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"Das Buch ist eine Legende, eines der bedeutendsten Bücher seiner Epoche. [...] Und eines, das nach einer erneuten Lektüre verlangt." Krzysztof BiedrzyckiBewegt von der ernsthaften Sorge um die ethische Integrität von Literatur, die immer dann am stärksten gefährdet zu sein scheint, wenn Schriftsteller_innen in die Klauen der Politik geraten und zwischen Gehorsam und Widerstand wählen müssen, ist Stanislaw Baranczaks frühe Essaysammlung Ethik und Poetik (EA 1979) das Zeugnis eines literarischen und kritischen Ringens mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts - ein ringen um die Literatur und…mehr

Produktbeschreibung
"Das Buch ist eine Legende, eines der bedeutendsten Bücher seiner Epoche. [...] Und eines, das nach einer erneuten Lektüre verlangt." Krzysztof BiedrzyckiBewegt von der ernsthaften Sorge um die ethische Integrität von Literatur, die immer dann am stärksten gefährdet zu sein scheint, wenn Schriftsteller_innen in die Klauen der Politik geraten und zwischen Gehorsam und Widerstand wählen müssen, ist Stanislaw Baranczaks frühe Essaysammlung Ethik und Poetik (EA 1979) das Zeugnis eines literarischen und kritischen Ringens mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts - ein ringen um die Literatur und deren erhoffte rolle bei der Wiederherstellung eines ethischen Wertesystems.An Klassikern wie Thomas Mann, Ossip Mandelstam, Dietrich Bonhoeffer, Czeslaw Milosz, Miron Bialoszewski, Wislawa Szymborska, Zbigniew Herbert u. a.m. zeichnet Baranczak jene po-ethischen Überzeugungen nach, für die deren Autor_innen mit Schreibverbot, Exil oder Tod bezahlen mussten.
Autorenporträt
Stanis¿aw Baräczak wurde 1946 in Posen geboren. Er studierte Polonistik an der Adam-Mickiewicz-Universität, an der er 1973 mit einer Dissertation über Miron Biäoszewski promovierte. Sein Debüt als Dichter lieferte er bereits 1965. Er gehörte 1976 zu den Gründern des KOR (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter), wurde 1977 aus politischen Gründen aus seiner Assistenzprofessur entlassen und mit einem Druckverbot belegt. In den Siebzigerjahren hielt er Vorträge im Rahmen der unabhängig vom Staat organisierten ¿fliegenden Universität¿. Im Ausland und in den polnischen Untergrundverlagen erschienen von ihm mehrere Gedichtbände und Essays. Im September 1980 durfte er im Zuge des wachsenden Drucks durch die Solidarnö¿-Bewegung seine Posener Universitätsstelle wiederaufnehmen. Im März 1981 reiste er in die USA, um die Professur am renommierten Alfred-Jurzykowski-Lehrstuhl für polnische Sprache und Literatur an der Harvard-Universität anzutreten, auf die er bereits 1978 berufen worden war. Der prominente Vertreter der polnischen Neuen Welle / Generation 68 gilt als einer der bedeutendsten Lyriker, Übersetzer und Essayisten der polnischen Gegenwartsliteratur und wurde mehrfach national wie international prämiert. Seine von Karl Dedecius ins Deutsche übertragenen Gedichte erschienen in mehreren Anthologien der polnischen Poesie. Stanis¿aw Baräczak ist 2014 in Newtonville, Massachusetts, gestorben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Endlich, jubelt Rezensent Artur Becker, ist der Essayband "Ethik und Poetik" des polnischen "Multitalents" Stanislaw Barnaczak auch auf Deutsch erschienen. Wurde auch Zeit, meint Becker, vierzig Jahre sind seit seiner Erstveröffentlichung vergangen. Der Band entstand in der "grauen und unsicheren Zeit" des Realsozialismus in Polen, Baranczak war politisch in der kommunistischen Partei PZPR aktiv und Mitunterzeichner des "Briefs 59", lesen wir. Gleichzeitig war er aber auch ein junger, aufstrebender Dichter, ein wichtiger Vertreter der "Neuen Welle". Es war eine Zeit, in der "Poesie zur Rebellion" wurde, was sich für Becker in Baranczaks Essays und Gedichten widerspiegelt: "das dichterische Denken" wird hier zum Gegenwicht eines"dogmatischen Denkens". Die Essays haben seitdem nichts von ihrer Aktualität eingebüßt, versichert der Kritiker, im Gegenteil: gerade angesichts des überall erstarkenden Autoritarismus ist dieses Plädoyer für eine Balance zwischen "kritischem Denken" und Gefühl von großer Wichtigkeit, denkt sich der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2023

Zwischen Humanismus und organisiertem Terror

Von Stanislaw Baranczak, einem der bedeutendsten Dichter der polnischen "Neuen Welle", erscheinen literaturkritische Skizzen über Ethik und Poetik.

Er war ein Lyriker, von dem viele interessante Impulse ausgingen, und dennoch würde nicht jeder, der seine Verdienste aufzählen sollte, in erster Linie sein lyrisches Werk nennen. Manchen waren seine brillanten Übersetzungen englischsprachiger Dichtung wichtiger, andere schätzten ihn vor allem als Essayisten. In einem Punkt wären sich allerdings alle wohl einig: Der 2014 verstorbene Stanislaw Baranczak war über Jahre eine der farbigsten Persönlichkeiten der polnischen Literaturszene.

Zum ersten Mal machte er von sich reden, als sich in Polen die sogenannte "Neue Welle" formierte. Ihre Entstehung war eine Reaktion auf die Ereignisse vom März 1968, als deren Auslöser die Absetzung von Adam Mickiewicz' Drama "Totenfeier" am Warschauer Nationaltheater galt. Die Inszenierung wurde als antisowjetisch interpretiert und verschwand nach zwei Monaten vom Spielplan, was landesweit für Demonstrationen von Intellektuellen und Studenten sorgte. Und als sich unter ihnen mehrere Juden fanden, konnte jener Flügel der regierenden kommunistischen Partei, der die Unruhen provoziert hatte, die antisemitische Hetzkampagne starten, um die es ihm von Anfang an gegangen war. Auf eine Welle von Repressalien und Verhaftungen folgte eine Massenvertreibung der Juden, darunter vieler namhafter Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller.

Schon zu Beginn dieser Zeit trat eine Gruppe junger, zorniger Dichter auf den Plan, unter ihnen Stanislaw Baranczak. Ihr Protest hatte aber nicht nur politischen, sondern auch literarischen Charakter: Er richtete sich gegen das damalige gesellschaftliche Klima - die Verlogenheit der Medien, die Aufdringlichkeit der Indoktrination, die Allgegenwart der Zensur - und gegen den Zustand der polnischen Literatur, deren Thematik und Ästhetik ihnen zunehmend realitätsentrückt und leserfeindlich erschienen. So verlangten sie zum einen das Recht, heikle Themen aufzugreifen, und zum anderen die Rückkehr zur Einfachheit und Präzision des Ausdrucks, was sich auch in ihren Gedichten spiegelte. Das Fundament von Baranczaks eigener Poetik wurde schon in seinem ersten Band, "Gesichtskorrektur" (1968), sichtbar: Ein Gedicht sollte nach seiner Auffassung permanente Skepsis, Kritik, Entblößung bedeuten; alles wurde von ihm unter die Lupe genommen und auf seine Glaubwürdigkeit geprüft. Vor allem aber registrierte er die Phrasenhaftigkeit der Propagandasprache und machte sie durch das exakte Verzeichnen der benutzten Füllwörter, Floskeln und nonverbalen Redeteile lächerlich.

Eine weitere politische Lektion war für ihn das Jahr 1976, in dem auf die brutale Niederschlagung der Arbeiterunruhen in Radom und Ursus die Gründung des "Komitees zur Verteidigung der Arbeiter" folgte, dem er sich sofort anschloss. Dies und seine anderen Untergrundaktivitäten führten dazu, dass er von der Posener Universität, an der er als Dozent arbeitete, entfernt und mit Druckverbot belegt wurde. Seitdem publizierte er nur noch in Untergrund- und Exilblättern. Vor allem die seit 1982 in Paris erscheinenden "Zeszyty Literackie" (Literarische Hefte) konnte man sich ohne seine Gedichte, Übersetzungen, Rezensionen, Polemiken und Glossen kaum vorstellen. Er gestaltete jede Ausgabe mit, zumal er inzwischen selbst Exilant geworden war: 1981 emigrierte er in die USA, indem er eine ihm seit Jahren angebotene Professur der Harvard University annahm.

In Paris, im dortigen Exilverlag Institut Littéraire, publizierte er auch erstmals seinen nun auf Deutsch vorliegenden Band "Ethik und Poetik", der heute als Klassiker der polnischen Essayistik gilt und seit seinem Erscheinen 1979 für jeden Literaturwissenschaftler Pflichtlektüre war. Er enthält Skizzen, Essays und Rezensionen von 1970 bis 1978 und ist einerseits ein interessantes Zeugnis seiner Zeit, das Baranczaks kritische Auseinandersetzung mit beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts und sein Bemühen um eine ethisch und künstlerisch vertretbare Literatur dokumentiert. Und andererseits ein eindrucksvolles Beispiel dessen, wie man über Literatur schreiben kann, ohne in besserwisserischen Ton zu verfallen oder den Leser mit Fachjargon zu quälen. Dabei scheint ihn wenig zu beeindrucken, dass er sich mit so bekannten Autoren wie Thomas Mann, Ossip Mandelstam, Dietrich Bonhoeffer, Josif Brodski, Czeslaw Milosz, Miron Bialoszewski, Wislawa Szymborska oder Zbigniew Herbert auseinandersetzt. In seinen Texten ist er trotzdem nicht nur der aufmerksame Kritiker, der das Werk der Genannten ordnet, interpretiert und kommentiert, sondern auch der private Leser, der einen leichten, scherzhaften, bisweilen ironischen Ton nicht scheut.

Es ist übrigens kein Zufall, dass es lauter Autoren sind, die unter politisch extremen Umständen arbeiteten - dieser Druck der Politik und folglich die Frage, inwieweit man ihm entgegenwirken kann, statt "sich einer uns überlegenen Autorität zu unterwerfen, die uns von der Verantwortung, von der Verpflichtung, selbständig zu denken, von der Notwendigkeit der individuellen Wahl entbindet", interessierte Baranczak in besonderem Maße. Und es fällt auch auf, dass er sich am liebsten mit der Dichtung befasste. Nicht nur, weil er selbst Dichter war, sondern auch, weil er dieser Gattung in erster Linie die Fähigkeit zuschrieb, "die Stimme des Einzelnen", "das individuelle Denken" zum Ausdruck zu bringen und dem Menschen zu helfen, "trotz entmenschlichender Zustände Mensch zu bleiben".

Eine besondere Bedeutung hat die erste Skizze, "Settembrinis veränderte Stimme". Sie erschien ursprünglich 1975 in einem Literaturblatt und löste eine zweijährige Diskussion über den "Zauberberg" aus, die heute als eine Art Testament der Neuen Welle gilt. Von den zwei Widersachern, Naphta und Settembrini, steht Baranczak Letzterer viel näher: ein Humanist, der die Individualität hochschrieb und alles ablehnte, was sie einschränken konnte. Gleichzeitig behauptet er, dass der Streit der beiden nicht beendet sei, weil sie in immer neuen Gestalten von Intellektuellen, die auf zwei gegensätzlichen Positionen stünden, wiederkehren würden. Und er ist der Ansicht, dass "man sich im Streit zwischen dem Humanismus und dem organisierten Terror entweder für die eine oder für die andere Seite aussprechen muss". Dass "der zeitgenössische Hans Castorp" kein Recht mehr habe, "jene zwei gegensätzlichen Standpunkte in Einklang zu bringen", denn es habe sich wiederholt gezeigt, "dass es einen dritten Weg ganz einfach nicht gibt".

Damit meinte er zwar die Realität, in der er all diese Texte schrieb, aber dennoch hat ein Teil seiner Ausführungen auch in unserer heutigen, politisch angespannten Zeit seine Gültigkeit. Doch obwohl man diesem Band zweifellos vieles abgewinnen kann, möchte man hoffen, dass auf diese Auswahl von Baranczaks essayistischen Arbeiten irgendwann eine seiner Gedichte folgen wird. Denn die in Anthologien enthaltenen oder der 1994 auf Deutsch erschienene Zyklus "Die Winterreise", seine "Gedichte zur Musik Franz Schuberts", schließen diese Lücke nicht wirklich. MARTA KIJOWSKA

Stanislaw Baranczak: "Ethik und Poetik". Skizzen 1970-1978.

Hrsg. von Alexandru Bulucz, Ewa Czerwiakowski, Michael Krüger. Aus dem Polnischen von Jakub Gawlik und Mateusz Gawlik. Vorwort von Adam Zagajewski, Nachwort von Krzysztof Biedrzycki. Edition Faust, Frankfurt am Main 2023. 416 S., geb., 28,- Euro.

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