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Was unterscheidet unsere Epoche von früheren? Das mehr oder weniger deutliche Bewußtsein der Fehlbarkeit all unserer inhaltlichen Urteile, unserer empirischen ebenso wie unserer moralischen Aussagen, und der Versuch, der Fehlbarkeit zu entkommen. Dem Bewußtsein unserer unaufhebbaren Fehlbarkeit hat Friedrich Nietzsche in einem Bild der Landlosigkeit und der Verlorenheit auf hoher See und Otto Neurath in einem ähnlichen Bild der Docklosigkeit unseres Lebens Ausdruck gegeben. Docklosigkeit ist daher das Emblem unserer Epoche. Diese Vermutung fordert dazu heraus, die seit Beginn der Moderne…mehr

Produktbeschreibung
Was unterscheidet unsere Epoche von früheren? Das mehr oder weniger deutliche Bewußtsein der Fehlbarkeit all unserer inhaltlichen Urteile, unserer empirischen ebenso wie unserer moralischen Aussagen, und der Versuch, der Fehlbarkeit zu entkommen. Dem Bewußtsein unserer unaufhebbaren Fehlbarkeit hat Friedrich Nietzsche in einem Bild der Landlosigkeit und der Verlorenheit auf hoher See und Otto Neurath in einem ähnlichen Bild der Docklosigkeit unseres Lebens Ausdruck gegeben. Docklosigkeit ist daher das Emblem unserer Epoche. Diese Vermutung fordert dazu heraus, die seit Beginn der Moderne geäußerte Klage über den Verlust des Selbst, sein Zerriebenwerden in den eigengeSetzlichen Subsystemen moderner Gesellschaften, über die Unverbindlichkeit alles Wissens und aller Normen und über die moralische Schwäche des Liberalismus auf ihren Gehalt und ihre Berechtigung zu überprüfen. Der politische Fundamentalismus, der gegen unsere Docklosigkeit unfehlbare Wahrheiten behauptet, erweist sich als eine paradoxe Bewegung, da er individuelle Autonomie zugleich beschwören und brechen muß; der Liberalismus zeigt sich verwurzelt in einer prometheischen Metaphysik der Entfaltung aller Naturpotenzen und Wittgenstein, Popper und Rawls erweisen sich als Verteidiger einer Verbindlichkeit in Wissenschaft, Moral und sogar Metaphysik.
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Autorenporträt
Ulrich Steinvorth Promotion in Philosophie in Göttingen 1968, Habilitation in Mannheim 1975, seit 1982 Professor für praktische Philosophie an der Universität Hamburg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung

Auf zum fehlenden Ufer
Umbau der Schiffe auf offener See: Ulrich Steinvorth gibt der Philosophie die Metaphysik zurück
Wer bei der heutigen akademischen Philosophie Orientierung sucht, wird enttäuscht. Auf die metaphysischen Fragen, die nach der Existenz Gottes etwa, die nach dem Sinn des Lebens oder die, ob der Wille des Menschen frei sei, enthalten sich die meisten Philosophen des 20. Jahrhunderts einer Antwort. Die Gründe dafür sind gut. Einer der plausibelsten heißt: Da alle menschlichen Urteile grundsätzlich fehlbar sind, erweisen sich verbindliche metaphysische Aussagen als sinnlos. Und so treibt es die Sinnsucher heraus aus der Universität - im besten Fall in die Klassiker-Lektürekurse der Volkshochschulen, im schlechten Fall in esoterische Zirkel und im schlimmsten Fall in die Hände fundamentalistischer Rattenfänger. Den Philosophen als Intellektuellen hingegen führte die metaphysische Enthaltsamkeit an den Rand der Bedeutungslosigkeit, einmal abgesehen von Auftritten als medialer Schaumschläger oder - was nicht selten das Gleiche ist - als Beisitzer einer Ethik-Kommission.
Auch die metaphysischen Urteile des Hamburger Philosophen Ulrich Steinvorth überzeugen nicht immer. Allerdings zeigt Steinvorth, dass die Bescheidenheit der zeitgenössischen Philosophie oft nicht nur unangemessen, sondern auch gefährlich ist. Metaphysische Fragen lassen sich selbst durch die Kennzeichnung als sinnlos nicht davon abhalten, „die Vernunft zu belästigen”, wie Immanuel Kant es formulierte.
Es wäre gleichwohl achtlos, zu behaupten, Steinvorth wolle die Metaphysik der Moderne auf ein neues Fundament stellen. Noch ganz einig mit den modernen Verächtern der Metaphysik zeichnet sich für Steinvorth modernes Denken gerade dadurch aus, dass es jedes sicheren, unumstößlichen Ausgangspunkts beraubt ist. Dem Denkenden bleibt daher nur, die überlieferte Tradition sowie seine moralischen Intuitionen stets aufs Neue zu überprüfen und gegebenenfalls zu erneuern. Otto Neurath, eine der Führungsfiguren im Wiener Kreis, umschrieb die Situation so: „Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu lassen.” Wie aber, so Steinvorths zentrale Frage, lässt sich auf die Bedingungen dieser „Docklosigkeit” reagieren? Lassen sich überhaupt noch verbindliche Aussagen treffen?
Die moderne Philosophie teilt das Schicksal der Religionen. Nicht umsonst klingt in Steinvorths Begriff der „Docklosigkeit” schon phonetisch die „Gottlosigkeit” mit. Steinvorth untersucht daher zunächst die Antworten religiöser Fundamentalisten, Papst Johannes Pauls II. auf der einen, den Vater des Islamismus Sayyid Qutb auf der anderen Seite. Es ist ein Verdienst, dass Steinvorth vor allem die Lehren Qutbs einer ebenso verständlichen wie unpolemischen Analyse unterzieht. Zwar kommt der Antisemitismus des ägyptischen Muslimbruders mit keinem Wort vor, das allerdings wohl eher zu einem rhetorischen Zweck: Steinvorth macht Qutbs Argumente so stark wie möglich, um sie dann umso wirkungsvoller zu zerschmettern. Zwar betone die islamistische Ideologie die Autonomie des Einzelnen, müsse sie aber gleichzeitig mit Verweis auf die gottgewollten Fähigkeiten wieder einschränken. In diesem Punkt unterscheide sich der islamische Fundamentalismus freilich kaum von dem der Päpste.
Veliebt in die Technik
Interessanter noch ist Steinvorths Reaktion auf die moderne Erfahrung der Fehlbarkeit aller menschlichen Urteile. Steinvorth deutet sie um zu einem neuen Grund für die Möglichkeit einer liberalen Erkenntnistheorie: Da alle Aussagen im Prinzip falsch sein können, müssten alle verfügbaren Gründe begutachtet werden. Dabei gelte - sei es in der Ethik, Wissenschaft oder der Metaphysik - diejenige Aussage als verbindlich, die unter Abwägung aller Gründe auch in Zukunft als am besten begründet erscheint. Gewiss verabschiedet sich Steinvorth damit von einem emphatischen Begriff der philosophischen Erkenntnis, der die absolute, also: überzeitliche Gültigkeit philosophischer Aussage behaupten könnte. Sein Gewinn ist hingegen beträchtlich: Er integriert die Fehlbarkeit in seine Theorie und erklärt zugleich, wie Aussagen zumindest zu einem gegebenen Zeitpunkt als verbindlich gelten können, ohne auf einem Fundament absoluter Gewissheit zu stehen.
Auf diese Weise macht Steinvorth rationale Metaphysik wieder möglich. Sein metaphysischer Ausblick, den er fundamentalistischen Weltdeutungen entgegenstellt, orientiert sich am Mythos des Prometheus. „Wenn Prometheus den Göttern das Feuer stiehlt, demonstriert er, daß der Sinn der Welt in der Förderung von Leben und Intelligenz besteht, nicht in der Verehrung der Götter”, schreibt Steinvorth. Alles, was den Menschen von der Mühsal körperlicher Arbeit befreie und ihm die Entfaltung seiner Fähigkeiten ermögliche, sei anzustreben.
Nach Kritik an Steinvorths Position muss man sich nicht lange umsehen. Sie findet sich leicht in den akademischen Diskursen über die Großtheorien, derer sich Steinvorth bedient: etwa in der Auseinandersetzung, ob eine kohärentistische Erkenntnistheorie grundsätzlich möglich sei oder ob der Schluss auf die beste Möglichkeit logisch nicht zu schwach sei, um derart gehaltvolle Aussagen zu treffen wie Steinvorth es versucht. Ebenso lassen sich Einwände gegen Steinvorths zurückhaltendes Verständnis des freien Willens erheben oder gegen seine eigenwilligen Interpretation von Wittgensteins Sprachspieltheorie.
Zu wünschen ist Steinvorths prägnant formulierten Buch jedoch vor allem eine Auseinandersetzung mit der metaphysischen Idee, die es vertritt. Dabei ist zweitrangig, dass sich Steinvorths prometheisches Ideal mit seiner gründerzeitlichen Technikverliebtheit wahrscheinlich kaum halten lassen wird. Um das zu zeigen, müsste ein Kritiker Steinvorth eine alternative Deutung entgegenstellen. Das hieße aber: selbst Metaphysik zu betreiben. Und damit hätte Steinvorth schon eines seiner wichtigsten Ziele erreicht. Die Leistung seines Buches ist, einen Weg zu zeigen, wie es unter den Bedingungen der Moderne möglich ist, über Metaphysik nachzudenken, ohne die Vernunft beim Eintritt in die Debatte abzugeben.
STEFFEN KRAFT
ULRICH STEINVORTH: Docklosigkeit oder zur Metaphysik der Moderne. Wie Fundamentalisten und Philosophen auf die menschliche Fehlbarkeit reagieren. Mentis Verlag, Paderborn 2006. 221 Seiten, 24,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Steffen Kraft ist nicht mit allem einverstanden, was Ulrich Steinvorth in seinem Buch an "metaphysischen Urteilen" anbietet, aber er ist grundsätzlich sehr angetan von Steinvorths Versuch, überhaupt wieder zu metaphysischen Aussagen zu kommen. Da es die zeitgenössische Philosophie "esoterischen Zirkeln" oder "fundamentalistischen Rattenfängern" überlässt, für philosophische Orientierung zu sorgen, ist der Vorstoß des Autors für eine "rationale Metaphysik" in den Augen des Rezensenten umso begrüßenswerter. Zunächst aber unterzieht Steinvorth sowohl die Lehren Papst Johannes Paul II. als auch die des islamischen Fundamentalisten Sayyid Qutb einer eingehenden Analyse. Hier vermerkt Kraft es als besonderes Verdienst, dass der Autor gänzlich "unpolemisch" zu Werke geht und es ihm damit gelingt, die fundamentalistischen Antworten "umso wirkungsvoller zu zerschmettern". Als eigentliche Leistung preist Kraft dabei, dass es Steinvorth erreicht hat, eine Möglichkeit aufzuzeigen, auch in diesen postmodernen Zeiten wieder über "Metaphysik nachzudenken".

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