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Der Autor analysiert die modernen Begriffe von "Nation", "Volk" und "Rasse". Indem er untersucht, in welcher Weise die Metaphern des Todes in den Glauben an das Kollektiv integriert sind, findet er eine Antwort auf die Frage, was das Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse als attraktiv erscheinen läßt.

Produktbeschreibung
Der Autor analysiert die modernen Begriffe von "Nation", "Volk" und "Rasse". Indem er untersucht, in welcher Weise die Metaphern des Todes in den Glauben an das Kollektiv integriert sind, findet er eine Antwort auf die Frage, was das Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse als attraktiv erscheinen läßt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.1997

Löcher im Mythenhaushalt
Peter Berghoff analysiert die Angst, nichts gewesen zu sein

Was ist ein Bausparvertrag, was die Härte einer Währung, die Kümmernisse der materiellen Existenz gegen das großartige Experiment der Gegenwart, in dem jeder Europäer nicht nur Beobachter, sondern auch Akteur ist. Dieses Experiment heißt Europa. Es gibt zwar dieses Europa längst - als die Einheit eines verdichteten Raums, in dem sich ein ständiger politischer, kultureller und ökonomischer Austausch vollzieht. Nun aber ist Europa dabei, sich zu einer politischen Handlungseinheit zu entwickeln.

Das Ziel einer politischen europäischen Gemeinschaft wurde lange durch die europäische Geschichte und ihre Zerreißproben selbst begründet, heute werden auch die Erfordernisse der sogenannten Globalisierung geltend gemacht. Keine dieser Legitimationen ist aber gegenwärtig stark genug, die Schwierigkeiten, politischen Vorbehalte und mentalen Reserven zu überwinden.

Was die Haushaltslöcher für die Einhaltung der famosen Stabilitätskriterien der Währungsunion bedeuten, ist das symbolische Defizit für den Einheitswillen. Mit dem blauen Fähnchen und den Sternchen ist es jedenfalls nicht getan. Europa könnte in der Tat an einem Mythendefizit scheitern, wie Wolfgang Schmale jüngst vermutete, wenn man darunter ein Defizit solcher Symbole versteht, in denen gleichzeitig der Wille zur Gemeinsamkeit und die Erfahrung dieser Gemeinsamkeit aufgehoben wären. Der Euro hätte die Chance, ein solches Symbol zu werden, als Negativsymbol freilich ebenso wie als Erfolgsnote.

Mit dieser vorauseilenden Abschweifung über die allmähliche Verfertigung von Handlungseinheiten sind wir mitten im Thema des Buchs von Peter Berghoff. Im "Tod des politischen Kollektivs" geht es um die Rekonstruktion kollektiver Identifizierungsprozesse und deren religiöse Dimension. Und es geht um den Einsatz dieser Identifizierungsprozesse, um "Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse". Berghoff beschreibt als Ausgangslage, daß jede politisch verfaßte Einheit, mithin auch die Demokratie, sich definieren und konstituieren müsse.

Die Geschichte dieser Konstituierungsprozesse seit dem späten achtzehnten Jahrhundert, aus der wir jetzt herauszutreten beginnen, ist doppelgesichtig. Man kann diesen Befund, wie es Dieter Langewiesche jüngst getan hat, in der Kombination von "Aggression" und "Partizipation" fassen. Dahinter verbirgt sich ein Fundamentalproblem des Politischen seit der Französischen Revolution: die Aufladung mit Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten, die politisch gar nicht einholbar sind, die Politik und das Kollektiv aber permanent zur profanen Transzendenz drängen, wie es Berghoff in Anschluß an Eric Voegelins "Politische Religion" treffend formuliert.

Die Untersuchung führt von den vermeintlich substantiellen Bändern des Kollektivs wie der Sprache oder dem Territorium über das Verhältnis von kollektiver Imagination und der Produktion von gesellschaftlicher Ordnung über die konstituierende Sterbebereitschaft bis zur "destruktiven Bekämpfung des Todes". Es handelt sich hierbei um eine Zusammenschau dessen, was man bislang über Konstituierungs- und Identifikationsprozesse im Politisch-Historischen weiß.

Darüber hinaus aber hat Berghoff sozusagen in die dunklen Ecken der politischen Theorie geleuchtet und die Aporien kollektiver Selbstentwürfe sichtbar gemacht. Eine der zentralen Einsichten betrifft den Doppelcharakter des "Todes fürs Vaterland" oder jeder anderen Einheit. Denn im Opfer wird das Kollektiv nicht nur bestätigt oder erst geschaffen. Berghoff weist zu Recht darauf hin, daß im Tod, daß "an der Leiche die Auflösung des sozialen und kollektives Bandes erfahren" wird. Der Tote ist nur für sich, er repräsentiert und negiert das Verbindende: "Die Toten müssen in den kompensierenden Kollektivitätsphantasmen in Verbindung mit den Lebenden bleiben, damit das, was die Lebenden bindet, nicht stirbt".

Diese Verbindung ist der Arkanbereich der politischen Religion, in ihr ist die Vorstellung vom "höheren Leben" eingeschlossen, das die individuelle mit der kollektiven Sinngebung verbindet. Mit anderen Worten: Der Himmel auf Erden ist die Crux des Politischen. Dies ist, wohlgemerkt, nicht die Wiederkehr des utopiefeindlichen Arguments unter anderem Namen. Vielmehr gelingt es Berghoff, einen tiefen Einblick in die Mechanik politischer Grundprozesse zu vermitteln. Das Ergebnis ist eindeutig: Das Begehren nach einer "heiligen Wirklichkeit" ist eben nicht an die Utopie gebunden.

Der Konstitution politischer Kollektivitäten kann dieses Begehren von Beginn an innewohnen - das ist die Kernthese dieser Arbeit. Damit gelingt es Berghoff nebenbei auch, die stereotyp gewordene Redeweise von den "imagined communities" aus dem Beliebigen herauszulösen: Die Geschichte ist kein Menü. Daß sie kein Fatum sei, kann man nach der Lektüre auch noch hoffen. MICHAEL JEISMANN

Peter Berghoff: "Der Tod des politischen Kollektivs". Politische Religion und das Sterben und Töten für Volk, Nation und Rasse. Akademie Verlag, Berlin 1997. 219 S., geb., 78,- DM.

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