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Unsere Gesellschaft altert zunehmend - die Lebenserwartung steigt, die Geburtenrate sinkt. Der Autor gibt einen umfassenden Überblick über Ursachen und Folgen dieses Prozesses und führt dabei in demographische Fragen und Methoden ein. Wie weitreichend die Folgen des Alterungsprozesses sind, zeigt sich insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarkt und Beschäftigung sowie im System der sozialen Sicherung. Schimany plädiert für eine Soziologie des Alterns, die auch dem soziokulturellen Wandel einer alternden Gesellschaft Rechnung trägt.

Produktbeschreibung
Unsere Gesellschaft altert zunehmend - die Lebenserwartung steigt, die Geburtenrate sinkt. Der Autor gibt einen umfassenden Überblick über Ursachen und Folgen dieses Prozesses und führt dabei in demographische Fragen und Methoden ein. Wie weitreichend die Folgen des Alterungsprozesses sind, zeigt sich insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarkt und Beschäftigung sowie im System der sozialen Sicherung. Schimany plädiert für eine Soziologie des Alterns, die auch dem soziokulturellen Wandel einer alternden Gesellschaft Rechnung trägt.
Autorenporträt
Dr. Peter Schimany ist Referatsleiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg und apl. Professor an der Universität Passau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2003

Nur ein Prognosefehler kann uns noch retten
Wenn alles so bleibt, wird's finster: Peter Schimany über Ursachen und Folgen des demographischen Wandels / Von Jürgen Kaube

Die Zukunft hat schon begonnen. Dieser berühmte Sachbuchtitel meinte einst, daß sich in den technologischen Entwicklungen der Gegenwart ankündige, was auf die Menschheit zukommen werde. Aber auch damals konnte die Zukunft nicht schon begonnen haben. Man sah die Atomkraft, aber die Grünen sah man nicht, fürchtete die Aufrüstung, an deren Ende aber der Einsturz der Sowjetunion stand, warnte vor dem Kontrollstaat, ohne die indirekten Gewalten zu beachten, die ihn seitdem in den Griff bekamen. So vollzog sich auch an der Dystopie, was bereits alle Utopien zuvor erfahren mußten: An der Extrapolation hier und jetzt einleuchtender Größen tritt über kurz oder lang nur der Unterschied zwischen gegenwärtiger Zukunft und zukünftiger Gegenwart hervor.

Zwar war Deutschland schon etwa 1890 in jene Phase des langfristigen Geburtenrückgangs aufgrund gesellschaftspolitischer Umbrüche eingetreten, die in Frankreich schon um 1800 begonnen hatte und spätestens nach dem Ersten Weltkrieg in allen europäischen Ländern zu beobachten war. Man hätte also wissen können, daß die Altersstruktur einer Bevölkerung und ihr Reproduktionsverhalten soziale und keine anthropologischen Tatbestände sind. Dennoch konnte bis zu Beginn der sechziger Jahre, als es den letzten "Baby-Boom" gab, eine konstant hohe Fertilität unterstellt werden. Daß 1972 zum erstenmal in Deutschland die Sterberate die Geburtenziffer übersteigen würde, war eine Zukunft, die den Gründern und Rekonstrukteuren des Wohlfahrtsstaates nach 1945 nicht vor Augen stand. Man beobachtete allenfalls das nach wie vor dramatische Wachsen der Weltbevölkerung und machte sich über seine ökologischen und ökonomischen Folgen Gedanken. Wohlstand selbst aber schien vor demographischen Problemen zu schützen. Stimmen wie die von John Durand, der 1945 als erster den Trend zur alternden Bevölkerung ausmachte, und Franz-Xaver Kaufmanns, der 1960 die erste soziologische Analyse der "Überalterung" vorlegte, blieben vereinzelt.

Die Gründe für diese folgenreiche Ignoranz liegen auf der Hand. Je irreversibler und langfristiger soziale Vorgänge sind, desto stärker neigt die Gesellschaft offenbar dazu, sie als natürliche und jedenfalls verläßliche aufzufassen. Was man nicht ändern kann, sagt sich überdies das sozialtechnologische Bewußtsein, muß man auch nicht interpretieren. Was ich nicht in meiner Wahlperiode ändern kann, ergänzt der politische Akteur, das wird mir auch nicht gutgeschrieben. Hinzu kommt, daß der demographische Wandel das Ergebnis ganz heterogener Einflüsse und das statistische Aggregat ungezählter Einzelentscheidungen ist. "Bevölkerungspolitik" muß daher nicht einmal, wie hierzulande, im Ruch dunkelster Absichten stehen, um in ihren Steuerungschancen äußerst skeptisch bewertet zu werden.

Der Passauer Soziologe Peter Schimany handelt im vorliegenden Buch das gesamte Gebiet der sozialen Altersfrage ab. Wer sich mit den Modellen und Theorien der demographischen Soziologie vertraut machen möchte, wird hier ebenso gut bedient, wie Leser, die sich die Geschichte der Bevölkerungsforschung, den historischen Verlauf von Geburten-, Sterbe- und Alterskennziffern oder die wichtigsten Schätzgrößen gegenwärtiger Prognosen vor Augen führen möchten. Was die Darstellung darüber hinaus verdienstvoll macht, ist der ruhige Ton des Vortrags und die klare Zerlegung derjenigen Faktoren, die sich auf die altersmäßige Zusammensetzung der Bevölkerung moderner Wohlfahrtsstaaten auswirken.

Die wichtigste Ursache für das Altern einer Bevölkerung ist der Rückgang der Geburten. Von tausend Frauen werden hierzulande etwa 1300 bis 1400 Kinder geboren, die bestanderhaltende Rate wäre 2,1. Populationen altern "von unten". Daß sich weltweit auch die Lebenserwartung erhöht hat, geht einerseits auf höhere Überlebenswahrscheinlichkeiten für Neugeborene zurück - nur 0,4 Prozent aller Säuglinge sterben -, andererseits auf sinkende Mortalität bei den Älteren. Diese zusätzliche "Alterung von oben", das Altern der Alten, sorgt dafür, daß aus der Bevölkerungspyramide inzwischen ein bienenkorbförmiges Gebilde geworden ist. Die sinkende Sterblichkeit zieht also nicht entsprechend höhere Geburtenzahlen nach sich. Um 1900 war in Deutschland noch fast die Hälfte aller Einwohner jünger als zwanzig, heute ist es nur noch ein gutes Fünftel und damit ein genau so großer Anteil wie derjenige der älter als Sechzigjährigen. Für 2050 wird dieser Anteil der Älteren auf 36 Prozent geschätzt. Es gäbe dann, in heutigen Begriffen, mehr als doppelt so viele Rentner als Kinder. Daran würde auch Einwanderung nichts Wesentliches ändern. Um das Altern der Bevölkerung zum Stillstand zu bringen, müßten hierzulande bis 2050 jährlich etwa dreieinhalb Millionen Migranten aufgenommen werden, die Bevölkerung auf dreihundert Millionen Einwohner wachsen, wovon achtzig Prozent Neueinwohner wären.

Dies der erste, der rohe Befund. Historisch ist es zu ihm durch eine eigentümliche wechselseitige Verstärkung von Ursachen gekommen. Schimany zufolge war es weniger der medizinische Fortschritt als die verbesserte Ernährungslage, landwirtschaftliche Technologien, eine bessere und geschwindere Verteilung der Güter sowie eine hygienischere Wasserversorgung und Abfallbeseitigung, die es im neunzehnten Jahrhundert zu einem starken Bevölkerungswachstum kommen ließen. Zusammen mit der Verstädterung, erhöhter sozialer und räumlicher Mobilität und der durch Dienstleistungserfordernisse in Städten aufkommenden Erwerbstätigkeit von Frauen führt diese "materielle Verdichtung" dann zur Kleinfamilie als dem vorherrschenden Lebensmodell. Viele Kinder zu haben ist ökonomisch nicht mehr erforderlich und kulturell nicht mehr die Norm. Zugleich intimisiert sich das Verhältnis zwischen den Eheleuten und zum Nachwuchs, was ebenfalls eine zahlenmäßige Beschränkung nahelegt.

Dennoch hält sich die durchschnittliche Lebenserwartung auch in der Industriegesellschaft zunächst noch in engen Grenzen. In Deutschland lag sie um 1871 zwischen 36 und 39 Jahren. Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts sorgen die Gesundheitsversorgung und Unfallvorsorge sowie die Abwesenheit von Subsistenzkrisen und Kriegen, sorgt also der demokratische Wohlfahrtsstaat dafür, daß sich maximale Lebensspanne und tatsächliche Lebenserwartung immer mehr angleichen. Der Tod ist etwas Spätes geworden, und im Durchschnitt sind wir eben nicht mehr "mitten im Leben" von ihm umfangen. Inzwischen können Väter und Mütter gut fünfzig gemeinsame Jahre mit ihren Kindern erwarten.

Daß sich dabei immer mehr und durch Scheidungs- und Wiederverheiratungskarrieren noch zusätzlich vervielfachte Großeltern immer weniger Enkel teilen, hängt an ähnlich komplexen Einflüssen. Schimany untersucht insbesondere die europäischen Heiratsmuster, die den Erwerbsstrukturen und dem typischen Bildungsverlauf folgen. Zunächst sinkt das Heiratsalter in dem Maße, in dem Familiengründung nicht mehr als Risiko empfunden wird. Seit den siebziger Jahren aber verstärken sich Wohlstand, Verhütungstechniken und ein Wandel der Karrierebilder gegenseitig in der Beförderung von später Erstheirat und später Geburt. Die Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften, die typischerweise weniger Kinder haben, und die der Scheidungen, die typischerweise zu weniger Geburten im Leben danach führen, unterstützen diesen Trend. Es werden nicht nur immer weniger Kinder geboren, die Familien selber werden weniger und kleiner.

Es leuchtet ein, daß jede dieser Größen ihrerseits von Kontexten abhängt, die gesellschaftspolitisch kaum zu steuern sind: beispielsweise von der Sexualmoral, den Gleichstellungserwartungen, von massenmedial verbreiteten Lebensmodellen, den Konsumchancen oder von den Formen der Berufsarbeit. Hing der erste historische Geburtenrückgang stark mit dem Motiv liebender Paare zusammen, den Kindern bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen, so ist der Trend nach 1970 durch eine Entkopplung von Liebe und Heirat sowie von Ehe und Elternschaft gekennzeichnet. Versuche, durch eine Erhöhung des Kindergeldes das Wachstum der Bevölkerung anzuregen, wirken angesichts solcher Gesichtspunkte hilflos und ideenarm vereinzelt. Das große Verdienst des Problemaufrisses von Schimany ist demgegenüber der Hinweis darauf, daß auch nur eine Erklärung des demographischen Wandels - von seiner politischen Beeinflussung zu schweigen - sowohl eine Familiensoziologie wie eine Theorie des Scheidungsverhaltens, eine Analyse von Risikoverhalten im Wohlfahrtsstaat und von Migrationsprozessen voraussetzt.

Hat die demographische Zukunft also schon begonnen? Die Antwort muß zweigeteilt ausfallen. Lebenserwartungen und Geburtenraten lassen sich fortschreiben. Man weiß dann heute schon, wie viele Achtzigjährige es 2050 geben wird und daß man Aktien der Spielzeugindustrie besser abstoßen sollte, sofern sie kein Spielzeug für Alte herstellt. Schaut man sich aber die historische Entwicklung an, die in nur zwei Jahrhunderten zur gegenwärtigen Lage geführt hat, ist prognostische Zurückhaltung angeraten. Wer hätte sich um 1870 heutige Familienmuster und Lebensläufe vorstellen können, wer um 1900 zwei Weltkriege geahnt, wer um 1950 die Pille und ihre Folgen antizipiert und wer um 1970 Aids? Wenn alles so bleibt, wie es ist, können wir vielleicht wissen, wie die Bevölkerung in sechzig Jahren aussieht. Aber das einzige, das wir mit Sicherheit wissen, ist, daß nicht alles so bleibt. Daraus läßt sich keine Untätigkeit ableiten, aber jene Nüchternheit und Vorsicht in den gesellschaftspolitischen Überlegungen, wie sie eine Tugend dieses äußerst lesenswerten Handbuches ist.

Peter Schimany: "Die Alterung der Gesellschaft". Ursachen und Folgen des demographischen Umbruchs. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003. 521 S., Abb., br., 49,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein paar interessante Fakten: Um das Altern der deutschen Bevölkerung zu stoppen, bedürfte es der Zuwanderung von jährlich dreieinhalb Millionen Migranten und eines Anstiegs auf dreihundert Millionen Einwohner. Das erfährt man aus dieser Studie des Passauer Soziologen Peter Schimany - und noch viel mehr. Etwa zur Geschichte der demografischen Entwicklung und den Gründen, die durchaus vielfältig sind. Neben familiensoziologischen Veränderungen stehen Unkalkulierbarkeiten von Migrationsprozessen oder des Risiko- und Scheidungsverhaltens. Die bessere Ernährung und Hygiene, dies eine weitere Erkenntnis, waren wichtiger für steigende Lebenserwartung als medizinischer Fortschritt. Das alles zusammengetragen und schlüssig miteinander in Beziehung gesetzt zu haben ist, wie der Rezensent Jürgen Kaube findet, ein nicht geringes Verdienst dieses Buches. Was man im übrigen auch daraus lernen könne: Politische Steuerung ist eine ebenso schwierige Sache wie schon die Prognose.

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Nur ein Prognosefehler kann uns noch retten
"Der Passauer Soziologe handelt das gesamte Gebiet der sozialen Altersfrage ab. Wer sich mit den Modellen und Theorien der demographischen Soziologie vertraut machen möchte, wird hier ebenso gut bedient, wie Leser, die sich die Geschichte der Bevölkerungsforschung oder die wichtigsten Schätzgrößen gegenwärtiger Prognosen vor Augen führen möchten. Was die Darstellung darüber hinaus verdienstvoll macht, ist der ruhige Ton des Vortrags." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.12.2003)