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«Die Lektüre Eduard von Keyserlings macht süchtig.» Andreas Isenschmid, NZZ am Sonntag
Er ist der Meister der sinnlichen Erzählkunst, ein begnadeter Impressionist und Stimmungsmagier, und sein Werk gehört zum Stilvollsten, was die deutschsprachige Literatur hervorgebracht hat. Zu seinem 100. Todestag würdigt Manesse Eduard von Keyserling mit einem bibliophilen Liebhaberband, in dem erstmals sämtliche Erzählungen vereint sind. Seinerzeit zählten Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Herman Bang zu seinen Bewunderern. Und bis heute kommen Kritiker nicht aus dem Schwärmen heraus: «Besser als…mehr

Produktbeschreibung
«Die Lektüre Eduard von Keyserlings macht süchtig.» Andreas Isenschmid, NZZ am Sonntag

Er ist der Meister der sinnlichen Erzählkunst, ein begnadeter Impressionist und Stimmungsmagier, und sein Werk gehört zum Stilvollsten, was die deutschsprachige Literatur hervorgebracht hat. Zu seinem 100. Todestag würdigt Manesse Eduard von Keyserling mit einem bibliophilen Liebhaberband, in dem erstmals sämtliche Erzählungen vereint sind. Seinerzeit zählten Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Herman Bang zu seinen Bewunderern. Und bis heute kommen Kritiker nicht aus dem Schwärmen heraus: «Besser als Fontane!» (Michael Maar), «Nicht lesen, schlürfen!» (Tilman Krause), oder: «Houellebecq minus Zynismus» (Iris Radisch). Zeitgemäß im besten Sinne, ist dieser Klassiker mehr denn je der Entdeckung wert.

In dem Band enthaltene Erzählungen: Nur zwei Tränen (1882) / Mit vierzehn Tagen Kündigung (1882) / Das Sterben (1885) / Grüß Gott, Sonne! (1896) / Grüne Chartreuse (1897) / Die Soldaten-Kersta (1901) / Der Beruf (1903) / Schwüle Tage (1904) / Harmonie (1905) / Sentimentale Wandlungen (1905) / Im Rahmen (1906) / Seine Liebeserfahrung (1906) / Gebärden (1906) / Die sentimentale Forderung (1906) / Osterwetter (1907) / Die Verlobung (1907) / Geschlossene Weihnachtstüren (1907) / Frühlingsnacht (1908) / Landpartie (1908) / Bunte Herzen (1908) / Föhn (1909) / Winterwege (1909) / Prinzessin Gundas Erfahrungen (1910) / Am Südhang (1911) / Nachbarn (1911) / Die Kluft (1911) / Das Landhaus (1913) / Vollmond (1914) / Schützengrabenträume (1914) / Nicky (1915) / Verwundet (1915) / Der Erbwein (1916) / Pfingstrausch im Krieg (1916) / Das Kindermädchen (1916) / Das Vergessen (1917) / Die Feuertaufe (1917) / Im stillen Winkel (1918)

Autorenporträt
Eduard von Keyserling (1855-1918) entstammt einer baltischen Adelsfamilie. Er schrieb zahlreiche Romane, Erzählungen und Dramen, auch nachdem er ab 1908 vollständig erblindet war: In dieser Zeit entstanden seine heute bekanntesten Romane Wellen, Abendliche Häuser und Fürstinnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2018

Ein angenehmes Raubtiergefühl wärmte mir das Herz
In diesen Interieurs kann man es sich nicht gemütlich machen: "Landpartie", die gesammelten Erzählungen von Eduard von Keyserling

War er "besser als Fontane", wie es Michael Maar 2011 nach der Lektüre von Keyserlings Roman "Wellen" schrieb? Vermutlich ist der Versuch eines solchen Vergleichs der falsche Ansatz, um sich dem Werk von Eduard von Keyserling zu nähern, dessen Todestag sich jetzt zum hundertsten Mal jährt. Schließlich liegen zwischen beiden Autoren dreieinhalb Jahrzehnte und zudem eine andere soziale Zugehörigkeit. Während Fontane sich in seinem berühmten Gedicht zum 75. Geburtstag als enttäuschter Snob darüber beklagt, dass der preußische Adel nicht zu den Gratulanten gehört, wohl aber "sehr, sehr andre Namen" (wobei bei aller Freude sein latenter Antisemitismus deutlich wird), entstammte Eduard Graf von Keyserling zwar dem baltischen Adel, entfernte sich von diesem Milieu aufgrund gewisser Jugendsünden aber früh und ging zum Studium nach Wien. Klaus Modick hat diese Ablösung und die anschließende Ankunft Keyserlings in der Münchener Boheme gerade in seinem Roman "Keyserlings Geheimnis" fortgeschrieben zu einer schönen Geschichte über die Entstehung des bekannten Porträts von Lovis Corinth, das dieser 1901 von Keyserling gemalt hat.

Ein sehr guter Weg der Annäherung an Keyserlings Werk sind die gesammelten Erzählungen, die Manesse jetzt vorgelegt hat, gründlich kommentiert von Horst Lauinger und mit einem Nachwort von Florian Illies. Neu entdeckte Texte sind zwar nur wenige dabei, aber die chronologische Anordnung ist überaus aufschlussreich und kann ein für alle Male den Verdacht zerstreuen, Keyserling habe im Großen und Ganzen immer dieselbe Geschichte geschrieben, schwebend auf der mittleren Höhe einer gleichbleibenden Melancholie.

Worum geht es in den Erzählungen? Das ist schnell beantwortet. Es geht um Liebe und Tod, um Eros und Thanatos, aber nicht in einer ungefähren Welt, sondern eingebettet in gesellschaftliche Verhältnisse, die Keyserling sehr genau in den Blick nimmt, wobei dieser Blick fast immer ironisch gebrochen ist und zudem eine hinreichend analytische Kälte aufbringt.

Dabei bewegen sich die ersten Erzählungen überraschenderweise fast durchgängig in den niederen Klassen, und einige kreisen fast besessen um den Tod. Eine alte Frau sieht ihren bevorstehenden Tod fast auf den Tag genau kommen; eine ehemalige Landarbeiterin kann zum ersten Mal nicht mehr bei der Ernte mithelfen und erwartet ihren Tod auf dem Feld, inmitten der Getreidehalme. "Ein Toter ist fort. Aber wo ist er?" Dieselbe Frage stellt sich ein junges Mädchen, dessen Freitod dann glücklich scheitert. "Nicht leben - nicht mehr sein - wie ist das?"

Erst mit der 1904 in der "Neuen Rundschau" erschienenen langen Erzählung "Schwüle Tage", von Hermann Hesse in den höchsten Tönen gelobt, erklimmen wir die Höhen des Adels, der übrigens nicht immer baltisch, sondern fast in der Mehrzahl der Geschichten ost- oder westpreußisch ist. In ihr zeigt sich, dass Keyserling als Erzähler keineswegs vorrangig ein Stimmungsmaler war, sondern einen ausgeprägten Sinn für einen stimmigen Plot und eine gute Dramaturgie hatte. Schließlich schrieb er erfolgreich fürs Theater. Die Novelle ist raffiniert konstruiert, und es dauert eine Weile, bis man als Leser begreift, dass nicht der Ich-Erzähler (für Keyserling eine eher seltene Erzählperspektive) der Protagonist der Geschichte ist, sondern sein Vater und die viel jüngere Ellita und das unmögliche Liebesverhältnis, das beide miteinander haben und das schließlich zum Freitod des Vaters führt.

An dieser Novelle, so darf man sie getrost nennen, und an Erzählungen wie "Harmonie" (ein überaus ironischer Titel), "Bunte Herzen", "Am Südhang", "Nicky" und "Im stillen Winkel" lässt sich einiges festmachen. Keyserlings Erzählkunst braucht etwas Platz, denn die genannten Titel, die zu den stärksten des Bandes zählen, sind alle zwischen vierzig und siebzig Seiten lang. Andernfalls kann sich seine Dramaturgie nicht wirklich entfalten und verbleibt zuweilen zu sehr im Skizzenhaften. Das hat wohl dazu geführt, dass der Autor unglücklicherweise immer wieder dem "Impressionismus" zugerechnet wurde, ein fatales Fehlurteil, worauf zu Recht schon vor Jahren Florian Illies hingewiesen hat. Keyserling sei, schrieb Illies damals, kein Nostalgiker gewesen, im Gegensatz zu vielen seiner Leser, sondern jemand, der über einen kalten und genauen Blick verfügte. Er war, kann man hinzufügen, auch kein zarter Hintupfer von Stimmungsbildern. In seinen Erzählungen geht es nicht um Stimmungen, sondern um Lebenslagen. Der Begriff "Lebenslage" kommt in den hier gesammelten Erzählungen in der Tat wenigstens fünfzig Mal vor, eifrig benutzt sowohl vom jeweiligen Erzähler wie auch in den Dialogen der handelnden Personen.

Die Lebenslage, von der berichtet wird, ist dabei oft so verfasst, dass die Protagonisten sie gern ändern würden - aber nicht können. Berichtet wird von dem, was wir heute Ausbruchsversuche nennen würden, und die enden oft in Resignation und falscher Versöhnung, oft aber auch im gewaltsamen (Frei-)Tod. Die Sehnsucht nach dem Ausbrechen betrifft übrigens Frauen wie Männer. Keyserling schreibt keine sehnsuchtsvollen Nachrufe auf das Land und das Milieu seiner verlassenen Herkunft. Da gibt es nicht ein Fitzelchen Heimatliteratur. Der Mann war schließlich mit 23 Jahren von zu Hause weg und lebte in den Großstädten Wien und München, durch seine Syphilis zunehmend erblindet, in einer Zeit, die als nachträglich so benannte Belle Époque auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs zutrieb.

Das Missverständnis, er sei der Dichter und Sänger der baltischen und ostelbischen Adelswelt gewesen, rührt vielleicht von der plastischen und zuweilen recht derben Schilderung dieses Milieus her, vor allem, wenn es um den Sex bei und mit den niederen Ständen geht. Der Erzähler in "Schwüle Tage" etwa wird über seinen Liebeskummer von der Magd Margusch getröstet, und die Kammerjungfer Lina in "Am Südhang" hat die Stirn voller nasser Haarsträhnen: "Sie kam von einem Stelldichein hinter den Jasminbüschen, denn Lina hatte zu jeder Tageszeit Stelldicheins hinter den Jasminbüschen."

Den endgültigen Zusammenbruch der Belle Époque hat Keyserling nicht mehr erlebt; er durfte sieben Wochen vor Ende des Ersten Weltkriegs sterben. Der spielt übrigens in seinen letzten Erzählungen (im Gegensatz zu den Romanen) eine große Rolle und ist mehr als zeitgeschichtliche Staffage. Die letzte Erzählung, "Im stillen Winkel", im Mai 1918 erschienen und eines der Meisterstücke dieses Bandes, wird konsequent aus der Perspektive des elfjährigen Paul erzählt, dessen Vater, zwar adlig, aber als Bankdirektor schon Funktionselite, nicht mehr Grundbesitzer, am Ende "fällt". Weinen kann der Sohn darüber nicht, sosehr er sich auch Mühe gibt, aber kann vor den Dorfkindern - er ist mit der Mutter in der Sommerfrische - damit angeben. Das ist sein Anteil am falsch Heroischen.

Und dann sind da diese einzelnen Sätze, die wie Perlen aus den Texten hervorleuchten und den Leser innehalten lassen. "Ein angenehmes Raubtiergefühl wärmte mir das Herz." Oder: "Alles hatte hier Nerven, alle Menschen, alle Möbel, alle Blumen. Er selbst bekam auch Nerven." Oder: "Aber irgendwo musste sie doch auch sein, wenn man auch sechzehn Jahre alt ist, man ist doch ein Mensch." Schließlich: "Abends lasen sie ein gutes Buch. ,Ein gutes Buch', das war ein Ausdruck, den Reichel liebte." Solche schrägen Sätze, geradezu Stolpersteine, findet man in Fontanes Plaudereien nirgends. In Keyserlings Erzählungen dagegen kann man es sich nie gemütlich machen. Sie gehören ganz und gar der Moderne an. Deshalb sollten wir ihn lesen und nicht alle naselang "wiederentdecken".

JOCHEN SCHIMMANG

Eduard von Keyserling: "Landpartie". Gesammelte Erzählungen.

Herausgegeben und kommentiert von Horst Lauinger. Nachwort von Florian Illies. Manesse Verlag, München 2018. 740 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.12.2018

Katastrophen der Männlichkeit
Der Schriftsteller Eduard von Keyserling in seiner Epoche: Nun ist die umfangreichste Sammlung
seiner Erzählungen erschienen, die es je gab. Sie zeigt, dass er weit mehr war als ein baltischer Stimmungsmaler
VON GUSTAV SEIBT
Kaum ein Autor der deutschen Literaturgeschichte ist in den letzten zwei Jahrzehnten so vielseitig und brillant gerühmt worden wie Eduard von Keyserling, der baltische Graf, dessen Todestag am 28. September 1918 genau in die Zeit fiel, die seiner Herkunftswelt den Garaus machte. Da war ein zarter, eleganter Nebenklassiker immer neu zu entdecken, zu dem man nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe gelangte. Weniger großstädtisch verplaudert als Fontane, weniger steif als Thomas Mann, aber kaum weniger ironisch, lyrisch als Rilke, behauptet er sich neben den Großen mit einem Werk, das feinste Seelenschwingungen vor einer Kulisse endloser nordischer Sommer in delikatem Pianissimo vorspielt.
Wer Keyserling liest, geht in Ferien: „In Kadullen wurde im Sommer schon um vier Uhr gespeist, um den Abend für sommerliche Unternehmungen frei zu haben. Dann lag das Nachmittagslicht stetig auf der langen, weißen Gartenfront und den drei schweren Giebeln des Landhauses.“
Die Sicherheit, mit der dieser Erzähler die Stimmungen setzt, mit drei Griffen ins Klavier, ist jedes Mal betörend. Dabei ist er keineswegs nur ein Wortmaler der impressionistischen Abschattungen und Lichtflecke, der Dämmerungen und gläsernen Mondnächte. Er kann die Farben auch kräftig hinspachteln wie ein Murnauer Expressionist: „Das Land lag im Abendschein, apfelsinenfarbene Kornfelder, auf denen das Gras wie Bronze glänzte, der Tag war trübe gewesen, jetzt im Untergehen brach die Sonne durch, stand zwischen den beleuchteten Wolken wie zwischen Goldbarren.“ Das Wunder, dass diese visuelle Pracht von einem Erblindenden diktiert wurde, der nicht mehr selber schreiben konnte, ist oft notiert worden.
Gibt es jetzt zum hundertsten Todestag, nachdem längst Kritiker wie Peter von Matt, Florian Illies, Michael Maar und Martin Mosebach gesprochen haben, überhaupt noch etwas Neues zu finden im Keyserling-Kosmos? Doch, das geht noch, und zwar mithilfe der umfangreichsten Sammlung von Keyserlings Erzählungen, die je veranstaltet wurde. Zunächst ganz materiell durch den erstmaligen Neudruck von einem halben Dutzend kleinerer Erzählungen, darunter ein paar sehr früher, die seit ihrem Erscheinen in Zeitungen nie mehr zu lesen waren. Sie ändern am Gesamtbild immerhin das, dass es einen naturalistischen Keyserling gab, der mit kräftigen Strichen die bäuerliche Welt zeichnete.
Die von Horst Lauinger liebevoll kommentierte Ausgabe hat den großen Vorzug der Chronologie. Die Stücke werden nicht beziehungsreich arrangiert, sondern nach Jahreszahlen geordnet. Das erlaubt eine historische Kontextualisierung, die Keyserling als aufmerksamen Zeitbeobachter zeigt. Seine Helden sind, darin gleicht er Fontane, Heldinnen, Frauen, nicht Männer. Frauen sind bei ihm empfindsamer, intelligenter und stärker als alle Männer, und das steigert sich, je näher die Geschichten dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kommen. Dieser erscheint durchaus als Katastrophe der Männlichkeit. Auch zeigt sich am Ende der Sammlung eine deutliche soziologische Verschiebung: Der adelige Gutsherr mit seinem Müßiggang wird vom verbürgerlichten Beamtenadel ersetzt, der im Ministerium oder einer Bank arbeitet, zugleich aber Reserveoffizier ist.
Auch werden die ostpreußisch-baltischen Schauplätze durchs Voralpenland südlich von München ersetzt, Ort von Sommerfrischen der Gattinnen jener beschäftigten Herren. Ohne dass Namen fallen, erscheinen Gebirgsszenerien, die an Garmisch oder den Chiemgau erinnern. Dass Keyserling seine letzten Lebensjahre in der Münchner Ainmillerstraße verbrachte, hat seine Wirkungen gehabt. In dieser Lebensphase wird sein Blick auf die Gesellschaft härter. „Wissen Sie, wie mir unsere Gesellschaft zuweilen vorkommt?“, heißt es mit einem unheimlichen Bild in seiner letzten, 1918 entstandenen Novelle: „Wie eine Quadrille von Packträgern; jeder hat seinen Koffer auf der Schulter, aber sie tanzen und verbeugen sich und machen Chaine und tun so, als sähen sie gar nicht die schweren Koffer, die einem jeden von ihnen die Schultern zerdrücken.“
Die Geschichte „Im stillen Winkel“, aus der das Zitat stammt, spielt bei Kriegsausbruch 1914 in einer bayerischen Sommerfrische und erzählt die Tragödie eines Buben, dessen Vater in den ersten Kriegswochen fällt. Der Knabe macht sich den kriegerischen Kult von Mut und Härte, angetrieben auch durch das Mobbing Gleichaltriger, so zu eigen, dass er davonläuft und in den Erschöpfungstod rennt. In den gleichen Sommerwochen von 1914 spielte die schon 1915 entstandene Geschichte „Nicky“, benannt nach der Heldin, deren an Langeweile leidende Ehe durch den Kriegsausbruch befestigt wird – eine Sommerliebe mit einem glutäugigen, kränkelnden, nur der Kunst lebenden brasilianischen Pianisten wird von ihr abgebrochen. Übrigens ließe sich fragen, ob diese durchweg mit einem weißen Anzug auftretende Figur nicht ein Wiedergänger jener gespenstischen Gestalt ist, die Thomas Manns Gustav von Aschenbach am Münchner Nordfriedhof trifft, bevor er nach Venedig zum Tod aufbricht.
Bedrückend klarsichtig beschreibt Keyserling, noch mitten im Kriege, die aus Müßiggang und Sensationslust gemischte Atmosphäre, die von den großen Kriegsnachrichten in der Gesellschaft erzeugt wurde. Die Mobilmachung beginnt, und man läuft zusammen, hat aber eigentlich nichts zu tun: „Auf den Straßen wogte eine dichte Menschenmenge, allein es war nicht das gleichgültige geschäftige Treiben eines Großstadtwerktags. All diese Menschen hatten Zeit, waren müßig. Wenn sie einander begegneten, blieben sie stehn und sprachen miteinander, oder sie riefen sich die Nachrichten zu, oder sie standen still und warteten. Auch hier schien es, als kennten sich alle, als wären sie Hausgenossen eines riesigen Hauses. (...) Dann kamen Soldaten, lange Reihen in feldgrauer Uniform, Blumen an den Helmen und Gewehren, wie ein Festzug. Und die großen jungen Burschen lächelten ein befangnes, feierliches Lächeln. Zuweilen sangen sie, starke, raue Stimmen, gewohnt, auf Berge und Täler hinauszuschreien. Andächtig hörten die Umstehenden zu, wie einem Kirchengesange.“ Unterhaltung und Pathos im Einklang, das hat damals nur Karl Kraus gleich scharf gesehen.
Man soll ihn verschlingen, rät Florian Illies im Nachwort. Das kommt, wenn man einmal angefangen hat, meist von selber. Aber es lohnt auch, ihn wiederzulesen mit dem Blick auf seine Zeit.
Eduard von Keyserling: Landpartie. Gesammelte Erzählungen. Nachwort von Florian Illies. Manesse Verlag, München 2018. 740 Seiten, 28 Euro.
„ … der Tag war trübe
gewesen, jetzt im Untergehen
brach die Sonne durch …“
„Und die großen jungen Burschen
lächelten ein
befangnes, feierliches Lächeln.“
Eduard Graf von Keyserling (1855-1918) verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in München. Dort malte im Jahr 1900 Lovis Corinth den Schriftsteller aus Schwabinger Künstlerkreisen.
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gustav Seibt verschlingt Eduard von Keyserlings Erzählungen. Die chronologisch angelegte, laut Seibt mit Liebe kommentierte Sammlung schätzt er, da sie dem Leser den naturalistischen Zeitbeobachter und Stimmungsmaler Keyserling zeigt und eine historische Kontextualisierung ermöglicht, wie er schreibt. Keyserlings Heldinnen (nicht Helden!) und die klarsichtige Zeichnung der Kriegsatmosphäre vermögen Seibt noch immer in Bann zu schlagen. Dass der Autor weniger steif schreibt als Thomas Mann, doch kaum weniger ironisch, gefällt ihm gleichfalls gut.

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»Nun ist die umfangreichste Sammlung seiner Erzählungen erschienen, die es je gab. Sie zeigt, dass er weit mehr war als ein baltischer Stimmungsmaler. ... Die von Horst Lauinger liebevoll kommentierte Ausgabe hat den großen Vorzug der Chronologie. Die Stücke werden nicht beziehungsreich arrangiert, sondern nach Jahreszahlen geordnet. Das erlaubt eine historische Kontextualisierung, die Keyserling als aufmerksamen Zeitbeobachter zeigt.« Süddeutsche Zeitung, Gustav Seibt