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In one of the largest cities of western Christendom, the trading metropolis Venice, writing and reading had ceased to be the preserve of the clerical body as early as the 11th and 12th centuries. Several thousand Venetian documents from the period prior to 1200 reveal that large sectors of the population already had elementary writing skills. The study examines the use made of writing by merchants, the role of the written medium in everyday Venetian life, and schools and teachers in Venice. The study is the first to provide detailed insight into the progress of literacy in a major medieval…mehr

Produktbeschreibung
In one of the largest cities of western Christendom, the trading metropolis Venice, writing and reading had ceased to be the preserve of the clerical body as early as the 11th and 12th centuries. Several thousand Venetian documents from the period prior to 1200 reveal that large sectors of the population already had elementary writing skills. The study examines the use made of writing by merchants, the role of the written medium in everyday Venetian life, and schools and teachers in Venice. The study is the first to provide detailed insight into the progress of literacy in a major medieval European city.
Der sich über Jahrhunderte erstreckende Alphabetisierungsprozeß der europäischen Gesellschaften stellt ein zentrales Thema der neueren Sozial- und Bildungsgeschichte dar. Für Venedig, im Mittelalter eine der größten Städte des christlichen Abendlandes, kann die Verbreitung von Schreibkenntnissen innerhalb der Laienbevölkerung aufgrund der umfangreichen, besonders aus Urkunden bestehenden Überlieferung für die Zeit vor dem Jahr 1200 untersucht werden. Eine Kombination von sozialgeschichtlichen und hilfswissenschaftlichen Methoden führt zu dem für diesen frühen Zeitraum ungewöhnlichen Ergebnis, daß die Bevölkerung der Handelsmetropole bereits im hohen Mittelalter in breitem Maße über elementare Schreibkenntnisse verfügte, die seit dem 10. Jahrhundert allmählich, danach immer rascher zunahmen und im 12. Jahrhundert weite Teile der Gesellschaft erfaßt hatten. Es lassen sich geschlechtspezifisch, sozial und regional bedingte Besonderheiten in der Aneignung von Schrift nachweisen. Neben der Auswertung des Urkundenmaterials richtet die Arbeit ein besonderes Augenmerk auf die Rolle der Schriftlichkeit im venezianischen Alltag, wirft einen Blick auf Schulen und Lehrer und charakterisiert rund 90 nicht der adligen Führungsschicht angehörige Familien, in denen sich Schreibkenntnisse feststellen lassen. Erstmals liegen mit dieser Studie detaillierte Erkenntnisse zum Alphabetisierungsprozeß einer europäischen Großstadt des Mittelalters vor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2003

Hier wird nicht gekleckst
Famos: Irmgard Fees zeigt, wie die Venezianer schreiben lernten

Daß im Mittelalter allein die Geistlichen lesen und schreiben konnten, ist eine längst überholte Meinung. Zahlreiche Studien zur Geschichte der Alphabetisierung zeugen vom manchmal erstaunlichen Grad von Frauenbildung, von der Schriftlichkeit unternehmerischer Buchführung in Lübeck wie in Florenz, von früher Schulmeisterei auch außerhalb von Klöstern, Universitäten und Domkapiteln. Allein, die Quellen zur Schriftlichkeit sind ungemein spärlich, sprudeln meist erst vom Jahre 1400 an. Historiker sind - vor allem für das frühe und hohe Mittelalter - auf Zufallsfunde angewiesen. Wer schrieb damals schon auf, daß er sich im Alltag Notizen zu machen imstande war? Und welche dieser Notizen für Geschäft und Post überdauerten die Jahrhunderte?

Irmgard Fees ist dem Problem nun akribischer auf den Grund gegangen und hat die beeindruckende Überlieferung venezianischer Urkunden nach ihren Unterzeichnern untersucht. Herausgekommen ist eine hochwissenschaftliche - es handelt sich um eine Habilitationsschrift -, in ihren Ergebnissen äußerst aufschlußreiche Studie über den Schreibunterricht vor acht- bis neunhundert Jahren. Die Venezianer, die den Einfluß der Geistlichkeit am konsequentesten im Okzident zurückdrängten und zugleich von einer Oligarchie aus Fernhändlern beherrscht wurden, haben uns aus der Zeit zwischen 1000 und 1200 viereinhalbtausend Urkunden, das macht dreiundzwanzig dicke Archivbände, hinterlassen.

Bei diesen sogenannten "carte" handelt es sich um von Zeugen bekundete Rechtsgeschäfte wie Kauf, Tausch, Vererbung, Schenkung, aber auch um Beglaubigungen von Handelstransaktionen. Nach venezianischem Brauch - man ist hier traditionell mißtrauisch - unterzeichneten nicht nur die Notare, sondern so viele Beteiligte und Zeugen wie möglich, in Ausnahmefällen ein paar hundert. Denn in Venedig gab es zwar bis in die Renaissance Sklaven, Halbfreie und Fremde, aber doch auch eine große Zahl von rechtsfähigen Schwurbürgern bis hinunter zu den kleinen Leuten.

Deren Autogramme, die oft nicht mehr sind als das bekannte Analphabetenkreuz, hat Irmgard Fees wie eine geduldige Grundschullehrerin nach der Geläufigkeit untersucht: Wurde gekleckst oder gewackelt, scheint die Unterschrift ungewohnt. Routinierten Kaufherren dagegen und Funktionären der Serenissima ging die Schönschrift leicht von der Hand.

Doch nicht jeder, der sich vom Notar per Kreuzchen vertreten ließ, war des Schreibens unkundig. Gerade die zahlreichen Hinweise auf Alter, Krankheit oder Abwesenheit deutet die Autorin zu Recht als Hinweis, wie selbstverständlich spätestens im zwölften Jahrhundert das Schreibenkönnen, zumindest in Venedigs Aristokratie, geworden ist. Daß etwa Enrico Dandolo, berühmter Doge und 1204 der Eroberer von Konstantinopel, niemals eigenhändig unterzeichnete, hatte einen einfachen Grund: Er war blind.

Faszinierend sind dabei die Blicke in die frühe Alphabetisierung einer Kultur, die - auch wenn in Italiens Städten die Laienschriftlichkeit wohl niemals so herunterkam wie nördlich die Alpen - mit der Buchstabentechnik wieder ziemlich bei Null anfangen mußte. So lernten die Bewohner von Chioggia, immerhin die zweitgrößte Siedlung hinter der damaligen Lagunendominante, im Unterschied zu den rührigen Händlern von Rialto fast überhaupt nicht zu schreiben, wohl weil hier erst spät ein Bischofssitz eine rudimentäre Domschule bot. Bis heute sind die Chioggioten in Venedig als Tölpel verschrien. Aber auch bei den Venezianerinnen ist das Schreiben und das Lesen kein Lieblingsfach gewesen; obwohl Frauen, auch Nonnen, hier Handels- und Rechtsgeschäfte tätigen durften, legte man bei Mädchen, die ja auch nicht auf Handelsfahrt gingen, offenbar keinen Wert auf Schulbildung.

So fügt Irmgard Fees die Mosaiksteinchen zusammen: Vor 1200 ist nur bei Klerikern Buchbesitz bezeugt, die als Weltgeistliche auch lange ausschließlich den städtischen Papierkram erledigten. Doch können noch im elften Jahrhundert viele Kaufleute ihre Akten nicht selber unterzeichnen, wohingegen spätestens nach der von 1140 an ins Werk gesetzten städtischen Verwaltungsreform, welche Venedig erstmals eine feste Ratsversammlung bescherte, ein markanter Anstieg der Alphabetisierung zu verzeichnen ist.

Schon in einer bemerkenswerten Urkunde von 1090 hatten sämtliche siebenundsechzig Zeugen locker mit eigener Hand unterzeichnet. Selbst wenn man bedenkt, daß die Stadt immer nur von einer Kerngruppe von etwa fünfhundert Männern aus hundert Familien regiert wurde, so ist die fast lückenlose Alphabetisierung im Handelsbürgertum nach 1150 dennoch bemerkenswert. Zwar fehlen Quellen zur Einrichtung von Schulen bis ins späte Mittelalter, doch das lag daran, daß die wirtschaftsliberalen Venezianer die Bildung dem Markt überließen.

Immerhin ist aus Urkunden stets die Anwesenheit Dutzender Privatlehrer bezeugt. In solchen Zwergschulen lernten dann Fernhändler wie Pietro Corner oder Romano Mairano perfekt zu schreiben; ihre handschriftlichen Handelsnotizen haben sich zufällig bis heute erhalten. Ihr Zeitgenosse Graziano Gradenigo ging, wie sein Nachlaßverzeichnis bezeugt, gar mit kompletter Büroausrüstung - Schreibtafel, Tinte, Papier und Futteralen - auf Seereise.

Das ungemein sorgsam aufgemachte Buch ist bestückt mit einem nützlichen Regestenteil der Dogenurkunden von 819 bis 1198, bietet konkrete Anschauung durch zahlreiches instruktives Bildmaterial. Steigt man nur alltäglich genug in die Materie ein, findet man die Lebenswelt der Venezianer mit berückenden Details ausgepinselt. Zu bestaunen ist etwa, wie sich die Venezianer mit dem Aufkommen des Urkundenwesens zu regelrechten Schreibfetischisten entwickelten, die selbst kulinarische Abmachungen über ein paar Stücke Käse oder die üblichen strittigen Lappalien im Umgang zwischen Eltern und Kindern mit Genuß kodifizierten - dieser Charakterzug eines ordentlichen Miteinanders hat das Staatsarchiv in den Klosterräumen der Frarikirche zu einem der umfangreichsten der Welt anwachsen lassen.

Die Alphabetisierung, die mit diesem Werk erstmals eine verläßliche Basis für die früheste Zeit bekommt, war in Venedig spätestens im Jahre 1463 abgeschlossen. Damals schrieb die Serenissima das Amt eines Siegelbefestigers der Dogenurkunden aus, bei dem gerade Analphabetentum Einstellungsvoraussetzung war; der Mann sollte dem Dogen nicht in die Karten schauen. Nachdem man mühselig noch einen Dummen gefunden hatte, wurde schon wenige Jahrzehnte später, im Jahre 1501, die Stelle wieder abgeschafft. Da gab es in Venedig keinen zuverlässigen Analphabeten mehr.

DIRK SCHÜMER.

Irmgard Fees: "Eine Stadt lernt schreiben". Venedig vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2002. 437 S., Abb., geb., 64,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die alte These, dass im Mittelalter allein die Geistlichen lesen konnte, gilt als längst überholt, berichtet Dirk Schümer einleitend zu seiner Rezension von Irmgard Fees' Habilitationsschrift. Nur beweisen könnten die Historiker ihre Annahme schlecht, erklärt Schümer weiter, weil es an schriftlichen Quellen und Belegen mangele. Doch dort, wo reger Handel betrieben wurde, gab es auch schriftliche Abmachungen, und so dienen viereinhalbtausend venezianische Urkunden aus den Jahren 1000 bis 1200, auf denen Zeugen die verschiedensten Rechtsgeschäfte bekunden, der Historikerin Fees als Quellenmaterial. "Wie eine Grundschullehrerin", schreibt Schümer, sei Fees daran gegangen, die Autogramme auf Geläufigkeit der Schrift zu untersuchen: Wurde gekleckst, gewackelt oder in Schönschrift geschrieben? Fees' Geschichte der frühen Alphabetisierung zeichnet die Lebenswelt der Venezianer "mit berückenden Details" nach, schwärmt Schümer. Schon ab Mitte des 12. Jahrhunderts war zumindest der männliche Teil des venezianischen Handelsbürgertums schreib- und lesekundig, im fünfzehnten Jahrhundert dann war in ganz Venedig das Analphabetentum abgeschafft: Bildung, die der Markt gesteuert hat, wie Schümer nicht ohne Süffisanz anmerkt.

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