Jede dieser frühesten Geschichten von Truman Capote vermag zu überraschen, zeigen sie doch alle bereits die Handschrift des großen Stilisten. Denn seit Capote zehn war, wusste er, dass er Schriftsteller werden will, und während seiner Zeit an der Highschool schulte er sich täglich an seiner Schreibmaschine im Handwerk des Schreibens. All diese lebendigen und eigenwilligen Charaktere, die eindringlichen Bilder, die schnörkellos glänzende Sprache und die erzählerische Kraft lassen schon im jungen Truman Capote die ganz besondere Stimme des älteren Capote erkennen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.05.2017NEUE TASCHENBÜCHER
Auf dem Wege, ein Genie zu sein –
Truman Capotes erste Erzählungen
Schon der Knabe war vom „kleinen Dämon“ besessen. So hat Truman Capote das Schreiben als Sucht beschrieben, denn er wollte schon als Junge von acht, neun Jahren unbedingt Schriftsteller werden. Und er hat sich bereits in seinen frühen Jahren quasi selbst ausgebildet, seine Sprache trainiert, kritisiert, korrigiert wie ein seriöser Autor. Daher kommt es wohl, dass Capote 1948 nicht als Anfänger, sondern als fertiger Schriftsteller ins Rampenlicht trat. Doch lässt sich schon an jenen frühesten Erzählungen aus seiner Schulzeit, die der Band „Wo die Welt anfängt“ versammelt, mit Staunen feststellen, dass der Teenager nicht altklug, sondern so erfahrungsreich formuliert und klar erzählt, als sei da ein reifer Autor am Werk. Wie er beispielsweise in „Die Motte in der Flamme“ die Atmosphäre vom Unheimlichen ins Gefährliche umkippen lässt: Da liegt Em auf ihrer Eisenpritsche, friert, macht dann Feuer und spürt plötzlich, dass sie beobachtet wird. Oder er porträtiert in „Seelenverwandte“ zwei Frauen mit wenigen, präzisen Beobachtungen: „. . .ein Gesicht, das sich mit einer einzigen gebeutelten Miene zu begnügen schien“, so die eine und die andere „hatte ein großes grobes Gesicht, und ihre fast ganz ausgezupften Augenbrauen, waren so grotesk nachgezogen worden, dass sie aussah, als hätte man sie in flagranti ertappt.“ Es sind bittere, tragikomische, auch grausame Geschichten aus jenem Amerika vor der Bürgerrechtsbewegung, als es noch „Nigger“ hieß. Ein Klima von latenter Gewalttätigkeit, von Lieblosigkeit und Rohheit durchzieht diese Texte, ohne groß Aufhebens davon zu machen. Andrerseits gibt es verdeckte Liebesgeschichten, etwa wenn der kleine Teddy (Truman) sich in den Hund der schönen Dame verliebt. Doch das Objekt der Sehnsucht ist eigentlich die freundliche Schöne, die seine Mutter nicht war. Der ganz junge Capote erzählt nie naiv, sondern immer doppelbödig, perspektivenreich, ohne Um- und Abschweife knapp, so dass die Personen plastisch werden, lebensechte Realität gewinnen und nicht aus Papier rascheln. HARALD EGGEBRECHT
Truman Capote: Wo die Welt anfängt. Erzählungen. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Kein & Aber, Zürich 2017. 145 Seiten, 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Auf dem Wege, ein Genie zu sein –
Truman Capotes erste Erzählungen
Schon der Knabe war vom „kleinen Dämon“ besessen. So hat Truman Capote das Schreiben als Sucht beschrieben, denn er wollte schon als Junge von acht, neun Jahren unbedingt Schriftsteller werden. Und er hat sich bereits in seinen frühen Jahren quasi selbst ausgebildet, seine Sprache trainiert, kritisiert, korrigiert wie ein seriöser Autor. Daher kommt es wohl, dass Capote 1948 nicht als Anfänger, sondern als fertiger Schriftsteller ins Rampenlicht trat. Doch lässt sich schon an jenen frühesten Erzählungen aus seiner Schulzeit, die der Band „Wo die Welt anfängt“ versammelt, mit Staunen feststellen, dass der Teenager nicht altklug, sondern so erfahrungsreich formuliert und klar erzählt, als sei da ein reifer Autor am Werk. Wie er beispielsweise in „Die Motte in der Flamme“ die Atmosphäre vom Unheimlichen ins Gefährliche umkippen lässt: Da liegt Em auf ihrer Eisenpritsche, friert, macht dann Feuer und spürt plötzlich, dass sie beobachtet wird. Oder er porträtiert in „Seelenverwandte“ zwei Frauen mit wenigen, präzisen Beobachtungen: „. . .ein Gesicht, das sich mit einer einzigen gebeutelten Miene zu begnügen schien“, so die eine und die andere „hatte ein großes grobes Gesicht, und ihre fast ganz ausgezupften Augenbrauen, waren so grotesk nachgezogen worden, dass sie aussah, als hätte man sie in flagranti ertappt.“ Es sind bittere, tragikomische, auch grausame Geschichten aus jenem Amerika vor der Bürgerrechtsbewegung, als es noch „Nigger“ hieß. Ein Klima von latenter Gewalttätigkeit, von Lieblosigkeit und Rohheit durchzieht diese Texte, ohne groß Aufhebens davon zu machen. Andrerseits gibt es verdeckte Liebesgeschichten, etwa wenn der kleine Teddy (Truman) sich in den Hund der schönen Dame verliebt. Doch das Objekt der Sehnsucht ist eigentlich die freundliche Schöne, die seine Mutter nicht war. Der ganz junge Capote erzählt nie naiv, sondern immer doppelbödig, perspektivenreich, ohne Um- und Abschweife knapp, so dass die Personen plastisch werden, lebensechte Realität gewinnen und nicht aus Papier rascheln. HARALD EGGEBRECHT
Truman Capote: Wo die Welt anfängt. Erzählungen. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Kein & Aber, Zürich 2017. 145 Seiten, 12 Euro.
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Auf dem Wege, ein Genie zu sein –
Truman Capotes erste Erzählungen
Schon der Knabe war vom „kleinen Dämon“ besessen. So hat Truman Capote das Schreiben als Sucht beschrieben, denn er wollte schon als Junge von acht, neun Jahren unbedingt Schriftsteller werden. Und er hat sich bereits in seinen frühen Jahren quasi selbst ausgebildet, seine Sprache trainiert, kritisiert, korrigiert wie ein seriöser Autor. Daher kommt es wohl, dass Capote 1948 nicht als Anfänger, sondern als fertiger Schriftsteller ins Rampenlicht trat. Doch lässt sich schon an jenen frühesten Erzählungen aus seiner Schulzeit, die der Band „Wo die Welt anfängt“ versammelt, mit Staunen feststellen, dass der Teenager nicht altklug, sondern so erfahrungsreich formuliert und klar erzählt, als sei da ein reifer Autor am Werk. Wie er beispielsweise in „Die Motte in der Flamme“ die Atmosphäre vom Unheimlichen ins Gefährliche umkippen lässt: Da liegt Em auf ihrer Eisenpritsche, friert, macht dann Feuer und spürt plötzlich, dass sie beobachtet wird. Oder er porträtiert in „Seelenverwandte“ zwei Frauen mit wenigen, präzisen Beobachtungen: „. . .ein Gesicht, das sich mit einer einzigen gebeutelten Miene zu begnügen schien“, so die eine und die andere „hatte ein großes grobes Gesicht, und ihre fast ganz ausgezupften Augenbrauen, waren so grotesk nachgezogen worden, dass sie aussah, als hätte man sie in flagranti ertappt.“ Es sind bittere, tragikomische, auch grausame Geschichten aus jenem Amerika vor der Bürgerrechtsbewegung, als es noch „Nigger“ hieß. Ein Klima von latenter Gewalttätigkeit, von Lieblosigkeit und Rohheit durchzieht diese Texte, ohne groß Aufhebens davon zu machen. Andrerseits gibt es verdeckte Liebesgeschichten, etwa wenn der kleine Teddy (Truman) sich in den Hund der schönen Dame verliebt. Doch das Objekt der Sehnsucht ist eigentlich die freundliche Schöne, die seine Mutter nicht war. Der ganz junge Capote erzählt nie naiv, sondern immer doppelbödig, perspektivenreich, ohne Um- und Abschweife knapp, so dass die Personen plastisch werden, lebensechte Realität gewinnen und nicht aus Papier rascheln. HARALD EGGEBRECHT
Truman Capote: Wo die Welt anfängt. Erzählungen. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Kein & Aber, Zürich 2017. 145 Seiten, 12 Euro.
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Truman Capotes erste Erzählungen
Schon der Knabe war vom „kleinen Dämon“ besessen. So hat Truman Capote das Schreiben als Sucht beschrieben, denn er wollte schon als Junge von acht, neun Jahren unbedingt Schriftsteller werden. Und er hat sich bereits in seinen frühen Jahren quasi selbst ausgebildet, seine Sprache trainiert, kritisiert, korrigiert wie ein seriöser Autor. Daher kommt es wohl, dass Capote 1948 nicht als Anfänger, sondern als fertiger Schriftsteller ins Rampenlicht trat. Doch lässt sich schon an jenen frühesten Erzählungen aus seiner Schulzeit, die der Band „Wo die Welt anfängt“ versammelt, mit Staunen feststellen, dass der Teenager nicht altklug, sondern so erfahrungsreich formuliert und klar erzählt, als sei da ein reifer Autor am Werk. Wie er beispielsweise in „Die Motte in der Flamme“ die Atmosphäre vom Unheimlichen ins Gefährliche umkippen lässt: Da liegt Em auf ihrer Eisenpritsche, friert, macht dann Feuer und spürt plötzlich, dass sie beobachtet wird. Oder er porträtiert in „Seelenverwandte“ zwei Frauen mit wenigen, präzisen Beobachtungen: „. . .ein Gesicht, das sich mit einer einzigen gebeutelten Miene zu begnügen schien“, so die eine und die andere „hatte ein großes grobes Gesicht, und ihre fast ganz ausgezupften Augenbrauen, waren so grotesk nachgezogen worden, dass sie aussah, als hätte man sie in flagranti ertappt.“ Es sind bittere, tragikomische, auch grausame Geschichten aus jenem Amerika vor der Bürgerrechtsbewegung, als es noch „Nigger“ hieß. Ein Klima von latenter Gewalttätigkeit, von Lieblosigkeit und Rohheit durchzieht diese Texte, ohne groß Aufhebens davon zu machen. Andrerseits gibt es verdeckte Liebesgeschichten, etwa wenn der kleine Teddy (Truman) sich in den Hund der schönen Dame verliebt. Doch das Objekt der Sehnsucht ist eigentlich die freundliche Schöne, die seine Mutter nicht war. Der ganz junge Capote erzählt nie naiv, sondern immer doppelbödig, perspektivenreich, ohne Um- und Abschweife knapp, so dass die Personen plastisch werden, lebensechte Realität gewinnen und nicht aus Papier rascheln. HARALD EGGEBRECHT
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