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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Politische Philosophie in Konkurrenz zur Offenbarung
Der Titel des Buches lässt aufmerken, geht es doch um eine Frontstellung, die als längst überwunden galt: diejenige zwischen (politischer) Philosophie einerseits und Religion (sofern sie sich aus einem Offenbarungsanspruch heraus legitimiert) andererseits. Der Autor, bekannt als Herausgeber und Interpret klassischer Texte der politischen Philosophie, behandelt das Thema in drei Teilen, die im Darstellungsstil auffällig voneinander abweichen. Sie erhalten jedoch durch eine geradezu orthodox anmutende Abhängigkeit von Leo Strauss, dem Haupt der Schule von Chicago, eine gewisse Kohärenz. Den roten Faden indessen muss der Leser eigenständig erstellen – am besten anhand einer idealtypischen Aufreihung der eigentlichen Helden des Buches: angefangen bei Platons Sokrates als politischem Partisan in der antiken Polis über Machiavellis „principe nuovo“ als Strategen einer Emanzipation der Politik von der Religion bis hin zum „Legislateur“ Rousseau als Garantem des Primats der Politik über die Religion.
Ungeachtet der keineswegs verhallten Kampfansage, die Friedrich Nietzsche an die von der europäischen Historiographie zu verantwortende Tabuisierung der „sokratischen Wende“ richtete, zelebriert das Buch einen – durch die Kritik des Komödiendichters Aristophanes – geläuterten Sokrates als den wahren Begründer der Politischen Philosophie. Der Ertrag kann gar nicht zu hoch veranschlagt werden: die politische Philosophie erhält gleich zu Beginn die Auszeichnung, nahezu für das Ganze der Philosophie („die menschlichen Dinge im umfassenden Sinne“) zuständig zu sein; sie stifte die Grundlagen für die immer wieder fällige Verteidigung des „philosophischen Lebens“, und erweise sich gar als gewiesener Ort für die Selbsterkenntnis des Philosophen. Das letztere privilegiert nicht nur die politische Philosophie, sondern zudem auch die Politik selbst, verstanden als das „Tun des Richtigen“, das zu wissen freilich nur wenigen – eo ipso denen, die der Selbsterkenntnis und der Selbstbehauptung des philosophischen Lebens fähig sind – zuteilwerden kann: politische Philosophie als Geheimwissenschaft.
Allerdings hatte Sokrates für eine solche Wendung lediglich die Weichen gestellt. Es ist Machiavelli – genauer der Machiavelli des Leo Strauss („Thoughts on Machiavelli“) –, der die eigentliche Konfrontation zur Entscheidung bringt, um die es im Buch geht: diejenige zwischen dem politischen Anspruch der Philosophie einerseits und der Forderung nach Kapitulation der Politik vor der Offenbarung andererseits. In Form einer unbeirrbar dem Meister aus Chicago verpflichteten Metaexegese der Strauss’schen Machiavelli-Auslegung stellt Meier einige Merkmale der Strauss’schen Interpretation deutlicher heraus, als das bislang üblich war: etwa das Insistieren auf einer synoptischen Lesart der beiden oftmals als inkompatibel bewerteten Hauptwerke von Machiavelli, Principe und Discorsi : Machiavelli habe eine kohärente Lehre auf zwei Bücher verteilt, so die These, derzufolge sich beide nach dem dualen Schema von Abhandlung und Anwendung gliedern. Schließlich, so Heinrich Meier mit Leo Strauss, ließen sich bei Machiavelli die beiden Generationen, die „Alten“ und die „Jungen“, als zwei unterschiedene, je auf ihre Art zu mobilisierende Adressaten ausmachen. An die Alten geht die Botschaft von den Staatsgründern und Fürsten. An die Jungen hingegen – und damit sind wir beim eigentlichen Thema des Buches angelangt – richtet sich die Botschaft von der fälligen Selbstbehauptung politischer Autonomie gegenüber den Geltungsansprüchen der Offenbarungsreligion. Aus einer kurzen Passage der Discorsi deduziert Strauss, wie Meier herausstreicht, die Behauptung, Machiavelli bezichtige den Gott der Bibel der Tyrannei („God is a tyrant“).
Die Schlussfolgerung wirkt auf Anhieb überzogen. Machiavelli habe, Strauss zufolge, bewusst das Mittel der Blasphemie eingesetzt, um auf diesem Wege eine veritable philosophische Opposition gegen den biblischen Gott zu markieren, eine, die argumentiert und nicht lediglich einen politischen Machtkampf führt. Meier folgt hier treu der Anleitung von Strauss, der gemäß Machiavelli den Leser methodisch dazu anleite, die implizite Intention des Autors zu explizieren („Strauss bringt Machiavelli zum Sprechen, wo dieser schweigt“), um am Ende – als bewährter Rousseau-Interpret – mit seinen Lesern dasselbe Spiel zu spielen. Rousseaus „Legislateur“, der, wie schon Machiavellis gottähnlicher Idealfürst, nach Einrichtung der neuen politischen Ordnung abtritt und dem Volk die Souveränität überlässt, symbolisiert damit indirekt den „Primat der Politik gegenüber der Religion“, das heißt aber: den Vorrang der politischen „leadership“ gegenüber dem Messianismus. Rousseaus Zivilreligion („religion civile“) transformiert demnach ursprünglich in religiöser Sprache formulierte Prinzipien und Gebote in eine politische Dogmatik.
Dem Leser stellt sich die Frage, ob er hier eine neue Erzählvariante von der Erfolgsgeschichte politischer Theologie oder aber die Stoffsammlung für ein Manifest zur Gründung eines „geheimen Europa“ aus der Hand legt.
ENNO RUDOLPH
Heinrich Meier: Politische Philosophie und die Herausforderung der Offenbarungsreligion. C. H. Beck Verlag, München 2013. 236 Seiten, 26,95 Euro.
Platons Sokrates, Machiavelli
und Rousseau sind
die Helden dieses Buches
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