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Ist die Welt der Lohnarbeit eine seelenlose Maschine und sind Angestellte nur Rädchen im Getriebe des Systems?
Anhand empirischer Fallstudien analysiert Lisa Herzog die Natur von Organisationen aus einer normativen Perspektive: ihren regelgebundenen Charakter, die Art, mit geteiltem Wissen umzugehen, Organisationskulturen und ihre Beziehung zur Moral. Sie untersucht, wie individuelles Handeln und Organisationsstrukturen ineinandergreifen müssten, um moralische Fallgruben zu vermeiden, und entwickelt die Idee eines "transformativen Handelns" - eine kritische, kreative Art, sich auf die…mehr

Produktbeschreibung
Ist die Welt der Lohnarbeit eine seelenlose Maschine und sind Angestellte nur Rädchen im Getriebe des Systems?

Anhand empirischer Fallstudien analysiert Lisa Herzog die Natur von Organisationen aus einer normativen Perspektive: ihren regelgebundenen Charakter, die Art, mit geteiltem Wissen umzugehen, Organisationskulturen und ihre Beziehung zur Moral. Sie untersucht, wie individuelles Handeln und Organisationsstrukturen ineinandergreifen müssten, um moralische Fallgruben zu vermeiden, und entwickelt die Idee eines "transformativen Handelns" - eine kritische, kreative Art, sich auf die eigene Rolle in einer Organisation einzulassen und dabei grundlegenden moralischen Normen verpflichtet zu bleiben.

Weiter geht es um politische und institutionelle Veränderungen, die nötig wären, um Organisationen in eine gerechte Gesellschaft einzubetten. Ob wir uns dem "System" unterwerfen oder versuchen, es zurückzuerobern, ist eine Frage von größter politischer Wichtigkeit in unserer globalisierten Welt.
Autorenporträt
Lisa Herzog lehrte Political Philosophy and Theory an der Hochschule für Politik München und ist seit 2019 Professorin an der Philosophischen Fakultät und dem Center for Philosophy, Politics and Economics der Universität Groningen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Ideengeschichte des politischen und wirtschaftlichen Denkens, die normative Bewertung von (Finanz-)Märkten sowie Fragen der Ethik in Organisationen. Von 2007-2011 war sie Rhodes Scholar an der University of Oxford, 2019 wurde sie mit dem Tractatus-Preis sowie dem Deutschen Preis für Philosophie und Sozialethik ausgezeichnet, 2021 erhielt sie den Hans-Böckler-Preis der Stadt Köln und 2022 den Schader-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2021

Kriminelle Gangs haben auch ihr Egalitätsideal
Ein Katalog muss sein: Lisa Herzog erstellt Empfehlungen, um die Wahrscheinlichkeit für moralisches Handeln in Organisationen zu erhöhen

Moral spielt in den Diskursen von Organisationen eine immer wichtigere Rolle. Ministerien bekennen sich in ihren Selbstdarstellungen zur Nachhaltigkeit, Verwaltungen propagieren Diversität als einen zentralen Wert ihrer Personalpolitik, Unternehmen propagieren - ganz im Sinne des Diskurses über neue Organisationsformen -, dass sie der Arbeit ihrer Mitarbeiter einen Sinn geben wollen.

Die Arbeit der Philosophin Lisa Herzog über die moralische Verantwortung von Organisationen versucht diesen häufig recht freihändig geführten Diskurs von Praktikern moralphilosophisch zu unterfüttern. Ihre Methode besteht darin, eher allgemein gehaltene Beschreibungen organisationaler Phänomene mit moralphilosophischen Überlegungen zu konfrontieren und dabei immer wieder Schilderungen aus Interviews mit Mitgliedern verschiedener Organisation einfließen zu lassen.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Organisationen so verwandelt werden können, dass die "individuelle Fähigkeit" ihrer Mitglieder zum "moralischen Handeln unterstützt statt untergraben" und ein Klima geschaffen wird, in dem "gravierende moralische Fehler" vermieden werden können. Angesichts dieses Zuschnitts ist der zentrale Knackpunkt, wer denn bestimmen darf, was moralisches und was amoralisches Handeln in Organisationen ist - die einzelnen Mitglieder einer Organisation, die Organisationsspitzen als Gesamtverantwortliche, die sich als Zivilgesellschaft präsentierenden Interessengruppen außerhalb der Organisation oder vielleicht sogar die Moralphilosophen selbst?

Die Frage der Moral an das einzelne Organisationsmitglied zu überweisen, ist schwierig, weil hier mit Verweis auf die Moral unterschiedliche Vorgehensweisen favorisiert werden können. Wir kennen aus Polizeien und Armeen die Diskussion unter Organisationsmitgliedern, ob man Folter androhen darf, um Entführungsopfer zu retten oder Anschläge zu verhindern. Man kann hier unterschiedlicher Meinung sein, aber es wäre schwer zu argumentieren, dass das eine Organisationsmitglied moralischer handelt als das andere - schließlich können alle ihre Haltung mit Verweis auf ihre Moral begründen.

Der Spitze der Organisation die Bestimmung einer Moral zu überlassen ist ähnlich problematisch. Wir wissen aus der historischen Forschung, dass in der SS in den Jahren der Weimarer Republik wie des NS-Staats eine ausgeprägte Organisationsmoral vertreten wurde. Diese mag allem widersprechen, was in demokratischen Staaten als moralisches Handeln verstanden wird. Aber es bleiben keine Zweifel, dass innerhalb der SS die eigenen Handlungen in einem starken Maße durch eine eigene Moral begründet wurden.

Alternativ ließen sich als Instanzen für den moralischen Kompass noch Akteure außerhalb der Organisationen bestimmen. Der auch unter Moralphilosophen offenbar beliebte Begriff der Zivilgesellschaft kaschiert jedoch, dass diese keine eindeutige Absenderanschrift hat. Letztlich steht es jeder Person frei, im Namen der Zivilgesellschaft zu sprechen. Ergebnis ist deswegen eine hohe Widersprüchlichkeit in den mit Verweis auf die Zivilgesellschaft gerechtfertigten Positionen.

Bleibt als Instanz für die Bestimmung einer Moral von Organisationen nur noch die Moralphilosophie selbst übrig. Ihre Aufgabe wäre es, die "in Organisationen arbeitenden Menschen mit einer starken Überzeugung auszustatten, für grundlegende moralische Normen einzutreten". Ganz in diesem Sinne unterbreitet die Autorin in ihrem Buch dann auch einen eigenen Moralkatalog, an den sich Organisationen halten sollten. Zentrale Normen sollten demnach der "Respekt gegenüber allen Individuen" sein, "denen ein Recht zukommt, als moralisch Gleiche behandelt zu werden" und die "Vermeidung eines durch das eigene Handeln verursachten Schadens bei Dritten".

Aber welche Orientierungspunkte bietet - so kann man fragen - ein solch abstrakt formulierter Katalog? Es besteht unter Forschern kein Zweifel daran, dass durch die Feinstaubbelastung, die der individuelle motorisierte Personenverkehrs verursacht, Zehntausende Menschen erkranken und vielfach vorzeitig sterben. Jede Person, die ein Auto fährt oder entwickelt oder bei seiner Herstellung beteiligt ist - egal ob mit Verbrennungsmotor oder E-Motor - verursacht also zweifellos Schäden bei Dritten. Aber macht dies ihr Verhalten unmoralisch? Schließlich kann man es mit sehr guten - auch leicht moralisch zu adelnden - Gründen als angebracht empfinden, Menschen bei ihren individuellen Mobilitätsbedürfnissen zu unterstützen, auch wenn dies zwangsläufig zu ungewollten Nebenfolgen bei anderen führt. Moralisch aufgeladene Werte klingen in ihrer Abstraktheit immer überzeugend, geraten aber, wenn sie operationalisiert werden, zwangsläufig mit anderen, ähnlich wohlklingenden Werten in Konflikt.

So werden dann auch all die allgemeinen Empfehlungen für Organisationsstrukturen problematisch, mit denen die Wahrscheinlichkeit für moralisches Handeln in Organisationen erhöht werden soll. Die Autorin propagiert die Vorstellung, dass die Verringerung der "Machtunterschiede in Organisationen" dazu führt, dass Missbrauchsmöglichkeiten reduziert werden. Das widerspricht aber der Forschung, die zeigt, dass häufig auch gerade am Egalitätsideal orientierte Gebilde wie Terrorgruppen, religiöse Sekten und kriminelle Gangs nicht nur zu zweifellos moralisch fragwürdigem Verhalten in der Lage sind, sondern es auch unter ihren Mitgliedern, gerade wegen der fehlenden Hierarchie, oft zu brutalen Auseinandersetzungen kommt. Gerade unter Gesichtspunkten der Verantwortungszurechnung für moralisch problematisches oder gar gesetzlich verbotenes Verhalten in Organisationen - und zur Reduzierung von Machtkämpfen unter Mitgliedern - gibt es kaum ein geeigneteres Instrument als die Hierarchie.

Statt sich als Moralphilosophin mit einem eigenen Moralkatalog in die Diskussion zu wagen, könnte es lohnenswert sein zu prüfen, ob nicht vielleicht gerade der Verzicht auf einen solchen Katalog moralphilosophisch geboten ist. Gerade der Blick auf Organisationen, die sich mit Verweis auf höhere Werte einer eigenen starken Moral verpflichtet haben, zeigt, dass gut gemeintes Handeln häufig unter moralischen Gesichtspunkten verheerende Effekte hat. STEFAN KÜHL

Lisa Herzog: "Das System zurückerobern". Moralische Verantwortung, Arbeitsteilung und die Rolle von Organisationen in der Gesellschaft.

WBG/Academic Verlag, Darmstadt 2021. 424 S., geb., 74,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Stefan Kühl hat Zweifel an den Vorschlägen der Philosophin Lisa Herzog und ihren moralphilosophischen Überlegungen für moralisches Handeln in Organisationen. Dass es problematisch ist, Organisationsmitgliedern die moralische Deutungshoheit zu überlassen, weiß Kühl. Ob die Moralphilosophie selbst aber deshalb als bestimmende Instanz taugt, wie die Autorin suggeriert, möchte er bezweifeln. Nach welchen Orientierungspunkten richtet sich ein solcher moralischer Katalog?, fragt er sich. Wenn die Autorin schreibt, dass die Verringerung von Machtunterschieden in Organisationen Machtmissbrauch verringert, verweist Kühl auf eine anderslautende Forschung und auf die Vorteile einer Hierarchie.

© Perlentaucher Medien GmbH
»In her excellent treatise, Lisa Herzog argues for a comprehensive and original conception of an ethics of and within institutions. A much-needed, methodologically innovative contribution to a topic we need to think more about if we want to understand the complexities of our social life.« Rainer Forst, Goethe University Frankfurt »Lisa Herzog's work reflects a closer engagement with empirical literature on human behaviour and organizational theory than is found in any other leading ethical theory. Moreover, the integration she proposes is original, her discussions are rich and subtle, and her policy discussion is highly nuanced . . . this is an important work that makes a real contribution to our understanding of the ethical dimensions of organizations.« Debra Satz, Standford University »This groundbreaking study is the rare case of a work of philosophy, in which central claims are developed by drawing directly on either own empirical material or relevant empirical scholarship. With the courage to synthesize far-ranging topics, using a high degree of sociological imagination, and with analytically trained argumentative skills, Lisa Herzog opens up an unjustly neglected area of moral or social philosophy.« Axel Honneth, Columbia University