Produktdetails
Autorenporträt
Arthur Schnitzler, geb. 15.5.1862 in Wien, versuchte bereits als Neunzehnjähriger seine ersten Dramen zu schreiben. Nach dem Studium der Medizin war er Assistenzarzt an der Allgemeinen Poliklinik und dann praktischer Arzt in Wien, bis er sich mehr und mehr seinen literarischen Arbeiten widmete. 1886 erscheinen die ersten Veröffentlichungen in Zeitungen, 1895 das erste Buch. Bei Arthur Schnitzler bildet stets der einzelne Mensch den Mittelpunkt seiner durchweg im Wien der Jahrhundertwende angesiedelten Stoffe. Er starb am 21.10.1931 als einer der bedeutendsten österreichischen Erzähler und Dramatiker der Gegenwart in Wien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.1996

Wer mehr liebt, zahlt drauf
Groll als heimatliches Gefühl: Arthur Schnitzlers Tagebücher

Musikalisch gewertet, klingen die Akkorde etwas eintönig: Auf "Melancholie, Melancholie, Melancholie" folgt das Echo "allein, allein, allein". Gewiß läßt sich an der Herbststimmung der zwei Dreiklänge in Moll nicht deuteln, auch nicht an der Wahrhaftigkeit der Emotion. Doch wie Arthur Schnitzler sie ausdrückt, zeigt den Filter künstlerischen Bewußtseins und Wollens.

Was der gealterte Dichter - er ist über sechzig - seinen Tagebüchern von Anfang 1923 bis Ende 1926 anvertraute, erweckt bei oberflächlicher Betrachtung trotzdem den Eindruck vergleichsweise guter Jahre. Naturgemäß beklagt der Diarist Vergänglichkeit und Vergeblichkeit seiner und jeder Existenz, aber das Leitmotiv früherer Bände, die peinigenden Ohrgeräusche und das fortschreitende Ertauben, taucht nur selten auf. Selbst die Verzweiflung über die Trennung von Olga ist bitterer, gleichwohl gedämpfter Trauer gewichen. Im Grunde sind die Bande zwischen den beiden unzerreißbar, auch wenn deren Haltbarkeit nicht zuletzt auf destruktiven Fixierungen beruht. Noch in seinem "Hass", "Groll", und "Zorn" gegen Olga, sagt er ihr, fühle er sich "heimatlicher" als in "positiven Gefühlen gegenüber anderen". Seine Sehnsucht gilt einer phantasierten, nicht der realen Person.

Der Kreis der Verehrerinnen wird nicht kleiner, im Gegenteil. Gusti, die Schwester der von ihm einst so besitzergreifend geliebten Mizi Glümer, schreibt dem emeritierten Don Juan: "Die Weiber sind hinter Ihnen her." Und eine Freundin erzählt, sie habe von seinem Wunsch geträumt, alle Frauen, mit denen er sexuelle Beziehungen hatte, mögen zu seinem Begräbnis erscheinen. "Sie war erstaunt über die Masse", notiert er, "dann entstanden peinliche Rangstreitigkeiten über die Reihenfolge, in der sie meinem Sarge folgen sollten!" Solch postume Vision bestätigt ihn in seinem pessimistischen Menschenbild: "Von wie viel Eifersucht und wie wenig Liebe ist man umgeben." Er weiß aus Selbstbeobachtung, wovon er spricht, denn das von seiner Seite aus recht nüchterne Verhältnis mit Clara Katharina Pollaczek erweist sich als ebenso praktisch wie anstrengend: "Wer mehr liebt, zahlt drauf. Diesmal ist sie's", bemerkt er trocken.

Obwohl das vordem nicht unbeträchtliche Vermögen des Erfolgsautors durch Krieg und Inflation auf einen Bruchteil reduziert wurde, bleibt Arthur Schnitzler gelassen. Ihm gelingt sogar ein Stück meisterlicher Prosa, die Novelle "Fräulein Else", zudem vollendet er die erste Fassung seines Romans "Therese", die "Komödie der Verführung" wird uraufgeführt. Literarische Weggefährten der Frühzeit sieht er zunehmend kritisch, im Falle Hugo von Hofmannsthals registriert er von Bewunderung gemilderte Entfremdung: "dieses seltsame Gemisch des durchaus zwecktrüben satanischen Individuums das Hugo manchmal vorstellt und des reinen, hohen einzigartigen Menschen, - der er besonders in Gesprächen sein kann." Und mit maliziöser Beiläufigkeit charakterisiert er im Anschluß an einen Theaterbesuch der Epoche berühmtesten Mitleidsdramatiker: "All seine ,Menschenliebe' reagirt Hauptmann in seinen Werken ab, um im Leben nicht davon genirt zu werden." Qualität erkennt und anerkennt Schnitzler dennoch mit klarem Blick. Fasziniert liest er Thomas Manns "kostbaren Zauberberg", Robert Musil nennt er nach Lektüre der "Schwärmer" einen "sehr begabten Schriftsteller".

Nein, unbeschwerte Heiterkeit ist auch damals Arthur Schnitzlers Sache nicht gewesen, düster sind die meisten der zahlreichen Träume, die er aufzeichnet. Indes wirkt er beinah erleichtert, daß die Tragödien pausieren. Das Schicksal verschont ihn von allzu schlimmen Verlusten. Zwar trifft ihn der Tod Mizi Glümers im November 1925, die Leidenschaft ist jedoch mit den Jahrzehnten verweht: Vergangenheit entschwand mit ihr ins Grab, mehr nicht. Daß seine abgöttisch geliebte Tochter Lili sich in der Pubertät immer merkwürdiger verhält, bemerkt er ohne allzu große Beunruhigung. Schon betritt der Faschisten-Capitano Arnoldo Cappellini die erotische Szene. Alsbald entführt er dem Vater das junge Mädchen nach Italien. Lilis Selbstmord anno 1929, die Katastrophe von Schnitzlers späten Tagen, macht den siebenundsechzigjährigen Mann über Nacht zum Greis. Dann wird er die traurigste Bilanz seines Daseins ziehen: "Nichts vorher wissen - das ist das einzige sichere Glück. - Das einzige - ? das einzige sichere - ??" ULRICH WEINZIERL

Arthur Schnitzler: "Tagebuch 1923 - 1926". Unter Mitwirkung von Peter Michael Braunwarth, Susanne Pertlik und Reinhard Urbach herausgegeben von Werner Welzig. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1995. 496 S., br., 75,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr