Starkes, aufklärerisches Buch!
Seit einiger Zeit häufen sich die Bücher zum Thema "schrumpfende Mittelschicht und deren Ausbeutung". Die einen Autoren ertrinken im Selbstmitleid, andere bleiben in der Aufzählung der finanziellen Zumutungen für die Mittelschicht stecken (was ja durchaus löblich ist,
jedoch nicht weiterhilft, wenn man auf dieser Grundlage nicht weiterdenkt), und vergessen die…mehrStarkes, aufklärerisches Buch!
Seit einiger Zeit häufen sich die Bücher zum Thema "schrumpfende Mittelschicht und deren Ausbeutung". Die einen Autoren ertrinken im Selbstmitleid, andere bleiben in der Aufzählung der finanziellen Zumutungen für die Mittelschicht stecken (was ja durchaus löblich ist, jedoch nicht weiterhilft, wenn man auf dieser Grundlage nicht weiterdenkt), und vergessen die Analyse, wieder andere betreiben die übliche Augenwischerei zur Selbst-Rechtfertigung ihres Glaubens an die vorherrschende neoliberale Ideologie, indem sie einmal mehr versuchen, der vermeintlichen oder tatsächlichen "Mittelschicht" einzureden, der "ausufernde Sozialstaat" sei alleine schuld an ihrer finanziellen Überforderung. Dieses Buch ist erfrischend anders - sachlich fundiert und oft herrlich ironisch hält die Autorin der finanziell gebeutelten Mittelschicht den Spiegel vor. Sie weiß sehr wohl um das Ausmaß der ausufernden Belastungen, benennt und analysiert aber auch die Mitverantvortung der Mittelschicht für die herrschenden gesellschaftlichen Zustände. Es ist schon richtig, daß der gesellschaftliche Mittelbau seit vielen Jahren zunehmend ausgeplündert wird, jedoch hat genau dieser Mittelbau selbst nicht unmaßgeblichen Anteil daran, verweigert aber konsequent, dies sehen zu wollen, macht sich permanent selbst etwas vor, und geht den Hirnverneblern und Worthülsenstreuern aus Politik und Wirtschaft nur zu gern auf den propagandistischen Leim.
Frau Herrmann beschreibt, wie sich unsere gesellschaftliche Mitte diese Ausplünderung gefallen läßt, sich dabei selbst völlig realitätsfern als Teil der Oberschicht betrachtet, und beim Unterschichten-Bashing kräftig mitmacht, nicht realisierend, daß sie sich permanent selbst schadet - ein Selbstbetrug, der manchem erst auffällt, wenn sein gutbezahlter Job weg ist, und nach ALG1 der Hartz-Absturz droht. Dennoch klatschen sie Beifall, wenn etwa die Mövenpick-Partei völlig sinn- und hirnfrei "Wer arbeitet soll mehr haben als der, der nicht arbeitet" dahertrompetet (daß diese nicht-nur-FDP-Forderung dumpfes, gegen die Armen im Lande gerichtetes Propaganda-Geschwurbel ist, weil längst Realität und geltendes Recht in Deutschland, weist die Autorin nach und rechnet sie ausführlich vor) und nach Steuersenkungen ruft, obwohl man bei realistischer Betrachtung wissen müsste, daß bei ALLEN Steuersenkungen der letzten Jahre vor allem die Spitzenverdiener bis Superreichen profitiert haben (Wem nützte wohl die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 %???)- der Mittelbauch darf also die Finanzierung der Steuergeschenke für die Oberschicht UND die Versorgung der immer mehr zunehmenden Armut im Lande fast alleine bezahlen. Frau Herrmann nennt dies einen "teuren Irrtum", und stellt fest:"Die Mittelschicht kann nicht nur Opfer, sondern muß auch Täter sein". Folgerichtig stellt sie Fragen wie etwa:"Warum also stimmt die Mittelschicht immer wieder gegen ihre eigenen Interessen?", "Die Mittelschicht schrumpft, aber wer steigt eigentlich ab?", beschreibt, wie Lobbyisten und Propagandisten gezielt die Mittelschicht bearbeiten:(ZITAT)"Wer die Interessen einer Minderheit durchsetzen will, muß die Emotionen der Mehrheit berühren. Lobbyisten sind nur erfolgreich, weil sie auf das Selbstbild der Mittelschicht zielen."Das Buch schließt mitden Worten:"Die deutsche Demokratie ruht auf dem Gründungsmythos, daß sie sich auch ökonomisch für alle auszahlt. Wenn jetzt nur noch die Eliten profitieren, wird damit der bundesrepublikanische Konsens aufgekündigt, der seit dem 2. Weltkrieg darin bestand, daß es zwar immer extreme Unterschiede bei Einkommen und Vermögen gab - daß aber alle Schichten am Wachstum teil hatten....Die Deutschen lassen sich daher auf ein gefährliches politisches Experiment ein, wenn sie akzeptieren, daß die Mittelschicht erodiert. Da die Mitte noch immer die Mehrheit der Wähler stellt, kann der Impuls nur aus der Mittelschicht kommen. Sie sollte begreifen: Es ist Zeit für einen NEW DEAL in Deutschland."