19,99 €
inkl. MwSt.

Versandfertig in 6-10 Tagen
payback
10 °P sammeln
Produktdetails
Trackliste
SACDH
1Takt 100:05:26
2Takt 1900:04:15
3Takt 6900:07:22
4Takt 18500:06:39
5Takt 27500:07:12
6Takt 36500:02:59
7Takt 37800:05:03
8Takt 46900:04:35
9Takt 54600:03:24
10Takt 60100:03:41
11Takt 66100:03:34
12Takt 71900:02:12
13Takt 72000:07:03
14Takt 82800:03:38
15Takt 88300:03:22
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2010

Im Irrgarten der Töne
Carola Bauckholt schreibt Theater für die Ohren

Doppelsinnig war das geflügelte Wort Adornos, man könne sich "eines Lächelns nicht erwehren, wenn (noch) ein Ton erklingt". Denn es verweist auf das möglicherweise Tröstliche von Musik ebenso wie auf deren Zufällig-Hinfälliges. Dabei war die Frage "Was ist ein Ton" für den Musiktheoretiker gar nicht so zentral. Er glaubte an das "Wohltemperierte Klavier". Gleichwohl sind Ton, Laut, Klang, Geräusch, Schall, sogar "Lärm" schon lange keine klar definierten Sphären mehr, zumal in der Elektronik. Die Verzerrer-Techniken der Rock-Konzerte oder die (auch akustisch erzeugten) Aktionen des "Instrumentalen Theaters" lassen sich mit solch latent klassizistischen Abgrenzungen heute nicht mehr fassen, vollends, seit Mauricio Kagel das Komponieren mit "nichtklingenden Materialien" in ungeahnte Fantasy-Höhen trieb. Eine seiner Schülerinnen ist Carola Bauckholt. Auch die Ästhetik ihrer Werke zeugt von diesem Fluktuieren zwischen Sicht- und Hörbarem, materiell Akustischem und sublimem Artefakt.

Bauckholts Ziel ist es, die Geräusche musikalisch fruchtbar zu machen, "sie zu konfrontieren und zu strapazieren, um ihnen nahe zu kommen, sie in andere Aggregatzustände, Existenzformen zu übersetzen". Im Prinzip geht es dabei um das Quid-pro-quo der Wahrnehmungsverwirrung: Was ist schon Musik, was noch Schall? Nicht zufällig hieß eines der radikalsten Werke Kagels "Der Schall". Doch so, wie sich nicht wenige audiovisuelle Werke Kagels erstaunlich gut über Lautsprecher vermitteln, so präsentieren sich auch einige Werke von Bauckholt erstaunlich attraktiv auf CD-Alben.

Das gilt auch für das Stück "hellhörig", 2008 bei der Münchner Biennale für Neues Musiktheater uraufgeführt, in der Regie von Georges Delnon. Das Wort "hellhörig" ist mehrdeutig zu verstehen. Es meint subjektiv sensible Ohr-Empfänglichkeit einerseits und verweist andererseits objektiv auf ungenügend schallisolierte (Wohn-)Räume. In diesem Fall gilt es eher der gesteigerten akustischen Aufmerksamkeit der Komponistin und ihrer Interpreten wie des Zuhörers: Wer nicht hören kann, muss fühl-los bleiben.

Dabei verfährt Bauckholt in mancherlei Hinsicht konträr zu Helmut Lachenmann, dem es in seinen Werken darum geht, im herkömmlichen Instrumentarium ein wahrhaft unerhörtes Potential an Geräusch-Klängen hörbar zum Vorschein zu bringen. Carola Bauckholt steht eher der "musique concrète" nahe, erst recht der skurrilen Theatralität Kagels. Und natürlich hat "hellhörig" weder Text noch Handlung, auch keine Protagonisten - außer den Musikern.

Die Vorgänge sind abstrakt, das Ergebnis geht konkret ins Ohr. Wird eine Zinkwanne mit der Öffnung nach oben gezogen, entstehen rhythmisierte Schabe-Sonoritäten, die rätseln lassen: ist es "nur" der Reibe-Effekt des Metalls? Ein "denaturiertes" Instrument? Oder ein elektronisches Phänomen? Das Assoziationsfeld schwankt zwischen oft unentscheidbaren Zuordnungen, je nach subjektiver Disposition. Und man findet sich wieder im Irrgarten der Schallquellen. Was auch metamusikalische Anklänge hervorbringt, an Horror- oder Vampir-Filme denken lässt, wenn leises Quietschen auch das Grauen hörbar macht, Wummern und Donner oder LKWs wachruft - oder ein Cello-Choral zur Kathedralen-Blasphemie mutiert, während Stimmen in der Imitation von Wolfshund-Geheul die klagende Kreatur evozieren. Manchmal tendiert das freilich zum akustisch Illustrativen. Trotzdem bleibt der Eindruck haptisch intensiv.

Noch weiter gefächert präsentiert sich Carola Bauckholts Komponieren auf dem Album "Instinkt". Das gleichnamige Stück aus dem Jahr 2008 widmet sich ebenfalls verschiedenen Tieren, deren Stimmen von menschlichen nicht nur imitiert, sondern synthetisiert werden und dabei diskret abgründige Melancholie vermitteln. Das Stück "Cellotrio" (2002) erinnert an Mahlers "Wie ein Naturlaut": Leiernd, humpelnd, schleifend, schabend klingen die mechanischen Muster, die sich schier minimalistisch dem Sirren der Zikaden annähern und so auch das ewig gleich Klägliche von Natur anklingen lassen. Ein Vokalstück ist auch "Nein allein" (2000), eine fast kataloghafte Aneinanderreihung lakonischer Kurz-Worte ("Ja, Ja, Ja", "hau ab"), die zugleich vielfältige Affekt-Situationen zum Tönen bringen, in durchaus schwankenden Relationen von Nähe und Ferne. Gemeinsam ist Bauckholts Stücken die ausgeprägte Gestik und eine latente Szenerie. Dass sie sich akustisch so plastisch erfahren lassen, spricht für die bei aller Konzentration auf Grenzregionen reich gefächerte Musik.

GERHARD R. KOCH

Carola Bauckholt, "hellhörig". Sylvia Nopper, Truike van der Poel, Matthias Horn, Helena Bugallo, Cellotrio blu, Schlagquartett Köln, Erik Ona. Coviello COV 61009 (Note 1)

Carola Bauckholt, Instinkt, Kugel, Geräuschtöne, Nein allein, Cellotrio, Schraubdichtung. Schola Heidelberg, Cellotrio blu, Thürmchen Ensemble, Walter Nußbaum. Coviello COV 60916 (Note 1)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr