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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2021

Wenn es hart auf weich kommt

Die Hölle ist abgetaut: Del Amitri haben ihren Kälteschlaf beendet. Die schottische Band legt nach zwanzig Jahren wieder ein vorzügliches Studioalbum vor.

Diese Schotten haben ein Händchen für Melodien - auch für Millionen? Kommt drauf an, wer sie schreibt: Die Young-Brüder (von AC/DC) hatten es ja mehr mit dem Rhythmus, eher schon die Knopflers (Dire Straits) und dann natürlich Gerry Rafferty und Alex Harvey, Al Stewart und Donovan, mindestens drei Jims beziehungsweise Jimmys (Kerr, Simple Minds; Barnes, Cold Chisel; und der kleine Somerville), Mike Scott (Waterboys) sowieso, dahinter segeln Maggie Bell (Stone The Crows), Bert Jansch (Pentangle), Billy Connolly (Humblebums), Sharleen Spiteri (Texas), schließlich, unter den Jüngeren, die zwei Stuarts von Belle And Sebastian (Murdoch und David), Isobel Campbell, Fran Healy (Travis) und Alex Kapranos (Franz Ferdinand); fast alle aus Glasgow übrigens.

Jemanden vergessen? Unbedingt gehören Justin Currie und Iain Harvie hier noch her, der Sänger und der Gitarrist von Del Amitri. Diese Band, die in den Ausläufern des New Wave gegründet wurde und ihm in einem weiteren Sinne auch noch angehört, war in den Spätachtzigern und in den Frühneunzigern geradezu das Sinnbild für melodiöse Popmusik und hierin mit den Beautiful South vergleichbar, jedoch ohne deren militanten Habitus. Statt in Gesellschaftskritik übte sie sich in Selbstmitleid, das dank Curries Sarkasmus jederzeit erträglich blieb. Hauptsächlich vertonten Del Amitri Liebesschmerz (was sonst?) und introspektive Betrachtungen über die Enttäuschungen und Widrigkeiten des Lebens im Allgemeinen, stilistisch ziemlich abwechslungsreich. Das Debüt von 1985 missriet ihnen allerdings: Der "Melody Maker" hatte die Band zwei Monate vor dem Erscheinen auf den Titel gehievt und mit dem üblichen Der-neueste-heißeste-Sch. . .-Gerede die Erwartungen dermaßen gespannt, dass es dann eigentlich nur noch Verrisse geben konnte, die bei der konfusen Musik indes nicht völlig danebenlagen. "Waking Hours" (1989) war dann aber schon ein ziemlicher Wurf und begründete den Ruf einer gefälligen Band, die indes weit davon entfernt war, harmlos zu wirken. Zwar wurden die Balladen, besonders das damals fast pausenlos im Radio gespielte "Nothing Ever Happens", welches in Justin Curries Intonation eine zartbittere Note bekam, ihr Markenzeichen; aber deftigere Nummern wie "Kiss This Thing Goodbye" ließen, auch wenn Iain Harvies Fender Stratocaster insgesamt, typisch für die Achtziger, noch arg klirrte, aufhorchen: Dies war eine Band, die den knochentrockenen, krachenden Rock fast noch besser beherrschte, ohne die Verbindung zum schottischen Folk zu kappen. Zu hören war dieser gewinnende Stil dann auf den meisterlichen, ihr kommerzielles Nachlassen im Grunde aber schon einleitenden Alben "Twisted" (1995) und "Some Other Sucker's Parade" (1997), mit denen sie dem auf seiner Höhe lärmenden Britpop vergeblich die Stirn boten. So war die Band, trotz der außerordentlichen, kontrollierten Härte, zu der sie in der Lage war, nie wesentlich mehr als ein auf Schönklang festgelegter Geheimtipp. Man begab sich schließlich, zermürbt wahrscheinlich von dem, gemessen an ihrer profunden Musikalität, nur mittelgroßen kommerziellen Erfolg, der sich aus dem sechsmillionenfachen Verkauf ihrer bis dahin sechs Studioalben sauber errechnet, in den "verlängerten Kälteschlaf" - bis, wie die Eagles das einst vorgemacht hatten, "hell freezes over". Womöglich taten sie auch vorher schon etwas, Was sie in einem ihrer schönsten Lieder besingen: "Driving With The Brakes On" (mit angezogener Handbremse fahren). Justin Currie brachte in der Zwischenzeit vier Soloplatten heraus, deren erste in Gestalt von "Walking Through You" eines der allerschönsten Lieder jener Jahre enthielt (F.A.Z. vom 3. November 2007).

Und nun bekommt das schmale, erlesene Band-Werk einen Zuwachs, mit dem gar nicht mehr zu rechnen war. "Fatal Mistakes", am Freitag erschienen, ist ihre erste Studioarbeit seit bald zwanzig Jahren. Es sollte einen nicht wundern, wenn das neue Album da etwas lösen und auch grundsätzlich wettmachen könnte; es ist im Gesamtbild nämlich ihr bestes. Obwohl es keines dieser ganz großen Melodienmonster und - wenn das überhaupt ein Kriterium sein kann - auch keinerlei Anzeichen für eine Weiterentwicklung enthält, so geht doch der gut über die Platte verteilte Melodienreichtum sofort wieder ins Ohr.

"Close Your Eyes and Think of England" und "Mockinbird, Copy Me Now" sind schwärmerische, sehnsüchtige Folkweisen wie aus alten Zeiten, schön mit Akkordeon und Melodica garniert, man denkt an den jungen Gerry Rafferty, so etwas wird seinen Weg ins Radio vielleicht noch finden. Nicht weniger überzeugen die Musiker, wenn sie eine härtere Gangart einlegen. "Musicians and Beer" ist ein Rocksong wie aus Granit; "Losing the Will to Die" hat, zumindest bei dem unwiderstehlichen Gitarrenriff, wohl bei "Couldn't Get it Right" von der Climax Blues Band geklaut. Das zweite Lied, das den Tod im Titel führt, "I'm so Scared of Dying", ist das zwingendste, verhalten, mit behutsam aufgebautem Druck und vorzüglicher Gitarrenarbeit. Und "It's Feelings" könnte auch von Wilco stammen. Wieder zeigt sich, wie sehr Curries Timbre gerade im ersten Gang den Klang prägt.

Man nannte Del Amitri einst die "bastard sons of XTC and Elvis Costello" - eine irrige Zuschreibung. Die Band hat jetzt wieder eine Arbeitsprobe ihres unnachahmlich warmen Musizierstils abgeliefert, die eigentlich vorhalten müsste. Kein Grund also, das Leben zu verkürzen oder den Kälteschlaf zu verlängern.

EDO REENTS.

Del Amitri: "Fatal Mistakes".

Cooking Vinyl 10361784 (Sony Music).

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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