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Die "Reformblockaden" im Bundesrat sind die Konsequenz einer entwicklungsgeschichtlichen "Verwerfung" im institutionellen Gefüge des deutschen Bundesstaates: Die föderativen Strukturen werden als Folge einer mehr als hundertjährigen Entwicklung von der Entscheidungslogik einer "Verhandlungsdemokratie beherrscht, während sich im Parteiensystem die "Konkurrenzdemokratie" durchgesetzt hat. Eine funktionierende Kopplung der beiden Elemente setzt aber voraus, dass das Parteiensystem eine für Kompromissfindung hinreichende strukturelle Flexibilität aufweist. Da weder eine tiefer greifende…mehr

Produktbeschreibung
Die "Reformblockaden" im Bundesrat sind die Konsequenz einer entwicklungsgeschichtlichen "Verwerfung" im institutionellen Gefüge des deutschen Bundesstaates: Die föderativen Strukturen werden als Folge einer mehr als hundertjährigen Entwicklung von der Entscheidungslogik einer "Verhandlungsdemokratie beherrscht, während sich im Parteiensystem die "Konkurrenzdemokratie" durchgesetzt hat. Eine funktionierende Kopplung der beiden Elemente setzt aber voraus, dass das Parteiensystem eine für Kompromissfindung hinreichende strukturelle Flexibilität aufweist. Da weder eine tiefer greifende Veränderung der historisch gewachsenen Strukturen des deutschen Föderalismus mit ihren komplex verflochtenen Interessenlagen noch ein Ende der bipolaren Konkurrenzdemokratie zu erwarten ist, kann die Funktionsfähigkeit der Institutionen nur mit kleinen Schritten zur Entkopplung von Parteienwettbewerb und Föderalismus verbessert werden. Dazu würde nicht zuletzt die Wiederbesinnung auf die institutionalisierten Verfahrensregeln gehören, die infolge der fortschreitenden Informalisierung der Regierungspraxis in der Ära Kohl in den Hintergrund getreten waren.


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Autorenporträt
Gerhard Lehmbruch ist emeritierter Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universtität Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.1999

Der Bund, die Länder und der Reformstau
Wie können Blockaden im föderalen System beseitigt werden?

Gerhard Lehmbruch: "Parteienwettbewerb im Bundesstaat". Regelsysteme und Spannungslagen im Institutionengefüge der Bundesrepublik Deutschland. 2., erweiterte Auflage. Westdeutscher Verlag, Opladen 1998. 210 Seiten, 42 Mark.

Der Föderalismus in der Bundesrepublik steht zunehmend in der Kritik. Einer der Altmeister der deutschen Politikwissenschaft, Wilhelm Hennis, sieht in ihm nur noch einen "Exekutivföderalismus", bei dem die Ministerpräsidenten der Bundesregierung im Bundesrat immer mehr Konkurrenz machen. Zwar haben die Länder insgesamt im Laufe der Entwicklung des föderalen Systems in der Bundesrepublik Kompetenzen eingebüßt, allerdings waren davon nicht alle Landesorgane gleichermaßen betroffen. Während die Länderparlamente, die fortschreitend entmachtet wurden, die großen Verlierer des Verbundföderalismus waren, sind die Landesregierungen in ihrer Funktion als Mitregierung im Bund mächtiger als je zuvor.

Schon vor mehr als 20 Jahren ging Gerhard Lehmbruch in der ersten Auflage seiner Schrift "Parteienwettbewerb im Bundesstaat" in einer historisch weit ausholenden Analyse dem Verhältnis von Parteienkonkurrenz und Föderalismus nach. Das Parteiensystem einerseits und das föderative System andererseits sah er durch tendenziell gegenläufige Entscheidungsregeln geprägt, die sich wechselseitig lahmzulegen drohten. Der Konfliktregelungsmechanismus des dualistischen Parteienwettbewerbs laufe im auf Aushandeln angelegten föderalen System leer. Dadurch werde nicht nur die Steuerungsfähigkeit des politischen Systems gemindert, sondern auch eine klare Zuordnung von politischer Verantwortung unmöglich gemacht. Der Parteienwettbewerb verliere an Legitimationskraft, wenn hinter der Fassade der Parteienkonkurrenz eine informelle große Koalition praktiziert werde. Lehmbruch empfahl deshalb, die Politikverflechtung zwischen Bund und Ländern abzubauen und die Kompetenzbereiche klarer abzugrenzen.

In der Neuausgabe verteidigt Lehmbruch seine zentrale These. Zwar konstatiert er keine generelle Unvereinbarkeit von alternierender Parteiregierung und Föderalismus, sondern eine "Inkongruenz", doch hält er an der schon in den siebziger Jahren gemachten Beobachtung fest, daß der deutsche Bundesstaat das Steuerungspotential des Parteienwettbewerbs begrenzt und zu "schwerwiegenden institutionellen Funktionsstörungen führen kann". Lehmbruch sieht in dem Verschwimmen institutioneller Abgrenzungen "eine strukturelle Verwerfung innerhalb des politischen Systems".

Die Situation habe sich im Vergleich zu den siebziger Jahren sogar verschärft. Nahm damals die FDP die Rolle einer Scharnierpartei wahr, führte die Auffächerung des Parteiensystems in zwei Blöcke mit kleineren Flügelparteien seit den achtziger Jahren immer häufiger zu institutionellen Blockaden. Vor allem in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre "versagten . . . die eingeübten Strategien der Kompromißbildung zunehmend ihren Dienst". Tatsächlich drängte sich zuletzt immer häufiger der Eindruck auf, als lasse sich die Zusammenarbeit zwischen dem Zentralstaat und den Gliedstaaten in der Bundesrepublik nicht mehr als kooperativer Föderalismus charakterisieren, sondern als konfrontativer Föderalismus.

Lehmbruch macht für die sich ausbreitende politische Immobilität in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre - erinnert sei nur an das Scheitern der Steuerreform - nicht in erster Linie die bundesstaatlichen Institutionen, sondern die mangelnde interne Kompromißfähigkeit der Regierungskoalition verantwortlich. Dies ist eine zu widerlegende Beobachtung. Zu dominant war dafür die Rolle Lafontaines im Bundesrat und seine Taktik, den Eindruck hervorzurufen, die Koalition sei insgesamt handlungsunfähig. Gerhard Lehmbruch ist ihm ein Stück weit auf den Leim gegangen.

Um den Reformstau abzubauen, plädiert der Autor für "graduelle institutionelle Anpassungen". Dazu gehört für ihn neben der dringend gebotenen Aufgabenentflechtung im Verhältnis von Bund und Ländern - zum Beispiel durch Beschneidung der konkurrierenden Gesetzgebung - die Rückbesinnung auf die institutionalisierten Verfahrensregeln, die durch die fortschreitende Informalisierung der Regierungspraxis zunehmend beeinträchtigt worden seien.

Auch die eingefahrenen Mechanismen des Parteienwettbewerbs will Lehmbruch aufbrechen. In diesem Zusammenhang spricht sich der Autor für Minderheitsregierungen aus, weil diese nicht den Entscheidungsschwächen von Koalitionsregierungen ausgesetzt wären, sondern einen Beitrag dazu leisten könnten, den parlamentarischen Entscheidungsprozeß zu flexibilisieren. Es darf aber bezweifelt werden, daß ausgerechnet Minderheitsregierungen ein probates Mittel darstellen, um die Blockaden des föderalen Systems zu beseitigen. In den Ländern der Bundesrepublik, in denen Koalitionen in den allermeisten Fällen außerordentlich stabil und handlungsfähig waren, galten Minderheitsregierungen bislang zu Recht als Verlegenheits- oder Übergangslösungen. Ein Garant für politische Stabilität sind sie jedenfalls nicht. Zudem dürfte der Koordinationsbedarf unter den Bedingungen einer Minderheitsregierung eher zu- als abnehmen.

Wie schon in der ersten Auflage stehen sich die Begriffe Wettbewerb und Aushandeln bei Lehmbruch allzu statisch gegenüber. Wo hört das eine auf, wo fängt das andere an? Ist Verhandeln nicht ein konstitutives Merkmal jedes politischen Prozesses? Gilt die am Bund-Länder-Verhältnis beschriebene Problematik deshalb nicht auch für alle anderen politischen und gesellschaftlichen Bereiche?

Insgesamt stellt aber auch die zweite Auflage von Lehmbruchs Analyse eine anregende und anspruchsvolle Auseinandersetzung mit dem föderalen System in der Bundesrepublik dar. Eine spannende und zu Konsequenzen auffordernde Lektüre nicht nur für Politiker und Journalisten, sondern für alle am Schicksal unseres Gemeinwesens Interessierten.

OTTFRIED HENNIG

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"Aus meiner Sicht handelt s sich bei diesem Band um ein exemplarisches Beispiel des historischen Institutionalismus, geschrieben von einem Meister seines Fachs und einem profunden Kenner des deutschen politischen Systems. .... Die Sensibilität des Autors für die Komplexität seiner Materie kommt schließlich in einer sehr differenzierten Darstellung der einzelnen Zusammenhänge zum Ausdruck." (Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft Nr. 1/2001)