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Der ärmliche Laborant Svein Jarvoll, zugleich Autor und Protagonist dieses Traktats, ist ins Victorian Writers' Centre nach Melbourne eingeladen, um vor einem spärlichen Publikum über sein Lieblingsthema, die Labyrinthologie, zu sprechen. Als Weithergereister aus einer erdachten Antike, in der Disziplinen wie die Mathematik, die Archäologie, die Philologie oder die Thanatologie als Stoffreservoirs dienen, führen Jarvoll seine Darlegungen nicht nur in die harschen nordnorwegischen Schneelandschaften und in die flimmernde Wüstenlandschaft Australiens oder auf die Spuren des Dichters Konstantinos…mehr

Produktbeschreibung
Der ärmliche Laborant Svein Jarvoll, zugleich Autor und Protagonist dieses Traktats, ist ins Victorian Writers' Centre nach Melbourne eingeladen, um vor einem spärlichen Publikum über sein Lieblingsthema, die Labyrinthologie, zu sprechen. Als Weithergereister aus einer erdachten Antike, in der Disziplinen wie die Mathematik, die Archäologie, die Philologie oder die Thanatologie als Stoffreservoirs dienen, führen Jarvoll seine Darlegungen nicht nur in die harschen nordnorwegischen Schneelandschaften und in die flimmernde Wüstenlandschaft Australiens oder auf die Spuren des Dichters Konstantinos Kavafis, sondern auch durch seinen persönlichen Irrgarten, der sich als das älteste Labyrinth der Welt entpuppt. Oft reicht ihm ein einziges Wort aus, um auf weitverästelten etymologische Spekulationen literaturtheoretische Erwägungen über das Wesen seiner eigenen Machwerke oder seiner Reisen anzustellen.Bei seinem Zickzacklauf durch die verschlungenen Gänge der literarischen Gattungen entwirft Svein Jarvoll eine Systemdichtung, wie sie die skandinavische Literatur seit Inger Christensens alphabet nicht mehr gesehen hat.
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Autorenporträt
Jarvoll, SveinSvein Jarvoll, 1946 in Lurøy geboren, wuchs in Oslo auf. 1984 debütierte er mit dem Gedichtband Thanatos. Et polyfont dikt om døden (Thanatos. Ein polyphones Gedicht über den Tod), dem sechs weitere Bücher folgten, darunter Melbourne-forelesningene (Die Melbourne-Vorlesungen, 1995) sowie die 2001 mit dem Dobloug-Preis ausgezeichnete Essaysammlung Et hvilket som helst glass vann (Ein beliebiges Glas Wasser). Jarvoll übersetzt aus dem Altgriechischen, dem Dänischen und dem Englischen (u. a. Archilochos, Sappho, Adam Thorpe und Peer Hultberg) und lebt in Oslo.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2021

Das Latschen
hat System
Was bleibt vom
postmodernen Schreiben?
Während die Mode der Neunzigerjahre seit einiger Zeit ein Revival erlebt, lässt sich das für die literarische Postmoderne eher nicht behaupten. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, sind die autofiktionalen Memoir-Experimente der letzten Jahre ohne formalen Innovationen von einst nicht denkbar. Was bleibt also heute noch von diesem Schreiben?
Diese Frage lässt sich probeweise auch an das Werk des norwegischen Lyrikers, Romanschriftstellers, Essayisten und Übersetzers Svein Jarvoll stellen. Neben den Übersetzungen, unter anderem von Sappho und Antilochos, ist Jarvolls Werk relativ schmal: Er debütierte 1984 mit dem Langgedicht „Thanatos. Ein polyphones Gedicht über den Tod“, vier Jahre später erschient sein einziger Roman „Eine Australienreise“, der ihn (zumindest in Norwegen) berühmt machte und dort die literarische Postmoderne einläutete: Der experimentelle Text besteht aus zwei aufeinander zulaufenden, aber eher lose miteinander verbundenen Teilen, die auf fragmentarische Weise von allem Möglichen erzählen.
Nachdem im letzten Jahr bereits „Eine Australienreise“ und „Thanatos“ in der Übersetzung von Matthias Friedrich bei Urs Engeler erschienen, liegen nun auch Jarvolls „Melbourne-Vorlesungen“ zum ersten Mal auf Deutsch vor. Darin geht es um einen Schriftsteller, der den Namen des Autors trägt, in Nordnorwegen lebt, und in Melbourne zwei Vorträge über sein Spezialthema halten soll: die Labyrinthologie. Doch die „Melbourne Vorlesungen“ sind weder eine Poetikvorlesung noch ein Reisebericht. Zwar reist der Vortragende nach Alexandria, um auf den Spuren des griechischen Lyrikers Konstantionos Kavafis zu wandeln, doch die abschweifige Faszination für Abseitiges, Nebensächliches, Obskures verhindert den Fortgang der Reise und den der Erzählung. Jarvoll selbst bezeichnet die Essaysammlung „Die Melbourne-Vorlesungen“ im Vorwort als „disformal“ und sich selbst als „ärmlichen Laboranten“, der „in wiederholten Verwirrungen und verwirrten Wiederholungen um seine eigenen Labyrinthe herumlatschte“.
Das Latschende hat System, die „Bibliotheksratte Jarvoll“ kommt nicht weit und möchte das auch gar nicht: er sinniert viel lieber über das „Mysterium der Schrift“, über die Wirkung von rhetorischen Figuren und erinnert sich in einer der schönsten Passagen des Buchs an sein autodidaktisches Griechischstudium: Während des Schichtdienstes in einer Schokoladenfabrik büffelt der Hilfsarbeiter Jarvoll Grammatik und wird seit dem die Assoziation von Homer und Zartbitterschokolade nicht mehr los, für immer ist „das Griechische verbunden mit dem Geruch von Schokolade, halb süß, halb bitter, sodass jede Süße einen Schatten Bitterkeit besitzt, bittersüß ist ein Januswort, die Härte und Bitterkeit der Kakaobohne, die orchestrale Süße eines Geleetrüffels, sie schmilzt im Mund, bis der Mund ganz schmilzt.“
Das Labyrinthische ist nicht nur Jarvolls Thema, sondern auch formales Programm: Immer enger scheinen die Wege und Abzweigungen seiner Gedankengänge mit der Zeit zu werden, immer umwegiger und abseitiger – es dauert anfangs ein wenig, bis man sich einen provisorischen Überblick geschaffen hat, um nach ein paar Seiten wieder an einer Kreuzung verschiedenster Themen zu stehen. Die manchmal arg scholastische anmutende Trockenheit von Jarvolls Windungen und Wendungen wirkt in der brillanten Übersetzung von Matthias Friedrich fast spielerisch und frisch, ohne dass die ausgestellte Schwierigkeit des Originals versteckt oder geglättet würde. Besonders deutlich wird das anhand von Jarvolls akrobatischen Beschreibungsexzessen, die in Friedrichs Übersetzung eine ganz eigene Strahlkraft entwickeln: „Die pissgelben Eisbuckel, mit denen die Bergvorsprünge gepanzert waren, sonderten unter sengender Sonne eine ölige Glätte ab, der eine oder andere hochtönende Tropfen fiel unter die irisierten Eiszapfenorgelpfeifen, die in schweren Trauben vor den Felshöhlen hingen, im winterfalben Gras schmolz der schluffige Trampelspurenschnee zu Elefantenspuren, und quickes Wasser – funkelnd, rinnend, rieselnd, siehend, schlängelnd – flocht über der ganzen Bergseite, von den sichtbaren, aber nicht einzeln hörbaren Bachstummeln am obersten Punkt auf dem Rand des Talgrundes seine hellen Fäden zusammen, am Talgrund, wo das dunkle, breite Band des Flusses Bardu, von allem merkwürdig unberührt, auf festem Kurs dem Meer entgegensegelte.“
Allein für die Schönheit solcher Ausblicke lohnt es sich, Jarvolls Intertextualitätsgebirge zu durchqueren, etwas verpeilt durch die Labyrinthe zu wandern – mit Plateauschuhen und Trainingsjacke kommt man aber nicht weit, festes Schuhwerk ist sicherlich empfehlenswert.
WOLFGANG HOTTNER
„Die orchestrale Süße eines
Geleetrüffels, sie schmilzt im Mund,
bis der Mund ganz schmilzt.“
Svein Jarvoll: Die Melbourne-Vorlesungen.
40 Essays. Aus dem
Norwegischen von
Matthias Friedrich. Verlag Urs Engeler, Zürich 2021.
170 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Wolfgang Hottner empfiehlt feste Schuhe beim Folgen der Fährten des Norwegers Svein Jarvoll. Dessen labyrinthische Denk- und Schreibweise fordert dem Leser einiges ab, warnt er. Dass der Text weder Poetikvorlesung noch Reisebericht ist, sondern eher eine Lektion im Abschweifen, gefällt Hottner allerdings gut. Etwa, wenn der Autor sich erinnert, wie er als Hilfarbeiter in einer Schokoldadenfabrik griechische Grammatik paukte und wie das zu einer lebenslangen Verbindung von Homer und Zartbitterschokolade führte. Umwege sind hier nicht nur Thema, sondern auch Programm, meint Hottner. Hat sich der Leser darauf erst einmal eingestellt, so Hottner, wirkt der Text in Matthias Friedrichs "frischer" Übertragung geradezu schön.

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