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Saturn Return - Secret Sisters
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Produktdetails
Trackliste
CD
1Silver00:03:53
2Late bloomer00:04:20
3Cabin00:03:46
4Hand over my heart00:04:17
5Fair00:03:24
6Tin can angel00:04:27
7Nowhere, baby00:04:39
8Hold you dear00:03:51
9Water witch00:03:27
10Healer in the sky00:04:24
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Washingtons Waldeinsamkeit
Was tun, wenn die Hütte brennt? Singen vor Wut: Das Duo The Secret Sisters und sein Album "Saturn Return"

Im Herbst 2018 ballt sich das Gesicht von Trumps Amerika zur Faust und spuckt Gift. "Ich mag Bier, Senator! Mögen Sie Bier, Senator?" Die hasserfüllte Miene Brett Kavanaughs, des zornroten Supreme-Court-Richters in spe, ist als Physiogramm eines Patriarchats in Erinnerung geblieben, dessen Anführer der mächtigste Mensch der Welt ist. Anderthalb Jahre ist es jetzt her, dass der Trump-Kandidat vor einem Kongressausschuss schimpfte, dessen republikanische Mehrheit von vornherein wusste, wie es ausgehen würde: mit der größten Beförderung in Kavanaughs Leben.

Von diesem hässlichen Spektakel handelt der Song "Cabin" auf dem grandiosen vierten Album der Secret Sisters. Nicht namentlich, aber sinnbildlich. Denn noch ein Gesicht war damals auf den Bildern und Videos zu sehen. Es gehörte der Anklägerin, der Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford, die sich mit ihrem Vorwurf, der spätere Richter habe sie als Schüler auf einer Party zu vergewaltigen versucht, in ein gnadenloses Ideologietheater hineinwagte. Kavanaugh höhnte siegesgewiss, er habe gern Bier getrunken, mehr nicht. Die Republikaner glaubten's gern.

Während in der Hauptstadt die Anhörung stattfand, saßen Laura und Lydia Rogers fernab im anderen Washington, dem Bundesstaat, und schrieben: "He did not have permission / But he had his way / If I tell his secret / They won't believe me anyway." Der Song, der daraus resultierte, ist ein aufwühlendes Groß-Crescendo geworden. In der zweiten Hälfte schleudert eine E-Gitarre einen Hurrikan von Solo zwischen den Harmoniegesang, der gelegentlich an das schwedische Schwestern-Folkduo First Aid Kit erinnert. Viel Wut bricht sich da Bahn. Im Gegensatz zu der des Richters wirkt sie kathartisch.

"Cabin" lodert mit heißem Furor und endet wahrheitsgemäß. "A fire rages inside me / It does not feel like home / The one who did the damage / Carries on." Die Geborgenheit, die der Songtitel zu beschwören scheint (waldeneske Hütte, vielleicht kaminbefeuert) mutiert zu einem Haus-, einem Wald- und Weltbrand. Und der Ausgangspunkt, singen die Schwestern, sind wir; wenn ihr uns zu Hause angreift, wer soll dann garantieren, dass wir unser Zuhause nicht niederbrennen? "Makes me want to burn this cabin down." Die Metapher des fremd gewordenen Domizils ist realistischer grundiert, als man vielleicht vermutet. Weil sich nach der Kavanaugh-Anhörung die Drohungen gegen Blasey Ford häuften, mussten sie und ihre Familie umziehen.

Wäre das Label nicht so abgenutzt, müsste man "Cabin" als eine der besten MeToo-Hymnen überhaupt bezeichnen, weil es dem sozialen Wundbrand ehrliche Würde verleiht, ohne fälschlich Milderung vorzutäuschen. Aber an diesem Album ist überhaupt nichts abgenutzt. Es ist vermutlich das beste Americana-Werk des bisherigen Jahres.

Der musikalische Aktivismus der Secret Sisters kommt dabei ohne ästhetische Kompromisse aus. Ihre Lyrics sind kunstvoll ungekünstelt, ihre Harmonien meisterhaft. An den Höhepunkten sind sie erschlagend schön, man höre etwa die geradezu unerträgliche, perfekt eingesetzte Pause in Kombination mit dem dreistimmigen Finale von "Tin Can Angel", für das sich Ko-Produzentin und Gastgeberin Brandi Carlile - das Album wurde in Carliles Heimstudio nahe Seattle eingespielt - mit ans Mikrofon stellt. Wer so schreibt und arrangiert, braucht keinen Engelschor für den Soundtrack der Transzendenz.

Textlich ist "Saturn Return" ein Feuerwerk an folkromantischer Subjektivität, in dessen Grundtönen die Lebensphasen der Weiblichkeit aufscheinen. Im Auftaktsong, "Silver", steht wie ein Epigraph der hübsche Vierzeiler: "Look upon your mother / The silver in her hair / Consider it a crown / The holiest may wear." Sowohl Lydia als auch Laura Rogers haben im vergangenen Jahr ihr erstes Kind geboren, kurz zuvor hatten sie innerhalb weniger Tage beide Großmütter verloren.

Leben, Tod, Familie - anhand des Mutterthemas lassen sich diese Topoi bestens erzählen. Vor allem: in alle Richtungen. Es gibt ja Songzeilen, die man selbst dann nicht überhören kann, wenn man gerade nicht auf den Text achtet. So eine Zeile steht in der Bridge des letzten Songs. Gerade mal eine Minute ist vom Album noch übrig, als es in "Healer in the Sky" heißt: "I'll take my chances on the cancer . . ." In dem Lied geht es um Nächstenliebe, die gute, gesunde Zwischenmenschlichkeit. Und dann diese Andeutung - Lauert der Krebs in meinen oder deinen Genen? -, in der selbst schon ein Entschluss steckt.

Auf "cancer" reimt sich: "I lived my life and I found the answers". Dann: "I don't have a doubt you will be alright / 'Cause I know there's a healer in the sky". Komme, was wolle, letztlich bleibt uns doch nichts, als froh auf diese üble Zukunft zuzusteuern. Das lässt den Atheisten noch nicht an den Heiland glauben, aber auch ohne numinose Behütung begreift er, wie die Vernunft manchmal völlig inadäquat und eine womöglich folgenschwere Entscheidung die richtige sein kann.

Darin liegt das große "Ja" von "Saturn Return": im Glauben an die noch unabsehbare Konvaleszenz. Die Secret Sisters verstehen den schmerzhaften Fall, der davor kommt, und liefern eines der stärksten Schwächebekenntnisse der jüngeren Vergangenheit. An einer Stelle singen sie: "I'm not a robot / I'm a human / I'm not built to bear the weight / And I struggle with admitting when I need to walk away / I'm gettin' nowhere, baby." Dieses Nichts ist kein Fatalismus. Es ist die selbstbewusste Ohnmacht vor der Ermächtigung.

CORNELIUS DIECKMANN

The Secret Sisters:

"Saturn Return".

New West Records/

Pias-Rough Trade

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