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Produktdetails
Trackliste
CD
1The Yeah Yeah Yeah Song00:04:51
2Free Radicals00:03:41
3The Sound Of Failure00:07:18
4My Cosmic Autumn Rebellion00:04:51
5Vein Of Stars00:04:15
6The Wizard Turns On...00:03:41
7It Overtakes Me00:06:50
8Mr. Ambulance Driver00:04:21
9Haven't Got A Clue00:03:25
10The W.A.N.D.00:03:42
11Pompeii Am Götterdämmerung00:04:21
12Goin' On00:03:39
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2006

Der Unglaubliche
Neues von Wayne Coyne und seiner Band Flaming Lips

"Nehmen wir mal an, während unseres Interviews käme ein intergalaktischer Schwertkämpfer zur Tür rein und würde dich enthaupten. Das wäre zweifelsohne schrecklich für dich - aber ich könnte einen neuen tollen Song darüber schreiben." Wayne Coyne, seit über zwei Jahrzehnten Sänger der Flaming Lips, ist eine Erscheinung wie aus einem John-Irving- oder T.-C.-Boyle-Roman: ein amerikanischer Exzentriker, ein enthusiastischer Hippie-Dandy in den besten Jahren, der seinem Aussehen nach genausogut Anführer einer obskuren Drogensekte oder Kapitän eines Piratenschiffs sein könnte. Ein durchgeknallter Onkel, der sich bei Familienfesten immer mit einer Flasche Wein an den Kindertisch setzt und den Kleinen wüste Geschichten erzählt.

All dies entspricht Coynes Selbstverständnis sicher weitaus eher als die Bezeichnung Rockstar. Rockstars veröffentlichen keine kommerziell selbstmörderischen Alben, die aus vier gleichzeitig (!) abzuspielenden CDs bestehen. Coynes Band The Flaming Lips schon. Rockstars vertonen auch keine Dokumentarfilme über "Ookie Noodeling", eine aussterbende Form des Extremfischens, bei der die Fische mit der bloßen Hand gefangen werden. Doch die 1998 erschienene Vierer-CD und der Angler-Soundtrack sind nur zwei von vielen abseitigen Episoden in der seltsamen Karriere dieser wundersamen Band.

Wayne Coyne gründete die Flaming Lips 1983 in Oklahoma. Mit seinen älteren Brüdern hatte er sich zuvor in der Jugendgang "The Fearless Freaks" in draufgängerischen Initiationsriten geübt: "Es ging im wesentlichen darum, unglaublich viel LSD und Ecstasy zu nehmen und dann Fahrradstunts zu machen. Es gab die schlimmsten Verletzungen, aber wir kannten keine Furcht", lacht Coyne, und seine tiefe Märchenonkelstimme kippt in ein hohes Jauchzen. So klingt er auch, wenn er singt: fast jubilierend - oft im Angesicht des Schreckens. Und den besingt der 45jährige im Literaturprofessoranzug ebenso gern wie die schiere Schönheit.

Coyne hatte im Gegensatz zu seinen Brüdern, die alle kriminelle Drogenkarrieren einschlagen sollten, bald genug von Sport und Doping. Er konzentrierte sich auf seine dilettantische Psychedelic-Punk-Band The Flaming Lips, die bald für ihre waghalsigen Live-Shows gefürchtet war, bei denen anstelle der Bühnenaufbauten auch schon mal die Musiker Feuer fingen. Anfang der Neunziger - zur Zeit des Grunge-Booms - wurden Coyne und seine Band vom Großlabel Warner Brothers unter Vertrag genommen. "Keine Ahnung, was die damals in uns sahen", sagt Coyne, "wir waren einfach ein Haufen Amateure, die mit zuviel Enthusiasmus und Drogen hantierten. Aber man hat uns nie reingeredet. Warner gibt das Geld, wir geben es aus." Er lacht und hebt die Faust. Es fällt schwer, sich einen euphorischeren Menschen vorzustellen. Für die nächste Aufnahme erhielt die Band einen großen Vorschuß; sie mieteten für teures Geld Streicher, löschten die aufgenommenen Gastparts aber letztlich wieder und klemmten statt dessen Mikrophone in WC-Schüsseln, um mit kindlicher Begeisterung die sanitären Klangeffekte zu erforschen. Doch erst mit dem Einstieg des genialischen Multiinstrumentalisten Steven Drozd, dessen Talente perfekt mit Wayne Coynes funkensprühendem Pioniergeist harmonierten, entstand der Flaming-Lips-Sound: ein naives Kratzen am Schönen, liebliche Melodien, begraben unter sinfonischem Dröhnen, Alice im Wunderland der Musik mit Coyne in der Rolle der staunenden Alice. Er selbst formuliert es so: "Wir klingen wie Weihnachten auf dem Mars. So beschreibe ich Leuten, die uns nicht kennen, bis heute unsere Musik."

Im Laufe der Neunziger wurden die Flaming Lips immer abenteuerlicher. Nicht experimenteller, das würde der lustvollen, naiven, manchmal auch albernen Aura dieser Band nicht gerecht. Die Flaming Lips sind weder blasse Klang-Architekten noch überambitionierte Musikerneuerer - höchstens etwas bekloppt. 1998 war das klassische Bandformat ausgereizt. Coyne stürzte sich in seine "parking lot experiments", bei denen er und Steven Drozd auf einem Parkplatz ein Orchester aus vierzig Autoradios dirigierten. Selbst hartgesottene Lips-Fans begannen langsam an der geistigen Gesundheit ihres Helden zu zweifeln, doch Coynes Vision interaktiver Musik ging auf und mündete in der erwähnten Vierer-CD.

Eigentlich sollte "Zaireeka" das schlüssige letzte Kapitel in der Karriere der Flaming Lips werden. Was hätten sie danach schon noch tun sollen? Doch im März 1999 erschien "The Soft Bulletin". Die Platte feierte mit lautem Wumms die Urgewalt des Lebens und gilt heute als eins der Schlüsselalben der Neunziger. Die dazugehörige Live-Show vereinte Kindergeburtstag und Psychedelic-Event: Coyne goß sich eimerweise Kunstblut über den Kopf und gab den Zeremonienmeister, im Hintergrund flackerten Film-Projektionen von Atompilzen und Herbert von Karajan über die Leinwand. Und ganz nebenbei begann der Unermüdliche auch noch mit den Dreharbeiten zu einem Science-fiction-Film, der seit fünf Jahren in selbstgezimmerten Sets in Coynes Garageneinfahrt entsteht. Der Titel: "Christmas on Mars".

2002 folgte der futuristische Millionenseller "Yoshimi Battles the Pink Robots", zu deren Live-Umsetzung die Band allabendlich rund zwanzig Freunde und Fans in Tierkostümen auf die Bühne schickte. "Do you realize, that everyone you know someday will die?" sang Coyne. So schön und unmittelbar hatte in der Popmusik noch niemand die letzten Dinge verhandelt. Obwohl die Flaming Lips scheinbar den Gipfel ihrer Kreativität erklommen hatten, waren sie im Pop-Mainstream angekommen. Sie traten bei den MTV-Awards auf, wurden von Chris Martin und Justin Timberlake als Helden gefeiert und sogar mit einem Grammy bedacht. "Wir hatten eine herrlich absurde, zufällige Karriere", sagt Coyne. Eine Karriere, über die man eigentlich einen Film drehen müßte - wenn es ihn nicht schon gäbe: Im vergangenen Jahr erschien die zweistündige Dokumentation "The Fearless Freaks". Der Film zeigt Coyne, wie er im Garten seines Hauses die Kulissen für "Christmas on Mars" zusammenbastelt, man lernt seine seltsame Familie kennen ("Bist du wirklich aus dem Gefängnis entlassen worden, oder bist du ausgebrochen?" fragt Coyne seinen Bruder einmal). In einer besonders beklemmenden minutenlangen Szene wird der Zuschauer Zeuge, wie sich Coynes Bandkollege Steven Drozd, seit 1994 heroinabhängig, einen Schuß setzt. Die Szene stammt aus dem Jahr 2002. Kurz darauf sorgte Coyne dafür, daß sein Freund und Kollege einem Entzug zustimmte. Der Film endet mit dem Tod von Wayne Coynes Mutter im Jahr 2004, und genau hier knüpft das neue Album an. Mehr oder weniger aus Versehen entstand diesmal ein Konzeptalbum über Schönheit und Schrecken der Realität. Wie so oft bei dieser Band klingt die Platte über weite Strecken nach munterem Drogenmißbrauch, wie immer bei den Flaming Lips geht es aber in Wahrheit um Leben und Tod. Anfangs planten Coyne, Drozd und Bassist Michael Ivins noch ein Konzeptalbum, das die Geschichte eines Zauberers erzählen sollte, der im Weltall mit einer nackten Sternenkönigin den chemischen Sohn Gottes zu zeugen gedenkt. Warum auch nicht. Doch dann begann der Irak-Krieg, und Coynes Mutter starb an Krebs. "Der Tod meiner Mutter war die schrecklichste Erfahrung meines Lebens", sagt Coyne. "Ich war vollkommen außer mir. Sie war der positivste Mensch, der je gelebt hat. Und dann wird diese Person vor deinen Augen langsam zerfressen. Ich habe heulend vor ihr gekniet, es war klar, daß sie sterben würde, aber sie sagte nur: ,Wayne, alles kommt in Ordnung.' Das hatte schon fast einen Hauch von Wahnsinn. Aber es war eine schöne Form des Wahnsinns. Gleichzeitig wurde Steven Vater. Mein Freund Steven, von dem ich noch vor kurzem dachte, daß er bald sterben würde." Der Irak-Krieg und das politische Klima in den Vereinigten Staaten sorgten für zusätzliche Ernsthaftigkeit. Die neue Platte "At War with the Mystics" klingt als Ergebnis dieses Prozesses nun wie eine Berg-und-Tal-Fahrt durch die Extreme des Daseins: überdrehter Pop wechselt sich ab mit melancholischen Meditationen und bretterndem Space-Rock. Übergänge gibt es sowenig wie im Leben. Im zentralen Song "The Sound of Failure" singt Coyne von der Wichtigkeit, Trauer und Leid tatsächlich zu durchleben, anstatt derlei Gefühle einfach nur wegzugrinsen. "It Overtakes Me" wiederum ist ein Amalgam aus Pharell Williams und den White Stripes und war ursprünglich als Duett mit Gwen Stefani geplant. Hat Coyne manchmal Angst, daß ihm die Ideen ausgehen könnten? "Klar, vielleicht ist es eines Tages vorbei. Im Moment habe ich aber eher noch das Problem, daß mir zuviel einfällt." Es bleibt zu hoffen, daß der Mann noch lange Freude an seiner Lieblingsdroge, der Realität, hat.

ERIC PFEIL

Das neue Album "At War with the Mystics" erscheint am 31. März bei Warner.

Der Film "Christmas on Mars" soll im Sommer erscheinen.

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