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Die Erstausstrahlung des US-amerikanischen Fernsehvierteilers Holocaust im Januar 1979 markiert einen Einschnitt in der westdeutschen Erinnerungskultur. Ausgerechnet eine populärkulturelle Darstellung bestreitet die Rede von der 'Undarstellbarkeit' des totalen Genozids an den Juden Europas sowie die anscheinende Überlegenheit schriftlicher gegenüber bildlichen Vergegenwärtigungen. Die vorliegende Studie untersucht in Lektüren ausgewählter Texte von fünf nichtjüdischen Autoren und Autorinnen deren jeweilige Repräsentationsstrategien. Neben literarischen Texten wird dabei auch Hans Jürgen…mehr

Produktbeschreibung
Die Erstausstrahlung des US-amerikanischen Fernsehvierteilers Holocaust im Januar 1979 markiert einen Einschnitt in der westdeutschen Erinnerungskultur. Ausgerechnet eine populärkulturelle Darstellung bestreitet die Rede von der 'Undarstellbarkeit' des totalen Genozids an den Juden Europas sowie die anscheinende Überlegenheit schriftlicher gegenüber bildlichen Vergegenwärtigungen. Die vorliegende Studie untersucht in Lektüren ausgewählter Texte von fünf nichtjüdischen Autoren und Autorinnen deren jeweilige Repräsentationsstrategien. Neben literarischen Texten wird dabei auch Hans Jürgen Syberbergs Film Hitler - Ein Film aus Deutschland (1977) analysiert, der, noch vor der Holocaust-Serie entstanden, dennoch einen Gegenentwurf darstellt.

Bisherige Forschungsschwerpunkte des Autors:
Erinnerungstheorien, Literarischer Antisemitismus,
Deutsche Literatur seit 1979

Rezension:
Hahn, Hans-Joachim: Repräsentationen des Holocaust. Zur westdeutschen Erinnerungskultur seit 1979 (= Probleme der Dichtung 33). Heidelberg:
Universitätsverlag C. Winter 2005. ISBN 3-8253-1636-X; 309 S.; EUR 28,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Anne D. Peiter, Université de Paris - Sorbonne IV
E-Mail:

Die an der Freien Universität in Berlin entstandene Dissertation beschäftigt sich mit der Verarbeitung der Shoah im filmischen und literarischen Werk von nicht-jüdischen Künstlern aus Deutschland. Im Zentrum stehen ausgewählte Filme bzw. Texte von Hans-Jürgen Syberberg, Anne Duden, Ulla Berkéwicz, Bernhard Schlink und Martin Walser. Hahn begründet diese Auswahl damit, es gebe bis heute eine Art „Arbeitsteilung“ zwischen „Opferseite“ und „Tätergesellschaft“ (S. 29); es sei daher wichtig, die Besonderheiten der Auseinandersetzung mit der Shoah von Nicht-Juden zu untersuchen. Die zeitliche Zäsur, die sich Hahns Überzeugung nach mit dem Jahr 1979 verbindet, geht auf die erste Ausstrahlung der Fernsehsendung „Holocaust“ zurück. Durch diese sei in Westdeutschland eine in ihrer Heftigkeit bis dahin unbekannte Diskussion ausgelöst worden. Im Buch wird der gesetzte Zeitrahmen dann jedoch durchbrochen, weil offenbar die frühen Texte eines Autors wie Martin Walser für das Verständnis seiner heutigen politischen Optionen unabdingbar sind und vielfältige Kontinuitäten zu der Zeit vor 1979 bestehen.

Gleich drei Themenkomplexe sollen in Hahns Buch in den Blick genommen
werden: erstens „das deutsch-jüdische Verhältnis“, zweitens der „Umgang mit Produkten der Populärkultur“ und drittens der so genannte „Normalisierungsdiskurs“, durch den sich Teile der deutschen Gesellschaft historisch entlasten wollten (vgl. S. 24). Vorangeschickt werden theoretische Überlegungen, in denen sich Hahn mit der Forschungsliteratur auseinandersetzt. Seine These, der nicht-jüdischen deutschen Germanistik sei es bislang kaum gelungen, die Folgen der Shoah für die deutschsprachige Literatur und die deutsche Erinnerungskultur nach 1945 zu fassen, erscheint insofern etwas gewagt und forsch, als Hahn damit eine besonders strenge Lektüre seines eigenen Buches herausfordert. So ist es schwierig, von einer „Globalisierung des Holocaust-Diskurses“ auszugehen. Katja Schuberts vergleichende Studie über jüdische Autorinnen aus Frankreich und Deutschland etwa zeigt die historisch bedingten Unterschiede, die zwischen den Erinnerungskulturen der beiden Länder bestehen.[1]

Des Weiteren greift Hahn Gert Mattenklotts These an, der Holocaust sei sinnlos, „positiv wie negativ und in jeder Hinsicht“ (S. 53). „Ein Problem in dieser Redeweise besteht jedoch darin, die Überzeugung der Nazis, die ihre Verbrechen selbstverständlich für sinnvoll hielten, aus dem Bereich des Erklärbaren [...] herauszuhalten“, schreibt Hahn dazu.
Bei solchen Entgegnungen hätte man sich eine stärker argumentative Auseinandersetzung mit Mattenklott gewünscht – eine Prüfung dessen, was hier mit „sinnlos“ gemeint sein kann. Hahn wendet sich außerdem in polemischer Schärfe gegen die These Jürgen Nieraads, die US-amerikanische Serie „Holocaust“ arbeite mit einem „begriffslosen, momentanen Identifikationsschock, einer sentimentalen und folgenlosen Mitleidsreaktion“, so dass das Geschehen „zu einer Montage von erhabenen Momenten“ verkomme (S. 26). Für Hahn sind hingegen Identifizierungen durchgehend so positiv besetzt, dass er hinter Nieraads Kritik vorgefasste ästhetische Werturteile vermutet.

Sobald Hahn sich seinem Film- und Textkorpus zuwendet, greift seine Kritik besser, und es gelingen ihm dichte Interpretationen. So weist er überzeugend nach, dass Syberberg eine Gleichsetzung von Opfern jüdischer und nicht-jüdischer Herkunft betreibt und dass seine späten Essays von einem unverhohlenen Ressentiment gegen die Erinnerung an die Shoah zeugen. Im Kapitel über Anne Duden wird dann erneut die Identifikation mit den ermordeten Juden zum Maßstab für die Qualität literarischer Texten erklärt. Hahn kritisiert, dass die Erzählinstanz in Dudens Texten – die Stimme einer nichtjüdischen deutschen Erzählerin – ihre eigene Traumatisierung in den Vordergrund stelle. Problematisch sei außerdem die Auseinandersetzung mit christlichen Opfergeschichten, die zu einer Bestätigung des „Erlösungsmythos von Jesus als dem ultimativen Opfer“ führten (S. 278). Zugleich erkennt Hahn die „beeindruckende Assoziationsdichte“ an (S. 183), die Dudens Bücher aufwiesen.

Berkéwicz’ Roman „Engel sind schwarz und weiß“ wird bescheinigt, mit Hilfe populärkultureller Mittel die Sprache von Nationalsozialisten auf eine Weise zitierbar zu machen, dass diese der Leserschaft als fremd entgegentritt. Zugleich arbeite die Autorin mit einer „zur Identifizierung einladenden Personalisierung, die allerdings nicht zur Verklärung oder Entschuldigung des Protagonisten auffordert“ (S. 214).
Anders als Berkéwicz’ Roman unterzieht Hahn den Bestseller „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink einer scharfen Kritik: Die Protagonistin des Romans – eine nationalsozialistische Täterin – entschuldige Schlink durch ihren Analphabetismus. Schlinks Buch sei aber gerade aufgrund seiner Unzulänglichkeiten interessant. Als Repräsentant einer zunehmend einflussreichen politischen Tendenz gelten Hahn schließlich die Texte Martin Walsers. „Tod eines Kritikers“ mit seinen „Rassenschande“-Phantasien erscheint dabei nur als Kulminationspunkt in einer Reihe von Texten, die um das „Leiden der ‚Häftlinge’ als ‚nationale Schwierigkeit’“ kreisten (S. 257).

Hahn resümiert, der Blick auf sein Text- und Filmkorpus dokumentiere „eine geringe Empathie mit den Opfern und eine Instrumentalisierung der Schulddebatte“ (S. 276). Seiner Ansicht nach ist es bedauerlich, dass Nichtjuden bisher kaum direkte künstlerische Darstellungen des Holocaust geschaffen hätten. Über die Bedeutung des Adjektivs „direkt“ würde man als LeserIn hier gern mehr erfahren. „In allen ‚Texten’ wird der Holocaust fast ausschließlich indirekt dargestellt, der eigentliche Genozid an den europäischen Juden durch die Einsatzgruppen und in den Vernichtungslagern bleibt ausgespart. Die Leser und Zuschauer werden allenfalls an die black box des Holocaust herangeführt, vor einer Traumatisierung bleiben sie verschont.“ (S. 31) Hahn kann nicht erklären, was „wirkliche“ Shoah-Literatur sei oder zu sein habe. Indem er die Schilderung der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung hin zum Genozid neben dessen konkretem Vollzug gleichsam für zweitrangig erklärt, blendet er Texte aus, deren Kraft gerade in ihrer Zurückhaltung sowie in ihrer Fähigkeit besteht, die Präsenz von Gewalt im vermeintlich heilen Alltag darzustellen. Das ist insofern schade, als seine eigenen – kenntnisreichen – Analysen ja auch Texten gewidmet sind, denen die Darstellung eben dieser Zusammenhänge gelingt.

Anmerkung:
[1] Schubert, Katja, Notwendige Umwege. Gedächtnis und Zeugenschaft jüdischer Autorinnen aus Deutschland und Frankreich nach Auschwitz, Hildesheim 2001.

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Jan-Holger Kirsch

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