Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 1,50 €
  • Gebundenes Buch

Eigentlich ist Andreas Lüscher Unfallpsychologe. Seit er jedoch eine Stelle als Gesprächstherapeut in der onkologischen Abteilung eines Krankenhauses angetreten hat, bestimmen Vokabeln aus der Krebstherapie seinen Arbeitsalltag: Dosisfraktion, Rezidivrisiko, Paarbildung. Ihn, der lieber beobachtet als mittendrin steht, der lieber Distanz wahrt, als zu nahe zu kommen, fasziniert das Verhältnis zwischen Patient und Arzt, die Bedeutung von Kommunikation, von Worten.
Bis er eines Tages auf die Krankenakte einer Patientin stößt, deren Name ihm vertraut ist: Mit Meret Etter hat ihn vor Jahren
…mehr

Produktbeschreibung
Eigentlich ist Andreas Lüscher Unfallpsychologe. Seit er jedoch eine Stelle als Gesprächstherapeut in der onkologischen Abteilung eines Krankenhauses angetreten hat, bestimmen Vokabeln aus der Krebstherapie seinen Arbeitsalltag: Dosisfraktion, Rezidivrisiko, Paarbildung. Ihn, der lieber beobachtet als mittendrin steht, der lieber Distanz wahrt, als zu nahe zu kommen, fasziniert das Verhältnis zwischen Patient und Arzt, die Bedeutung von Kommunikation, von Worten.

Bis er eines Tages auf die Krankenakte einer Patientin stößt, deren Name ihm vertraut ist: Mit Meret Etter hat ihn vor Jahren eine intensive Liebe verbunden, sie ist eine Frau, die mitmischte bei den Zürcher Jugendunruhen, die sich beim Harfespielen selbst vergessen konnte, eine Juristin, die mit Leidenschaft gegen das Unrecht kämpfte. Jetzt steht ihr ein Kampf ganz anderer Art bevor. Und es ist die Frage, ob die Wiederbegegnung mit Andreas Lüscher, nach sechzehn Jahren des gegenseitigen Schweigens, ihr ihre Lage erleichtert. Und ob es klug ist, wenn sich beide mit den Gründen für dieses Schweigen auseinandersetzen.

Suggestiv, leicht und präzise erzählt Urs Faes in seinem neuen Roman vom Kampf mit einer Krankheit, vor allem aber von der Auseinandersetzung zweier Menschen mit sich selbst und der eigenen Vergangenheit.

"Vor zwei Jahren wurde ich überraschend vom Chefarzt für Onkologie eines Schweizer Kantonsspitals angerufen. Er wollte jemanden mit einem Blick von außen die Menschen, die Abläufe, die Situationen in seiner Abteilung betrachten lassen. Ein Schriftsteller sei doch jemand, sagte er zu mir, der gelernt habe, genau hinzuschauen und hinzuhören auf das, was mit Menschen und zwischen Menschen sich ereigne..." -- Urs Faes, Schweizer Monatshefte

"In Urs Faes' Prosa glüht die Liebe dunkel und melancholisch wie bei einem García Márquez." -- Der Spiegel
Autorenporträt
Faes, Urs
Urs Faes, 1947 geboren, lebt und arbeitet in Zürich. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizerischen Schillerpreis und dem Zolliker Kunstpreis. Seine Romane Paarbildung und Halt auf Verlangen standen auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2010

Die Angst der Ärzte vor den Patienten

Die Diagnose ist verheerend, aber der Krankheitsverlauf birgt Überraschungen: Der Schweizer Urs Faes hat mit "Paarbildung" eine Liebesgeschichte vorgelegt, die therapeutische Wirkung hat.

Von Nicole Henneberg

Wer Zürich für eine langweilige Banken-Stadt hält, in der sich nie etwas bewegt, der irrt: die Dada-Bewegung nahm hier ihren Ausgang, und in jüngerer Zeit ließen mehrere Wellen von Jugendkrawallen manch friedlichen Bürger von Lynchjustiz träumen. So öffnet es einen zeitlich und stimmungsmäßig sehr genau umrissen Hallraum, wenn sich das Liebespaar Andreas und Meret in Urs Faes' neuem Roman "Paarbildung", der auf der Shortlist für den morgen verliehenen Schweizer Buchpreis steht, am Rande einer gewalttätigen Demonstration in Zürich zusammenfindet. "Schmelzt das Packeis!", rufen die jungen Demonstranten 1981 und berufen sich in ihrer Abwehr von bürgerlicher Sattheit und Selbstgerechtigkeit auf die dadaistischen Slogans von 1916. Meret ist eine Aktivistinn und Andreas, der strebsame Student, der sich vor der wilden Jagd weggeduckt hatte, findet sie blutend und mit wütendem Gesicht unter dem Zwingli-Denkmal. Schon das wäre für eine Liebesbeziehung ein schwieriger Ausgangspunkt, aber in dem doppelbödigen Romantitel steckt auch noch ein Begriff aus der Krebstherapie.

Anderthalb Jahrzehnte nach jenem schicksalhaften Treffen steht Meret Etter in ihrer Züricher Küche und starrt auf den Behandlungsplan, der in den nächsten Monaten ihr Leben bestimmen wird: "Die Wörter sind da, in ihren Gedanken, schwirren heran wie Seidenspinner: Fibrosen, Nervenschädigungen, Depigmentierung, Paarbildung, ein schönes Wort für den Strahlenabsorptionseffekt, denkt sie." Als die Brustkrebsdiagnose sie trifft, hatte sie gerade ihre feste Stelle als Juristin aufgegeben, um ein selbstbestimmteres Leben zu führen. Seit vielen Jahren haben sie und Andreas Lüscher sich aus den Augen verloren, jetzt treffen sie sich ausgerechnet in der Klinik wieder, wo er als Psychologe die qualvollen Heilungsprozesse begleitet.

Urs Faes hat sich in seinem neunten Roman viel vorgenommen - und es gelingt ihm mit Bravour, obwohl die Liebeskonstellation aussichtsloser und tragischer nicht sein könnte. Aber die Gratwanderung zwischen sachlicher Krankheitsschilderung und erzählerischer Leichtigkeit gelingt ihm so gut, dass man diese Geschichte trotz der verstörenden Krankheit als zarte, große Liebesgeschichte liest. Was umso verblüffender ist, als sie in einem kargen, sehr pointierten Stil geschrieben ist und die Protagonisten in fast allen entscheidenden Momenten schweigen. Es gibt kaum Dialoge in diesem Roman, und die wenigen wirken steif und qualvoll, weil die Figuren stammeln und sich verhaspeln, sobald sie etwas von sich erzählen sollen, und über die wichtigsten Dinge können sie gar nicht sprechen. Die Kunst des Autors ist dem Dialogischen genau entgegengesetzt: Er spiegelt das Seelenleben seiner verschlossenen, wortkargen Figuren so beredt in kleinen Gesten oder im Licht über einer Landschaft, als würden Meret und Andreas in jedem Satz ihre Liebessehnsucht und ihren Einsamkeitsschmerz herausschreien.

Den Klinikalltag mit seinen Behandlungsstrategien und Tumorboards kennt der Autor genau. Eine Züricher Klinik hatte ihn beauftragt, anderthalb Jahre lang deren onkologische Station zu beobachten, um das Verhältnis zwischen Patienten und Ärzten und die seelischen Folgen von Strahlentherapie und Chemo-Coctails zu beschreiben. Daher weiß sein auktorialer Erzähler, dass die Ärzte sich von den Ängsten und Forderungen der Patienten verfolgt fühlen, oft bis in ihre Träume hinein. Auch sein Held reagiert unwillig und panisch, als er Merets Krankenakte auf seinem Schreibtisch findet. Er gesteht sich ein, dass er nicht genügend Distanz hat, um ihre Ängste während der Behandlung aufzufangen. Und als er zufällig ein niederschmetterndes Gespräch zwischen Meret und ihrem Arzt belauscht, zieht ihn jeder Laut, jedes Stuhlrücken, Räuspern oder Zögern in der Stimme magisch an und steigert seine Sehnsucht nach ihr ins Unermessliche: er steckt, auf höchst unprofessionelle Weise, schon mitten in diesem Fall, der sein ganzes Leben in Frage stellt.

Nochmals durchlebt er staunend jenen Abend, an dem sie ein Liebespaar wurden und die trotzige Steinewerferin ihm auf der Harfe vorspielte. Er sieht, "wie die Dämmerung durchs Fenster ins Zimmer fiel, das Glänzen des Parketts, dann wieder Merets Füße, die das Pedal drücken, das Profil ihres Gesichts, das sich vom Dunkel abhob, diese Stirnlocke, die bebte; die Töne, die sich mit dem Dunkel mischten, als Lichtpartikel im Raum hingen, ein glimmendes Leuchten, ein Abendzauber." Viele solcher konzentrierten und schwebenden Schilderungen gibt es im Roman, der von abendlichem Licht geprägt ist und von einer grandiosen Berglandschaft, in der auch die schönste und eindringlichste Szene spielt: die Beerdigung von Mertes bester Freundin Luzzi. Das Schicksal der rabiaten und rebellischen Polizistentochter aus dem Bergell, die aus dem Dorf floh um Ethnologie zu studieren, die Dada-Verse schrieb und übermüdet mit dem Auto in einen Fluss raste, beschäftigt Lüscher jahrelang. Schon die Beerdigung in ihrem Heimatdorf gerät zum grandios geschilderten Kulturkampf: zornerfüllte Jugend gegen jahrhundertealtes Gleichmaß, schwarze Gewänder gegen kurze Röckchen und kirschrote Münder. "Denn wenn der Gerechte weicht von der Gerechtigkeit und tut Böses, so muss er sterben; er muss um seiner Bosheit willen, die er getan hat, sterben", zitiert der Pfarrer den Propheten. Andreas und Meret fliehen vor diesem alttestamentarischen Bannspruch in die Berge, in ein tröstliches, taubenblaues Licht. Dorthin werden sie, nach Abschluss der Strahlentherapie, für ein letztes, gemeinsames Wochenende zurückkehren.

Wie ein Film laufen all diese Erinnerungen vor Andreas' innerem Auge ab, und nicht zufällig trifft ihn der Tod des Regisseurs Michelangelo Antonioni tief. Verzweifelt rast er an diesem Tag mit dem Rad durch die sommerliche Landschaft und starrt in die Sonne, bis ihm schwarz wird vor Augen. Alle Sätze, mit denen Antonionis Werk im Radio kommentiert wird, sprechen auch von ihm: seinem obsessivem Blick auf die Frauen, der Aufmerksamkeit für die menschliche Fragilität und einer magischen Beziehung zu Licht und Schatten. Doch sind das nicht nur seine, sondern die Antriebskräfte des ganzen Romans, der Gegenstände und Gesichter geduldig und präzise abtastet und hochsymbolisch ausleuchtet, bis sie alle ihre Geheimnisse preisgeben. Außerdem: wo könnte man heute mehr über die menschliche Fragilität erfahren als in einer Krebsklinik?

Man kann "Paarbildung" nicht nur als Hommage an die erzählerische Kraft von Antonionis strenger, poetischer Bildsprache lesen, sondern auch als bissig-mitfühlendes Porträt eines Intellektuellen, der für die Freiheit schwärmt und fasziniert die Rebellion ringsum beobachtet, ohne irgendwo anzukommen - bis ihn das Leben hinterrücks doch erwischt. Nur lässt sich die Liebesgeschichte dann nicht mehr reparieren. An ihrem letzten gemeinsamen Abend im Gebirge kratzt Meret, wie Lidia (Jeanne Moreau) in "La Notte", Farbe von einer Wand: "Splitter, murmelt sie, und darunter Rost. Sie öffnete die Hand und ließ die Splitter über das Geländer hinausflattern, im Gegenlicht blitzten sie kurz auf."

Urs Faes: "Paarbildung". Roman.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 192 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2010

Alles erschien in
einem neuen Licht
Urs Faes’ Roman „Paarbildung“
über eine an Krebs erkrankte Frau
Sechzehn Jahre ist es her, dass Andreas Lüscher seine frühere Geliebte zum letzten Mal gesehen hat. Lange hat er nicht mehr an sie gedacht, doch das Bild ihrer ersten Begegnung ist sofort da, als er ihren Namen auf dem Deckblatt einer Krankenakte liest. Damals war sie eine junge Frau von achtzehn Jahren, eine leuchtende Erscheinung im weißen Sommerkleid, er vertrat als Student einen Lehrer ihrer Schule. Vier Jahre später trafen sie sich auf der Straße wieder, mitten in den Wirren des Zürcher Häuserkampfes, und wurden ein Paar. Mittlerweile ist er vierundfünfzig und arbeitet als Gesprächstherapeut auf der onkologischen Station eines Zürcher Krankenhauses.
Ja, die Patientin mit dem Mammakarzinom ist tatsächlich jene Meret Etter, die er einmal geliebt hat. Andreas gerät in einen Strudel widersprüchlicher Gefühle. Da sind die Erinnerungen an die fröhliche Militanz der jungen Frau, an ihr Zartgefühl und an ihre Versunkenheit beim Harfespiel, aber da sind auch die Ängste, den Anforderungen eines Wiedersehens unter so schwierigen Bedingungen nicht gewachsen zu sein. Am liebsten würde er sich aus dem Fall heraushalten, wie er sich immer aus allem herausgehalten hat. Doch er weiß, dass das schäbig wäre. Also beschließt er, ihr beizustehen.
Der neue Roman des 1947 in Aarau geborenen Urs Faes, der auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises war, ist nicht ganz frei von Betulichkeiten und nimmt dennoch für sich ein. Denn er schildert anschaulich und behutsam, was es bedeutet, an Krebs erkrankt zu sein. Es ist vor allem die Enteignung des eigenen Körpers, die der Roman äußerst genau nachvollzieht. So kann er mit vergleichsweise schlichten Mitteln beschreiben, was in Sachbüchern meist zu kurz kommt und in esoterischen Ratgebern vernebelt wird: dass es in der Krebstherapie tatsächlich einen medizinischen Fortschritt gibt, der aber niemals als bloßer Segen beim Kranken ankommt.
Die ganze Existenz wird der medizinischen Apparatur unterworfen, und dabei geht es beileibe nicht nur um die Apparate selbst, sondern auch um die Nomenklatur, die für das medizinische Personal selbstverständlich ist, den Kranken jedoch ausgrenzt. „Fibrosen, Nervenschädigungen, Depigmentierung – die Wörter flattern durcheinander, ein dunkler Schwarm, fremd und vereinnahmend.“ Und mittendrin ein Wort, das Meret freut: „Paarbildung, ein schönes Wort für den Strahlenabsorptionseffekt.“ Es gab dem Roman seinen Titel.
Es ist vor allem der Konstellation der beiden Hauptfiguren zu verdanken, dass der Roman gelingt. Meret Etter, eine intelligente und klar denkende Frau, hat in Andreas Lüscher einen ebenso versierten wie interessierten Zuhörer, dem sie sich nach anfänglicher Distanz auch zu öffnen vermag. So rekonstruieren die beiden nicht nur ihre gemeinsame Liebe, sondern all die Ereignisse eines Lebens, die durch die Krankheit in anderem Licht erscheinen.
Urs Faes, der mit einem bezahlten Schreibauftrag die Prozesse auf einer radioonkologisichen Station begleitet und analysiert hat, erzählt nicht nur von der Krebserkrankung einer Frau, sondern auch davon, was es bedeutet, in einer solchen Situation allein zu sein. Meret Etter sehnt sich nach einem geteilten Alltag. „Du warst nicht da“ ist der Basso continuo, der die Beziehung zu Andreas charakterisiert. Erst ganz am Ende erfährt er, warum sie ihn vor Jahren gebraucht hätte, als er bei ihrer letzten Begegnung nur von seinen Karriereplänen sprach, ohne zu bemerken, dass sie etwas auf dem Herzen hatte. Nun kann er das Versäumte nachholen. „Paarbildung“ ist ein leiser Roman, sparsam erzählt und im Ganzen überzeugend, trotz gelegentlicher Ausflüge ins allzu stimmig Gefügte. MEIKE FESSMANN
URS FAES: Paarbildung. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 192 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der neue Roman von Urs Faes ist alles andere als aufgesetzte Betroffenheitsliteratur, freut sich Rezensentin Sibylle Birrer. In "Paarbildungen" ereilt Meret die Diagnose Brustkrebs, und sie begegnet während ihrer Strahlenbehandlung dem Gesprächstherapeuten der Onkologie, ihrem ehemaligen Lebensgefährten Andreas. Fiktionales Schreiben über Schicksale von Kranken wirke oftmals prätentiös oder anmaßend, findet die Rezensentin, aber Faes meistere diese Herausforderung mit guten Gespür für Dramaturgie und einer klaren Sprache ohne jeglichen Pathos: Er lasse die Figuren in "präzise verknappten Stimmungsbildern" für sich sprechen. Man spüre, so die empathische Birrer, dass Faes seine Sensibilität für das Thema Krebs aus eigener Erfahrung speise, und das biete die Grundlage für einen authentischen Roman.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Paarbildung ist ein Verwirrspiel, in dem der Leser nach und nach, wie durch einen Schleier, Figuren, Ereignisse und eine Geschichte erkennt, die schon halb in Vergessenheit geraten ist. Zum sprachlichen Ereignis wird das Buch nicht nur durch die Unter- und Nebentöne und durch die Kunst, wesentliche Aussagen in einem beredten Schweigen zu verstecken.« Charles Linsmayer sonntagszeitung.ch 20101126