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Alawiyya, die Schriftstellerin, ist spurlos verschwunden und mit ihr die Geschichten Marjams und von Marjams Freundinnen Ibtissam und Yasmine, die Alawiyya während langer Abende in Erfahrung gebracht hatte. Deshalb springt Marjam, eine neue Scheherazade, ein und beginnt zu erzählen - von sich und von so vielen zerbrochenen Leben; von all den verstoßenen Frauen; den jungen, die schwanger in einen Brunnen geworfen wurden; von Ibtissams Hoffnung auf eine Hochzeit mit Karim, obwohl der Christ ist; vom Leben Fatmes, die zehnjährig von ihrem Onkel verheiratet wurde und in der Folge achtzehn…mehr

Produktbeschreibung
Alawiyya, die Schriftstellerin, ist spurlos verschwunden und mit ihr die Geschichten Marjams und von Marjams Freundinnen Ibtissam und Yasmine, die Alawiyya während langer Abende in Erfahrung gebracht hatte. Deshalb springt Marjam, eine neue Scheherazade, ein und beginnt zu erzählen - von sich und von so vielen zerbrochenen Leben; von all den verstoßenen Frauen; den jungen, die schwanger in einen Brunnen geworfen wurden; von Ibtissams Hoffnung auf eine Hochzeit mit Karim, obwohl der Christ ist; vom Leben Fatmes, die zehnjährig von ihrem Onkel verheiratet wurde und in der Folge achtzehn Schwangerschaften hinter sich brachte ... Immer weiter erzählt sie von dem durch Gewalt zerrissenen Libanon, dessen Schicksal sie am Ende ins Exil treibt.Indem sie die Tragik ebenso wie Lebensgier, Hoffnung und Sehnsucht einer Vielzahl meist weiblicher Gestalten im Laufe dreier Generationen vergegenwärtigt, entwirft Alawiyya Sobh, konzentriert auf Beirut, ein schmerzendes, kraftvoll und freizügig gehaltenes »Schlachtengemälde« des Nahen Ostens. Mit Marjams Geschichten hat sie großes Aufsehen in der arabischen Welt erregt.
Autorenporträt
Sobh, AlawiyyaAlawiyya Sobh wurde 1955 in Beirut geboren. Sie studierte Arabisch und Englische Literatur an der Universität Beirut. Seit den frühen 1980er Jahren schreibt sie für zahlreiche libanesische Zeitungen. 1986 wurde sie Chefredakteurin der meistgelesenen arabischen Frauenzeitschrift al-Hasna, 1990 gründete sie das Frauen- und Familienmagazin Snob, dessen Chefredakteurin sie noch immer ist. Sie ist oft zu Gast auf Konferenzen und in Fernsehsendungen und lebt in Beirut.Als Schriftstellerin debütierte Sobh mit Naum Al-Ayyam (1987), der vielbeachtete Roman Marjams Geschichten (Maryam al-hakaya) erschien 2002. Dafür erhielt sie 2006 den Sultan-Qabus-Preis. Der freizügige Roman erregte großes Aufsehen in der arabischen Welt und wurde in etliche Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2010

Sex und die arabische City

Dies ist der schonungsloseste Frauenroman der arabischen Literatur. Deshalb sollte man ihn lesen - vor allem im Westen: "Marjams Geschichten" von Alawiyya Sobh.

Kein Zweifel: Das ist ein Buch für Frauen. Kein Zweifel aber auch: Es ist ein Buch, das Männer lesen müssen, gerade deshalb. Nun mangelt es auch in den arabisch-islamischen Literaturen schon länger nicht mehr an weiblichen Stimmen. Traten einst die Frauen nur als Dichterinnen in Erscheinung, ist der Emanzipationsroman seit Laila Baalabakkis "Ich lebe" von 1958 ein fest etabliertes Genre. Der Libanon, auch Baalabakkis Heimat, hat dabei immer eine Vorreiterrolle eingenommen, bildet das Verlags- und Pressezentrum der arabischen Welt und bot den Frauen am ehesten die Chance, die aus Paris herüberschwappenden Träume von der Selbstverwirklichung zu realisieren.

Das Scheitern dabei, ein Scheitern an den Männern, an den gesellschaftlichen Umständen, aber auch an der eigenen Inkonsequenz und Halbherzigkeit, ist dieser Literatur ebenfalls seit "Ich lebe" eingeschrieben. Soziologisch interessant dabei ist nicht zuletzt, dass viele dieser Autorinnen aus der gesellschaftlich am meisten benachteiligten der drei großen libanesischen Glaubensgemeinschaften stammen, der der Schiiten, derjenigen Religionsgemeinschaft, aus der sich heute auch die Hizbullah rekrutiert, die als einzige der Bürgerkriegsmilizen noch offen aktiv ist. Neben Baalabakki wären die ebenfalls mit mehreren Büchern auf Deutsch vertretene Hanan al-Shaykh zu nennen und nun Alawiyya Sobh, deren Erfolgsroman "Marjams Geschichten" die deutschen Leserinnen (und Leser!) jetzt in der makellosen Übersetzung von Laila Chammaa entdecken können.

Und es ist eine Entdeckung! Dass die gegenwärtige arabische Literatur mit allen Wassern der Moderne gewaschen ist, hat sie zur Genüge bewiesen. Nun ist es zum Glück wieder erlaubt, die postmoderne Erzählflamme kleiner zu drehen, wie Alaa Al-Aswani, der ägyptische Bestsellerautor, mit "Der Jakubian-Bau" vorgemacht hat. Die Leser danken es, sogar die bis dahin so lesefaulen arabischen. Aber nicht blumigen Stil finden wir in dieser Literatur, sondern große, handfeste authentische Stoffe, Charaktere, die vielleicht aus grobem Holz geschnitzt sind, aber dafür umso lebendiger. Bei Alawiyya Sobh heißen sie Marjam, Alawiyya, Jasmin und Ibtisam. Der Gedanke, dass es sich bei allen vieren um das Alter Ego ein und derselben Person handelt, liegt nah und verliert sich doch in der Fülle der vielen anderen hier erzählten Frauenschicksale von Freundinnen und Verwandten. Sie alle sind, könnte fast man sagen, ein Stamm, ein Volk: die Frauen des Libanon, auf die brutalste Weise in die Moderne geschleudert, aufgerieben von der Weltgeschichte, beginnend mit der großen Hungersnot im Ersten Weltkrieg bis zum fünfzehnjährigen Bürgerkrieg, deren Verlauf diese Frauen von Revolutionärinnen mit dem Gewehr in der Hand zu Wesen macht, die ein letztes Heil nur noch in der Religion finden und am Ende wie Jasmin ihren Scheich fragen, ob überhaupt und wie bekleidet sie sich am Frauenbadestrand zeigen dürfen.

All das wird erzählt und doch nie am großen äußeren Geschehen entlang, so wenig, dass man den Lesern wünscht, sich vorher ein paar Eckdaten der jüngeren libanesischen Geschichte in Erinnerung zu rufen. Die Entdeckung, die dieses Buch uns bereitet, sein absolut Besonderes ist etwas anderes, es ist der schonungslose, noch für den weit entfernten gegenwärtigen mitteleuropäischen Leser schmerzhafte Einblick in die intimsten Zonen seiner Figuren, in die qualvollen Mechanismen ihrer Selbstbilder, Verirrungen und Weltanschauungen, in den stets sexuell grundierten, aber zur Heillosigkeit verurteilten, triebgesteuerten Unterbau dieser Gesellschaft, in eine zunehmende, unausweichliche Verwahrlosung, eine Not, in welcher Geist und Vernunft sich, wenn überhaupt, nur wie Schiffbrüchige am Rettungsring halten, von den Wellen umspült und hin und her geschleudert, ohne Aussicht auf die finale Rettung.

Ibtisam, die linke Idealistin, die Revolutionärin, nicht ohne sexuelle Erfahrung, entdeckt eines Nachts die Einsamkeit ihres Körpers und beschließt, endlich zu heiraten. Aber für die Frauen in diesem Buch - und nach der Lektüre will man denken: für alle Frauen im Libanon und in der arabischen Welt - ist der Mann allein um den Preis der Erniedrigung wirklich zu haben. Eine Begegnung auf Augenhöhe findet paradoxerweise nur dort statt, wo sie gesellschaftlich geächtet ist, im Seitensprung, im vorehelichen Sex oder in der unmöglichen Liebe zwischen Muslimen und Christen. Ausgerechnet hier gibt es auch Liebe und sexuelle Erfüllung. Während Marjam ein Verhältnis mit dem verheirateten Abbas hat, pflegt Ibtisam eine Liebesbeziehung zu dem Christen Ahmad. Er geht als Gastarbeiter nach Saudi-Arabien, und Ibtisam wartet. Mitten in der israelischen Belagerung im Sommer 1982 kehrt er überraschend zurück, schläft mit ihr, die noch Jungfrau ist, nur um ihr anschließend zu verkünden, dass er in sein Dorf fährt, um dort eine Christin zu heiraten. Dschalal, den sie dann heiratet, akzeptiert zwar, dass sie keine Jungfrau mehr ist, aber schon als sie beim gemeinsamen Fernsehen nebenbei einen Schauspieler lobt, nennt er sie Flittchen. Der Psychoterror beginnt, und am Ende lebt Ibtisam genau die bürgerlichen Konventionen und Verlogenheiten, die sie als junge Frau über alles verachtete.

Auch Jasmin, einst nicht weniger revolutionär, fürchtet sich nach ihrer Heirat plötzlich vor allem, was den Ruch des Unkonventionellen hat, und wird religiös, zum Verdruss ihres Mannes, des Arztes Karim, der seinen Idealismus als Armendoktor so weit treibt, dass er von seinem Beruf kaum mehr leben kann. Die Frustration darüber, dass er an den Zuständen im Land - und an der Einfalt seiner Patienten - nichts ändern kann, wandelt sich in Verachtung, schließlich redet er seine Patienten nur noch als "Vieh" an. Die neoislamische Verdummung seiner Frau nimmt unterdessen groteske Züge an: Der Geburtstag des Propheten wird von den strenggläubigen Freundinnen zu einer vor den Augen der Männer verborgenen Walpurgisnacht: "Am Ende schminkten sich alle gründlich ab, zogen die aufreizenden Fetzen aus und gingen streng verhüllt wieder heim."

Der Bürgerkrieg hat seinen Anteil an der Verkommenheit, gewiss. Aber dort kulminiert sie nur. Die Ursachen liegen tiefer, sind im Intimen, Privateren angesiedelt, und Alawiyya Sobh meißelt sie aus den Steinbrüchen der libanesischen Frauenschicksale schonungslos heraus. Am Beispiel von Marjams Mutter wird die Gewalt bis zu ihren Wurzeln in Familie und Sexualität zurückerzählt. Der Mittelteil des Buches ist dieser Recherche in der eigenen biographischen Vorgeschichte gewidmet, und das Ergebnis ist eine bewegende Hommage an, wir dürfen das vermuten, ohne der Autorin zu nahe zu treten, die eigene Mutter.

Alawiyya Sobhs Roman ist eines jener Bücher, vor deren Reichtum an Geschichten und Einblicken, an Wahrhaftigkeit und chaotischer Lebensfülle der Rezensent den Hut zieht und die Waffen streckt. Sicher gibt es Texte, die werden ökonomischer erzählt, kunstfertiger aufgebaut, auch in der arabischen Literatur. Aber wenige sind so ehrlich und authentisch. Hinzu kommt, dass die Autorin bar jeder ideologischen oder politischen Voreingenommenheit erzählt, so sehr, dass Marjam es sogar wagt, gegen den menschenverachtenden Märtyrerkult der libanesischen Milizen festzustellen, dass die Israelis ihre Toten höher schätzen als die Araber ihre Lebenden. Alawiyya Sobh biedert sich niemandem an. Und wäre bei Jelinek oder Streeruwitz die kritische Stoßrichtung nicht längst zur Ideologie verhärtet, die deutsche Literatur könnte sich rühmen, mit ähnlich schonungslosen Autorinnen gesegnet zu sein.

STEFAN WEIDNER.

Alawiyya Sobh: "Marjams Geschichten". Roman. Aus dem Arabischen von Laila Chammaa. Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 475 S., geb., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Stefan Weidner ist hellauf begeistert von diesem Roman. Und obwohl es sich um ein Buch für Frauen handelt, wie er erklärt, erkennt er auch, wie wichtig es ist, dass Männer es lesen. Denn es ist ein Emanzipationsroman aus der arabisch-islamischen Welt, den Alawiyya Sobh da geschrieben hat und den zu entdecken der Rezensent uns westlichen Leser empfiehlt. Warum? Weidner sieht den Reiz in einer sich längst von den Herausforderungen der Moderne emanzipierten arabischen Literatur, bei Sobh in einem handfesten Stoff und lebendigen, wenngleich groben Charakteren und in dem schonungslosen Blick in die intimsten Bereiche ihrer in Selbstbilder, Weltanschauungen und Verirrungen verstrickten Frauenfiguren. Die Art und Weise, wie Sobh (durchaus mit autobiografischen Momenten) libanesische Frauenschicksale seziert und die herrschende Gewalt auf ihre Wurzeln in Familie und Sexualität zurückführt, findet Weidner in ihrer Wahrhaftigkeit, ideologischen Unvoreingenommenheit und Lebensfülle schlicht überwältigend.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Dieser Roman will nichts weniger, als das Unbeschreibliche beschreibbar zu machen und die große Katastrophe auf ein menschliches Maß herunterzubrechen.«
Kathrin Schmidt, DIE ZEIT 27.05.2010