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Geboren 1902, militarisiert in der Freikorpsbewegung, intellektualisiert im Jünger-Kreis und politisiert in den völkisch-nationalistischen Kreisen der Weimarer Republik, fand Leers früh den Weg zur NSDAP. Im unmittelbaren Umfeld von Goebbels begann sein politischer Aufstieg, der ihn in den Folgejahren - für die Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - zu einem der bedeutendsten aber auch umstrittensten Publizisten des 'Dritten Reiches' machte. Dennoch blieb Leers ein politischer Außenseiter im nationalsozialistischen Machtgefüge. An keiner anderen Person lassen sich damit Möglichkeiten und…mehr

Produktbeschreibung
Geboren 1902, militarisiert in der Freikorpsbewegung, intellektualisiert im Jünger-Kreis und politisiert in den völkisch-nationalistischen Kreisen der Weimarer Republik, fand Leers früh den Weg zur NSDAP. Im unmittelbaren Umfeld von Goebbels begann sein politischer Aufstieg, der ihn in den Folgejahren - für die Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - zu einem der bedeutendsten aber auch umstrittensten Publizisten des 'Dritten Reiches' machte. Dennoch blieb Leers ein politischer Außenseiter im nationalsozialistischen Machtgefüge. An keiner anderen Person lassen sich damit Möglichkeiten und Grenzen der öffentlichen Meinungsbildung im 'Dritten Reich' besser studieren, als an Johann von Leers. Nach Kriegsende führte er seine publizistische Agitation erst aus dem argentinischen Exil, später als konvertierter Moslem in Ägypten fort. Bis zu seinem Tode blieb er einer der Kristallisationspunkte der internationalen Nachkriegs-Rechten. Marco Sennholz rekonstruiert Leben und Wirken Johann vonLeers' und zeigt seine Position innerhalb des nationalsozialistischen Machtgefüges auf.
Autorenporträt
Marco Sennholz, Dr. phil., geb. 1973, studierte von 1997 bis 2002 Ur- und Frühgeschichte und Alte Geschichte an der HU Berlin, von 2003 bis 2007 Zweitstudium Jura, der Verfasser ist heute als Rechtsanwalt in Berlin tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2013

Übelster Antisemit seiner Zeit
Die Karriere des vergessenen NS-Propagandisten Johann von Leers endete in Kairo

Der Nationalsozialist Johann von Leers war einer der einflussreichsten Propagandisten und übelsten Antisemiten seiner Zeit. Gemessen daran war über ihn bislang jedoch erstaunlich wenig bekannt. Peter Longerich widmet ihm in "Davon haben wir nichts gewusst" zwar einige Seiten, und im "Biographischen Lexikon zum Dritten Reich" findet sich ein Eintrag über den NS-Publizisten. Mit Ausnahme einiger Forschungsbeiträge und Arbeiten, die sich mit Einzelaspekten seines Schaffens befassen, war Leers in der Wissenschaft jedoch eine Randfigur des deutschen Nationalsozialismus. Marco Sennholz hat diese Lücke nun mit seiner lesenswerten umfassenden Biographie und Bibliographie geschlossen. Chronologisch und detailliert, ohne dabei zu langweilen, porträtiert er den umstrittenen Publizisten, Redner und Dozenten.

Im Jahr 1902 in Mecklenburg geboren, war Leers zunächst ein typischer Vertreter seiner Generation: aus "gutbürgerlichem" Hause, national geprägt, vom Ersten Weltkrieg politisiert. Er verabscheute die Weimarer Republik und suchte in der Freikorpsbewegung und einem stark völkisch geprägten Nationalismus eine neue emotionale und intellektuelle Heimat. Schon Ende der 1920er Jahre wurde er Nationalsozialist. Dabei beschäftigte ihn vor allem die "Rassenfrage", seinem Judenhass verlieh er schon früh publizistisch Ausdruck. 1925 promovierte Leers als Jurist, es zog ihn jedoch zur Diplomatie. Fremdsprachen und der Osten faszinierten ihn, weshalb er unter anderem Japanisch und Russisch lernte.

Nach einer kurzen Phase im Auswärtigen Amt kam er, protegiert von Joseph Goebbels, zur Publizistik (er schrieb beispielsweise für den "Angriff") und arbeitete sich rasch zum viel gebuchten Reichsredner empor - Goebbels lobte seine "Orgien des Hasses". Seine Freunde nannten ihn "Rabauki". Auf Fotos wirkt "Rabauki" indes körperlich eher zart, wegen einer Herzmuskelschwäche blieb ihm das von ihm so idealisierte Soldatendasein verwehrt. Seine Allmachtphantasien scheint er in Wortgewalt ausgelebt zu haben. Bald avancierte er zu einem ausgewiesenen Kenner der Parteigeschichte der NSDAP und veröffentlichte eine der ersten Hitler-Biographien. Die Grenze zwischen Wissenschaftlichkeit und polemischer Kampfschrift war in seinen Arbeiten oft nicht auszumachen.

Seiner regelrechten Schreibwut lagen nicht nur Fanatismus, sondern auch wirtschaftliche Zwänge zugrunde: Das familiäre Gut war hoch überschuldet, Leers war stets mit dem wirtschaftlichen Überleben beschäftigt. 1933 veröffentlichte er "Juden sehen dich an" - ein laut Sennholz "oft ans Obszöne grenzendes", schlecht recherchiertes polemisches Buch, das dennoch rasch in der fünften Auflage erschien. 1944 schrieb Leers "Die Verbrechernatur der Juden", worin er offen deren Vernichtung weltweit forderte. Kein anderer nationalsozialistischer Autor habe sich öffentlich so weit vorgewagt, bemerkt Sennholz. Leers hielt es offenbar nicht für nötig, seine Vernichtungswünsche hinter Euphemismen wie "Ausschaltung" oder "Endlösung" zu verstecken.

Er verstand es, Gönner zu finden, fiel zugleich aber oft in Ungnade. Als Goebbels ihm nicht mehr gesonnen war, fand er im SS-Chef Heinrich Himmler einen neuen Fürsprecher. Sennholz zeigt, dass Leers oft Minderheitenpositionen einnahm und sich bei aller Anpassung auch individualistisch gab. Nach der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin lehrte der unermüdliche Publizist an der Universität Jena, wohin man den akademischen Außenseiter und politischen Aktivisten als nichtbeamteten außerordentlichen Professor berufen hatte. Leers hatte sich nicht nur mit einer Darstellung des deutschen Handwerkertums einen Namen gemacht, mit einer Arbeit zur deutschen Bauerngeschichte schuf er sich unter Akademikern sogar ein agrarpolitisches Monopol. Zu den vielen publizistischen Spuren, die er legte, gehörte "Hilf mit!". Diese erfolgreiche Jugendzeitschrift impfte viereinhalb Millionen Schüler bis 1945 mit rassen- und volkstumspolitischen Themen.

Sennholz beschreibt seinen Protagonisten nüchtern als ambivalente Figur, ohne dies weiter zu deuten. So vielseitig begabt sein Protagonist Leers wirkt, so sehr drängt sich der Verdacht auf, dass dieser mangelnden Intellekt mit Fleiß kompensierte. Je näher der Zusammenbruch des "Dritten Reiches" rückte, umso ideologischer und radikaler wurde Leers. Sein ehemaliger Freund und Förderer Walther Darré, der Reichsminister für Landwirtschaft und Ernährung, empfand ihn mittlerweile als "weltfremd". Dogmatisch war Leers auch in Lebensdingen: Er engagierte sich in der Antialkoholiker- und Antiraucherbewegung, vor allem aber strebte er nach einer "arteigenen Religion", die die "nordische Sittlichkeit" verkörpern sollte. Schon während Studienzeiten war er vom Islam angezogen gewesen beziehungsweise von dem, was er für den Islam hielt.

Als das "Dritte Reich", in dem er politisch nie eine führende Rolle gespielt hatte, zusammengebrochen war, suchte er im Islam sein Heil. Der innerliche Rückzug war gepaart mit der Flucht nach Argentinien. Unter dem Namen Hans Euler blieb er auch in Buenos Aires propagandistisch tätig. Der Sturz Peróns zerrüttete sein sozialistisch-nationalistisches Weltbild ein weiteres Mal. Er siedelte schließlich nach Kairo um - verabschiedet von Josef Mengele und Adolf Eichmann. Dort hatte er eine neue Führungsfigur, den Großmufti von Jerusalem Amin El Husseini, gefunden. Leers konvertierte zum Islam und nannte sich nun Omar Amin von Leers. Verschmolzen mit seinem neuen Glauben, widmete er sich fortan dem Kampf gegen den Imperialismus, im Islam sah er zwischen Kommunismus und Christentum die "dritte Kraft". Sennholz meint, Leers habe den Islam auch als letzten großen Hort eines antijüdischen Ressentiments wahrgenommen. Leider gibt seine Studie wenig Aufschluss über Leers Religiosität und sein Verhältnis zum Islam, dem er bis zu seinem Tod 1965 in Kairo, politisch isoliert und in Vergessenheit geraten, anhing.

Bemerkenswert ist, dass Leers selbst noch als Muslim einen radikal-fanatischen Weg einschlug und man ihn heute wohl als Islamist bezeichnen würde.

ALEXANDRA SENFFT

Marco Sennholz: Johann von Leers. Ein Propagandist des Nationalsozialismus. Biographische Studien zum 20. Jahrhundert, Band 3. be.bra Wissenschaft Verlag, Berlin 2013. 460 S., 48,- [Euro].

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