hier wird das pfiffige Seniorentum durch den ehemaligen Jazzgitarristen Alvar Svensson verkörpert, den Steffi auf geradezu romantische Weise kennenlernt, als sie unerwartet Povel-Ramel-Klänge aus dem Fenster eines Altenheims vernimmt. Es stellt sich heraus, dass Alvar ein erfolgreicher Bassist im Stockholm der Swinging Forties war – damals, als der heute so schicke Stadtteil Södermalm noch den Ruf eines Sündenbabels genoss und junge Männer sich mit „Brylcreem“ frisierten, um die Angebetete zu erobern.
Zwischen den beiden Musikbegeisterten entwickelt sich eine enge Freundschaft, die es dem jungen Mädchen ermöglicht, offen über seine Probleme zu sprechen, und die dem alten Mann die Gelegenheit gibt, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Letztere, zugleich die Geschichte einer großen Liebe, ist eine ebenso kurzweilige wie anrührende Zeitreise, die interessante Einblicke in die schwedische Gesellschaft der Vierzigerjahre vermittelt – sozusagen ein jugendgemäßes Pendant zu den gerade auf Deutsch erschienenen Kriegstagebüchern von Astrid Lindgren. Und wenn Alvar der staunenden, weil politisch korrekt erzogenen Steffi erklärt, dass man seinerzeit im Jazzer-Milieu das Wort „Neger“ nicht nur völlig unbefangen verwendete, sondern damit seine Bewunderung für die großartigen schwarzen Musiker der Epoche ausdrückte, dann könnte darin auch eine Flaschenpost an jene Zensoren in Deutschland und Schweden verborgen sein, die den anstößigen „Negerkönig“ aus Pippi-Langstrumpf-Büchern und-Filmen verbannt haben.
Natürlich kommen in Steffis Alltag auch Jungen vor, aber das Hauptthema der meisten Mädchenbücher wird hier zur Nebensache: Die Leidenschaft der Heldin gilt in erster Linie dem Bass, der Klarinette und den musikalischen Idolen der Vergangenheit. Und es ist der Autorin zu danken, dass sie auch das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe, im genderbewussten Schweden schon so etwas wie ein Muss, nur beiläufig berührt. Dafür entlastet sie die schlimmste Mobberin unter den Mitschülerinnen noch durch eine tragische Familienhistorie, bevor sie Steffi einen souveränen Abgang von der Schule und in ein neues Leben verschafft.
Das alles hat zwar eine Mutmach- und Wohlfühl-Komponente, deren pädagogischer Impetus sich mit Händen greifen lässt, aber der lockere schwedische Erzählton, allzeit leicht ironisch, und vor allem Alvar Svenssons bodenständiger Altershumor tilgen jede Spur von Aufdringlichkeit. Gewiss, in Schweden wie anderswo gibt es Teenager, die mit schwierigeren Lebenswirklichkeiten konfrontiert sind als Steffi Herrera. Wenn allerdings krasser Realismus ins Spiel käme, wären wir nicht mehr in dem Genre, mit dem wir es, auch in dieser ziemlich originellen Variante, immer noch zu tun haben – dem Mädchenbuch.
Sara Lövestam: Herz aus Jazz. Aus dem Schwedischen von Stephanie Elisabeth Baur. Rowohlt 2015. 334 Seiten, 9,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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