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Wien, Anfang der 1950er-Jahre: Jeden Donnerstag treffen sich Künstler, Wissenschaftler, Zeitungsleute bei Theophil Kanakis und erfreuen sich der Gastfreundschaft des reichen Mannes. Man will genießen und das Elend der Kriegszeit vergessen. Neu beginnen will auch Kuno Adler, der jüdische Wissenschaftler. Zurückgekehrt aus dem New Yorker Exil hofft er, seine Arbeit weiterführen zu können. Aber er trifft auf Ausflüchte, Geringschätzung und Feindseligkeit. Und da ist die wunderschöne Marie-Theres. Sie gerät in ein Milieu voller Dekadenz und moralischer Zweideutigkeit und geht an ihrer Arglosigkeit zugrunde. …mehr

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Produktbeschreibung
Wien, Anfang der 1950er-Jahre: Jeden Donnerstag treffen sich Künstler, Wissenschaftler, Zeitungsleute bei Theophil Kanakis und erfreuen sich der Gastfreundschaft des reichen Mannes. Man will genießen und das Elend der Kriegszeit vergessen. Neu beginnen will auch Kuno Adler, der jüdische Wissenschaftler. Zurückgekehrt aus dem New Yorker Exil hofft er, seine Arbeit weiterführen zu können. Aber er trifft auf Ausflüchte, Geringschätzung und Feindseligkeit. Und da ist die wunderschöne Marie-Theres. Sie gerät in ein Milieu voller Dekadenz und moralischer Zweideutigkeit und geht an ihrer Arglosigkeit zugrunde.
Autorenporträt
Elisabeth de Waal, geboren 1899 in Wien, gestorben 1991, ist die älteste Tochter von Viktor von Ephrussi und der Baroness Emmy Schey von Koromla. Sie wurde zu Hause und im Schottengymnasium erzogen und studierte Philosophie, Jus und Ökonomie und lebte in Paris, der Schweiz und schließlich in England. Sie verfasste fünf Romane, schrieb Gedichte und korrespondierte mit Rilke über Poesie.

Hanns Zischler, Jahrgang 1947, ist nicht nur Schauspieler und Sprecher, sondern arbeitet seit vielen Jahren als Schriftsteller, Übersetzer und Fotograf. Er war in Kinofilmen von Regisseuren wie Wim Wenders und Steven Spielberg zu sehen. Mit seiner markanten Stimme hat er bereits zahlreiche Texte zum Leben erweckt, darunter Werke von Thomas Mann, Truman Capote und Vladimir Nabokov. 2010 wurde er mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

buecher-magazin.de - Rezension
buecher-magazin.de

Die Hauptfigur ist das Wien der 1950er-Jahre zwischen Zerstörung und Wiederaufbau. Hier berühren sich die Lebenswege von drei verschiedenen Menschen. Die junge Amerikanerin Marie-Theres besucht die adeligen Verwandten ihrer Mutter. Der emigrierte Wissenschaftler Kuno Adler kehrt in seine alte Heimat zurück. Und schließlich der reiche Geschäftsmann Theophil Kanakis: Jeden Donnerstag treffen sich bei ihm Adelige, Wissenschaftler und Künstler. Marie-Theres glaubt, hier die große Liebe zu finden, und begreift zu spät, dass sie nur benutzt wird.
 
Ein Sittengemälde der gehobenen Wiener Gesellschaft jener Zeit. Beim Hören taucht man ein in das Milieu des alten Adels oder begleitet den Rückkehrer Adler auf dem Weg durch die Nachkriegs-Bürokratie.    Hanns Zischler liest zurückhaltend und hält Distanz zu den Figuren. Das ist stimmig, denn der Roman transportiert eher Ideen, als dass er Figuren lebendig werden lässt. Doch an einigen Stellen huscht Zischler etwas zu schnell und zu beiläufig über den Text. Lesenswert sind die erläuternden Texte im Booklet, unter anderem von Edmund de Waal, Schriftsteller und Enkel der Autorin.

© BÜCHERmagazin, Ann-Kathrin Maar (akm)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2014

Das Herzzerbrechende der Rückkehr nach Wien

Ich habe den Roman meiner Großmutter Elisabeth wieder und wieder gelesen. Mein Vater hatte mir das mit etlichen Tippex-Korrekturen versehene vergilbte Typoskript übergeben, zusammen mit einem Bündel von Elisabeths Zeugnissen aus dem Wiener Schottengymnasium und einem braunen Umschlag mit Seminararbeiten über Ökonomie aus ihrer Studienzeit an der Universität. Dabei waren auch ein paar geistreich funkelnde Seiten aus einer Autobiographie, die ihre Kindheit um die Jahrhundertwende im Palais Ephrussi an der Ringstraße schilderten - die Kutschpferde, die endlosen Nachmittagstees mit Großtanten -, und ein Häufchen Briefe, die sie mit einem Lieblingsonkel gewechselt hatte. Sonst jedoch gab es sehr wenig. Mein Vater hatte in dem Schwellenmoment, als er mir die Mappen gab, gescherzt, ich sei nun der Hüter des Archivs. In den vielen, vielen Monaten, die ich danach in Archiven und Bibliotheken verbrachte, als ich auf der Suche nach der für mich so zwingend gewordenen Familiengeschichte durch die Straßen von Wien, Paris und Odessa streifte, wurde mir klar, dass diese archivalische Kargheit vollkommen sinnvoll war. Meine Großmutter hatte ihr Leben im Transit zwischen Staaten verbracht; sie behielt nur die Dinge, die ihr wichtig waren. Und diese Blätter waren es.

Der unbenannte Roman, der nun den Titel "Donnerstags bei Kanakis" trägt, wurde zu ihren Lebzeiten nicht veröffentlicht. Wenn ich mich mit ihr über die Bedeutung des Schreibens unterhielt, verriet sie nie, was es für sie bedeutete; erst vor kurzem fand ich diese einzelne, außergewöhnliche Seite: "Warum bemühe ich mich so sehr, strenge meine Ausdauer und Energie so sehr an, um dieses Buch zu schreiben, das niemand lesen wird? Warum muss ich schreiben? Weil ich immer geschrieben habe, mein ganzes Leben lang, weil ich es immer im Sinn hatte, und immer habe ich unterwegs gezögert und kaum je ist es mir gelungen, publiziert zu werden ... Was fehlt? Ich habe ein Gefühl für Sprache ... Aber ich glaube, ich schreibe in einer vergeistigten Atmosphäre, mir fehlt die Menschennähe, es ist alles zu fein destilliert. Ich handle mit Essenzen, deren Geschmack zu subtil ist, um auf der Zunge wahrgenommen zu werden. Es ist die Quintessenz von Erfahrungen, es sind nicht die Erfahrungen selbst ... ich destilliere zu sehr."

Das ist Elisabeths Stimme, streng und selbstkritisch, unfähig zum Selbstmitleid; aber man spürt auch ihr tief empfundenes Bedürfnis zu schreiben. Sie behielt es für sich, während sie eine Enttäuschung nach der anderen erlebte, als die Manuskripte ihrer Romane (fünf insgesamt, drei auf Englisch und zwei auf Deutsch) abgelehnt wurden. Was sie zu verfassen vorhatte, waren Ideenromane; in ihrem Schreiben versuchte sie eine Balance zwischen einer bestrickenden Kombination aus intellektuellen und emotionalen Einflüssen, der diamantharten Exaktheit ihres akademischen Daseins und dem lyrischen Imperativ ihrer Existenz als Lyrik- und Prosaautorin. In "Donnerstags bei Kanakis" setzen die beiden Hauptpersonen, Resi, das junge, schöne Mädchen, und Professor Adler, der exilierte Wissenschaftler, diese beiden Teile ihres Lebens in Szene. Und es war ein Leben von großer Dramatik.

Elisabeth de Waal war Wienerin, und dies ist ein Roman über das Wienersein. Als solcher ist es ein Roman über Exil und Rückkehr, über die widerstreitenden Kräfte von Liebe, Zorn und Verzweiflung angesichts eines Ortes, der zur eigenen Identität gehört, der einen aber auch abgewiesen hat. Dieser zu Lebzeiten meiner Großmutter nie veröffentlichte Roman ist sich solcher Komplexität bewusst und fungiert, indem er diese Emotionen auslotet, in Teilen als Autobiographie.

Sie wurde 1899 als Elisabeth von Ephrussi in eine jüdische Familiendynastie hineingeboren, die sich dreißig Jahre zuvor Wien zur Heimat erwählt hatte. Es war ein außergewöhnlicher Geschichtsmoment an einem außergewöhnlichen Ort. Ihr Heim war das Palais Ephrussi, ein riesiges, karyatidengeschmücktes Stück Neoklassik an der erst kürzlich angelegten Ringstraße, jenem Bogen aus öffentlichen Gebäuden und imperialen Monumenten, der errichtet wurde, um den Ruhm des Habsburgerreiches zu spiegeln. Das marmor- und goldstrotzende Gebäude war eine von einer unendlich reichen und aufstiegsorientierten Familie von Geldleuten errichtete Visitenkarte, eine von vielen an jener Straße, die man in der Stadt spöttisch Zionstraße nannte: die Straße der Juden. Elisabeths Mutter, eine schöne jüdische Baronesse, war im wenige hundert Meter entfernten Palais Schey geboren worden. Cousins und Cousinen lebten nebenan. Es war eine sichere - wenn auch vielschichtige - Welt, um hineingeboren zu werden.

Diese fragile Kombination aus Geld und Status, die Frage, wo man herkam und wo man hingehörte, war Teil der Verfasstheit Wiens. In der Hauptstadt der Monarchie wimmelte es auf den Straßen von allen Nationalitäten und ethnischen Gruppen. Von ihrem Schlafzimmerfenster aus, man sah von dort über die Äste der Ulmen hinüber zur Universität, konnte Elisabeth die aus einer breiten Schneise des europäischen Kontinents stammenden kaiserlichen Regimenter vorbeimarschieren sehen und hören. So grübelt einer der Protagonisten ihres Romans, Professor Adler, in den schlaflosen Stunden vor seiner Rückkehr: " ... aus allen Himmelsrichtungen waren sie gekommen, um ihr Glück zu suchen - Tschechen, Polen und Kroaten, Magyaren und Italiener, und natürlich Juden, um diese deutsche Stadt zu durchmischen, zu nähren und zu bereichern, die durch sie einzigartig und wahrhaft imperial wurde."

Elisabeths Erinnerungen handelten von einer polyglotten Erziehung in einer polyglotten Stadt. Und ihr Schreiben war aus einer intuitiven Ungezwungenheit in verschiedenen Sprachen geboren. Sie konnte wählen, in welcher Sprache sie schreiben oder in welcher sie lesen wollte: "Ich wurde in Wien geboren und lebte dort, also war Deutsch die Sprache, die mich umgab, das österreichische Deutsch mit seinen weichen und manchmal rauhen Vokalen und abgemilderten Konsonanten, eine Sprache, die derb sein konnte, wenn auch niemals schneidend, jedenfalls die Bildungssprache. Für mich als Heranwachsende war es die Sprache von Goethe und Schiller, später von Rilke und Thomas Mann, Kant und Schopenhauer, und die Sprache, in der Reinhardts Stücke aufgeführt wurden. Aber es war nicht die Sprache meiner kleinen, unmittelbaren und intimen Welt als Kind. Das war Englisch."

Elisabeths Kindheit in diesem außerordentlich privilegierten Haushalt, umringt von Dienerschaft, war auch eine von schrecklicher gesellschaftlicher Konventionalität. Ihre Eltern - ein gelehrter Vater mit einer wunderbaren Bibliothek, eine Salonlöwin als Mutter mit einem unvergleichlichen Boudoir - stritten sich heftig wegen ihrer Erziehung. Elisabeth setzte sich durch und erhielt die Erlaubnis, bei Lehrern aus dem Schottengymnasium, der angesehenen Knabenschule gegenüber dem Haus der Familie, Unterricht zu nehmen. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs, die Monarchie zerfiel in Unruhen und Fahnenflucht, legte Elisabeth die Matura ab. In ihrem Zeugnis findet sich eine lange Reihe von "Sehr gut". Das ermöglichte es ihr, an die Universität zu gehen, um Philosophie, Jus und Wirtschaft zu studieren. In einer Hinsicht war das eine sehr jüdische Wahl: In allen drei Fächern waren Juden an den Fakultäten stark vertreten.

Doch es war auch eine zutiefst persönliche Entscheidung. Sie liebte die Art, wie Ideen wirken, und durch dieses rigide akademische Training fühlte sich Elisabeth im philosophischen Diskurs vollkommen zu Hause. In ihrer lebenslangen Korrespondenz mit dem herausragenden Wiener Politikwissenschaftler Ludwig von Mises und dem politischen Philosophen Eric Voegelin ist das zu erkennen.

Aber Elisabeth hatte noch eine weitere Schreibexistenz: Sie war Dichterin. Wie viele ihrer Generation war sie hingerissen von der lyrischen Poesie Rilkes, des großen und radikalen Dichters jener Tage. In seiner Poesie verband Rilke Direktheit des Ausdrucks mit einer intensiven Sinnlichkeit. Seine Gedichte sind voller Epiphanien, Momenten, in denen die Dinge zum Leben erwachen. Elisabeth lernte sein Werk durch einen Onkel kennen und begann einen für sie äußerst bedeutsamen Briefwechsel; sie schickte Gedichte, um sie von Rilke beurteilen zu lassen, und erhielt lange und eingehende Antworten, oft zusammen mit Abschriften der Gedichte, an denen er gerade arbeitete. Sieht man sich die gesammelten Briefe Rilkes an, dann merkt man, dass viele seiner Briefpartner und -partnerinnen jung, poetisch angehaucht und adelig waren; Elisabeth war eine von vielen. Aber das Bündel Briefe, das sie auf all ihren lebenslangen Reisen von Wien nach Paris, in die Schweiz und dann in ihr neues Leben in England mitnahm, hatte für sie eine tiefe symbolische Bedeutung. Es war eine Sanktionierung eines Schriftstellers für sie als Schriftstellerin.

Elisabeths Sprachkenntnisse gaben ihr in literarischen Dingen eine atemberaubende Spannweite. Nachdem sie meinen Großvater Hendrick de Waal kennengelernt und geheiratet hatte, lernte sie Holländisch; in dieser Sprache verfassten sie füreinander Gedichte. Als sie in den dreißiger Jahren in Paris lebte, schrieb sie für den "Figaro". Und in den fünfziger Jahren schrieb sie für das "Times Literary Supplement" Kritiken über französische Romane. Ihre ersten beiden Romane wurden auf Deutsch verfasst, die letzten drei auf Englisch.

Kein Wunder, dass ich ihre Bücherregale so verwirrend fand. Wenn ich, damals Student der englischen Literatur, sie besuchte, schweifte die Unterhaltung quer über die Genres und Länder - eine hingeworfene Bemerkung über Goethe beschwor die Schlussszene aus "Faust" herauf, die sie achtzig Jahre zuvor gelernt hatte. Wir sprachen über Rilke und Hugo von Hofmannsthal. Dann über Joyce - und sie holte ihre Ausgabe des "Ulysses" mit dem schimmernden azurblauen Papiereinband hervor, die sie bei Shakespeare and Company gekauft hatte. Ab Seite 563 war sie unaufgeschnitten. Und Proust. Sie las Proust wieder und wieder. Als ich das einzelne Blatt fand, auf dem sie ihre "Quintessenz an Erfahrungen" niedergelegt hatte, hatte ich das Gefühl, das sei jemand, der Proust beschreibe.

"Donnerstags bei Kanakis" ist zutiefst autobiographisch. In der Figur der Resi, des schönen Mädchens, das sich im gesellschaftlichen Milieu verloren fühlt, ist der Schimmer einer Projektion erkennbar. Und in Professor Adler, dem Wissenschaftler, dessen Bedürfnis, nach Wien zurückzukehren, im Zentrum des Buches steht und der abwägen muss, wo sein Platz sein soll unter denen, die geblieben sind. Ich denke, es gibt ein starkes Gefühl einer alternativ gelebten Existenz.

Auch in der Begegnung zwischen der Figur des Kanakis und einem Makler, den er wegen eines Immobilienkaufs konsultiert, sind fesselnde Bruchstücke von Elisabeths Erfahrungen festgehalten. In dieser Passage kann man die Erinnerung an ihre Begegnungen mit österreichischen Anwälten vernehmen, als sie versuchte, die nach dem "Anschluss" 1938 geraubten Kunstschätze und das Eigentum der Familie aufzuspüren und zurückerstattet zu bekommen. Und man fühlt die leichten ängstlichen Schauer des Maklers, als er nach zwei jüngst erworbenen Gemälden gefragt wird, die an der Wand seines Büros hängen: "Ich dachte bloß, sie passten zur Einrichtung, gäben dem Raum ein gewisses Flair, im Rahmen dessen, was ich mir leisten konnte. Sie haben eigentlich einem Herrn gehört, der sicher mit Ihrer Familie bekannt war, Baron E. Möglicherweise haben Sie sie in seinem Haus gesehen. Baron E. ist leider im Ausland gestorben, in England, glaube ich. Nachdem sie das, was von seinem Besitz noch vorhanden war, ausfindig gemacht hatten, haben seine Erben das alles versteigern lassen, dieses altmodische Zeug können sie in ihren modernen Wohnungen nicht brauchen, nehme ich an. Ich habe die Bilder im Auktionshaus erworben, ebenso wie die meisten Sachen, die Sie in diesem Raum sehen. Alles ganz offen, offiziell und legal, sehen Sie."

Aber vor allem geht es in dem Buch um das Herzzerbrechende der Rückkehr: "Endlich war er da, am Ring: das massig aufragende Naturhistorische Museum zu seiner Rechten, die Rampe des Parlaments zur Linken, dahinter der Rathausturm, vor ihm der Zaun des Volksgartens und das Burgtor. Hier war er, und alles war noch da; obwohl die einst baumbestandenen Spazierwege entlang der Straße kahl, baumlos waren, nur ein paar nackte Stämme standen noch. Sonst war alles vorhanden. Und plötzlich sprang die Verzerrung der Zeit, die ihn vor Illusionen und Trugbildern schwindeln gemacht hatte, ins Scharfe, und er war real, alles war real, unumstößliche Tatsache. Er war hier. Nur die Bäume waren nicht da, und dieses vergleichsweise banale Zeichen der Zerstörung, auf das er nicht vorbereitet gewesen war, ließ ihn unverhältnismäßig traurig werden. Rasch überquerte er die Straße, trat durch das Parktor, setzte sich auf eine Bank an einem verlassenen Weg und weinte."

Donnerstags bei Kanakis" ist ein Roman von großer Anschaulichkeit und tiefer Zärtlichkeit; in seinem Kern beschreibt er, was es bedeuten könnte, aus dem Exil zurückzukehren. Auf seinen Seiten spiegelt sich das Bild einer wahrhaft ambitionierten Schriftstellerin und einer Frau von beträchtlichem Mut. Nur Wochen nach dem "Anschluss" 1938 kehrte Elisabeth nach Wien zurück, um ihren Eltern im Augenblick der größten Not beizustehen. Es gelang ihr, ihren Vater 1939 nach England zu holen. Unmittelbar nach dem Krieg kehrte sie dann zurück, um herauszufinden, was mit ihrer Familie geschehen war. Ein Jahrzehnt lang kämpfte sie, um für das Unrecht, das geschehen war, Genugtuung zu erlangen, gegen die Uneinsichtigkeit, Gegnerschaft und Abschätzigkeit der Wiener Behörden. Doch sie tat das, ohne ihre Fähigkeit zu verlieren, ganz in der Gegenwart zu leben und von der Erfahrung, ein Flüchtling gewesen zu sein, nicht in Geiselhaft genommen zu werden.

Der Roman wurde schließlich in jener Woche in London veröffentlicht, in der der 75. Jahrestag des "Anschlusses" begangen wurde, des verheerenden, erschütternden Ereignisses, als Österreich Hitler ohne Widerstand in Wien einmarschieren ließ. Unverkennbar, wie schmerzlich dieser Jahrestag ist, sind doch nur mehr so wenige Menschen am Leben, die diese Ereignisse miterlebt haben. Aber es war eine außergewöhnliche Erfahrung, im Österreichischen Kulturinstitut in London neben diesem Buch zu stehen und darüber zu sprechen, in Anwesenheit ihrer beiden Söhne, ihrer Enkel und Urenkel. Und es war kein melancholischer Anlass. Es war eine kraftvolle Bestätigung, wie Geschichten überleben und ihr Publikum finden können.

Am Tag darauf war ich in Wien, um im Palais Epstein einen Vortrag über die Bedeutung von Erinnerung zu halten. In einem Innenhof, der dem von Elisabeths ehemaligem Elternhaus glich, stellte ich Überlegungen darüber an, dass Exil nicht nur mit Menschen zu tun hat, sondern auch mit Geschichten, und dass es bei der Restitution gestohlenen Vermögens, mit der sich Österreich nun langsam auseinandersetzt, noch mindestens eine weitere Dimension gibt: die Geschichten der enteigneten Wiener Familien, die nun aus dem Exil zurückkehren. Dieser Roman ist ein Teil davon.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2014

Die Ringstraßen-Parabel
„Alles ganz offen, offiziell und legal“: Elisabeth de Waal porträtiert in ihrem Roman „Donnerstags
bei Kanakis“ das Wien der Nachkriegszeit – und die Profiteure der Enteignung jüdischen Besitzes
VON LOTHAR MÜLLER
Kürzlich ist der überaus aktuelle Roman einer vor gut zwanzig Jahren in hohem Alter verstorbenen Autorin erschienen, die keine Schriftstellerin war. Ganz unbekannt aber ist die Verfasserin nicht. Elisabeth de Waal gehört zu den markantesten Figuren in dem Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“, das ihr Enkel, der Londoner Töpfer und Professor für Keramik, Edmund de Waal, im englischen Original 2010 publiziert hat. Die deutsche Ausgabe erschien 2011 .
  De Waal erzählt darin im Blick auf die verschlungenen Wege von japanischen Miniaturschnitzereien aus Holz und Elfenbein, die er geerbt hat, die Geschichte seiner weitverzweigten Herkunftsfamilie, der jüdischen Bankiers Ephrussi, zwischen Odessa und St. Petersburg, Paris, London und Wien vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Weltkrieg. Als Kind der Eheleute Viktor und Emmy von Ephrussi wurde Elisabeth de Waal 1899 in Wien geboren. Der Vorname, den sie erhielt, war eine Reverenz an die Kaiserin Elisabeth, die im Vorjahr in Genf von einem italienischen Anarchisten ermordet worden war.
  Dass die Ephrussis ihren Kindern Namen aus der österreichischen Herrscherfamilie gaben, ist eines der Details, das sie als Teil der assimilierten jüdischen Großbürgerschicht im Wien des Fin de Siècle ausweist. Das noch heute existierende Palais Ephrussi nahe der Universität an der Ringstraße war das steinerne Zeichen des Aufstiegs der Familie im späten 19. Jahrhundert. Im Buch ihres Enkels gerät Elisabeth von Ephrussi, die in diesem Palais aufwuchs und 1929 Henk de Waal heiratete, den Sohn einer Amsterdamer Kaufmannsfamilie, früh in den Bann der Literatur und der Wissenschaften.
  Sie erhält Privatunterricht von Lehrern des nahen Schottengymnasiums, einer der angesehenen Schulen für Knaben, legt als Externe die Matura ab und studiert dann Philosophie, Jura und Wirtschaft; ihre Gedichte schickt sie 1921 an Rainer Maria Rilke, der zurückschreibt und sie unter seine Korrespondentinnen einreiht. 1924 legt sie das Doktorexamen in Jura ab, in den Dreißigerjahren lebt sie in Paris, später in Tunbridge Wells in der Grafschaft Kent in England. Sie stirbt 1991.
  In Edmund de Waals Buch ist seine Großmutter die Schlüsselfigur der Exilgeschichte der Familie. Sie ist es, die 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland nach Wien zurückkehrt, um den gefährdeten Eltern beizustehen, sie ist es, die nach dem Tod der Mutter im Oktober 1938 den Vater nach England holt, sie ist es, die im Dezember 1945 für einige Zeit nach Österreich zurückkehrt, um – trotz ihres juristischen Sachverstandes weitgehend vergeblich – vom Familienbesitz zu retten, was noch zu retten ist. Auf diese Rückkehr geht das in den späten Fünfzigern verfasste Typoskript zurück, das ihr Enkel im vergangenen Jahr im englischen Original unter dem Titel „The Exiles return“ publiziert hat und das nun auf deutsch „Donnerstags bei Kanakis“ heißt .
  Eine der Hauptfiguren ist der jüdische Wissenschaftler Kuno Adler, der 1954, kurz vor Abschluss des Staatsvertrages über den Abzug der alliierten Besatzung und die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Österreichs aus dem ungeliebten amerikanischen Exil in seine Heimatstadt Wien zurückkehrt. An ihm, dem hochqualifizierten Erforscher der Struktur von Hormonzellen, zeigt der Roman die Innenwelt des zurückgekehrten Emigranten, dem im Zug an der Grenze zwischen der Schweiz und Österreich angstvoll das Herz klopft und dessen Misstrauen, in der Nachkriegsgesellschaft unerwünscht zu sein, reichlich Nahrung findet.
  Das Reparationsgesetz, liest man es richtig, erlaubt es, ihm nur eine mindere Anstellung zuzugestehen und ihm einen unverbesserlichen Nationalsozialisten als Chef vor die Nase zu setzen. Die Antiquitätenhändler und Immobilienmakler sind wichtige Nebenfiguren: Sie verwalten Häuser oder handeln mit Bildern und anderen Kunstwerken, deren Herkunft aus ehemals jüdischem Besitz so wahrscheinlich ist, dass sie sich unverfängliche Provenienzgeschichten zurechtgelegt haben: „Ich habe die Bilder im Auktionshaus erworben, ebenso wie die meisten Sachen, die Sie in diesem Raum sehen. Alles ganz offen, offiziell und legal, sehen Sie.“
  Diesen Strang des Romans hat Elisabeth de Waal mit der Bitterkeit ihrer eigenen Erfahrung des Hingehaltenwerdens und der juristischen Komplikationen beim Kampf um den Familienbesitz der Ephrussis durchtränkt. Sie wollte sich aber offenbar mit dieser Facette, der Rückkehr in das Wien der Nachkriegsgesellschaft nicht begnügen. Denn sie hat ihrem Manuskript die Form eines Gesellschaftsromans gegeben, der ein ganzes Tableau von Figuren – und in ihnen die Liebe und die sozialen Schichten, die Geschäfte und die Hochzeiten – locker miteinander verknüpft.    
  Da ist, zum Beispiel, Theophil Kanakis, der in Amerika reich gewordene Ästhet und alternde homosexuelle Lebemann. Er entstammt der alten griechischen Bevölkerungsschicht Wiens, sein stets am Donnerstag stattfindender Salon gibt dieser deutschen Ausgabe des Romans den Titel. Da ist die verarmte katholische Prinzessin, die sich als Laborassistentin durchschlägt und mit dem Heimkehrer Kuno Adler eine zart melodramatischer Liebesgeschichte erlebt. Da ist der jesuitische Pater, der streng über die Moral der katholischen Prinzessin wacht und ihr notfalls die Hölle heißmacht, aber wenig Skrupel hat, wenn es gilt, die besseren Kreise durch eine ausgefeilte Vertuschungstechnik vor einem öffentlichen Skandal zu schützen.
  Und da ist die naive achtzehnjährige Marie-Therese, als Kind einer österreichischen Aristokratin und eines dänischen Chemikers in Amerika aufgewachsen, die ihre Eltern zur Selbstfindung zu den österreichischen Verwandten nach Europa geschickt haben. Ein junger Sozialist aus den unteren Klassen wird sie umwerben, in einen jungen zynischen Sprössling des Wiener Adels wird sie sich verlieben und ihr europäisches Abenteuer nicht überleben.   
  Es überlebt aber die Form des Gesellschaftsromans und seine Erzählerstimme, die alle Fäden in der Hand hält und Innenwelten nur so weit ausleuchtet, wie es das Gesamttableau erlaubt. Elisabeth de Waal war klug genug, als Romanautorin nicht mit ihrer Lektüre konkurrieren zu wollen: mit den Erzähltechniken, die in Rilkes Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“, in Schnitzlers „Leutnant Gustl“ oder der „Traumnovelle“, in der
„Recherche“ Marcel Prousts alle Stabilität des Romans ins Wanken brachten. Aber sie hat erreicht, was sie wollte: ihr Wien der Nachkriegszeit ist ein Ort, der die Rückkehrer aus dem Exil abweist, aber es bleibt zugleich ein Ort der Sehnsucht, eine nicht aufzugebende Heimat. Die Form des Gesellschaftsromans ist der Rahmen für das Bild dieser Heimat.
Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Mit einem Vorwort von Edmund de Waal und einem Nachwort von Sigrid Löffler. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2014. 336 Seiten, 19,90 Euro.
Die Antiquitätenhändler und
Makler handeln mit Bildern und
Häusern zweifelhafter Provenienz
Korrespondenzpartnerin Rilkes und Juristin im Einsatz für den Besitz ihrer jüdischen Familie: Elisabeth de Waal.
Foto: Archiv Edmund de Waal, Zsolnay verlag
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Oliver Pfohlmann schätzt diesen gegen Ende der Besatzungszeit in Wien spielenden Roman über drei sehr unterschiedliche Remigrantenschicksale, deren Zusammenhang sich dem Leser nicht sofort erschließt, eben nicht wegen seiner Einfühlung in die Remigration. Für Pfohlmann liegt der Reiz im Atmosphärischen. Elisabeth de Waals Beschreibung der altösterreichischen Adelsgesellschaft nach Kriegsende und ihrer kollektiven Geschichtsverdrängung findet er so dicht wie schonungslos, auch wenn manch papierner Dialog und einige arg klischeehafte Figuren den Lesegenuss schmälern, wie er einräumt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein zärtliches Sitten-, Gesellschafts- und Zeitportrait." Franz Schuh, WDR-Scala, 06.02.14

"Elisabeth de Waals Wien der Nachkriegszeit ist ein Ort, der die Rückkehrer aus dem Exil abweist, aber es bleibt zugleich ein Ort der Sehnsucht, eine nicht aufzugebende Heimat." Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 20.02.14

"Ein Manifest wider die Gleichgültigkeit und Verdrängung, ein beeindruckender Appell an das Erinnern." Oliver vom Hove, Die Presse, 12.04.14