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Produktdetails
  • Verlag: Schmid, Hasselroth
  • Seitenzahl: 172
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 257g
  • ISBN-13: 9783938101018
  • ISBN-10: 3938101016
  • Artikelnr.: 13926831
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.2005

Nicht nur die Milch macht's Initiationsriten fördern Siegeswillen

Die brennendste aller Fragen beantwortet Robert Hartmann scheinbar gleich im ersten Kapitel seiner "Läufergeschichten aus Afrika". Auch wenn die Überschrift "Es ist die Milch" ein wenig in die Irre führt. Sie ist nämlich nur einer von mehreren Erklärungsversuchen auf die bislang ungeklärte Frage, warum die kenianischen Läufer seit den späten sechziger Jahren so ausdauernd dem Rest der Welt auf den Mittel- und Langstrecken davonlaufen. Es ist weder die Höhenlage noch die warme Erde, es ist weder der sogenannte kenianische Läufermuskel noch das angeblich beste Klima der Welt. "Es gibt kein Geheimnis, außer harter Arbeit", zitiert der Autor die Legende der ostafrikanischen Laufbewegung, den zweimaligen Olympiasieger Kipchoge Keino, um später zu einem ganz anderen Schluß zu kommen: Es sind die Initiationsriten, die wohl den größten Anteil am Sieges- und Durchhaltewillen der Kenianer haben. "Wenn du unsere Initiationsriten kennen würdest, wärst du am Start bei einer Weltmeisterschaft auch nicht nervös", sagt Ismael Kirui, zweimal Weltmeister über 5000 Meter. Aber bei dieser trotz Christianisierung immer noch praktizierten rituellen Einschwörung auf die Männerwelt stößt auch ein Intimkenner der ostafrikanischen Läuferszene wie der freie Leichtathletik-Journalist Hartmann an seine Grenzen. An strikten Tabus kommt auch ein weißer Kenianer, der das Land in mehr als fünfzig Reisen kennengelernt hat und seit 2002 ein Haus auf der Farm von Kipchoge Keino besitzt, nicht vorbei. Warum sollte es ihm da bessergehen als den kenianischen Frauen?

Geheimnisse kann Hartmann auf den 176 Seiten also nicht lüften, aber mit jeder seiner dreißig bunten Geschichten und Anekdoten, manche kurz wie ein Sprint, die meisten aber auf kurzweiligem Mittelstreckenniveau, entsteht ein immer schärferes Bild von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Hochland der Laufkultur, öffnet sich ein neues Türchen zur afrikanischen Seele. Und man lernt schnell, daß nicht jedem Kenianer das Laufen im Blut liegt. Es sind eigentlich nur die Kalenjin - rund drei Millionen Menschen, die den sogenannten Läufervölkern angehören -, die das Tempo vorgeben. Und die Söhne der armen Farmer in den Streusiedlungen bringt vor allem eines auf die Beine: die Chance auf den sozialen Aufstieg. Noch gegen Ende der sechziger Jahre hätte ein Mann, der rannte, nur einen Schluß zugelassen: Er hatte etwas ausgefressen. Hartmann erzählt in kurzen, prägnanten Sätzen, die so ökonomisch sind wie der Laufstil seiner Protagonisten, vom Gesetz der Savanne, das als Philosophie auch auf der Laufbahn seine Gültigkeit behalten hat: The winner takes it all. Und er schildert die Mühen, die mancher spätere Olympiasieger und Weltmeister in jungen Jahren auf sich genommen hat, um laufend vorwärtszukommen. Da ist der 800-Meter-Olympiasieger Wilson Kipketer, der als Bub in den Ferien die Wände der Schule angestrichen hat, um die unerschwinglichen Gebühren abzuarbeiten, da ist die ugandische Sprinterin Grace Attenyi, die mehr als anderthalb Monatslöhne zusammensparte, um einmal im Leben an einem richtigen Sportfest teilzunehmen; da sind kenianische Frauen wie Tegla Loroupe, die einen harten Kampf ausfechten, um sich über die Traditionen hinwegzusetzen - um zu laufen. Da gibt es Geschichten zum Schmunzeln wie die von Amos Biwott 1968, der beim olympischen Finale über 3000 Meter Hindernis den Wassergraben weit übersprang, damit seine ersten geschenkten Schuhe nicht naß wurden. Aber es sind nicht nur heitere Begebenheiten mit Happy-ending, weil eben nicht jeder dem oft schwindelerregend steilen sozialen Aufstieg vom armen Viehhirten zum großen Idol gewachsen ist.

Ein paar "Geheimnisse" lüftet Hartmann am Schluß seines genauso unterhaltsamen wie lehrreichen Büchleins, das übrigens von keinem Geringeren als dem früheren 400-Meter-Hürden-Europameister Harald Schmid verlegt wird, doch noch. Er entschlüsselt die kenianischen Namen: Hinter so manchem Wohlklang verbirgt sich eine profane Zeit- oder Ortsangabe. Kleine Kostprobe: Kipchoge heißt nichts anderes als: Der Junge, der in der Nähe des Krämerladens geboren wurde.

CLAUS DIETERLE

Besprochenes Buch: Robert Hartmann: Läufergeschichten aus Afrika. Verlag Dr. Harald Schmid 2004, 172 Seiten, 19,90 Euro.

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