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Zum 30. Todestag am 15. Oktober 2019 erstmals übersetzt: Der zweite, wegweisende Roman von Danilo Kiš.
Der erstmals ins Deutsche übersetzte Roman von Danilo Kiš aus dem Jahr 1962 erzählt von der Jüdin Maria, die 1944 mit ihrem sieben Wochen alten, im Lager geborenen Sohn aus Birkenau flieht. „Nie wieder hat Kiš das Thema der Judenverfolgung mit solcher Direktheit angegangen, gleichsam auf körperliche Art und in Nahaufnahme“, schreibt Ilma Rakusa in ihrem Nachwort. Die Geschichte der Flucht verwebt er kunstvoll mit Rückblenden aus der Kindheit Marias, wie die antisemitischen Übergriffe in…mehr

Produktbeschreibung
Zum 30. Todestag am 15. Oktober 2019 erstmals übersetzt: Der zweite, wegweisende Roman von Danilo Kiš.

Der erstmals ins Deutsche übersetzte Roman von Danilo Kiš aus dem Jahr 1962 erzählt von der Jüdin Maria, die 1944 mit ihrem sieben Wochen alten, im Lager geborenen Sohn aus Birkenau flieht. „Nie wieder hat Kiš das Thema der Judenverfolgung mit solcher Direktheit angegangen, gleichsam auf körperliche Art und in Nahaufnahme“, schreibt Ilma Rakusa in ihrem Nachwort. Die Geschichte der Flucht verwebt er kunstvoll mit Rückblenden aus der Kindheit Marias, wie die antisemitischen Übergriffe in der Schule und das Massaker von Novi Sad. „Psalm 44“ ist sowohl thematisch als auch sprachlich ein wichtiger Baustein des zum 30. Todestag am 15. Oktober nun vollständig übersetzten Werks.

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Autorenporträt
Danilo Ki, 1935 in Subotica als Sohn eines ungarischen Juden und einer Montenegrinerin geboren, zählt zu den bedeutendsten europäischen Autoren der Gegenwart. Er starb 1989 in Paris. Sein Werk umfasst Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays. Neben dem Schreiben arbeitete Ki auch als Übersetzer aus dem Ungarischen, Französischen und Russischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019

Das Gedächtnis gehört den Verletzlichen
Ein Roman von 1962, der genau im richtigen Augenblick erstmals auf Deutsch erscheint: "Psalm 44" von Danilo Kis

In Danilo Kis' Frühwerk "Psalm 44" aus dem Jahr 1962, das nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, wird die Geschichte der Jüdin Maria erzählt, die 1944 mit ihrem gerade einmal sieben Wochen alten Sohn Jan die Flucht aus dem Lager Birkenau wagt, um Jakob, den Vater des Kindes, zu finden. Die Geschichte dieser Flucht wird immer wieder von Rückblenden durchbrochen und fügt sich gerade deshalb bruchstückhaft wie ein großes Gedächtnisgemälde zusammen, das der Verfasser selbst wohl am ehesten mit einem Palimpsest in Beziehung gebracht hätte. Hier schon wird Kis' literarische Methode sichtbar, die in seinen späteren Arbeiten ihre singuläre Strahlkraft gefunden hat, aber bereits in "Psalm 44" kraftvoll auf sich aufmerksam macht.

1935 kam der Schriftsteller in Subotica zur Welt, einer mehrsprachigen Stadt in der von vielen Völkern und Religionen geprägten Vojvodina. Paris, das ihm 1989 zum Sterbeort wurde und zuvor unfreiwilliger Zufluchtsort war, scheint keinem psychologisch belanglosen Zufall geschuldet zu sein, denn hierhin rettete Kis sich vor den diffamierenden Angriffen nationalistischer wie antisemitischer Kleingeister aller Couleur, denen er, ein autonomer Mensch mit eigener Denkfarbe, der die beiden menschenverachtenden Lagersysteme des zwanzigsten Jahrhunderts als einer der ersten europäischen Intellektuellen zugleich im Blick hatte, stets als Provokation erschienen war. "Sobald eine Gemeinschaft dich annimmt, stelle dich in Frage", hatte er einmal geschrieben und damit seinen geistigen Lebensort jenseits aller Sicherheiten als unabhängig denkender Solitär benannt. Es passt zu seiner Originalität, dass am Anfang seines Schreibens eine Frau als Erzählerin steht, die Überlebende, Zeugin und Erinnernde in einem ist.

Nicht zufällig wählt Kis hierfür in seinem bewegenden Kurzroman "Psalm 44" Maria als das alles Verbindende, was die Gewalt seines Jahrhunderts zu trennen versucht hat. Die Mutter eines Kleinkindes ist Hüterin des Gedächtnisses. Sie, die Jüdin ist, weil andere sie zu dieser Anderen machen, erinnert sich auf der Flucht an eine Begebenheit aus ihrer Kindheit mit einem Mädchen, das ihr brüsk zu verstehen gab, alle Juden seien an der Kreuzigung Christi beteiligt gewesen, denn ein jeder hätte "wenigstens einen Nagel gereicht". Das Erlebnis dieser Urszene christlicher Schuldphantasie, die den Antisemitismus über die Zeiten hinweg genährt hat, rüttelt Maria auf, aber anders als die dabei anwesende Mutter will das Kind darüber zu Hause alles dem Vater erzählen, es will sprechen.

Später, als diese Erinnerung Teil ihres Befreiungsversuchs aus dem Lager wird und die Flucht zu gelingen scheint, trifft sie auf einem Hof eine Frau, die sie bei sich aufnimmt und bei ihr arbeiten lässt. Bei dieser ersten Begegnung lamentiert die Hofbesitzerin lautstark über die schlechten Zeiten, an denen die Juden schuld seien, sie hätten alles kaputtgemacht, und ihr Mann habe immer gesagt, sie seien auch verantwortlich für den Krieg. Prompt sagt Maria, ja, jeder von denen habe wenigstens einen Nagel gereicht, woraufhin sie von der Frau für eine Protestantin gehalten wird. Diese plötzliche Eingebung, jenen Satz aus ihrer Kindheit zu wiederholen, rettet Maria endgültig das Leben; sie darf auf dem Hof bleiben, weil sie als Jüdin intuitiv versteht, dass ihr nur so ein neuer Anfang möglich ist.

Kis selbst hat sich über sein Frühwerk kritisch geäußert und es zeitweise als zu lyrisch verworfen, es habe ihm an der Würze namens Ironie gefehlt. Er, der Sohn einer montenegrinischen Christin und eines ungarischen Juden, der in Auschwitz ums Leben kam, hat das Thema der Schoa nie wieder auf eine so ungeschützte Weise wie hier aufgegriffen. Doch zeitlebens hat er das zu gestalten versucht, was er Marias Vater, einem Trinker, in den Mund gelegt hat, als er diesen über das Massaker von Novi Sad sprechen und also an jene "kalten Tage" erinnern ließ, an denen dort Juden massenweise ins Eis der Donau gestoßen oder reihenweise am Ufer erschossen wurden. Dieser Vater kann immer noch sagen, dass sein Gott "nur eine Inkarnation der Gerechtigkeit und Menschenliebe und Güte ist; und der Hoffnung". Vielleicht kann er deshalb seiner Tochter etwas Entscheidendes beibringen, das leider bis heute Gültigkeit hat. Nicht der zum "Anderen", also zum Fremden Gemachte sorgt für den Unterschied zwischen den Menschen, sondern der, der den Unterschied benennt: "und das genügt schon, dass du Leid erfährst".

Ohne es selbst vielleicht in dieser Tragweite schon 1962 gesehen zu haben, hat Kis nicht nur ein Werk über das Leiden der Juden unter nationalsozialistischer Verfolgung und die Lager der Nazis geschrieben, sondern auch eine Art europäischen Rückkehrer-Mythos verfasst. Denn alle, die überlebt haben und wie Maria mit ihrem kleinen Kind zu den Tätern zurückgekehrt sind, haben das bewiesen, was Hannah Arendt einst mit dem Anfang und dem Geborensein in Verbindung gebracht hat: "Wir können etwas beginnen, weil wir Anfänge und Anfänger sind." Dieses Neue haben die europäischen Juden in einem pionierhaften Anfang nach dem Zweiten Weltkrieg gewagt, und Kis war ihr literarischer Zeuge erster Stunde.

Der Hass sei ein Atavismus der Horde, die menschliche Intoleranz gehe allen ethnischen, rassistischen und nationalen Entitäten voraus, so heißt es einmal in "Psalm 44". Dieses Momentum der Intoleranz ist es, das Kis in seinem Schreiben nie aus den Augen verloren hat. Sein melodisches und tiefgründig klares, fast tänzerisches Serbokroatisch (es ist ganz wunderbar, dass der Verlag diese Ursprungssprache so benannt hat) wurde von der Übersetzerin Katharina Wolf-Grieshaber in ein musikalisches und genaues Deutsch übertragen, das nicht nur rhythmisch, sondern auch geistig das Original würdigt, eine Arbeit, die kostbar und beeindruckend ist. Vielleicht mussten all diese Jahrzehnte vorbeigehen, damit dieses Buch, mit seinen großen Ambitionen, gerade jetzt dem deutschen Leser zugänglich ist, in einer Epoche, in der die menschliche Intoleranz, wie Kis sie hier beschrieben hat, wieder versucht, die Wurzeln der Schönheit und also die menschliche Ganzheit vergessen zu machen. Nur die Verletzlichen können von der Härte dieses Unterfangens berichten. Nur die Verletzlichen haben ein Gedächtnis. Die Intoleranten hingegen arbeiten daran, die Erinnerung abzuschaffen.

MARICA BODROZIC

Danilo Kis: "Psalm 44". Roman.

Aus dem Serbokroatischen von Katharina Wolf-Grieshaber. Hanser Verlag, München 2019. 135 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Beeindruckt, wenn auch nicht ohne Einschränkungen berichtet Rezensent Carsten Hueck über diesen Romanerstling des nachmals so berühmten Danilo Kis. 25 Jahre alt war der Autor, als er diesen Roamen schrieb, nun ist er erstmals und dankenswerter Weise übersetzt. Die Auschwitz-Geschichte sei nicht frei von Pathos, führt Hueck aus, und auch historische Ungenauigkeiten macht er in dem 1960 verfassten Buch aus. Aufgewogen wird dies laut Hueck durch "schriftstellerische Furchtlosigkeit" und mehr noch durch ein moralisches Empfinden, das sich gerade auch auf die Sprache und die Schilderung der Gewalt erstrecke: Diese sei zwar drastisch, aber nicht spekulativ. Und selbst die drastische Gewalt ist ihm lieber als das seicht-naive Erzählen, mit dem sich die Nachgeborenen heute des Holocausts bedienen. Hueck empfiehlt das frühe Werk eindringlich zur Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Du
gibst uns
preis
Mit der Übersetzung des frühen
Romans „Psalm 44“ gibt es jetzt
alle Texte von Danilo Kiš
auf Deutsch. Und man kann sehen,
wie er zu einer Sprache für die
Grauen des Holocaust fand
VON ULRICH RÜDENAUER
Danilo Kiš hat in einem Interview berichtet, wie sein Vater im Zweiten Weltkrieg beinahe zu einem Opfer des Massakers von Novi Sad geworden wäre – jenem unfassbaren Verbrechen, das im übrigen den Nukleus im Werk des großen serbischen Autors Aleksandar Tišma darstellt: Von Gendarmen wird Kišs Vater im Januar 1942 zum Strandbad an der Donau abgeführt. Der Fluss ist gefroren, man hat ein Loch ins Eis geschlagen, ringsum ungarische Soldaten. Die zusammengetriebenen Juden werden gezwungen, sich zu entkleiden. Die Nackten stehen hintereinander an, als würden sie auf Einlass ins Bad warten. Sie werden beschimpft, verhöhnt, malträtiert, mit Bajonetten durchbohrt, erschossen und anschließend in die Donau geworfen. Ein Zivilist stößt sie mit einer Stange unters Eis.
Wie durch ein Wunder, so Danilo Kiš, kommt sein Vater nicht an die Reihe. Das Loch im Eis ist von Leichen verstopft, die barbarische Prozedur gerät ins Stocken, und weil inzwischen die internationale Öffentlichkeit von den Vorgängen Kenntnis genommen hat, wird die Aktion abgebrochen – zumindest vorerst. Dieser Blick in die Vorhölle, so Kiš, habe die ohnehin angeschlagene Gesundheit des Vaters vollends zerstört. Wenig später sollte er in Auschwitz ermordet werden.
Danilo Kiš, 1935 in Subotica als Sohn eines ungarischen Juden und einer montenegrinischen, serbisch-orthodoxen Mutter geboren, hat diese Geschehnisse selbst nicht erlebt. Doch sie waren in den Körper und die Seele seines Vaters eingebrannt, unaussprechlich, und die Traumata sind auf die Familie übergegangen. Aus Dokumenten von Überlebenden konnte Kiš nach dem Krieg Einzelheiten dieses Januar-Tages rekonstruieren, die in seinem frühen Roman „Psalm 44“ eingingen. Zusammen mit dem Kurzroman „Die Dachkammer“ kam „Psalm 44“ 1962 heraus, die erste Buchpublikation des Autors. Mit der nun veröffentlichten Übersetzung von Katharina Wolf-Grießhaber liegen alle Texte des 1989 gestorbenen Kiš auf Deutsch vor.
Kiš beschreibt eine ungeheuerliche Szenerie. In kaum auszuhaltender Drastik erleben wir etwa den Abdecker der Gemeinde, Kenyéri, bei seiner Arbeit – er zerstückelt die dahingeschlachteten Menschen, damit sie durch das mühevoll ins Eis gehauene Loch passen. „Wie ein Bursche (seinem Wolfsgebiss nach zu urteilen, der Sohn des Abdeckers) die fast schon tote Frau an den Beinen hielt und wie die Frau gleich einem geschlachteten Huhn zappelte, als die Zähne einer Säge ihr das Fleisch an der Seite aufschnitten, und wie der Mann dann ‚prrrr‘ sagte und wie er seinen Sohn anfuhr ‚halt doch, du Dummkopf!‘ und wie der Bursche die Zähne zusammenbiss und die Beine der Frau fester fasste, dann, wie der Mann die Säge ein wenig nach hinten zog, dann nach vorn und wie er das gezähnte Werkzeug schließlich kräftig zu sich riss, als der Stahl zwischen zwei Wirbeln einen Weg durchs Rückgrat gefunden hatte, und wie die Säge, während auf beiden Seiten Blutbäche in den Schnee sprudelten und strömten, weich gleitend die Därme und das Fleisch zerschnitt.“
Dieser zweite Roman ist eine Ausnahme im Werk von Kiš. Nie mehr danach hat er die Dinge in solch brutaler Deutlichkeit, als sei er selbst Augenzeuge gewesen, benannt. Die Scheu, das Unsagbare zu erzählen, hatte den jungen Autor noch nicht ergriffen. „Psalm 44“ hat Kiš im Alter von 25 Jahren in nicht einmal einem Monat geschrieben, als Beitrag für einen Wettbewerb der Vereinigung jüdischer Gemeinden in Belgrad im Jahr 1960. Der anonym eingereichte Text gewann den Hauptpreis; die Jury war zunächst davon überzeugt gewesen, er sei von einer Frau verfasst worden. Die Geschichte wird nämlich feinfühlig aus der Perspektive der jungen Jüdin Maria erzählt, die wie der Vater von Kiš das Massaker von Novi Sad nur zufällig überlebt und später ebenfalls nach Auschwitz deportiert wird.
Sie hat dort eine Liebesaffäre mit dem jüdischen Arzt Jakob, der sie zu schützen sucht und unter unklaren Umständen im Lager tätig ist. Sein Chef ist der diabolische Dr. Nietzsche, in dessen charakterlicher Physiognomie Josef Mengele kenntlich wird. Maria wird schwanger, bringt in Birkenau in den letzten Kriegstagen ihr Kind auf eine Welt, die alle Menschlichkeit verloren hat. Mit Hilfe des geheimnisvollen Kapos Max, der als Deus ex machina auftritt, gelingt ihr mit dem Säugling die Flucht. Auch Jakob überlebt die Wirren der letzten Kriegswochen, und nach Monaten finden er und Maria glücklich zusammen. Jahre später besucht die Familie die Gedenkstätte Auschwitz. Dem schattenhaft bleibenden Max begegnen die drei dort wieder – er arbeitet nun als Fremdenführer.
Dieser fast ein bisschen kolportagehaft wirkenden Erzählung lag eine Zeitungsreportage zugrunde, die Kiš gelesen hatte und die er mit literarischen Mitteln fortspann. Man merkt dem Buch an, dass es sich um ein Frühwerk handelt. Kiš, dieser hochgerühmte, aber hierzulande kaum noch wahrgenommene Schriftsteller, sucht nach einer Form, die seine Lebensthemen fassen könnte: den Holocaust, das Überleben unter totalitärer Gewalt, den Antisemitismus.
Es gibt einige Ungereimtheiten in dem Buch. Der Lageralltag etwa ist detailreich beschrieben, aber diese Beschreibungen sind historisch ungenau – was durchaus heikel ist bei einem Roman, der sich an einer realistischen Erzählweise orientiert. Die Sprache hat zuweilen einen Drall ins Pathetische, die Dialoge sind von einem hohen Ton getragen, der die hehren Absichten des Autors beglaubigen soll, aber den Figuren nicht angemessen scheint – auch wenn es immer wieder Erinnerungssequenzen gibt, die in eine andere Welt hinüberführen und in denen Ausdruck und Gefühl zusammenfinden.
Dennoch ist „Psalm 44“ für die Leserinnen und Leser des Werks von Danilo Kiš eine Entdeckung. Der Roman offenbart einiges, das sich in seinen meisterlichen Werken wiederfindet: In der Figur des Vaters von Maria erkennen wir etwa den Vater wieder, der in Danilo Kišs autobiografischer Trilogie „Garten, Asche“, „Frühe Leiden“ und „Sanduhr“ im Zentrum stehen wird.
Was in „Psalm 44“ tastend unternommen wird, eine eigene Sprache für den Holocaust zu finden, gelingt dort auf suggestive, einzigartige Weise: Das Unaussprechliche wird tatsächlich poetisch umkreist; Konkretisierungen lösen sich immer wieder in traumhafte, symbolistische, surreale Bilder auf. Das Episodische hat Vorrang vor einer alle Widersprüche und Windungen begradigenden Geschichte. Das Lyrische seines Tons, bitter und von immenser Eindringlichkeit, gleitet zwischen den Zeiten hin und her, überführt Anschauung in düstere Erfahrung.
Die Schwäche seines Jugendwerks, bekannte Kiš in einem seiner seltenen Interviews, liege „im verhängnisvollen Fehlen einer ironischen Distanz – einem Element, das später zum integrierenden Bestandteil meines literarischen Verfahrens wurde“. Trotzdem hat er seine schriftstellerischen Anfänge nie verleugnet, hat diesen Roman vielmehr als Zeugnis eines „Reifeprozesses“ begriffen. Und seinen innersten Kern als Auftrag.
„Du gibst uns preis wie Schlachtvieh und unter die Völker hast du uns zerstreut“, heißt es im 44. Psalm der Korachsöhne im Alten Testament. Am Leid des jüdischen Volkes hat Danilo Kiš sich immer weiter abgearbeitet – obsessiv, wie er selbst sagte. Und mit einer stilistischen Radikalität, die sein Werk zu einem der bedeutendsten des 20. Jahrhunderts macht.
Danilo Kiš: Psalm 44.
Roman. Aus dem Serbokroatischen
von Katharina Wolf-Grießhaber.
Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa.
Carl Hanser Verlag.
136 Seiten. 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"Vielleicht mussten all diese Jahrzehnte vorbeigehen, damit dieses Buch, mit seinen großen Ambitionen, gerade jetzt dem deutschen Leser zugänglich ist, in einer Epoche, in der die menschliche Intoleranz [...] wieder versucht, die Wurzeln der Schönheit und also die menschliche Ganzheit vergessen zu machen." Martina Bodrozic, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.19

"Seine Erzählhaltung ist getragen von schriftstellerischer Furchtlosigkeit und moralischem Empfinden gegenüber der Sprache und gegenüber dem Menschen - ungeachtet seiner Nationalität oder gesellschaftlichen Stellung." Carsten Hueck, Deutschlandfunk Kultur, 26.10.19

"Es sind messerscharfe Analysen ..., die 'Psalm 44' heute zu einem erschreckend aktuellen Buch machen." Bernd Noack, Bayern 2 Diwan, 29.09.19

"Danilo Kis schreibt unpathetisch, schreibt sehr einfach; aber nervös flackern die Worte, zucken die langen Sätze wie die Nerven in einem Körper, der die Macht menschlicher Niedertracht in jeder Faser spürt, sie aber nicht begreift, einfach nichts begreift." Alexander Solloch, NDR Kultur, 08.11.19

"Empathisch war Kis immer, ironisch wurde er erst später, derart realistisch wie in 'Psalm 44' war er danach nie mehr." Peter Pisa, Kurier, 07.12.19