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Produktdetails
  • Biographische Studien zum 20. Jahrhundert 1
  • Verlag: be.bra verlag
  • Seitenzahl: 408
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm x 175mm
  • Gewicht: 936g
  • ISBN-13: 9783937233857
  • ISBN-10: 3937233857
  • Artikelnr.: 33390508

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Autorenporträt
Stefan Winckler, geboren 1967, Dr. phil., studierte Publizistik, Politikwissenschaft sowie Mittlere und Neuere Geschichte. Er veröffentlichte zum Themenkomplex "Bewahrung und Gefährdung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats", über politische Kommunikation und zur Konservatismusforschung. Buchveröffentlichungen sind u.a.: "Die Demokratische Rechte" (2005).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2012

"Der Kerl muss weg", meinte Mielke
Gerhard Löwenthals leidenschaftlicher Kampf gegen die Verklärung des Ulbricht- und Honecker-Regimes

"Was die Medien der Bundesrepublik an Blindheit und Wunschdenken gegenüber der alten DDR offenbarten, kann im Nachhinein nur als beschämend bezeichnet werden. Es herrschte die Tendenz vor, mit der Politik zu wetteifern, möglichst stabilitätsorientiert zu berichten. Wer möchte sich schon als Entspannungsgegner oder Antikommunist bezeichnen lassen?" Das schrieb unmittelbar nach dem Mauerfall 1992 Jens Hacker in seinem bitteren Buch über "Deutsche Irrtümer: Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen". Einen Mann mit seiner Sendung - hier im doppelten Sinne - nahm Hacker schon damals von diesem vernichtenden Verdikt aus: Gerhard Löwenthal mit seinem "ZDF-Magazin". Stefan Winckler wurde bei seinen umfassenden Recherchen über den Journalisten und Moderator oft mitleidig belächelt oder stieß auf Unverständnis. War der nicht ein halber Nazi, zumindest rechtsradikal? Dabei handelte es sich um einen Mann, den der Magistrat von Groß-Berlin 1945 als "Opfer des Faschismus" anerkannt hatte, Sohn eines orthodoxen jüdischen Deutschen, dessen - bis auf den Vater - jüdische Verwandte sämtlich ermordet wurden.

Der 1922 geborene Gerhard Löwenthal wird nach dem Novemberpogrom 1938 in jenes KZ Sachsenhausen eingeliefert, das bald als "Speziallager" von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) weiter "genutzt" werden sollte. Im Krieg trägt er den gelben Stern, nach der Gestapo-Verhaftung - weil er anderen untergetauchten Juden geholfen hatte - entgeht er nur mit viel Glück und verwandtschaftlichen Verbindungen der Mutter der Deportation und überlebt in einem kriegswichtigen Optikerbetrieb, der auch die Brillen Heinrich Himmlers repariert. Ihm rettet schließlich das Kaddisch das Leben, weil er es dem schussbereiten Rotarmisten nach dem hastigen Dialog "Nicht schießen, ich bin Jude" / "Du lügen, Du SS, alle Juden tot" vorsingen kann. Er hat später nie ein Wort darüber verloren. Er hat seine Biographie, die ihn stärker gegen alle Anwürfe immunisiert hätte, später nicht instrumentalisiert, sondern seine zahlreichen Anfeinder still verachtet.

Aber im biographische Ur- und Untergrund von Gerhard Löwenthal ist das nur die erste Hälfte seiner antitotalitären "Grundimpfung". Die zweite Dosis folgt in den Berliner Jahren des Kalten Krieges. Auch wenn die Studie bisweilen etwas verschachtelt daherkommt, steckt sie voller zeitgeschichtlicher Pointen. Löwenthal, beim RIAS mit einer eigenen Ratgeber- und Reportagen-Sendung ausgestattet, berichtet 1948 so scharf von der kommunistischen Gleichschaltung der Universität Unter den Linden, dass ihm die SED-Verwaltungsdirektorin mitten in der Reportage das Mikrofonkabel durchtrennt. Sein hier erstmals etwas breiter gewürdigtes Engagement beim Aufbau der Freien Universität - in den offiziellen Darstellungen sucht man seinen Namen vergeblich - ist die logische Konsequenz.

Auf einem Studentenkongress in Leipzig tritt er mutig gegen die SED-Gleichschaltung auf - der Delegierte der Humboldt-Universität schickt der Tagungsleitung daraufhin eine Botschaft: "Ich würde Löwenthal herausstellen (Strafvollzug Ostzone / Volksgerichtshof). Löwenthal muss man angreifen." Politisch neigt er der SPD zu, bewundert Ernst Reuter, den Regierenden Bürgermeister Willy Brandt. Für seinen Schwiegervater Ernst Lemmer, Adenauers gesamtdeutschen Minister, ist er "der rote Gerhard". Kein Wunder, dass ihn der Fernsehrat im Frühjahr 1968 einstimmig, auch mit den Stimmen der SPD und "SPD-Freunde", mit der Leitung des "ZDF-Magazins" betraut. Im Zuge von APO und neuer Ostpolitik trennen sich die Wege jedoch rasch. Löwenthal hält die rebellierenden Studenten für marxistische Wirrköpfe, die einem neuen Totalitarismus (und Terrorismus) den Boden bereiten - und sagt das an allen namhaften Universitäten öffentlich. Sofern man ihn lässt. Stinkbomben, Trillerpfeifen, Buttersäure werden seine unvermeidlichen Begleiter. "Verhindert Lehrauftrag für Anti-Kommunisten Löwenthal (ZDF!!)". So heißt es auf Plakaten an der Universität Mainz 1971. Er wird geohrfeigt, mit Stühlen beworfen - und von Amtsrichtern kaum geschützt. "Es ist rechtens, sich gegen Figuren wie Löwenthal zu wehren, auf die Mittel kommt es an", urteilt ein Darmstädter Richter, verhängt 100 D-Mark Geldstrafe.

Hauptkonfliktfeld ist die Ostpolitik. Löwenthal wird nicht müde, mit knorrig-knarzender Stimme über fast zwanzig Jahre hinweg in 585 Magazin-Sendungen die Lebensverhältnisse in der DDR anzuprangern - und die westliche Entspannungspolitik als "Wandel durch Anbiederung" gleich mit. Sein Haupteinwand: "Wir haben viel zu oft, viel zu leicht, viel zu viel nachgegeben." Der Westen habe im psychologischen Kampf des fortdauernden Kalten Krieges den Blick für die brutale Repression und Vernichtung von Lebenschancen auf der anderen Seite verloren. Daher müsse man "wiederholen, wiederholen, wiederholen, dass in der DDR Menschen unwürdig behandelt werden, obwohl sogar eigene Redakteure über diese Konzentration auf bestimmte Themen stöhnen". Auch die sozialliberale Bundesregierung stöhnt. Sozialdemokraten kommen nicht mehr in seine Sendung - und können so hinterher noch leichter die "mangelnde Ausgewogenheit" rügen.

Im Fernsehrat, über den im Band nur in Andeutungen berichtet wird, muss es oft hoch hergegangen sein. Helmut Kohl, dem Löwenthal reserviert begegnet - er ist mittlerweile zum glühenden Anhänger von Franz Josef Strauß geworden - paukt ihn mehr als einmal heraus. Aber das ZDF knickt ein. 1973 wird seine Sendung nur noch alle 14 Tage und nicht mehr wöchentlich ausgestrahlt und am Ende wird er schließlich auch ganz ohne Dank und Würdigung "verabschiedet" werden.

Löwenthal lässt sich nicht beirren. "Hilferufe von drüben" heißt ein neuer Sendebestandteil. Er stellt - bis zu viermal - Einzelschicksale von Häftlingen vor, erreicht jedes Jahr die Freilassung/den Freikauf von etwa 200 der vielen Tausend, die sich an ihn wenden. In Ost-Berlin wird er Staatsfeind Nr. 1. Immerhin 16 der 25 MfS-Aktenbände, die sich mit ihm beschäftigen, sind erhalten. Kann man ihm - notfalls mit gefälschten Dokumenten - eine Zusammenarbeit mit der Gestapo anhängen? Sind Briefbomben das geeignete Mittel? Karl Eduard von Schnitzlers "Schwarzer Kanal" reicht eindeutig als Agitprop nicht aus. "Der Kerl muss weg", soll Stasi-Minister Erich Mielke mehr als einmal verlangt haben. Die westlichen Dienste halten die Bedrohungslage Löwenthals durch RAF-Terroristen für extrem hoch; er bekommt nach der Schleyer-Entführung bis über das Ende seiner Sendung 1987 hinaus Personenschutz.

Denn er polarisiert weiter, kämpft - als Folge des Nato-Doppelbeschlusses - für die Stationierung westlicher Raketensysteme und gegen die wachsende Friedensbewegung, bei der er "viele Gesinnungspazifisten, viele ehrenwerte, gutgläubige, aber auch naive junge Menschen" ausmacht, deren Organisatoren aber vielfach wie beim DGB aus dem kommunistischen Umfeld stammen und von dort Finanzmittel erhalten würden. Das war ganz falsch nicht, wie wir heute wissen. Aber es spielte in der medialen Wirklichkeit der Bundesrepublik keine Rolle, denn die überwältigende Mehrheit der Meinungsmacher sah das anders. Löwenthal stand in der westdeutschen Öffentlichkeit weitgehend allein, bekämpfte die sich nach links drehende Schweigespirale, war - wie seine Vertraute Elisabeth Noelle-Neumann feststellte - lange neben Axel Springer einer der wenigen Sprecher der schweigenden Mehrheit als konservativer Patriot in seinem zähen Kampf für Freiheit, Wiedervereinigung, Westbindung, Marktwirtschaft. Am Ende seines Lebens - er starb im Jahr 2002 - war aber auch die schweigende Mehrheit nach links gerückt, war die "SED-Fortsetzungspartei" PDS koalitionsfähig geworden und für viele die DDR kein Unrechtsstaat mehr.

DANIEL KOERFER

Stefan Winckler: Gerhard Löwenthal. Ein Beitrag zur politischen Publizistik der Bundesrepublik Deutschland. Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin 2011. 406 S., 46,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Daniel Koerfer lernt mit dem Fernsehjournalisten Gerhard Löwenthal in dieser von Stefan Winckler verfassten Studie einen unermüdlichen Erforscher der Ostpolitik und Kämpfer gegen das Unrechtsregime der DDR kennen, der in Ost-Berlin als Staatsfeind galt. Den Band, über dessen Aufbau und Quellen wir bei Koerfer leider nichts erfahren, lobt der Rezensent seiner zeitgeschichtlichen Pointen wegen, die der Autor fleißig im "Urgrund" der Löwenthal'schen Biografie ausfindig macht. Dass seine umfassenden Recherchen Winckler manchmal dazu verleiten, die Früchte seiner Arbeit allzu verschachtelt zu präsentieren, mindert Koerfers Leseglück allerdings etwas.

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