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Zwangsarbeit gehört zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. In Forschung und öffentlicher Debatte wird Zwangsarbeit in der Regel ausschließlich mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht. Doch bereits 1914-1918 war die Rekrutierung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte im deutschen Machtbereich zunehmend von Zwang gekennzeichnet.Christian Westerhoff schließt eine Forschungslücke, indem er erstmals die Bedingungen, Formen und Folgen von Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung in den besetzten Gebieten Polens und des Baltikums während des Ersten Weltkriegs in den Blick…mehr

Produktbeschreibung
Zwangsarbeit gehört zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. In Forschung und öffentlicher Debatte wird Zwangsarbeit in der Regel ausschließlich mit dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht. Doch bereits 1914-1918 war die Rekrutierung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte im deutschen Machtbereich zunehmend von Zwang gekennzeichnet.Christian Westerhoff schließt eine Forschungslücke, indem er erstmals die Bedingungen, Formen und Folgen von Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung in den besetzten Gebieten Polens und des Baltikums während des Ersten Weltkriegs in den Blick nimmt. Er schildert anschaulich, wie insbesondere die militärisch verwalteten Gebiete des Baltikums zu einem 'Laboratorium' der Zwangsarbeit und des 'totalen Kriegs' wurden.
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Autorenporträt
Christian Westerhoff, Dr. phil., Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Osnabrück und Sheffield; arbeitet an der Zentral und Landesbibliothek Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2012

Suche nach dem Erfahrungshorizont

War die Zwangsarbeit im deutsch besetzten Polen und in Litauen während des Ersten Weltkriegs bereits ein "Probelauf" für Hitlers mörderische Politik?

Von Christoph Nonn

Die drohende Konfiszierung ihres Vermögens in den Vereinigten Staaten bewog Anfang des vergangenen Jahrzehnts deutsche Industrieunternehmen dazu, Entschädigungen für Zwangsarbeit im Zweiten Weltkriegs zu zahlen. Das hat die öffentliche Wahrnehmung nationalsozialistischer Verbrechen verändert: Sie wurde ein Stück weit von ihrer Verengung auf den Holocaust gelöst. Denn Zwangsarbeit hatten im "Dritten Reich" zwar auch, aber nicht nur Juden leisten müssen. Die Vorgeschichte der Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs ist bisher weniger ins öffentliche Bewusstsein getreten. Dabei hat es diese bereits - wenn auch in geringerem Umfang - im Ersten Weltkrieg gegeben. Unter Historikern ist bislang umstritten, wieweit hier langfristige Kontinuitäten deutscher Geschichte auszumachen sind. Während Ulrich Herbert die Zwangsarbeit während des Ersten Weltkriegs als "Probelauf" für den Zweiten bezeichnet hat, hob Jochen Oltmer hier eher die Diskontinuitäten zwischen Kaiserreich und "Drittem Reich" hervor.

Solche Urteile beruhen bisher freilich auf dürftiger Basis. Denn die Geschichte der Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg ist kaum aufgearbeitet worden. Für die deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Belgien gibt es immerhin eine informative Studie von Jens Thiel. Im Osten hat das Deutsche Reich während des Krieges allerdings wesentlich größere Gebiete besetzt gehalten. Christian Westerhoff beleuchtet nun die Politik der Rekrutierung fremder Arbeitskräfte in Russisch-Polen und Litauen seit ihrer Eroberung im Sommer 1915.

Die Forschung ist für die vom Deutschen Reich im Ersten Weltkrieg besetzten Gebiete bislang von drei Phasen der Arbeitskräftepolitik ausgegangen. Demnach wurden zunächst fast ausschließlich Freiwillige angeworben - wobei diese, einmal in Deutschland angekommen, allerdings kaum noch die Möglichkeit zur Rückkehr in ihre Heimat hatten. Mit der Übernahme der Obersten Heeresleitung durch Hindenburg und Ludendorff im Spätsommer 1916 ging der Trend dann in Richtung zwangsweiser Rekrutierung. Da sie kaum die gewünschten Ergebnisse brachte, sei im Winter 1916/17 eine Rückkehr zur Strategie freiwilliger Anwerbung erfolgt - freilich verbunden mit systematischer Erhöhung des ökonomischen Drucks auf die Bevölkerung der besetzten Gebiete, für die Deutschen zu arbeiten.

Westerhoff kommt zu dem Ergebnis, dass diese Phaseneinteilung nicht für den gesamten von ihm untersuchten Raum gelten kann. Während sie für das zivil regierte Russisch-Polen mehr oder weniger zutrifft, gab es in dem militärischen Verwaltungsgebiet "Ober Ost", dessen Kern das heutige Litauen bildete, schon vor dem Sommer 1916 eine Tendenz zur zwangsweisen Rekrutierung von einheimischen Arbeitskräften. Und diese wurde auch nach dem Winter 1916/17 nicht aufgegeben, sondern weiterverfolgt. Wie sind diese Unterschiede zu erklären? Zum Teil wohl aus unterschiedlichen Voraussetzungen. In den deutsch besetzten Gebieten Russisch-Polens gab es eine lange Tradition der Arbeitswanderung ins Deutsche Reich. Diese fehlte in "Ober Ost". Dort war auch die Siedlungsdichte wesentlich niedriger, die Industrialisierung im Durchschnitt weniger fortgeschritten, die dominierende agrarische Bevölkerung von den Kriegswirren weniger in Mitleidenschaft gezogen. In Litauen gab es so weniger Anreize, für die Besatzer zu arbeiten.

Aber auch die unterschiedlichen Formen der deutschen Verwaltung spielten eine Rolle. Im zivil regierten Russisch-Polen musste der deutsche Generalgouverneur sich beständig mit Interventionen des Kaisers, der Reichsleitung und des Reichstags auseinandersetzen und rechtfertigen. "Ober Ost" wurde von Anfang an gegen solche Eingriffe weitgehend abgeschirmt. Hier schaltete und waltete Ludendorff praktisch autonom. Die Folge war der Versuch einer gesellschaftlichen Umsetzung autoritärer militärischer Strukturen von Befehl und Gehorsam. Das Prinzip der Freiwilligkeit hatte in diesem von einer "military culture" geprägten "Musterland" keinen Platz.

Das war nicht unbedingt eine besonders erfolgreiche Strategie. Im Gegenteil, die militärische Befehlswirtschaft in Litauen dürfte, was die Ausnutzung fremder Arbeitskraft angeht, insgesamt für das Deutsche Reich weniger effektiv gewesen sein als das für Kritik und Verbesserungsvorschläge offenere System ziviler Verwaltung im polnischen "Generalgouvernement". Aber war die radikale Zwangsrekrutierung in "Ober Ost" ein Vorgeschmack auf die Zukunft? Fand hier im Ersten Weltkrieg ein "Probelauf" für die noch wesentlich menschenverachtendere deutsche Zwangsarbeiterpolitik während des Zweiten statt?

Westerhoff steht einer solch weitgreifenden These ebenso skeptisch gegenüber wie sein Doktorvater Jochen Oltmer. Zwar habe die Arbeitskräftepolitik in den von Deutschland zwischen 1915 und 1919 besetzten osteuropäischen Gebieten einen allgemeinen "Erfahrungshorizont" für die Praktiken seit 1939 gebildet. Personelle Kontinuitäten gab es freilich nur wenige. Von Kontinuität könne man auch angesichts der ganz anderen Quantitäten und ungleich brutaleren Politik während des "Dritten Reichs" kaum sprechen. Zwar sei die Haltung der deutschen Besatzer gegenüber den einheimischen Bevölkerungsgruppen schon im Ersten Weltkrieg teilweise durch Rassismus und Antisemitismus beeinflusst worden. Ausprägung und Konsequenzen dieser Einstellungen könnten jedoch nicht mit denen im Zweiten Weltkrieg gleichgesetzt werden.

Die Rolle, die Erfahrungen und Entwicklungen deutscher Zwangsarbeiterpolitik im Ersten Weltkrieg für den einzigartig mörderischen "Ausländereinsatz" während des Nationalsozialismus gespielt haben, wird sich wohl erst genauer bestimmen lassen, wenn mehr vergleichende Forschungen zur Rekrutierung fremder Arbeitskräfte durch andere kriegführende Staaten vorliegen. Die gründliche Studie von Westerhoff liefert dafür, trotz mancher Redundanzen, einen wertvollen Baustein.

Christian Westerhoff: Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Litauen 1914-1918.

Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2012. 377 S., 39,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Interesse liest der Historiker Christoph Nonn diese Studie zum wenig bekannten Phänomen der Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Die Studie untersucht die Rekrutierungstechniken der Deutschen in zwei politisch-geografisch trotz aller Nähe sehr unterschiedlichen Gebieten, einerseits in "Russisch Polen", andererseits im heutigen Litauen und kommt für beide Gebiete zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während in Polen, auch wegen einer langer Geschichte deutsch-polnischer Beziehungen und Migrationen eher auf Kooperation gesetzt wurde, arbeitete man in Litauen eher mit Zwangsmethoden, ohne dabei übrigens zu höherer Effizienz zu gelangen. Eine Kontinuität zwischen Erstem Weltkrieg und Nazizeit mache Westerhoff dabei eher nicht aus und stößt hierbei auf Nonns Zustimmung.

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