Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 16,00 €
  • Gebundenes Buch

Montaigne auf Tour»Ich schildere nicht das Sein, ich schildere das Unterwegssein.« Genau das tat Michel de Montaigne, nachdem er neun Jahre in seinem berühmten Turm saß und an den Essais schrieb: kaum waren sie 1580 erschienen, da machte er sich auf zu einer großen Reise: seine Route führte ihn über Süddeutschland (von Baden bis Augsburg), Teile der Schweiz, über die Alpen von Venedig bis nach Rom. Von dort aus ging es weiter nach Loreto bis Lucca und wieder zurück nach Rom, von wo nach einem weiteren Aufenthalt die Rückreise nach Frankreich angetreten wurde.Und auch dabei hatte der knorrige…mehr

Produktbeschreibung
Montaigne auf Tour»Ich schildere nicht das Sein, ich schildere das Unterwegssein.« Genau das tat Michel de Montaigne, nachdem er neun Jahre in seinem berühmten Turm saß und an den Essais schrieb: kaum waren sie 1580 erschienen, da machte er sich auf zu einer großen Reise: seine Route führte ihn über Süddeutschland (von Baden bis Augsburg), Teile der Schweiz, über die Alpen von Venedig bis nach Rom. Von dort aus ging es weiter nach Loreto bis Lucca und wieder zurück nach Rom, von wo nach einem weiteren Aufenthalt die Rückreise nach Frankreich angetreten wurde.Und auch dabei hatte der knorrige Eigenbrödler seine Eigenheiten. Am meisten hasste er, durch irgendein ortsunübliches Verhalten auffällig zu werden - und so passte er sich den jeweiligen Sitten an. Er spart sich weitläufige Berichte über die gewöhnlichen Sehenswürdigkeiten und beäugt mit der ihm eigenen Unvoreingenommenheit die täglichen Sitten und Gebräuche der fremden Kulturen, wägt Vor- und Nachteile der unterschiedlichenLebensweisen ab. Berichte über Hermaphroditen, über Ehen zwischen Lesben und Schwulen oder über die von den Schweizern beklagte allgemeine Sittenverderbnis findet er ebenso spannend, wie ihn die Koch- oder Tischsitten in Süddeutschland faszinieren. Er gibt öffentliche Bälle und stiftet Preise für die besten Tänzerinnen, in Venedig und Florenz studiert er eingehend die Bordelle, er erlebt Hinrichtungen und Teufelsaustreibungen und beobachtet ein jüdisches Beschneidungsritual.Eine Vielzahl dem Text beigegebener zeitgenössischer Illustrationen vermittelt ein Bild vom Reichtum des damaligen Lebens. Vor allem aber lässt Stiletts Übersetzung - wie schon bei seiner Übersetzung der Essais - den deutschen Leser zum ersten Mal spüren, dass Montaigne auch im Reisetagebuch ein Denk- und Sprachvirtuose ersten Ranges war. Schöner kann man Reiseerfahrungen in der Renaissance nicht erlesen.»Mein Geist rührt sich nicht, wenn die Beine ihn nicht bewegen.« Montaigne
Autorenporträt
Michel de Montaigne, geb. am 28. Februar 1533 auf Schloss Montaigne im Périgord, stammte aus einer reichen Kaufmannsfamilie und genoss eine humanistische Erziehung. Nach dem Studium der Rechte fungierte er von 1557-70 als Parlamentsrat, zog sich aber nach dem Tod seines Freundes La Boétie in das Turmzimmer seines Schlosses zurück, um zu schreiben. Es folgten Reisen durch Italien, die Schweiz und Deutschland. Von 1582-85 war er Bürgermeister von Bordeaux. Der große Gelehrte, der sich bewusst von der Schulphilosophie fernhielt, starb am 13. September 1592.

Hans Stilett erhielt 2003 für seine Montaigne-Übersetzungen den Schweizer Übersetzerpreis "Prix lemaniaque de la traduction". Der Preis wird alle drei Jahre einem Übersetzer aus dem Französischen ins Deutsche und einem Übersetzer aus dem Deutschen ins Französische verliehen. Hans Stilett verstarb 2015 im Alter von 92 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2013

Literatur Neun Jahre saß Michel de Montaigne in seinem Turm und schrieb Essays, 1580 machte er sich auf "nach Italien über die Schweiz und Deutschland". Und wenn man heute die Tagebücher dieser Reise liest, die soeben neu herausgegeben wurden (Die Andere Bibliothek, 492 Seiten, 38 Euro), ist das natürlich vor allem ein Reiseführer in eine sehr fremde Zeit. Montaigne zieht von Gasthof zu Gasthof, von Trink- zu Schwitzkur, die eigentlichen Sehenswürdigkeiten aber sind die Sitten, die er auf seinen Stationen vorfindet und die so unterschiedlich sind, als reiste er durchs All. Jedes Kaff ist ein Kontinent, es herrscht eine Art Föderalismus des Wahnsinns. Er trifft Frauen, die sich als Männer ausgeben, Hermaphroditen, Lesben und Schwule, Teufelsaustreiber und katholische Prostituierte. Wie wenig diese Zeit in das Koordinatensystem von heute passt, erkennt man wohl am besten am überraschenden Lob für die deutsche Küche: Nie zuvor habe Montaigne "so delikate Gerichte gegessen". Und daran, den Wein ohne Wasser zu trinken, wie die Menschen vom Bodensee, daran könnte er sich auch gewöhnen.

stau

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2014

Die Kinder
von Lucca
Deutschland, Schweiz, Italien:
Montaignes Reise-Tagebuch
Wer ein Tagebuch schreibt, tut wenigstens zweierlei: Er beobachtet etwas Fremdes, und er beobachtet sich. Und wenn er mit seinem Tagebuch nicht Höheres im Sinn hat, also von vornherein damit rechnet, von Dritten, also von einem Publikum gelesen zu werden, so schreibt er, was er zu schreiben hat, in eher formloser Weise auf, ohne den Willen zur literarischen Gestaltung und vor allem, ohne sachliche Hierarchien bilden zu wollen.
  Michel de Montaignes „Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland“, in den siebzehn Monaten zwischen Juni 1580 und November 1581 entstanden, ist ein sehr frühes, aber angemessenes Beispiel für eine solchermaßen unprätentiöse Art, ein Tagebuch zu verfassen: „In den Genuss gesellschaftlichen Umgangs mit den Einheimischen zu kommen, ist unmöglich“, schreibt Michel de Montaigne etwa in Lucca nieder, „da sie bis zu den Kindern ständig mit ihren eignen Angelegenheiten und der Herstellung von Stoffen beschäftigt sind, die sie vertreiben. Insofern ist der Aufenthalt für Fremde hier recht unerfreulich und verdrießlich.“
  Selbstverständlich stellt sich angesichts solcher Nachrichten die Frage, ob der – vermutlich gar nicht vorgesehene – zweite oder dritte Leser dergleichen erfahren will. Andererseits: Wann hätte man schon einen dermaßen unverstellten Blick in das späte sechzehnte Jahrhundert getan, und das anhand einer Reise mit schnell wechselnden Orten und Gelegenheiten? Die Neugier findet hier zudem einen besonderen Halt, weil die Reiseroute so modern wirkt. Sie führt durch Frankreich, Deutschland und Italien auf nahezu denselben Wegen, wie das heute Autobahnen tun: Es geht also über den Brenner, der Apennin wird zwischen Bologna und Ferrara gekreuzt und Rom nicht auf dem Weg die Küste entlang, sondern über Viterbo erreicht. Diesem Wiedererkennen haben Herausgeber, Grafiker oder Verlag noch Vorschub geleistet, indem sie im Text die Ortsnamen in großen Lettern und in hellblau absetzten.
  Die Neuausgabe dieses Reisetagebuchs – die Übersetzung von Hans Stilett ist zuerst im Jahr 2002 im Eichborn Verlag erschienen, und ihr geht eine bewegte Editions- und Übersetzungsgeschichte voraus – hätte es vermutlich nie gegeben, wäre die Übertragung der „Essais“, veröffentlicht im Jahr 1998 in der Anderen Bibliothek, nicht ein so großer Erfolg gewesen. Hier soll sich nun, im selben Verlag, in der üblichen feinen Ausstattung, das Œuvre vereinen, auch wenn es zuweilen nur wenig Erhebliches mitzuteilen hat: „Man sieht ringsum etwa ein Dutzend wenig einladend wirkender, ja abstoßender kleiner Häuser: allem Anschein nach verlauste Bruchbuden.“
  Tatsächlich stammen „Essais“ und Reisetagebuch erkennbar vom selben Mann: So aufmerksam wie gelassen durchzieht Michel de Montaigne die Länder, mehr interessiert an Gesprächen, Sitten, handwerklichen Eigenheiten als an den großen Werken der Kunst oder Architektur, und ebenso aufmerksam und gelassen kehrt er auch wieder heim, in den mit Büchern gefüllten Turm seines Schlosses bei Bordeaux. Das Buch hat dennoch ein intellektuelles Zentrum, eines jedoch, dass man leicht übersieht, wenn man es nicht historisch liest: Denn wohin Michel de Montaigne auch kommt, was immer er auch sieht, auf welchem Tier er auch reitet: Immer sind da die Leibesbeschwerden, die ein besonderes Wasser, eine besondere Kur oder einfach einen Tag Ruhe verlangen. In der Beobachtung des eigenen Körpers wächst – neben der Beobachtung von Land und Leuten – der zweite Aspekt des Tagebuchs heran, das moderne, auf sich selbst reflektierende Subjekt.
  Die Übersetzung ist das Werk der Begeisterung eines Mannes, nämlich Hans Stiletts, und wenn die Begeisterung ihn auch zuweilen sehr weit treibt, in Modernismen etwa oder ins Nachwort, so freut sich der Leser dennoch über weite Strecken (manchmal wird es arg formlos) an dieser Landeskunde aus dem späten sechzehnten Jahrhundert.
THOMAS STEINFELD
  
Michel de Montaigne: Tagebuch der Reise nach Italien über Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Hans Stilett. Die Andere Bibliothek, Berlin 2014. 492 Seiten, 38 Euro.
Aufmerksam und gelassen zieht
Montaigne durch die Länder,
und gelassen kehrt er heim
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr