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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.03.2008

Auf den Sack geschlagen
Ein Abrechnung mit dem Neoliberalismus, die eine eindimensionale Weltsicht offenbart
Siemens, BMW, Continental, Henkel und Nokia streichen etwa 20 000 Stellen. Die Gewinne der Unternehmen haben auf die Entscheidung keinen Einfluss, der globalisierte Wettbewerb, der Wohlstand sichere, lasse keine Wahl, hieß es. Was aber wird aus den Menschen, die keine Arbeit mehr finden? Gleichzeitig will Eon sein Stromnetz verkaufen, Interessenten gibt es. Warum aber kauft nicht der Staat sein früheres Eigentum, das der Daseinsvorsorge dient und mit dem Gewinne zu machen sind?
Antworten auf solche Fragen wollen zwei Bücher der Politik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Christoph Butterwegge, Bettina Lösch und Ralf Ptak geben, die sie innerhalb weniger Monate herausgegeben haben. „Kritik des Neoliberalismus” (als Einführung) und „Neoliberalismus, Analysen und Alternativen” (mit Beiträgen von 21 Autoren) versuchen, das weltweite neoliberale Phänomen, das Wirtschaft, Staat und Gesellschaft durchdrungen hat, wissenschaftlich zu erklären. Beide Bücher sind aber auch linke Protestschriften – mehr als die Hälfte der Autoren gehört zum wissenschaftlichen Beirat von Attac.
Der Markt, so lautet die Kernthese der neoliberalen Philosophie, die Anfang der dreißiger Jahre entstand, gestalte die Entwicklung einer Gesellschaft und schaffe Wohlstand. Der Mensch sei nicht fähig, diese Prozesse zu steuern, ein Stillstand des Marktes bedeute das Ende der Geschichte. Der Staat dürfe nur Rahmenbedingungen geben. Größtes Hemmnis für den Markt sei der Wohlfahrtsstaat.
Einer der frühen Vertreter der Philosophie, der Nobelpreisträger Friedrich A. von Hayek, hätte auch eine Diktatur akzeptiert, um die Ziele durchzusetzen, was später in Chile unter Pinochet geschah. Die Bücher beschreiben, wie sich der Neoliberalismus ausgedehnt hat, sei es mit der sozialen Marktwirtschaft, der Aufhebung der Wechselkurse, dem Einfluss von WTO, Weltbank und IWF, den Reformen von Margaret Thatcher oder der Globalisierung nach 1989 – und die Folgen für die Menschen, für die auf dem Markt kein Platz ist.
Neoliberale Ideen werden nach Ansicht der meisten Autoren über ein Netzwerk verbreitet, zu dem die Politikberatung ebenso gehöre wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Verbände und Stiftungen. Die Politik diene dem Neoliberalismus und habe so den Staat vehement verändert, in der Sicherheits-, Frauen- oder Umweltpolitik, mit der Föderalismusreform oder den Privatisierungen von Bahn oder Energie. Was der Daseinsvorsorge gedient habe, werde dem internationalem Markt übereignet. Die Situation für die Bürger verschlechtere sich, doch der Staat habe seine Gestaltungsmöglichkeit an die Wirtschaft verkauft. Der Neoliberalismus, warnen manche Autoren, gefährde die Demokratie.
Mit Hartz IV oder der Gesundheitsreform seien solidarisch abgesicherte Lebensrisiken privatisiert und wettbewerbstauglich gemacht worden. Es werde mit Begriffen wie Standortvorteil, Eigenverantwortung oder Effizienz argumentiert, um zu betonen, wie notwendig das alles sei. Dass die Rente durch eine dramatische demographische Entwicklung gefährdet sei, wird als eine Erfindung von Neoliberalen bezeichnet, die das Geschäft mit kapitalgedeckten Versicherungen machen wollten. Neoliberale hätten den Begriff der Generationengerechtigkeit geprägt.
Ist das wirklich so? War es nur die Gier neoliberaler Akteure, die zu Reformen geführt hat? Die Warnung vor einer Gesellschaft, die Solidarität und Demokratie aus dem Blick verliert, ist wichtig. Der Staat vernachlässigt die Gerechtigkeit und die Armen. Dennoch, die Bücher verärgern. Nicht wegen der oft sperrigen Sprache, der manchmal auch sperrigen Gedanken oder der vielen Wiederholungen; es sind so viele, dass der Eindruck entsteht, manche Thesen sollten eingehämmert werden. Es ist die eindimensionale Weltsicht, die irritiert. Bezeichnenderweise wird das katastrophale Scheitern der Planwirtschaft verschwiegen.
Zwischen Neoliberalismus und linkem Spektrum scheint im Staat kaum noch etwas anderes zu existieren, alles scheint neoliberal infiziert zu sein. Ob Union, SPD, Grüne, Wohlfahrtsverbände, Schulen, alle werden in den neoliberalen Sack gesteckt. Es wird ein Verschwörungsszenario aufgebaut, die Massenmedien, heißt es, agierten wie von einem Propagandaminister dekretiert. Um nicht in den neoliberalen Sog zu geraten, dürfe sich die Linke nicht zu stark an staatlichen Politiken orientieren. Die Autoren tun das auch nicht. Den Büchern fehlen weitgehend konkrete politische Zukunftskonzepte, sieht man von Vorschlägen wie der Umverteilung des Reichtums ab. In den Plänen, die manchen Autoren vorschweben, geht es vor allem um die Stärkung der Gewerkschaften oder den Ausbau von Netzwerken, auch nach Vorbild südamerikanischer Länder.
Friedhelm Hengsbach, Professor für christliche Gesellschaftsethik und Jesuit, ist die Ausnahme, und seine Idee von einer anderen Politik beruht auf der Verfassung: Im Gegensatz zum Privateigentum, das geschützt sei, müssten Arbeitnehmer an den Produktionsmitteln beteiligt werden, da dieser Besitz durch ihre Arbeit entstehe, und Eigentum verpflichte. Hengsbach will neben einer gefestigten Tarifautonomie oder einer Kontrolle der Finanzmärkte den Investivlohn neu beleben, „die demokratische Aneignung des Kapitals” nennt er es. Ob dies seinen Koautoren genügt, sei dahingestellt. Sie zählen auch die Kirchen zu den Jüngern des Neoliberalismus. HEIDRUN GRAUPNER
CHRISTOPH BUTTERWEGGE, BETTINA LÖSCH, RALF PTAK: Kritik des Neoliberalismus. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007. 298 Seiten, 12,90 Euro.
CHRISTOPH BUTTERWEGGE, BETTINA LÖSCH, RALF PTAK (Hrsg.): Neoliberalismus, Analysen und Alternativen. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008. 420 Seiten, 24,90 Euro.
Alle in einem Boot? Attac-Aktivisten karikieren Weltpolitiker. Foto: Reuters
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Geärgert hat sich Heidrun Graupner über zwei Bücher zum Neoliberalismus, die eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema bieten wollen, die sich aber genauso gut als politische Kampfschriften auffassen lassen, wie die Rezensentin meint. Der von Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak herausgegebene Sammelband entwirft ein düsteres Szenario, in dem der gesamte Staat und seine Institutionen der neoliberalen Politik unterworfen seien, stellt die Rezensentin fest. Unter diesen Umständen propagierten die Autoren auch überwiegend eine linke Abgrenzung von der staatlichen Politik, würden aber kaum konkrete Alternativen entwickeln, kritisiert Graupner. Lediglich Friedhelm Hengstbachs Vorschläge, die, wie die Rezensentin dankbar feststellt, auf der Grundlage der Verfassung ruhen, bieten mit der Propagierung von "Tarifautonomie" und "Kontrolle der Finanzmärkte" so etwas wie Zukunftsperspektiven, so die Rezensentin, die die Vorstellung eines global herrschenden Neoliberalismus, die der Sammelband insgesamt präsentiert, allzu "eindimensional" findet.

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"Paradebeispiel engagierter Sozialwissenschaft - auf der Höhe der Zeit." Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 15.04.2008

"[...] die Analysen [...] sind wissenschaftlich fundiert und umfassend." www.wienerzeitung.at, 04.02.2009

"Der Sammelband gibt einen disziplinübergreifenden [...] Überblick über vorherrschende Diskurse. [...] Wohlruend ist [...] die inhaltliche Verbindung nationaler und transnationaler Problemstellungen und Lösungsansätze. [...] ein wertvoller Beitrag, den politisch Handelnde, Gewerkschafter, Journalisten und Protagonisten auf ihrem Weg zur Durchsetzung von mehr sozialer Gerechtigkeit zur Kenntnis nehmen sollten." www.e-politik.de, 07.01.2009

"Die [...] positiven Besprechungen in der Fachpresse runden den guten Gesamteindruck [...] folgerichtig ab. Das Buch richtet sich sowohl an ein wissenschaftliches Publikum wie auch an LeserInnen, die den Begriff des Neoliberalismus durchdringen wollen, um Orientierung und Handlungsfähigkeit für die gesellschaftliche Praxis zu erlangen. Dabei legen die Autoren den Suchenden mit dieser Analyse [...] ein exzellentes Werk in die Hände." Forum Politikunterricht, 03/2008

"Der besondere Vorzug des Sammelbandes besteht [...] in der Thematisierung von 'Alternativen für eine postneoliberale Agenda'." Wirtschaft und Gesellschaft, 02/2008

"Dass es die Autorinnen und Autoren nicht bei der Kritik belassen, wird im letzten Teil unterstrichen. Alternativen zum neoliberalen Denken und zur neoliberalen Politik werden gesucht und Schritte iner postneoliberalen Agenda zur Diskussion gestellt. Dabei ist das Spektrum groß." Politisches Lernen, 01-02/2008

"Was [...] genau unter Neoliberalismus zu verstehen ist, welche theoretischen Verortungen sich ausmachen lassen, welche gesellschaftlichen Bereiche neoliberaler Wirkungsmächtigkeit im Einzelnen zu analysieren sind, wie die verschiedenen die Produktionsverhältnisse definierenden Fraktionen des Kapitals ihreIdentität im Neoliberalismus finden, blieben bisher
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