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Der Abschluss der großen Homo-Sacer-Reihe - der bedeutendste lebende Philosoph Giorgio Agamben legt den letzten Band seines Lebenswerkes in einer gegenüber der italienischen Originalfassung erweiterten Ausgabe vor.
»Mehr als ein Mal hat Agamben Giacomettis Behauptung zitiert, dass man ein Werk niemals beenden könne, sondern nur aufgeben. Wenn das Homo-Sacer-Projekt nun aufgegeben wird, dann im Sinne Giacomettis: mit Meisterschaft.« Adam Kotsko, Boston Review
Giorgio Agambens »Homo Sacer« ist eines der wegweisenden Werke der politischen Philosophie der letzten Jahrzehnte, in dem er mit
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Produktbeschreibung
Der Abschluss der großen Homo-Sacer-Reihe - der bedeutendste lebende Philosoph Giorgio Agamben legt den letzten Band seines Lebenswerkes in einer gegenüber der italienischen Originalfassung erweiterten Ausgabe vor.

»Mehr als ein Mal hat Agamben Giacomettis Behauptung zitiert, dass man ein Werk niemals beenden könne, sondern nur aufgeben. Wenn das Homo-Sacer-Projekt nun aufgegeben wird, dann im Sinne Giacomettis: mit Meisterschaft.«
Adam Kotsko, Boston Review

Giorgio Agambens »Homo Sacer« ist eines der wegweisenden Werke der politischen Philosophie der letzten Jahrzehnte, in dem er mit überwältigendem Ehrgeiz die tiefsten Grundlagen des westlichen politischen Denkens untersucht. Mit dem neunten und letzten Band in dieser Reihe reflektiert Agamben die Herausforderungen und Auswirkungen seines Werkes und beschreitet gleichzeitig neue Wege. Dabei nutzt er Aristoteles' Diskussion über Sklaverei als Ausgangspunkt für ein radikales Umdenken des Selbst, er forderteine vollständige Überarbeitung der westlichen Ontologie und untersucht das Konzept der »Lebensform«, das in vielerlei Hinsicht die treibende Kraft hinter dem gesamten Homo-Sacer-Projekt ist. Ein wahres Meisterwerk eines der größten lebenden Philosophen.
Autorenporträt
Giorgio Agamben, geboren 1942, lehrt heute als Professor für Ästhetik an der Facoltà di Design e Arti der Universität Iuav in Venedig, an der European Graduate School in Saas-Fee sowie am Collège International de Philosophie in Paris. Sein Werk ist in zahlreiche Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag sind zuletzt erschienen ¿Nacktheiten¿ (2010), ¿Höchste Armut. Ordensregeln und Lebensform¿ (2012), ¿Das unsagbare Mädchen. Mythos und Mysterium der Kore¿ (2012, gemeinsam mit Monica Ferrando), ¿Opus dei. Archäologie des Amts¿ (2013), ¿Die Macht des Denkens¿ (2013), ¿Stasis. Der Bürgerkrieg als Paradigmä (2016) sowie ¿Die Erzählung und das Feuer¿ (2017). Andreas Hiepko, geboren 1963 in Berlin, hat Germanistik und Hispanistik in Berlin und Barcelona studiert und arbeitet als Philologe und Übersetzer. Er lebt in Berlin. Michael von Killisch-Horn, 1954 in Bremen geboren, studierte Romanistik, Germanistik und Deutsch als Fremdsprache. Er lebt als freier Übersetzer aus dem Französischen und Italienischen in München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Thomas Palzer empfiehlt das neue Buch von Giorgio Agamben, auch wenn es für Kenner nicht unbedingt Neues enthält. Den Wegen Agamben'schen Denkens zu folgen, einer Methodik, in der laut Palzer Historie und Philologie die Metaphysik ersetzen, scheint dem Rezensenten Anreiz genug. Wie Agamben der Frage folgt, wie das Leben seine Lebendigkeit verlieren konnte, wie er dazu bis zu Aristoteles, zu den Ursprüngen abendländischen Denkens und zur Sklaverei zurückgeht, findet Palzer lesenswert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2020

Um zuletzt bei sich zu wohnen
Philosophische Entsorgungsarbeit: Der letzte Band von Giorgio Agambens "Homo sacer"-Projekt ist erschienen

Giorgio Agamben, der wirkmächtigste italienische Philosoph der Gegenwart, hat in den letzten Jahren einiges dafür getan, seine Reputation zu beschädigen. Erst forderte er im Anschluss an eine alte Idee Alexandre Kojèves, in Europa so etwas wie ein "lateinisches Imperium" zu errichten, um das "kulturelle Erbe" der Franzosen, Italiener und Spanier gegen die Deutschen zu verteidigen. In diesem Frühjahr behauptete er dann, die westlichen Staaten nutzten die "Erfindung einer Epidemie" als "Vorwand", um den "Ausnahmezustand" auszurufen und ihre Macht auszuweiten.

Dass manche Philosophen auf dem Feld der Politik total verpeilt agieren, ist nicht erfreulich, aber auch nicht neu. Agambens Ruf mag das schaden, er denkt jedenfalls gänzlich ungeniert. Das aber ist gut so. Denn in der Philosophie kommt es nicht auf den guten Ruf an, sondern auf gute Gedanken, und sie haben - wie die freie Rede - oft etwas Ungeniertes, Unverschämtes, Anstößiges.

Diese Gedanken finden sich in dem Werk "Homo sacer", das nicht nur aus einem einzelnen berühmten Buch dieses Titels aus dem Jahr 1995, sondern inzwischen aus neun Einzelbänden besteht. Der abschließende Band ist unter dem Titel "Der Gebrauch der Körper" gerade auf Deutsch erschienen. Zwar wird die Zugehörigkeit zum "Homo sacer"-Projekt in der deutschen Ausgabe unter den Teppich gekehrt, doch bietet dieses Buch Anlass zu einer Bilanz des Gesamtwerks.

Agamben ist ein Autor, der ein Leitmotiv in immer neuen Variationen durchspielt. Dieses Leitmotiv ist eben der "Homo sacer", jene obskure Randfigur des römischen Rechts, die aus allen juristischen Zusammenhängen herausfällt, straflos getötet werden darf und auf ihr "nacktes Leben" reduziert ist. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Figur schon in alter Zeit keine große Rolle spielte, erblickt Agamben in ihr den Schlüssel, der die Tür ins geheime Zentrum oder, wie er gerne formuliert, ins "Arkanum" des Abendlandes öffnet. An dieser Figur komme nämlich die Spannung zwischen Gesetz und Leben zum Austrag, von der unsere ganze Geschichte beherrscht sei. Damit ist auch klar, zu welchen Disziplinen Agamben vor allem einen Beitrag leisten will: zur Theorie der Politik, die mit Gesetzen befasst ist, und zur Anthropologie, die mit dem Leben befasst ist - jenem "Leben", worin, wie er mit Aristoteles sagt, das "Sein" des Menschen besteht.

Gesetze und Rechte liegen im Revier der Vernunft, sie sind erdacht von Menschen, die Entscheidungen fällen, Verantwortung tragen, am Werk sind oder - wie dies im Griechischen heißt - ihre energeia entfalten. Auf der politischen Ebene werden dort Grenzen gezogen, wo der Geltungsbereich der Gesetze endet. Dahinter befinden sich all diejenigen, die nichts zu melden haben - und dies waren oder sind neben dem Homo sacer zum Beispiel Frauen, Sklaven, Fremdlinge. Auf der anthropologischen Ebene kommt man gleichfalls an eine Grenze - nämlich dort, wo man auf das Untergeschoss des bewussten, vernünftigen Lebens stößt: auf das Körperliche, Tierische im Menschen.

Ein schlicht-schrecklicher Befund

Politik und Anthropologie des Abendlandes basieren demnach gleichermaßen auf Ausgrenzung. Die Reduktion von Menschen auf rechtloses, nacktes Leben im Konzentrationslager ist nach Agamben der extremste Fall dieser Ausgrenzung, die seit Jahrtausenden gang und gäbe ist. Deshalb hält er das "Lager" für das "Paradigma des politischen Raums" des Abendlandes und der Moderne schlechthin. Die Politik der Menschenrechte taugt nach Agamben nicht als Antithese zum "Lager", sie wird vielmehr aus genau der gleichen giftigen Quelle gespeist wie dieses: Immer werden Grenzen gezogen - mal zwischen Deutschen und Juden, mal zwischen Bürgern als Rechtssubjekten und rechtlosen Fremden.

Natürlich ist Agamben mit diesem Rundumschlag auf heftigen Widerspruch gestoßen. Und doch kann man verstehen, warum er mit seinem schlicht-schrecklichen Befund zu einem wirkmächtigen Autor wurde: Knapper ist Fundamentalkritik nicht zu haben, alle können sich von ihr angesprochen fühlen, wenn sie nur mit der Welt oder sich selbst, mit fremden Mächten oder dem eigenen Körper hadern. Agamben hegt aber den Anspruch, seine Deutungshoheit nicht nur als Berichterstatter der Katastrophe, sondern auch als Wahrsager einer "kommenden Politik" und eines "neuen Lebens" unter Beweis zu stellen. "Der Gebrauch der Körper" soll diesen Anspruch einlösen.

In einem Gespräch mit dieser Zeitung (F.A.Z. vom 24. Mai 2013) hat Agamben einmal betont, die europäische Identität oder "Lebensform" bestehe in nichts anderem als im Umgang mit der "Vergangenheit". Wenn das, was kommt, dem, was war, entspringen soll, dann darf die Geschichte nicht nur aus der auf das nackte Leben zielenden Biopolitik und Selbstdisziplinierung bestehen. Dann muss sich in ihr ein Nadelöhr öffnen, durch das ein roter Faden zu besseren Zeiten führt.

Schon in den ersten "Homo sacer"Band von 1995 baute Agamben solch ein Nadelöhr ein, aber es war sehr eng. "Man muss", so schrieb er damals, "aus dem nackten Leben selbst den Ort machen, am dem sich eine gänzlich in nacktes Leben umgesetzte Lebensform herausbildet" ("una forma di vita tutta versata nella nuda vita"). Diese gruselige Neuauflage der Marx'schen Verelendungstheorie klang fast so, als sei das Lager die beste und einzige Schule des (nackten) Lebens. In "Der Gebrauch der Körper" schlägt Agamben nun einen anderen Ton an: "Wir verstehen unter Lebens-Form ein Leben, in dem es so etwas wie ein nacktes Leben gar nicht gibt." Wenn die "biopolitische Maschine", die zwischen dem "nackten Leben" und dem rationalen Subjekt unterscheidet, "deaktiviert" ist, soll neues Leben möglich werden.

Politik nur jenseits des Staates

Agamben gönnt sich und seinen Lesern in diesem Buch heitere Momente. Die Rede ist von einer "Glückseligkeit", die nicht im bewussten Ausführen tugendhafter Werke besteht, sondern dem Gegensatz von Humanität und Animalität entkommt und "das Herz schlagen, die Lungen atmen und den Geist denken lässt". Agamben wagt mit Plotin die Umdeutung des Exils in eine Ankunft des "Einzelnen bei einem Einzelnen". Er erlaubt sich mit Spinoza die Rede von "Selbstzufriedenheit". Er feiert mit Marsilius von Padua und Friedrich Hölderlin die Fähigkeit, sich selbst zu "bewohnen", "mit sich zu wohnen" oder "mit sich auszukommen". Die titelgebende Formel vom "Gebrauch der Körper" soll letztlich für eine Lebensweise stehen, in der man sich "verlieren und vergessen" kann, bei der man in der Ausübung seiner Fähigkeiten, im Umgang mit "Brauchbarem" aufgeht. Die Herkunft dieser Formel hat es in sich: Sie entstammt Aristoteles' Definition der Sklaverei: Während das "Werk" (ergon) des freien Menschen darin bestehe, eigenständig "gemäß dem logos tätig" zu sein, erschöpfe sich das "Werk" des Sklaven darin, dass sein "Körper" in "Gebrauch" genommen werde.

Was Agamben zur Sklaverei sagt, zeugt zum Teil von eklatanter Ignoranz. So behauptet er, der Forschung sei bislang "der Zusammenhang von Sklaverei und sexuellen Beziehungen entgangen". (Orlando Pattersons einschlägige Bücher "Slavery and Social Death" und "Freedom in the Making of the Western World" erschienen 1982 und 1991.) Jedenfalls sagt Agamben zur Sklaverei nicht das Erwartbare. Er interessiert sich überhaupt nicht für die Befreiung zum "bewussten politischen Subjekt" - und zwar deshalb nicht, weil er damit den Dualismus zwischen Sklave und Bürger befestigen würde, den er insgesamt demontieren will. Nicht an der Sklaverei, wohl aber am "Gebrauch des Körpers" will er festhalten, denn darin sieht er die Chance, die "Lebens-Form" an die Leiblichkeit zu binden. So führt ihn der Weg von der antiken Theorie des Gebrauchs zu Heidegger, dessen Rede vom "Gebrauch" des "Zuhandenen" Agamben feiert, dessen Theorie der "Sorge" des Daseins, dem es um sich selbst geht, ihm aber als subjektiver Irrweg erscheint.

Wenn man einen Schritt zurücktritt, dann wirkt Agambens Philosophie wie ein Entsorgungsunternehmen, das großflächig abräumt und sicherstellt, dass die Menschheit am Ende fast mit leeren Händen dasteht. Entsorgt werden neben dem "freien Subjekt": Produktivität, Kreativität, Besitz aller Art, politische Repräsentation und theatrales Rollenspiel. Leben soll nur in einer "Zone der Verantwortungslosigkeit" genießbar, Politik nur "jenseits des Staates" gutzuheißen sein. Agambens Fundamentalkritik an allem und jedem führt am Ende dazu, dass das von ihm avisierte "neue Leben" oder "wahre menschliche Leben" eine Karikatur bleibt. Es soll in der Absage an äußere Aufgaben, in der Bereitschaft zur "Werklosigkeit" bestehen, und in diesem Zustand hat der Mensch nach Agamben vor allem eines zu tun: Er pflegt den "Gebrauch seiner selbst", indem er "denkt".

Das ist allerdings kurios: Das neunbändige Werk über den "Homo sacer" gipfelt in der Empfehlung, möglichst so zu sein und zu leben wie - Giorgio Agamben selbst. Dass er dieses "Denken" ernsthaft als Gegenkraft zum "Kapitalismus" und zur "staatlichen Souveränität" feiert, wirkt nicht furcht-, sondern eher mitleiderregend. Ein Autor, der auf einzigartige Weise steile Thesen mit subtilen Interpretationen zu verbinden versteht, verkriecht sich am Ende in ein "Exil" des "Einzelnen bei einem Einzelnen", in einen Bau, in dem er sich mit eigenen Gedanken so eng einschnürt, dass er sich nicht mehr rühren und bewegen kann. In "Der Gebrauch der Körper" heißt es, Heideggers Denken sei "grandios, aber gewiss misslungen". Das gilt jedenfalls für dieses Buch selbst.

DIETER THOMÄ

Giorgio Agamben:

"Der Gebrauch der Körper". Aus dem Italienischen von Andreas Hiepko und Michael von Killisch-Horn.

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2020. 478 S., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Der Gebrauch der Körper" ist ein Buch [...], das die Philosophie des Italieners zuweilen überraschend variiert, vielleicht um eine Art Anthropologie erweitert. Thomas Palzer Deutschlandfunk/Büchermarkt 20200913