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Ein Gespenst geht um in der Welt - das Gespenst des rabiaten Rechtspopulismus. Spätestens mit der Wahl Donald Trumps hat sich die Lage zugespitzt mit Angriffen auf Pressefreiheit und Gewaltenteilung. Gegen die liberale Demokratie.
Wilhelm Heitmeyer hat diese Tendenzen frühzeitig thematisiert. 2001 warnte er, die Globalisierung gehe mit politischen und sozialen Kontrollverlusten einher, die zum Aufstieg des autoritären Kapitalismus, zu Demokratieentleerung und einem Erstarken des Rechtspopulismus führen könnten. In seinem neuen Buch knüpft er an diese Analyse an und macht sie für eine…mehr

Produktbeschreibung
Ein Gespenst geht um in der Welt - das Gespenst des rabiaten Rechtspopulismus. Spätestens mit der Wahl Donald Trumps hat sich die Lage zugespitzt mit Angriffen auf Pressefreiheit und Gewaltenteilung. Gegen die liberale Demokratie.

Wilhelm Heitmeyer hat diese Tendenzen frühzeitig thematisiert. 2001 warnte er, die Globalisierung gehe mit politischen und sozialen Kontrollverlusten einher, die zum Aufstieg des autoritären Kapitalismus, zu Demokratieentleerung und einem Erstarken des Rechtspopulismus führen könnten. In seinem neuen Buch knüpft er an diese Analyse an und macht sie für eine Diagnose der aktuellen Situation fruchtbar. Der Band bildet den Auftakt zu der Reihe »Signaturen der Bedrohung«, die Phänomenen politischer Gewalt und sozialer Desintegration gewidmet ist.
Autorenporträt
Wilhelm Heitmeyer, geboren 1945, war von 1996 bis 2013 Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und arbeitet dort jetzt als Forschungsprofessor. In der edition suhrkamp gab er u. a. die Reihe Deutsche Zustände heraus. 
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2018

Erklären Krisenerfahrungen allein schon autoritäre Haltungen?
Wie man das Politische mit Hilfe wohlmeinender Psychologie umgeht: Wilhelm Heitmeyer versucht eine Erklärung rechter Tendenzen in der Gesellschaft

Nicht die wachsenden Ungleichheiten und die daraus resultierenden Hegemoniekämpfe zwischen den Gewinnern und den Verlierern von Globalisierungsprozessen sind für Wilhelm Heitmeyer Ausgangspunkt des Aufstiegs der neuen Rechtsparteien. Das seien vielmehr die "autoritären Versuchungen", die sich infolge gesellschaftlicher Krisenereignisse einstellen: Erfahrungen tiefer Verunsicherung, Kontrollverluste und Desintegration, die laut Heitmeyer eine Nachfrage nach politischen Angeboten erzeugen, durch die Macht, Sicherheit und Kontrolle notfalls auch durch Ausgrenzung und Diskriminierung, wiederhergestellt werden. Wenn die Verhältnisse schon nicht zurückgedreht werden können, dann müssen aus dieser Sicht Sicherheit und Kontrolle durch autoritäre Maßnahmen wiederhergestellt werden.

Man ist schon deshalb geneigt, hier genauer hinzuhören, weil einmal nicht pauschal ökonomische Spaltungen, sondern "autoritäre" Haltungen, das heißt psychische Bewältigungs- und Verarbeitungsmechanismen zum Schlüsselproblem westlicher Demokratien, jedenfalls zur Ursache für den Aufstieg der neuen Rechtsparteien erklärt werden. Freilich hat die Fokussierung des Blicks und die damit verbundene Identifizierung des Feuerlegers von Flächenbränden immer auch etwas mit der Profession des Beobachters und seinen Arbeitsgebieten zu tun.

Wilhelm Heitmeyer hat mit Mitarbeitern seit etwa zwei Jahrzehnten zu rechtsextremistischen Hintergründen in der Bundesrepublik Deutschland geforscht und in dem Langzeitprojekt "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in großen repräsentativen Stichproben ein sehr detailliertes Sittenbild der Ängste, Befindlichkeiten, Einstellungen und Haltungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft geliefert, das Gegenstand einer zehnbändigen Buchreihe mit dem Titel "Deutsche Zustände" ist. Dieses Werk verdient allein schon deshalb Beachtung, weil hier schon relativ früh, das heißt lange vor dem Aufstieg der AfD in Deutschland, auf autoritäre Einstellungen innerhalb der Bevölkerung aufmerksam gemacht wurde. Eine Schlüsselfunktion bei der Verankerung autoritärer Haltungen kommt nach Heitmeyer dabei dem Souveränitätsverlust des Nationalstaates zugunsten eines Machtgewinns ökonomischer Akteure zu, die ihre Forderungen nun rigide durchsetzen könnten. Durch sie würde ein autoritäres gesellschaftliches Klima verbreitet, das sich auf subjektiver Ebene in Fremdenfeindlichkeit und in der Abwertung gesellschaftlicher Minderheiten niederschlage.

Das Suggestive an Heitmeyers Darstellung ist, dass er eine Fülle von empirischen Mosaiksteinchen, Argumenten und Befunden zusammenträgt, die alle in diese Deutung passen. So etwa konnten er und sein Forscherteam schon 2002 rechtspopulistische, das heißt gruppenfeindliche Einstellungssyndrome nachweisen: autoritäre Aggressionen, Fremdenfeindlichkeit, Abwertung von Langzeitarbeitslosen, Rassismus, Sexismus, Islamophobie und Antisemitismus. Diese Einstellungen hätten sich zu dieser Zeit noch nicht öffentlich artikuliert.

Erst autoritäre Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Krisenerfahrungen - etwa in der Folge des Anschlags von 9/11 und der Finanzkrise - hätten ihnen einen Weg in die Öffentlichkeit gebahnt. Die aus den Krisenerfahrungen resultierenden Desintegrationsängste und Kontrollverluste hätten demnach die zur politischen Mobilisierung notwendige Wut, Gewalt- und Demonstrationsbereitschaft ins Leben gerufen.

Heitmeyer schlägt einen großen narrativen Bogen, der von Globalisierung über Desintegrationsprozesse und Demokratieentleerung hin zu autoritären und menschenfeindlichen Einstellungen reicht. So entsteht ein dichtes Gewebe aus Plausibilitäten, dessen Suggestivkraft kaum zu überbieten ist, zumal sich die Behauptungen sehr gut in etablierte Meinungen und Vorkenntnisse des kapitalismuskritischen Lesers einfügen. Es ist jedoch, wenn man genauer hinsieht, mehr die geschickte Darstellung als der Inhalt der empirischen Befunde, an der die Überzeugungskraft von Heitmeyers Demokratieerklärung hängt.

Es könnten auch ganz andere Schlüsse aus den Befunden gezogen werden: Wenn der Anteil der Vertreter gruppenbezogen-menschenfeindlicher Einstellungen, wie die Bände der "Deutschen Zustände" zeigen, konstant bei etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung liegt, also in den letzten beiden Jahrzehnten gar nicht angestiegen ist, könnte es dann nicht sein, dass diese Leute, anders als Heitmeyer behauptet, gar nicht als die primäre Ursache für den Aufstieg des Rechtspopulismus anzusehen sind? Und könnte es sein, dass gruppenbezogen-menschenfeindliche Einstellungen gar nicht primär autoritär-kapitalistischen Ursprungs sind, sondern eine Vielzahl gesellschaftlicher Ursachen haben?

Man kann dem Autor durchaus in der Auffassung folgen, dass die wichtigsten Zutaten und Voraussetzungen für den Aufstieg der Rechtsparteien bereits erfüllt waren, bevor Pegida und AfD die politische Bühne betraten. Das Problem des Erklärungsansatzes besteht allerdings darin, dass er zu viel und gleichzeitig zu wenig erklärt. Mit einer ähnlichen Argumentationskette wie Heitmeyer hat der französische Soziologe Alain Ehrenberg um die Jahrtausendwende den gesellschaftlichen Anstieg von Depressionserkrankungen begründet. Und ähnlich wie Heitmeyer nicht erklären kann, warum im autoritären Kapitalismus nicht jeder Mensch autoritär wird, kann auch Ehrenberg nicht erklären, warum die meisten Menschen unter der Ägide neoliberaler Autonomie- und Leistungszumutungen keine Depression entwickeln. Wovon hängt denn im Einzelnen ab, ob ein durch Krisen verunsichertes Subjekt sich als resilient erweist und ob es eher eine Depression oder unbändige Wut entwickelt, ob es in gefühltem Elend erstarrt oder vielmehr die AfD wählt? Hier fehlt eine Differenzialdiagnose. Krisenerfahrungen allein machen jedenfalls noch keine autoritäre Bewegung.

Der Ansatz erklärt allerdings auch zu wenig, weil er das Auftauchen neuer gesellschaftlicher Konflikte aus Persönlichkeitsstörungen ableiten will und mithin das Politische im Konfliktgeschehen unterschlägt. Doch es gibt keine homogene und in sich konsistente rechte Weltanschauung, sondern man findet in diesem Feld nationalistisches, völkisches, islamophobes, antifeministisches aber auch konservatives Denken. Man findet Euroskeptiker, man findet Anti-Demokraten, aber auch solche, die eine direkte Demokratie einfordern, und man findet, ähnlich wie bei einigen linken Gruppierungen, einen massiven Antikapitalismus und Antiglobalisierungsdiskurs.

Unter dem Dach der Rechtsparteien schließen sich konservative Gruppen aus Klein-, Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum mit den prekären Milieus gegen progressiv-neoliberale Hegemonien zusammen; sie bilden eine vertikale Koalition der Zurückfallenden gegen die statusdynamischen und kosmopolitischen Mittel- und Oberschichten. Darunter auch Mittelschichten, die im wohlverstandenen eigenen Interesse nationale "Leitkulturen" in Bildung, Wissenschaft, Alltag und Kunst beibehalten möchten, EU-Skeptiker, die im Namen der krisengeschüttelter Peripherien die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Währung postulieren, und Gruppen, die einen ethnisch fokussierten Wohlfahrtsstaats, der zum Schutze der nationalen Ökonomie intervenieren soll, verteidigen wollen. Man muss diese Positionen nicht verteufeln oder pathologisieren, besser wäre es, sie mit politischen Mitteln zu bekämpfen.

CORNELIA KOPPETSCH

Wilhelm Heitmeyer:

"Autoritäre Versuchungen".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 394 S., br., 18,- [Euro].

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»Heitmeyer warnt seit 2001 vor dem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte. In seinem neusten Band zeigt er auf, warum sich seine Prognosen bewahrheitet haben.« DIE ZEIT 20181129