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Dieses Buch ist eine Grundlegung der hermeneutischen Philosophie, in der Interpretation und Verstehen neu bestimmt werden. Das Interpretieren erweist sich dabei als originärer Bezug auf eine Sache; es ist sachgebundener als jede andere Art des Erkennens. Zwar wird die Interpretation vom Interpreten gemäß seinen je individuellen Möglichkeiten vollzogen, aber das zu Interpretierende geht in diesen Möglichkeiten nicht auf; es ist etwas, das entgegensteht und darin herausfordert. Die hermeneutische Erfahrung ist Erfahrung des Gegenständlichen; das Gegenständliche ist die Sache im Zentrum der…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch ist eine Grundlegung der hermeneutischen Philosophie, in der Interpretation und Verstehen neu bestimmt werden. Das Interpretieren erweist sich dabei als originärer Bezug auf eine Sache; es ist sachgebundener als jede andere Art des Erkennens. Zwar wird die Interpretation vom Interpreten gemäß seinen je individuellen Möglichkeiten vollzogen, aber das zu Interpretierende geht in diesen Möglichkeiten nicht auf; es ist etwas, das entgegensteht und darin herausfordert. Die hermeneutische Erfahrung ist Erfahrung des Gegenständlichen; das Gegenständliche ist die Sache im Zentrum der hermeneutischen Philosophie. Mit der Rehabilitierung des Gegenständlichen bezieht Figal Stellung gegen die für die moderne Philosophie charakteristische Kritik an der 'Vergegenständlichung' oder 'Verdinglichung'. Diese Kritik, die vom Vollzugscharakter des menschlichen Lebens her gedacht ist, verkennt den in jeder komplexeren Lebensäußerung leitenden Ding- und Sachbezug. In der hermeneutischen Erfahrung intensiviert sich nur, was für das menschliche Leben allgemein gilt. Dieser Gedanke wird hier auf eine Bestimmung des menschlichen Lebens hin entwickelt. Das geschieht, indem das Verhalten in der Welt von deren hermeneutischen Dimensionen her phänomenologisch beschrieben wird. Diese Dimensionen sind Freiheit, Sprache und Zeit.
Autorenporträt
Born 1949; 1976 PhD; 1987 Habilitation; 1989-2002 Professor of Philosophy at the University of Tübingen; since 2002 Professor for Philosophy at the University of Freiburg im Breisgau; since 2017 emeritus.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2007

Dinge sind nicht trivial
Der Philosoph Günter Figal und der Schauplatz des Verstehens
Es ist noch gar nicht lange her, da geisterte das „Nicht-Hermeneutische” durch die intellektuellen Zirkel. Die Begriffsprägung war ein Zeichen der Zeit. Jene Kunst des Auslegens, die sich – nach ersten Anfängen in der frühen Neuzeit – von Schleiermacher und Dilthey, zuletzt aber und besonders prominent von Hans-Georg Gadamer herschrieb, wirkte plötzlich antiquiert, ja skandalös. Der hermeneutische Umgang mit den Texten sei vereinnahmend, hieß es nun. Kennbegriffe der Hermeneutik wie „Subjekt” und „Sinn”, „Verstehen” und „Interpretation” wurden komplett entsorgt, und der Anspruch der „Horizontverschmelzung” von Gegenwart und Tradition galt mit einem Mal als peinlich. Der Vorgang war indes mehr als eine akademische querelle. Den neuen, aber theorieschwachen Kulturwissenschaften bot das Feindbild die Chance der Konsolidierung, und dieser Mechanismus wirkt bis heute nach. Die Ausbreitung der Kulturwissenschaften normalisierte den antihermeneutischen Affekt.
An der Philosophie jedoch ist dieses Verabschiedungsspektakel, wie manches andere auch, fast spurlos vorbeigegangen – und wie auch anders. Für den Freiburger Philosophen Günter Figal, dessen aktuelles Buch den Schnittstellen von Philosophie und Hermeneutik nachspürt, ist es die elementare Geste der Abstandnahme, phänomenologisch gesprochen: die „Epoché” gegenüber dem vermeintlich Selbstverständlichen und dem Andrang des Modischen, die das philosophische Denken auszeichnet und ihm seine Einsichten überhaupt erst ermöglicht. Philosophie, so jedenfalls möchte Figal das Unternehmen verstanden wissen, ist gelebte Konformitätsverweigerung oder, positiv formuliert: reine, konsequent auf Selbständigkeit bedachte Theorie. Von Verklärung der Kälte und akademischer Arroganz kann also keine Rede sein. Es ist der genuine Anspruch des philosophischen Verstehens, mit dem es sich immer schon auf die Bedingung festgelegt hat, prinzipiell „nicht mitzugehen”.
Für die Stellung des Faches im Konzert der Wissenschaften ist die Strenge dieser Autonomieforderung folgenreich. Tatsächlich ist die Philosophie vollkommen ungeeignet und im Übrigen auch keineswegs geneigt, sich als eine Kulturwissenschaft im Sinne der Cultural studies zu empfehlen. Stattdessen besinnt sie sich, gut hermeneutisch, auf die Grundbestände der eigenen Tradition, um sich aus ihnen heraus zu erneuern. Die notorische Selbstreferenz des Faches, so Figal, folgt zwanglos aus der „Unumgänglichkeit des Theoretischen”.
Weil sie den vom vorwissenschaftlichen Konsens definierten Gegenstandsbereich, wie ihn auch die normale Wissenschaft zugrunde legt, für ihre Zwecke nicht übernehmen kann, positioniert sich die Philosophie im Kontext des von ihr selbst, mithin von der Philosophiegeschichte gestifteten Gesprächszusammenhangs. Allerdings kann sie dessen Kontinuität nicht einfach fortschreiben, und auch die historistische Stilisierung der philosophischen Bibliothek zum Schatzhaus zeitgeistferner Gedankenwelten verkennt das Problem.
Genau an dieser systematischen Stelle greift Figal nun ein: Anders als Gadamer, der trotz deutlicher Vorbehalte schließlich doch – und mit Hegel – auf die Einheit des Überlieferungsgeschehens vertraute, hält er die Kontinuitätsunterstellung für voreilig und zumindest für begründungsbedürftig. Damit aber wird das Operationsgebiet der philosophischen Tätigkeit problematisch, und speziell dieser Herausforderung gilt Figals besondere Aufmerksamkeit. Um den prekären Status der philosophischen Gegenstandswelt abzubilden, bietet er eine Begriffsbezeichnung an, die angesichts der jüngeren Theoriegeschichte pointierter nicht hätte ausfallen können: „das Hermeneutische”.
Das Hermeneutische ist der Inbegriff des Gegenständlichen, eine heuristische Formel, die den Schauplatz des Verstehens als „Gegenständlichkeit” erschließt. Der Terminus erinnert daran, dass die Hermeneutik, spätestens seit Heideggers Rede von der „Faktizität” des gelebten Lebens, neben den vergemeinsamenden Bezügen der Zeit („Geschichtlichkeit”) und des gesprochenen Worts („Gespräch”) auch den Sachbezug des Denkens als unabweislich geltend gemacht hat: die Dimension der Erfahrung. Hermeneutisches Philosophieren ist erfahrungsbereites Philosophieren, das um der Wahrung dieser Qualität willen der Methode nicht das letzte Wort überlassen darf. Während die Methode situationsindifferent ist und Verfahrensweisen für alle Fälle vorhält – unabhängig von den besonderen Umständen –, will das hermeneutische Denken gerade umgekehrt markante Erfahrungswerte festhalten und sich der Widerständigkeit der sachlichen Bezüge, über die das methodische Vorgehen immer schon hinweg ist, auf kontrollierte Weise öffnen. Gadamers Auskunft, dass die Phänomenologie die „unbegründbare und unableitbare Faktizität des Daseins, die Existenz, und nicht das reine cogito als Wesensverfassung von typischer Allgemeinheit” als Ausgangspunkt gewählt habe, gelte, so Figal, ganz ebenso als Anspruch und Programm der Hermeneutik selbst.
Hier wie auch sonst folgt Figal der klassisch-hermeneutischen Problembestimmung, ohne allerdings die Lösung zu übernehmen. Während Gadamer die Sache, exemplarisch also: den Text, vom Vollzug der Aneignung, also vom Lesen her denkt, beharrt Figal auf der Eigenständigkeit, ja Gegen-Ständlichkeit der Texte. Nichts liegt dieser Rehabilitierung der Dingwelt ferner als die teils sokratisch, teils lebensphilosophisch motivierte Kritik der Schrift, und es ist unbedingt lesenswert, wie Figal die die textuelle „Äußerlichkeit” erläutert und gegen irrige Vertrautheitserwartungen ins Recht setzt. Die Schrift aber ist nur der spezielle Fall jener Gegebenheitsweise der Gegenständlichkeit, die dieses Buch rekonstruiert und mit der es die Neigung des neuzeitlichen Philosophierens unterlaufen möchte, Dinge und Sachen zu trivialisieren. Die Dinge, so lautet die zentrale These, „stehen ihrem Wesen nach für sich; nur deshalb können sie angeeignet werden”.
Figals Philosophie des Gegenständlichen antwortet dem verbreiteten „Unbehagen an der Äußerlichkeit”, das die maßgeblichen Philosophien des 20. Jahrhunderts in die Rolle von „Entgegenständlichungsunternehmen” hineingedrängt habe. Sie lässt sich auf die Äußerlichkeit der Dinge ein, ohne sie damit sich selbst zu überlassen. Das „Hermeneutische”, das sie entfaltet, ist Lebensraum, Handlungsraum, Erfahrungsraum, Erkenntnisraum, Darstellungsraum und – darauf kommt es an – all dies zugleich und in einem. So bietet diese Philosophie einen Summenbegriff für all die Leistungen an, die bei der Bewältigung der Aufgabe gefordert sind, dem Gegenständlichen als einem Etwas zu begegnen, das dem Bewusstsein als Äußerliches „entgegentritt” und „entgegensteht”.
Als Musterfall nennt Figal die Entstehung und Wahrnehmung von Kunstwerken: Wie deren Produktion die Routinen der Herstellung hinter sich lässt, um aus „Respekt vor der Gegenständlichkeit” die kunstspezifische Balance aus Wirklichkeitsnähe und Wirklichkeitsverfremdung zu erzielen, so müsse auf der anderen Seite auch die Rezeption der individuellen und zugleich unerschöpflichen Darstellungsqualität gerecht werden, die den Ausdruckswillen des Kunstgegenstandes ausmacht.
Günter Figals weit ausholende, überaus dicht und diszipliniert geschriebene Abhandlung entfaltet ihre beträchtlichen Provokationspotentiale im Stillen. Den Kulturwissenschaften gegenüber, die nur noch „Konstrukte” kennen, beharrt sie auf der hochdifferenzierten Begrifflichkeit hermeneutikgeschulter Dingwahrnehmung; der Hermeneutik gegenüber macht sie die Fragwürdigkeit der Traditionsbestände geltend; der neueren Philosophie gegenüber behauptet sie das Eigenrecht der Dingwelt, die, wie Figal betont, nur eine theoretisch orientierte Philosophie angemessen und ohne sachfremde Reduktionismen zu erschließen vermag. In ebendieser Konsequenz aber liegt die vielleicht größte Provokation der Philosophie der Gegenständlichkeit. Während Gadamer Ideen- und Existenzbezug noch als Alternativen dachte, führt Figals Weg über die Dingwelt zu einem neuen, das Maß des Menschlichen sprengenden Idealismus. Die Gegenstände lassen uns den Sinn des Betrachtens und Darstellens entdecken, heißt es in der Schlusssequenz: „Es ist ein vermittelnder Sinn über das nur Menschliche hinaus.” RALF KONERSMANN
GÜNTER FIGAL: Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie. Tübingen, Mohr Siebeck Verlag 2006. 447 Seiten, 39 Euro.
Plötzlich war den Intellektuellen die Hermeneutik peinlich
Diese Philosophie antwortet dem „Unbehagen an der Äußerlichkeit”
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