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Kurz bevor sie ihren 17. Geburtstag feiern kann, kommt Mirjam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Ihrem Vater, Joop Koopman, ist es nicht vergönnt, sich seiner Trauer hinzugeben. Sein Freund Philip verwickelt ihn in einen Spionagefall für den israelischen Geheimdienst, seine Cousine Linda in ihre buddhistische Wiedergeburtstheorie. Tragödie, Politspionage und metaphysischer Thriller in einem Leon de Winters kühnster Roman.

Produktbeschreibung
Kurz bevor sie ihren 17. Geburtstag feiern kann, kommt Mirjam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Ihrem Vater, Joop Koopman, ist es nicht vergönnt, sich seiner Trauer hinzugeben. Sein Freund Philip verwickelt ihn in einen Spionagefall für den israelischen Geheimdienst, seine Cousine Linda in ihre buddhistische Wiedergeburtstheorie. Tragödie, Politspionage und metaphysischer Thriller in einem Leon de Winters kühnster Roman.
Autorenporträt
Leon de Winter, geboren 1954 in 's-Hertogenbosch als Sohn niederländischer Juden, arbeitet seit 1976 als freier Schriftsteller und Filmemacher und lebt in den Niederlanden. 2002 erhielt er den ¿Welt¿-Literaturpreis, 2006 die Buber-Rosenzweig-Medaille für seinen Kampf gegen Antisemitismus, und 2009 wurde er mit dem Literaturpreis der Provinz Brabant für Das Recht auf Rückkehr ausgezeichnet. Seine Romane wurden in 20 Sprachen übersetzt, zuletzt erschienen bei Diogenes ¿Ein gutes Herz¿ (2013) und ¿Geronimö (2016).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2003

Lesung
Trauern am Traumstrand von Malibu
Von Schuld und Schicksal,
Glaube und Angst:
Im Literaturhaus liest
Leon de Winter aus
seinem neuen Roman
Ausgerechnet Malibu. Santa Monica, Venice. Die Westküsten-Städte unweit des amerikanischen Highway One stehen für Sonne, Strand und Schönheitsoperationen. Warum nur hat Leon de Winter die Handlung seines neuen Romans dorthin, in die Nähe von Los Angeles verlegt? Die Antwort erschließt sich den Lesern von „Malibu” (Diogenes Verlag) schnell. De Winter blickt – mal wieder – hinter die Hochglanzfassade der Filmmetropole. Der niederländische Schriftsteller, 48, hat ein Buch über Trauer geschrieben, wie er selbst meint. Unter dem Himmel Kaliforniens gerät die Welt seiner Protagonisten aus den Fugen. Ein 17-jähriges Mädchen stirbt bei einem Verkehrsunfall, just in dem Moment, als ihr Vater, ein Drehbuchautor, vom israelischen Geheimdienst angeheuert wird. De Winter rekonstruiert die Verkettung der Umstände und entwirft einen Mix aus Spionage-Thriller, Drama und Filmbusiness-Satire.
Leon de Winter – der Perfektionist. Hinter jeder Figur, jeder Situation seiner Romane verbergen sich komplexe Geschichten. Nur wenige zeitgenössische Autoren verstehen es wie er, die großen, alten Themen Schuld und Schicksal, Glaube und Angst so unterhaltsam zu reflektieren. Und so anspruchsvoll. Man könnte de Winter als Steven Spielberg der Literaturszene bezeichnen, wären da nicht diverse kommerzielle Ausrutscher des Hollywood- Regisseurs. Der Schriftsteller hingegen, wie Spielberg jüdischen Glaubens, hält sein künstlerisches Niveau konstant aufrecht.
Es geht nicht um Geist oder Vergnügen, sondern um Geist und Vergnügen”, hat de Winter einmal gesagt, und nimmt dieses Credo spürbar ernst. Ob als Drehbuchautor, Schriftsteller oder Regisseur: Seine Arbeiten sind geprägt von einer unbändigen Erzähllust, starken Bildern und tiefen Einblicken in die menschliche Seele. Darüber hinaus mischt sich Leon de Winter ein. Er schreibt aktuelle Essays, politische Analysen und nutzt bisweilen auch Preisverleihungen, um etwa auf Gefahren bei der Einigung Europas aufmerksam zu machen. Von Malibu, Santa Monica oder Venice ist er in diesen Momenten weit entfernt.
Günter Keil
•Leon de Winter liest aus „Malibu”, Di., 18. Feb., 20 Uhr, Literaturhaus; Salvatorplatz 1, 29193427
Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter: Die erste Auszeichnung gab’s bereits mit 24 Jahren. Foto: teutopress/SZ-Archiv
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2003

Verzweiflung als Prophylaxe
Spannungsfunken sprühen, Leon de Winter hört den Urknall

Ohne Urknall, Kontinentaldrift und San-Andreas-Graben wäre das alles nicht passiert. Dann hätte es 1996 in Kalifornien kein Erdbeben gegeben. Ohne Erdbeben hätte der Transporter der Bäckerei in Marina del Rey kein Leck in der Ölwanne bekommen. Der Fitneßtrainer mit dem schicksalhaften Spitznamen "God" wäre nicht mit dem Motorrad auf der Ölspur weggerutscht, und seine Begleiterin Mirjam, Tochter des Hollywood-Drehbuchautors Joop Koopman, wäre nicht tödlich verunglückt.

In seinem Roman "Malibu" zieht Leon de Winter alle Register der Kausalforschung, um zunächst eine persönliche Tragödie, dann einen Politthriller auf der Höhe des Weltgeschehens in Gang zu setzen. George W. Bush, Saddam Hussein, ein arabischer Terrorist und ein israelischer Geheimdienstmann erhalten darin ihre Auftritte, denn auch deren hektisches Agieren ist eine unvermeidliche Folge des Urknalls. Für Joop Koopman aber, verstrickt in die unterschiedlichsten Interessen, die er nicht durchschaut, ist das alles uninteressant. Er trauert um seine über alles geliebte Tochter. Diese Emotionen - Liebe und Trauer - stehen im Mittelpunkt seines Universums, das nach Mirjams Tod zum Stillstand gekommen zu sein scheint. Nur "God", ein hünenhafter Schwarzer, drängt sich in seine Nähe und will von Stund an nur noch Joops Diener sein, um so seine Schuld zu tragen.

Joop Koopman, als Lohnschreiber der Filmindustrie mäßig erfolgreich, ist eine Art Alter ego des Autors. Er ist Jude, ohne religiös zu sein, ein Zweifler, der an nichts glaubt, was sich nicht auch wissenschaftlich beweisen ließe. Der Schicksalsschlag, den er zu erleiden hat, ist so unerträglich, weil er sinnlos ist. Auf der Suche nach einer Erklärung findet er nichts als die eigene Schuld: Am Morgen des Unfalls hatte Joop seine Tochter im Bad beobachtet, ihre Schönheit bewundert und sein sexuelles Begehren nur mühsam unterdrücken können. Mirjam wurde an diesem Tag siebzehn. Die Küsse, die gewechselt werden, sind so züchtig und verhalten, wie es sich zwischen Vater und Tochter gehört, doch die inzestuöse Bedrohung ist als Irritation spürbar, bevor Mirjam zum letzten Mal das Haus verläßt. Stunden später sitzt Joop im Krankenhaus neben ihrem Körper, der nur noch von Maschinen am Leben gehalten wird. In seiner Verstörung willigt er ein, ihr Herz für eine Transplantation freizugeben. Erst Wochen später beginnt er, über diese Entscheidung nachzudenken und sich zu fragen, ob er ein Recht dazu hatte. Nun will er herausbekommen, in welchem Körper das Herz seiner Tochter weiterschlägt. Ist nicht das Herz der Sitz der Seele? Kann es sein, daß mit dem Herzen auch Charaktereigenschaften transplantiert werden?

Joops Verunsicherung wächst, als seine Jugendliebe Linda plötzlich vor der Tür steht, was seinen Rationalismus auf eine weitere, ernste Probe stellt. Linda wird von einem buddhistischen Mönch begleitet, ist aber immer noch ziemlich sexy. Im Bett klappt es jedenfalls erneut hervorragend, auch wenn Lindas Reinkarnationsthesen nerven. Der Mönch nämlich behauptet, mit Erinnerungen von Joops in Auschwitz ermordetem Großvater ausgestattet zu sein, ja er sei der wiedergeborene Großvater höchstpersönlich. Am Ende stellt er sich allerdings als Betrüger heraus, Linda als seine Komplizin, und die reinkarnierten Erinnerungen zielen bloß auf den Zugang zu einem Nummernkonto in der Schweiz.

Leon de Winter scheint ein eher sentimentaler Mensch zu sein, hat er doch in einem Interview bekannt, die ersten hundert Seiten von "Malibu" weinend geschrieben zu haben. Er habe sich das Schlimmstmögliche vorgestellt, um es damit zu bannen, sagte er. Was beschrieben ist, ist bereits da, kann also nicht mehr geschehen. Denn dann wäre es nur noch eine banale Wiederholung, auf die sich das originalitätssüchtige Schicksal nicht einlassen würde. De Winter weiß, daß dies ein Aberglaube ist, aber er nutzt ihn für sich aus, weil er zum Schreiben führt. Das Schreiben wird so zu einem intimen Ritual, um mit dem Skandalon des Todes fertig zu werden. Es ist eine Art Gebet, eine Bitte um Verschonung aus prophylaktischer Verzweiflung. Gegen diese Lebenshaltung wäre nichts zu sagen, wenn sie privat bliebe. De Winter aber reduziert die ganze Weltpolitik auf ein Gefühl diffuser Bedrohung, wo jede Handlung beliebig, weil im kosmischen Rahmen unergründlich, erscheint. So ein tränenumflorter Blick trübt die Wahrnehmung.

Ein alter Schulfreund Joops taucht als Agent des Mossad bei ihm auf - ausgerechnet in der Todesstunde der Tochter. Er setzt Joop auf die Spur eines Marokkaners, der ein gefährlicher Terrorist sein soll. Joop freundet sich jedoch mit dem vermeintlichen Terroristen an, der ganz und gar unverdächtig erscheint. Er glaubt nach Terroristenart an Gott und die Vorsehung. Doch bleibt bis zum Schluß offen, ob der Verdacht, er plane etwas Schreckliches, mehr ist als staatliche Paranoia. Daß er ein paar Bücher über die Golden Gate Bridge im Kofferraum mit sich führt, scheint als konkreter Hinweis schließlich auch dem Autor zu genügen. Damit verliert de Winter schlagartig das Interesse an dieser Figur - als ob es ihm nur darum gegangen sei, den Verdacht am Leben zu halten. Und schon ein Verdacht begründet bekanntlich in der Ära Bush die Notwendigkeit politischen Handelns. De Winter gibt ihm Futter. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, liegen außerhalb seiner Sichtweite. George W. Bush übernimmt im Verlauf des Romangeschehens gerade erst das Präsidentenamt. Er betritt eine Welt voller versteckter Bedrohungen, und man kann nach der Lektüre von "Malibu" nur sagen: Gut, daß es ihn gibt.

Viel wird er allerdings nicht ausrichten, auch das ist klar. Ein Autor, der sein Buch mit einem Blick auf die Erde vom Weltraum aus vor dreihundert Millionen Jahren beginnt, macht es sich schwer, die Bedeutung einer kleinen, alltäglichen Geschichte zu begründen. Was ist schon ein Terrorist gegenüber der Kontinentaldrift? De Winter schlägt gerade aus dieser Diskrepanz seine Spannungsfunken. Er ist ein versierter Handwerker und weiß, wie sich Spannung und Sentimentalität erzeugen lassen. Viele Kapitel beginnen mit technischen Hinweisen auf Wetter und Höchsttemperatur des Tages, als ob sich gerade daraus Rückschlüsse auf den Fortgang der Geschichte ziehen ließen. Die Trauer des Vaters um die Tochter wird auch angesichts der grenzenlosen kosmischen Gleichgültigkeit nicht kleiner. Das Unergründliche leuchtet erst im Kontrast zu wissenschaftlicher Exaktheit. Und Zufall und Schicksal sind sowieso immer unlösbar aneinandergekettet. Das ist letztlich banal, aber immerhin flott erzählt.

JÖRG MAGENAU

Leon de Winter: "Malibu". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Hanni Ehlers. Diogenes Verlag, Zürich 2003. 418 S., geb., 22,90 [Euro].

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»Leon de Winter hat etwas zu erzählen, und er tut es so gut, daß man nicht genug davon bekommen kann.« Rolf Brockschmidt / Der Tagesspiegel Der Tagesspiegel