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Im 30. Jahr seines Bestehens ist allseits unstrittig, dass das Keith Jarrett Trio "den Goldstandard für Jazzgruppen gesetzt" hat, wie es die New York Times kürzlich anmerkte. Die vorliegende Konzertaufnahme von 2009, die nun anlässlich des Jubiläums erscheint, ist dafür ein glänzender Beleg. Das "Somewhere", dem das Trio damals eine gleichermaßen klangforscherische wie in der Tradition verankerte Performance bescherte, war Luzern. Die Neue Zürcher Zeitung betitelte ihre Konzertkritik mit "Kontrollierte Ekstase" - eine treffende Metapher für einen Set , an dessen Beginn sich aus der…mehr

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Produktbeschreibung
Im 30. Jahr seines Bestehens ist allseits unstrittig, dass das Keith Jarrett Trio "den Goldstandard für Jazzgruppen gesetzt" hat, wie es die New York Times kürzlich anmerkte. Die vorliegende Konzertaufnahme von 2009, die nun anlässlich des Jubiläums erscheint, ist dafür ein glänzender Beleg. Das "Somewhere", dem das Trio damals eine gleichermaßen klangforscherische wie in der Tradition verankerte Performance bescherte, war Luzern. Die Neue Zürcher Zeitung betitelte ihre Konzertkritik mit "Kontrollierte Ekstase" - eine treffende Metapher für einen Set , an dessen Beginn sich aus der Improvisation "Deep Space" die Miles-Davis-Komposition "Solar" modulierte, und der dann nach den Standards "Stars Fell On Alabama" und "Between The Devil And The Deep BlueSea" schließlich in einem ausgiebigen Ausflug durch die "Westside Story" gipfelte, bei dem Jarretts frei assoziiertes "Everywhere" die Brücke zwischen den beiden Bernstein-Songs "Somewhere" und "Tonight" bildete. "Somewhere" ist ein herausragendes Album mit dem sich das 30. jährige Jubiläum des Keith Jarrett Trios gebührend feiern lässt.
Trackliste
CD
1Deep Space / Solar (Live At KKL, Lucerne / 2009)00:15:07
2Stars Fell On Alabama (Live At KKL, Lucerne / 2009)00:07:27
3Between The Devil And The Deep Blue Sea (Live At KKL, Lucerne / 2009)00:10:03
4Somewhere / Everywhere (Live At KKL, Lucerne / 2009)00:19:37
5Tonight (Live At KKL, Lucerne / 2009)00:06:49
6I Thought About You (Live At KKL, Lucerne / 2009)00:06:30
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2013

Hexenmeister aus der Eiseskälte

Ein Flügel für drei Pianisten: Keith Jarrett, Gary Peacock, Jack DeJohnette brillieren auf dem Album "Somewhere" mal wieder in der Königsdisziplin des Jazztrios.

Im Beiheft zur neuesten Veröffentlichung des Trios mit Keith Jarrett gibt es ein aufschlussreiches Foto: Der Pianist sitzt am Flügel und drückt mit einem Finger seiner rechten Hand eine Taste nieder. Der Schlagzeuger Jack DeJohnette lehnt sich mit beiden Ellbogen auf das Instrument, stützt dabei seinen Kopf in den rechten Arm und lauscht gebannt, möglicherweise auch skeptisch, was da musikalisch herauskommen soll. Der Bassist Gary Peacock steht ebenfalls ohne sein eigenes Instrument hinter Jarrett, schaut ihm über die Schulter und blickt dabei konzentriert auf die Tastatur. Der große Saal des KKL in Luzern ist leer: Probezeit? Soundcheck? Man weiß nicht, was Keith Jarrett spielen oder demonstrieren will, man weiß auch nicht, warum die beiden Musikerkollegen so aufmerksam zuhören. Ein bezeichnendes Bild ist es trotzdem: Keith Jarrett gibt den Ton an.

Das tut er nun schon seit 1983 in diesem Trio, das mittlerweile mehr als zwei Dutzend Einspielungen herausgebracht hat, zu den beständigsten und vor allem zu den herausragenden Formationen in der Geschichte des Combo-Jazz gehört und trotzdem nicht seinen Namen trägt. Beharrlich, fast störrisch steht da wie vor dreißig Jahren auf dem Cover: Keith Jarrett, Gary Peacock, Jack DeJohnette, gleich groß, gleich prominent, gleichberechtigt. Und das scheint weder Koketterie noch Irreführung der Hörer zu sein. Man will einfach keine Hierarchie. Aber die Möglichkeiten der Instrumente lassen sich nicht aus der Welt schaffen: erst das omnipotente Klavier, dann der Harmonien bestätigende Bass und schließlich das Schlagzeug, das den Rhythmus festigt.

Allerdings erfüllen Bass und Schlagzeug hier, wie in wenigen anderen Formationen des aktuellen Jazz, von historischen Jazztrios gar nicht zu reden, ihre Rolle auf andere Weise als durch bloßes Harmonien- oder Rhythmusgeben. Es mag auch daran liegen, dass Jack DeJohnette und Gary Peacock selbst versierte Pianisten sind. Man könnte sogar so weit gehen und behaupten, wenn das Trio spielt, höre man bisweilen nicht nur einen, sondern drei Pianisten. Auf jeden Fall wird stimmen, was Jack DeJohnette schon Ende der achtziger Jahre zur Charakterisierung dieser Musik von sich gab: "Ich bekomme jedes Mal Klavierstunden, wenn wir mit dem Trio spielen." Was er dabei lernt, geht offenbar in sein Schlagzeugspiel ein, bei dem er die Becken und die Snaredrum traktiert, als müsste er zwischen weißen und schwarzen Tasten unterscheiden und als gäbe es Halbtöne auf seinen Trommeln.

Denn eigentlich ist es so: In gewissen Partien von "Deep Space", dem Eingangsstück zu ihrer neuesten Veröffentlichung "Somewhere", das auf eine magische Weise mit "Solar" von Miles Davis ein Amalgam bildet, scheint Keith Jarrett auf dem Flügel Wirbel zu erzeugen, und Jack DeJohnette vollführt mit seinen Drumsticks Trillerkombinationen auf der Hi-Hat. Gary Peacock spielt ohnehin seinen akustischen Bass häufig so, als kämen die Töne durch das Anreißen von Klaviersaiten im Korpus des Instruments zustande. Überhaupt ist diese Visitenkarte der Einspielung ein Kunstwerk, das alle Vorstellungen zu den Akten legt, die man von der Königsdisziplin Jazztrio bisher hatte und an der sich alle Pianisten einmal in ihrer Karriere versuchen müssen. Keith Jarrett eröffnet die Komposition mit einer kristallinen, kühlen Klarheit, als wollte er allein mit künstlerischen Mitteln das Schmelzen der Gletscher und Eisberge in der Arktis verhindern. Gegen die harmonische Offenheit bis zu atonalen Klangschichtungen, bizarren Motivsplittern und dissonanten Klangwolken dieser Introduktion erscheinen die komplexen Strukturen mit sechstönigen Quartenakkorden eines Alexander Skrjabin geradezu wie in der Spätromantik verhaftetes Gedankengut. Aber wenn Bass und Schlagzeug einsetzen, hat sich die grandiose Eiseskälte einer alten Neuen Musik in eine ganz unglaubliche Jazz-Session verwandelt, die sich, wenn man als Hörer nicht auf der Hut ist, in einer Weise steigert, dass man im Strudel der Musik unterzugehen droht.

Was für eine Intensität des Zusammenspiels! Da sind die Fill-ins des Schlagzeugs melodische Fortsetzungen in den Atempausen des Pianisten, die Basslinien rhythmische Muster im Klangteppich des Schlagzeugers. Die drei spielen sich geradezu in einen Klangrausch, und nirgends wird erkennbar, wer den Ausschlag gegeben hat für diese permanente Seelenwanderung zwischen diesen drei "Pianisten" an drei verschiedenen Instrumenten. Das setzt sich auf der Einspielung so weiter fort und doch immer auch auf andere Weise. Das abstrakte Klanggemälde des Beginns löst sich in Standards wie "Stars Fell on Alabama" oder "Between the Devil And the Deep Blue Sea" auf, für die das Trio berühmt geworden ist und die sie lange schon zu neuem Leben erweckt haben - nicht primär dadurch, dass sie diese Evergreens stilistisch angereichert haben oder durch harmonische Erweiterungen komplexer werden ließen. Keith Jarrett hielt sich immer auch an den Kanon des Variierens und motivischen Umspielens der melodischen Vorlage in traditioneller Weise. Aber alle Töne sind wie die Zeichen einer japanischen Kalligraphie so mit individuellem Ausdruck versehen worden, dass man die Stücke neu hört, als hätten sie erst jetzt ihre ideale Gestalt gefunden.

Aber Keith Jarrett wäre nicht Keith Jarrett, würde er die Improvisation zu Leonard Bernsteins "Somewhere", das er wiederum mit seiner Eigenkomposition "Everywhere" kombiniert, nicht in eine Ostinato-Orgie münden lassen, die an die unglaublichsten Steigerungsmomente etwa auch in seinem "Köln Concert" erinnert. Eine solche Hartnäckigkeit im Festhalten eines Motivs, die an künstlerische Monomanie grenzt, findet man bei keinem anderen Pianisten in der Geschichte des Jazz. Möglicherweise aber ist dieses obsessive Insistieren auf schier unendlich wiederholbaren Ostinati jenes atavistische Element, durch das die Ursprünge dieser Musik in stampfenden Tanzritualen und magischen Rundgesängen des afrikanischen Kontinents erst wieder spürbar werden.

Jazztrios, vor allem in der Besetzung Klavier, Bass, Schlagzeug, sind, wie Streichquartette in der Klassik, Kammermusikensembles, die kein Versteckspiel zulassen, jeden Klang und jede Reaktion offenlegen und die Scharlatane von den Talenten trennen wie ein Dreschflegel die Spreu vom Weizen. Keines, so scheint es, hat je diese überwältigende Intensität des Zusammenspiels, diese Kongruenz der musikalischen Vorstellungen, die Gleichstellung der Partner und den Grad der kompositorisch-improvisatorischen Konsistenz bei gleichzeitiger Individualität der Spieler erreicht wie dieses Trio, das keinen Namen herausstellen möchte und doch den Stempel eines musikalischen Hexenmeisters trägt: Keith Jarrett.

WOLFGANG SANDNER

Keith Jarrett, Gary Peacock,

Jack DeJohnette,

Somewhere

ECM 220 (Universal)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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