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Seit April 2010 regiert in Ungarn die national-konservative Partei Fidesz unter Ministerpräsident Viktor Orbán mit einer Zweidrittelmehrheit. Eine extreme Verfassungsänderung und ein kontroverses Mediengesetz irritierten über Ungarn hinaus die europäischen Beobachter. Viele fragen besorgt: Schafft hier ein Land mitten in Europa den Rechtsstaat ab? György Dalos hat für die Neuauflage seiner Geschichte Ungarns den jüngsten Entwicklungen ein eigenes Kapitel gewidmet. Sein breit rezipiertes und viel gelobtes Werk führt somit wieder bis in die Gegenwart.

Produktbeschreibung
Seit April 2010 regiert in Ungarn die national-konservative Partei Fidesz unter Ministerpräsident Viktor Orbán mit einer Zweidrittelmehrheit. Eine extreme Verfassungsänderung und ein kontroverses Mediengesetz irritierten über Ungarn hinaus die europäischen Beobachter. Viele fragen besorgt: Schafft hier ein Land mitten in Europa den Rechtsstaat ab? György Dalos hat für die Neuauflage seiner Geschichte Ungarns den jüngsten Entwicklungen ein eigenes Kapitel gewidmet. Sein breit rezipiertes und viel gelobtes Werk führt somit wieder bis in die Gegenwart.
Autorenporträt
György Dalos, geb. 1943 in Budapest in einer jüdischen Familie, gehörte zur demokratischen Opposition Ungarns und lebte in den achtziger Jahren nach Aufenthalten in Berlin in Wien und Budapest. György Dalos wurde vielfach in Deutschland und Ungarn ausgezeichnet und war bis 1999 der Direktor des ungarischen Kulturinstituts in Berlin und im selben Jahr literarischer Leiter des Ungarn-Schwerpunkts während der Frankfurter Buchmesse. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 1995 der "Adelbert-von-Chamisso-Preis", 2000 die "Goldene Plakette der Republik Ungarn" und 2010 der "Preis der Leipziger Buchmesse für Europäische Verständigung".
György Dalos lebt als Autor in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2005

Helden sterben, Dichter singen
György Dalos erzählt die kollektive Biographie seiner Heimat Ungarn

Ungarn war immer eine Nußschale, unsanft herumgewirbelt auf dem stürmischen Meer europäischer Machtpolitik, und so lag es nahe, auch seine tausendjährige Geschichte in eine winzige Nußschale zu packen. György Dalos, ungarischer Autor, Kulturvermittler und übrigens auch diplomierter Historiker, hat jetzt die "kollektive Biographie" seines Landes in knappen Skizzen und launigen Anekdoten erzählt.

Erklären heißt auf ungarisch "magyarázni", ungarisch machen, und so erklärt er sein Ungarn der Welt als ein "unerschöpfliches Märchen": Ein wildes Steppenvolk, berüchtigt für seine barbarische Arglist und Räubereien, wird auf dem Lechfeld 955 gezähmt, unter König Stephan christianisiert, vom Renaissancemenschen Matthias Corvinus humanisiert und europäisiert - und bleibt doch der ewige Verlierer. Ungarn war Schwert und "Schild der Christenheit" gegen Mongolen, Türken und Russen; aber immer wenn es ernst wurde - 1241 bei Mohi, 1526 bei Mohács, 1848 und noch 1956 -, wurden seine vielbesungenen Freiheitskämpfer von Europa allein gelassen: ein Trauma, das bis in die Gegenwart fortwirkt und seine Intellektuellen früh zu einer skeptisch-melancholischen Ironie erzog.

So schrieb der humanistische Dichter Janus Pannonius 1464 in seiner "Rechtfertigung meines Fernbleibens von der Schlacht" mit der Kühnheit des Feiglings: "Wenn ich tatenlos zusehe, wie sich die anderen schlagen / Glaubt mir, dann ist es nicht Angst, was mich zur Vorsicht gemahnt. / Sicher erstrebt doch ihr Helden für euch langwährende Ehre: / Das macht die Wunden euch leicht, das macht willkommen den Tod. / Doch wenn irgendein Unglück den kämpfenden Dichter hinwegrafft / wer singt dann eurem Tod, eurem Begräbnis ein Lied?"

Dalos singt den Nationalhelden und Widerstandskämpfern sein Lied. Er rühmt das "Ungarn im Konjunktiv", die unausgeschöpften Möglichkeiten seiner Geschichte; aber er ist auch Realist genug, um Ungarn im Indikativ zu betrachten und im europäischen Kontext zu situieren. Er macht dem Westen keinen Vorwurf, daß er beim Budapester Aufstand den Frieden im Kalten Krieg nicht aufs Spiel setzen mochte. Und waren die fremden Eroberer nicht oft humaner als die Befreier? Ungarn lebte kommod unter türkischer Herrschaft, blühte auf unter den ungeliebten Habsburgern und war selbst unter der kommunistischen Diktatur die "lustigste Baracke im sozialistischen Lager". Selbst für Miklós Horthy, den "Reichsverweser" der Nazis, findet Dalos ein paar verständnisvolle Worte, ohne seine Mitschuld an der Ermordung von 500 000 ungarischen Juden zu unterschlagen.

Dalos bläst also keine Trübsal und gerät nie ins Eifern. Gelassen, fast heiter, gewinnt er den Tragödien Ungarns immer wieder hellere Seiten ab: tragikomische Schnurren, fröhliche Seufzer, hoffnungsvolle Ausblicke auf eine düstere Zukunft. So hält sein Kompendium die Balance zwischen der nüchternen Distanz des - an Marx geschulten - Historikers und der leidenschaftlichen Nähe des Patrioten, zwischen Stolz und Trauer, leiser Ironie und der eher trockenen Rekapitulation von dynastischen Wirren und Kriegen. Im Zweifelsfall nimmt sich der Schriftsteller Dalos zugunsten des Historikers zurück: Die Fakten, Daten, Anekdoten und literarischen Zitate sind mehr durch ihre chronologische Ordnung als durch eine literarische Subjektivität oder gar essayistische Höhenflüge verknüpft. Selten nur läßt Dalos seine Nußschale mit bunten Wimpeln und geschwellten Segeln in unerforschte Gewässer treiben.

Inzwischen hat Ungarn das zerbeulte Schild des Abendlandes und auch die Behelfskrücke "Mitteleuropa" weggeworfen und ist wieder friedlich in Europa angelangt. Das bestärkt Dalos nur in seiner auf- und abgeklärten Zuversicht. "Was Ungarn im 21. Jahrhundert am meisten braucht", heißt es in seinem Schlußwort, "ist eine reife Zivilgesellschaft, die den Versuchungen widerstehen kann, soziale Fragen autoritär zu lösen, Minderheiten im Ernstfall zum Sündenbock zu stempeln und Offenbarungen einander befehdender Eliten für bare Münze zu nehmen". Sein größter Wunsch ist, daß seine Landsleute ihr lang gehätscheltes "tragisches Pathos" endlich mit einer "ruhigen, ironischen Skepsis" vertauschen; mit seinem Geschichtsbüchlein hat er das Seine dafür getan.

MARTIN HALTER

György Dalos: "Ungarn in der Nußschale. Geschichte meines Landes". Verlag C. H. Beck, München 2004. 200 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2004

Nach Europa
Györgi Dalos über Ungarn
Einen echten Gründungsmythos hat es für Ungarn nicht gegeben. Am Anfang herrschte vielmehr ein pränationales Urchaos mit einem verwilderten, kriegerischen Haufen, aus dem sich später ein um kulturelle Identität kämpfendes Volk herausgebildet hat. So jedenfalls interpretiert der Romancier Györgi Dalos die Geschichte seines Landes in seinem rasanten Ungarnbuch. Rasant, weil auf knapp 200 Seiten immerhin ein tausendjähriges Historien-Panorama abgehandelt wird. Leider liest sich das Ganze ein bisschen zäh, weil sich Dalos offenbar in der Rolle des soliden Chronisten wohler fühlt, als in der des unterhaltenden Erzählers. Der Historiker Dalos ist vor allem in die These verliebt, dass die Geschichte seines Landes seit der Christianisierung und der Hinwendung zum höfischen Leben nur eine Richtung gekannt habe: Europa.
Allerdings war die ungarische Gesellschaft lange Zeit vom dekadenten Adel dominiert, der sich lieber in Rokoko-Eleganz erging, als politische Fundamente zu setzen. Dementsprechend heißblütig fiel zunächst die Märzrevolution von 1848 in Ungarn aus. Am Ende brachte sie aber nicht die Befreiung vom Habsburger-Thron, und die formale Unabhängigkeit Ungarns war am Ende auch nur ein Kompromiss: Franz Joseph wurde zum Herrscher Ungarns gekrönt, das Land als Ausgleich dafür innenpolitisch unabhängig.
Dalos beschreibt den Verlauf der ungarischen Geschichte als permanenten Versuch, sich aus alten politischen Bindungen zu lösen. Mit dem Ergebnis, in immer neue Abhängigkeiten zu geraten. Von der Monarchie in den Nationalsozialismus und schließlich in den Kommunismus sowjetischer Prägung, der auch die ungarische Kunst beeinflusst und den bedeutenden Erzähler Tibor Déry mundtot gemacht habe. Wahre Unabhängigkeit, schreibt Dalos, habe sein Land ausgerechnet in unseren Tagen erreicht, in denen globale Kräfte den Spielraum kleinerer Länder einengten. Für den politischen Skeptiker bleibt nach dem Scheitern so vieler politischer Experimente in seinem Land die Aussicht, dass Ungarn in der EU aufgeht und sich eine skeptische Zivilgesellschaft herausbildet.
klut
GYÖRGI DALOS: Ungarn in der Nussschale. Geschichte meines Landes. Verlag C.H. Beck. München 2004. 199 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Auf Ungarisch heißt erklären "magyarazni", also "ungarisch machen", hat die Rezensentin Sabine Vogel bei György Dalos erfahren. Und darin liege auch Dalos' Absicht in diesem Buch, nämlich dem deutschsprachigen Leser sein Heimatland Ungarn "ungarisch zu machen", zu erklären. Genau dies gelingt ihm aber in den Augen der Rezensentin nicht, denn seine "kühn" knappe Ungarngeschichte liest sich wie eine "leichte Plauderei zwischen Menschen, denen die Details vertraut sind". Der Leser begegne "hingeworfenen Stichworten und Zitaten, Perspektivenwechsel von inneren zu äußeren Entwicklungen, Zeitsprüngen von damals nach heute", vermisse Daten und Karten der sich oft verschiebenden ungarischen Grenzen, kurz: "Anhaltspunkte". Dadurch bleiben die historischen Akteure "konturlos" (während die Akteurinnen durch Abwesenheit glänzen), und die Ereignisabfolge nicht nachvollziehbar. Schade, meint die Rezensentin, denn die Passagen, die sich auf den im Titel des Buches angesprochenen Aspekt (das treibende Schicksal der ungarischen Nussschale) beziehen und in denen Dalos "Ungarn als kleines Land zwischen Großmächten behandelt" seien außerordentlich spannend. Hier werde plastisch, dass Ungarn oft vergeblich auf Hilfe von außen gewartet habe, etwa im neuzeitlichen Kampf gegen die Türken oder auch beim Aufstand von 1956; dass es oft nichts als "Wechselgeld im Kuhhandel der Großmächte" gewesen sei. Eine "stärkere Fokussierung" auf diesen Aspekt, glaubt die Rezensentin, hätte den historischen Gesamtzusammenhang "verständlicher" gemacht.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein spannendes Buch, das man in einem Atem liest."
Das Parlament

"Ein knappes, aber hilfreiches Kompendium zur ungarischen Anatomie. Ein Blitzkurs zum Werdegang eines Landes mit Eigenschaften."
Neue Zürcher Zeitung