19,99 €
inkl. MwSt.

Versandfertig in über 4 Wochen
payback
10 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

For use in schools and libraries only. The decisions of a few industrial leaders shake the roots of capitalism and reawaken man's awareness of himself as a heroic being.

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
For use in schools and libraries only. The decisions of a few industrial leaders shake the roots of capitalism and reawaken man's awareness of himself as a heroic being.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2012

Gefahr im Buch

Früher war der Roman "Atlas Shrugged" von der konservativen Schriftstellerin Ayn Rand das Lieblingsbuch von Paul Ryan. Heute möchte der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten davon nichts mehr wissen. Woran liegt es? Eine Neulektüre

Als Mitt Romney, der Präsidentschaftskandidat der amerikanischen Republikaner vor einer Woche verkündete, er habe sich als Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, "running mate" und Wahlkampfkumpel für die Wahl am 6. November einen gewissen Paul Ryan ausgesucht, da ließ sich ganz hervorragend beobachten, dass man der amerikanischen Mediendemokratie wirklich alles vorwerfen kann, nur nicht schlecht ausgebildete Reflexe. Schnell war das Grundsätzliche etabliert: Paul Ryan hat eine viel einnehmendere Persönlichkeit als der etwas dröge Romney und ist erst 42 Jahre jung, das heißt 25 Jahre jünger als Romney, neun Jahre jünger als Obama, aber beispielsweise drei Jahre älter als der deutsche Vize Philipp Rösler. Er sieht mit seinem brünetten Kurzhaarschnitt ein bisschen aus wie der junge Ronald Reagan und verbringt jeden Morgen eine Stunde mit einem besonders anstrengenden DVD-Fitnessprogramm namens "P90x". Bei Google stand 24 Stunden nach der offiziellen Verkündung direkt hinter der Suchanfrage "Paul Ryan vice president" die Suche nach "Paul Ryan shirtless". So weit, so indiskret, so egal.

Unter all den persönlichen Indiskretionen, die jetzt herausgefunden oder abgestaubt wurden, sticht nur eine heraus. Vor sieben Jahren, als er noch ein einfacher Kongressabgeordneter aus dem kleinstädtischen Janesville in Wisconsin war, hatte Ryan nämlich in einer Rede ganz freiwillig über seine Lieblingsbücher gesprochen und erklärt, der Roman "Atlas Shrugged" der Schriftstellerin Ayn Rand habe ihn beeinflusst wie kein zweiter und sei inzwischen absolute Pflichtlektüre für alle seine Mitarbeiter und Praktikanten. Das Besondere an der Information ist nicht nur, dass sie vom Mitglied einer Partei kommt, die schon seit dem überwältigenden Wahlsieg des republikanischen Soldatenhaudegens Dwight D. Eisenhower über den Demokraten-"Eierkopf" Adlai Stevenson im Jahr 1952 weiß, wie man Intellektuellenschelte als effektives Wahlkampfgeschütz einsetzt, sondern dass sie auch offensichtlich die einzige unter den vielen persönlichen Indiskretionen ist, die Ryan selbst nervös macht. Inzwischen lässt er nämlich keine Gelegenheit mehr aus zu erklären, seine Rand-Vorliebe sei nicht mehr als eine "urbane Legende" - obwohl sich jeder den Originalton der Rede im Internet anhören kann.

Wer ist also diese Ayn Rand, deren Name allein schon ein solches politisches Gewicht trägt, dass man die politischen Überzeugungen vieler Amerikaner daran erkennen kann, ob sie sagen, Ayn reime sich auf "shine" oder auf "swine"? Was hat es mit einem Buch wie "Atlas Shrugged" auf sich, das in Deutschland so unbekannt ist, das es nach vielen Jahren des Vergriffenseins erst seit diesem Jahr wieder übersetzt zu haben ist, im Kleinstverlag Kai M. John und mit Frank Schäffler, dem Chef-Anti-Euro-Raubauken der FDP, als prominentestem Buchklappenjubler?

Ayn Rand wurde 1905 als Alissa Sinowjewna Rosenbaum in St. Petersburg geboren und kam mit 21 Jahren auf der Flucht vor den russischen Bolschewiken, die ihrem Vater seine Apotheke abgenommen und ihre Familie hatten verarmen lassen, nach New York. Nach einiger Zeit als halbwegs erfolgreiche Drehbuchautorin in Hollywood begann sie die Arbeit am ersten ihrer beiden großen Romane, "The Fountainhead", der auf Deutsch je nach Übersetzung "Der Ursprung" oder "Der ewige Quell" heißt. Das 1943 erschienene Buch (dessen sechs Jahre später erfolgende Verfilmung mit Cary Grant in der Hauptrolle sie pingelig überwachte) folgt dem brillanten, hochnotmännlichen Architekten Howard Roark in seinem Kampf gegen eine amerikanische Gesellschaft, die partout kein Interesse an seinen modernen Wolkenkratzerentwürfen zeigt, sondern lieber die Antikenpastiches seiner kriecherischen Rivalen baut, und in der so wenig Interesse an individueller Leistungsfähigkeit besteht, dass das Personalpronomen "Ich" per Gesetz verboten wird.

Als schließlich doch etwas von Roark gebaut wird, aber andere Architekten daran herumpfuschen, sprengt er vor Stolz sein eigenes, verunreinigtes Gebäude, kann sich vor Gericht aber mit einer leidenschaftlichen Brandrede vor der Verurteilung retten: "Keine Arbeit kann jemals kollektiv und mit einer Mehrheitsentscheidung verrichtet werden. Alles Kreative kann nur unter der Anleitung eines einzelnen, individuellen Gedankens entstehen. Das erste Recht auf der Erde ist das Recht des Ichs. Die erste Pflicht des Menschen ist die sich selbst gegenüber."

Über solche Bücher sagte Ryan damals: "Wenn wir den Kampf gewinnen wollen, dann müssen wir sicher sein, dass wir uns unserer Grundsätze sicher sind (. . .), und wenn wir diese Grundsätze verteidigen wollen, dann müssen wir zu Ayn Rand schauen. Denn es gibt keinen besseren Ort, um eine moralische Verteidigung von Kapitalismus und Individualismus zu finden als die Schriften von Ayn Rand."

"Atlas Shrugged", das 15 Jahre später erschien, ähnelt "The Fountainhead" in vielem. Und als wären die 700 Seiten des Vorgängers nicht genug gewesen, reicht die gleiche Menge Papier Rand diesmal gerade, um die Geschichte überhaupt erst in Fahrt zu bringen. Zwei von drei Teilen lang schaut das Buch der ehrgeizigen Eisenbahnerbin Dagny Taggart zu, wie sie sich gegen den dekadenten, von sozialistischen Ideen verdorbenen Bruder zur Wehr setzt und dabei zusehen muss, wie ihr nacheinander und ohne Erklärung die wenigen Mitarbeiter aus der Firma weglaufen, über deren "Inkompetenz" sie sich nicht auf jeder zweiten Seite aufregen muss. Allmählich stellt sich heraus, wohin sie verschwinden. Zusammen mit anderen "Menschen des Geistes", einem lederbejackten Nachwuchs-Ölbaron etwa, einem genial-autistischen Stahlfabrikanten oder einem Komponisten, dessen "triumphale" Concertos eine Melodie haben in einer Zeit, "in der keiner mehr Melodien schrieb", haben sie sich dem genialen, jungen Erfinder John Galt angeschlossen und sind in den Streik getreten, um mit den "Plünderern" und "Schmarotzern", wie Kommunisten und Sozialdemokraten bei ihnen heißen, nichts zu tun haben zu müssen. Als Taggart nach langem Rätselraten in dem versteckten Tal in Colorado ankommt, wo sich die ganzen Leistungsträger versteckt haben, und John Galt sieht, erkennt sie ein Gesicht "das keine Spur von Schmerz oder Angst oder Schuld zeigte. Die Form seines Mundes zeigte Stolz, mehr noch: es war, als wäre er stolz darauf, stolz zu sein."

Solche Beschreibungen sind beispielhaft für den pathetischen Stil des ganzen Buchs. Ob ein neu eingeführter Charakter ein "Plünderer" ist oder nicht (etwas dazwischen gibt es nicht), erkennt man immer schon in den ersten Sätzen, die ihn einführen. Heldenaugen sind "dunkelgrau" und "direkt" und "intelligent", die Augen der anderen dagegen "blass", "leer" und "leblose Schlitze". Die Faszination und die Gefahr von Ayn Rand liegt nun nicht in der literarischen Qualität, sondern in der Radikalität, mit der ihre makellosen Hauptdarsteller dem Leser auf jeder Seite ihre politischen Ansichten entgegenbrüllen.

Und wer das auch nach tausend Seiten von "Atlas Shrugged" noch nicht verstanden haben sollte, dem wird noch einmal auf die Sprünge geholfen, als John Galt sich in ein offizielles Radioprogramm der zerstörerischen Regierung einklinkt - ganz einfach, schließlich sind alle halbwegs fähigen Ingenieure des Landes auf seiner Seite - und mit einer Rede beginnt, die auf siebzig Seiten ununterbrochen Rands eigene, später auch noch in deutlich weniger einflussreichen, theoretischen Schriften festgehaltene, von ihr "Objektivismus" getaufte Philosophie auf einige kompakte, praktisch anwendbare Punkte bringt: "Die einzigen Aufgaben einer Regierung sind: Die Polizei, um euch vor Kriminellen zu beschützen; die Armee, um euch vor fremden Eroberern zu beschützen; und die Gerichte, um euer Eigentum und eure Verträge vor Betrug zu schützen."

Wo sich solche Sätze noch nach einer zugespitzten Version der Rhetorik anhören, die heute auch jemand wie Paul Ryan benutzt, wenn er für "smaller, smarter government" wirbt und in seinem "Path to Prosperity" genannten Haushaltsentwurf so ziemlich alles von der Krankenversicherung bis zur Sozialhilfe privatisieren will, da werden nur wenig später auch die Grundsätze genannt, auf denen solche praktischen Ideen aufbauen müssen, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen.

Für Rands Leistungsträger nämlich wechseln sich Kirche und Staat genaugenommen nur dabei ab, die Menschen in ihrer Freiheit einzuschränken; für Rands Figuren ist es ausdrücklich ein widersinniger Gedanke, sich einerseits zu Hause über "Plünderer" zu beschweren und andererseits mit Waffengewalt anderen Leuten ihr Land streitig zu machen. Der Grund, aus dem ein Paul Ryan, der nicht nur von seiner eigenen Partei gerne als Idealist und "idea man" hochgehalten wird, sich jetzt als Vizepräsidentschaftskandidat möglichst fern von solchen Romanfiguren halten möchte, liegt wohl darin, dass vielleicht erst der Kontrast zu einer derart destillierten konservativen Ideologie zeigt, wie verdreht und verquer die Freiheitsversion ist, die Ryan zusammen mit seiner gesamten Partei spätestens seit George W. Bush mit sich herumträgt.

Wie die meisten anderen in seiner Partei hat Paul Ryan in den letzten Jahren genau das gemacht, was bei Rand die größte aller Sünden ist: die eigenen Ideale irgendeinem größeren Zwecke zuliebe beiseite gesteckt. Er hat für TARP gestimmt, die staatliche Rettung großer und völlig inkompetenter Banken, er hat mit seiner Stimme geholfen, den Irak-Krieg (und den in Afghanistan) zu ermöglichen, bei dem wir inzwischen wissen, dass da hauptsächlich plündernde Absichten waren. Der junge Paul Ryan hat sich in den letzten Jahren von einer Randschen Heldenfigur in einen typischen Bösewicht ihrer Bücher verwandelt. Er ist, kurz gesagt, Politiker geworden. Kaum eine Figur wird in "Atlas Shrugged" als so jämmerlich beschrieben wie der politische Lobbyist Wesley Mouch, und mit Leuten von dessen Sorte, mit den Leuten vom "Cato Institute" oder der "Heritage Foundation" hat Ryan jetzt täglich zu tun. Niemand ist den edlen Arbeitermillionären hinter John Galt so verhasst wie Reiche, die sich, anstatt zu produzieren, in Washington rumtreiben, um die Spielregeln nach eigenem Gusto hinzubiegen. Und vor kurzem hat sich Paul Ryan erstmals öffentlich mit dem Kasinomagnaten Sheldon Adelson getroffen, der den Romney-Wahlkampf schon jetzt mit mindestens zehn Millionen aufgepolstert hat.

Und als er erst kürzlich von der amerikanischen Bischofskonferenz aufgefordert wurde, sich gefälligst von der leidenschaftlichen Atheistin Ayn Rand zu distanzieren, tat er das so schnell wie möglich - mit dem Hinweis, er habe sowieso viel mehr für Thomas von Aquin übrig.

GREGOR QUACK

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr