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Nur Käse? Karin Hellwig hat die Frühformen wissenschaftlicher Künstler-Biographien untersucht
Keine Textgattung wurde so oft für tot erklärt wie die Biographie. Ob Burckhardt vom „Käse der Künstlergeschichte” sprach und ihr eine „Geschichte der Kunst” gegenüberstellte, Kracauer die „biographische Mode” als „neubürgerliche Kunstform” geißelte, oder die Theoriedebatten des späteren 20. Jahrhunderts die „biographische Illusion” (Bourdieu) geißelten, stets war es die gattungsbedingte Heraushebung einer großen Persönlichkeit aus dem sie prägenden Kontext, die Mißtrauen erregte. Hinzu gesellte sich die Skepsis gegenüber der Annahme eines kohärenten, mit sich selbst identischen Subjekts. Gleichwohl behauptete sich keine kunsthistorische Textgattung gegen solche Einsprüche derart zäh wie die Biographie. Das gilt nicht nur für die Gegenwart, in der substantielle Studien über Velázquez, Leonardo und Botticelli erscheinen, sondern auch für die Anfänge der Kunstgeschichte Ende des 18. Jahrhunderts.
Karin Hellwig hat in einer profunden Studie die Frühformen einer Gattung untersucht, die einer Kunsthistoriographie entgehen musste, die allzu sehr auf die Wahrnehmung des Neuen fokussiert war. Und das Neue heißt mit Burckhardt „Kunstgeschichte” statt „Künstlergeschichte”. Mit ihr entstand die Vorstellung von verbindenden Epochen- und Landschaftsstilen.
Dabei war der Anspruch der uns heute größtenteils unbekannten Autoren der frühen Biographien durchaus hoch: Eine „historisch-critische Abhandlung”, wollte C. E. Reimer mit seiner Cranach-Studie von 1761 schreiben. Sein Ziel war es, nicht nur die Persönlichkeit zu charakterisieren, sondern mit der Einbettung des uvres in die Entwicklung der Künste zu einer „allgemeinen Kunstgeschichte” beizutragen. Maximen waren dabei die Erschließung neuer Quellen sowie die wissenschaftliche „Vollständigkeit” und „Wahrheit”. Die Distanzierung von den Vitenschreibern im Erbe Vasaris ist in solchen Maximen unüberhörbar.
Die Frage war, wie gut die ersten Biographen ihr Programm erfüllten. David Passavants monumentale dreibändige Raffael-Biographie von 1839 erntete bei den Zeitgenossen Kritik, weil es in ihr nicht gelungen sei, die Fülle des Materials so zu strukturieren, dass die Darstellung kohärent geriet. Ernst Förster vermisste in ihr darüber hinaus die Schilderung der Zeitumstände: „Man verlangt Geschichte, nicht Thaten und Ereignisse wie Perlen an eine Schnur gereiht, sondern wie Blätter und Blüten aus einem Stamme gewachsen.”
Die politische und die Sozialgeschichte sind, wie Hellwig ausführt, bei Passavant und selbst noch in Carl Justis Velázquez-Biographie von 1888 nicht Bedingungen der Kunstwerke, sondern nur „der Stoff, an denen sich ein Künstler rieb”. Da herrscht das wirkmächtige romantisch-moderne Denkmuster vom künstlerischen Genie. Denn dieses schöpft definitionsgemäß allein aus sich heraus. Folglich kann es nur die künstlerische Persönlichkeit sein, die sich in einem Kunstwerk spiegelt und sich für die Rezipienten aus demselben herauslesen lässt - nicht etwa historische Umstände oder kollektive Wertvorstellungen.
Diese Gemengelage von Anspruch und Einlösung und ihre ideengeschichtlichen Hintergründe für die frühe Moderne rekonstruiert zu haben, ist das Verdienst von Karin Hellwig. Sie geht damit weit darüber hinaus, nur einen von der Kunstgeschichte vernachlässigten Strang der Kunsthistoriographie wieder in sein Recht zu setzen. Es lässt sich der Studie nur ein Vorwurf machen: ihre Kürze. Hellwig bringt in dichtester Form eine Fülle von Informationen und Ergebnissen, die man sich mitunter exemplarisch und nachvollziehbar entwickelt wünschte. Es ist zu hoffen, dass sie das Projekt fortsetzt und sich mit dem Boom der Gattung im 20. Jahrhundert beschäftigt, in der das „biographische Verlangen” auf vehemente methodische Einwände trifft.
VALESKA VON ROSEN
KARIN HELLWIG: Von der Vita zur Künstlerbiographie. Akademie Verlag Berlin 2005. 206 Seiten, 49,80 Euro.
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Mit Quellen und Verzeichnissen die Kunst persönlich erfassen: Die Geschichte der Künstlerbiographie
Die Künstlerviten des Giorgio Vasari gelten als der Beginn der Kunstgeschichtsschreibung. Das Individuum stand also bereits lange im Zentrum des Interesses, ehe sich eine Kunstwissenschaft etablierte. Waren es zuerst Sammlungen von Viten in der Nachfolge Vasaris, erschienen im achtzehnten Jahrhundert nun Werke zum Leben einzelner Künstler. Noch im frühen neunzehnten Jahrhundert profilierten derartige Biographien eine Geschichtsschreibung der Kunst. Erst am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geriet die Biographie als Gattung wissenschaftlicher Literatur in der sich etablierenden Kunstwissenschaft in Verruf.
Heinrich Wölfflins Diktum von der "Kunstgeschichte ohne Namen", das Postulat einer reinen Stilgeschichte und Formanalyse, war lange richtungweisend. Doch inzwischen erfreut sich die Künstlerbiographie wieder wachsender Beliebtheit. Karin Hellwig hat die Frühzeit der Textgattung in der deutschsprachigen Kunstliteratur untersucht. Im achtzehnten Jahrhundert wurde in den ersten Büchern über Albrecht Dürer und Lucas Cranach noch der Kenntnisstand der Vitenliteratur kompiliert. Einige dieser Biographien waren aus Lexikonartikeln entstanden. Eine Kunstwissenschaft existierte nicht, die Autoren waren Theologen oder Philosophen. Quelleneditionen und Werkverzeichnisse gab es nicht, weswegen sich die Biographen diese Bereiche erarbeiten mußten. Schnell galt es als eine Qualität, neue Fakten erschlossen zu haben, wie Hellwig den zeitgenössischen Rezensionen entnehmen kann.
Nach 1800 wurde diskutiert, inwieweit die Darstellung des Lebens eines Individuums etwas über historische Entwicklungen aussagen könne und der historische Kontext die Folie einer Biographie abgeben müsse. Herder postulierte, daß die Darstellung der Lebensgeschichte eines Individuums das historische Erkenntnisinteresse befördern könne. Goethe folgte ihm 1803 mit seiner Edition von Benvenuto Cellinis Lebensbeschreibung, die für die Autoren der folgenden Jahrzehnte maßgebend wurde. Für Hegel konnte die Biographie als Geschichte eines "welthistorischen Individuums" sogar "große Geschichtsschreibung" sein. Gustav Friedrich Waagen bestärkte diese Fokussierung auf das Individuum, wenn er in seinem Werk über die Brüder van Eyck 1822 schreibt: "Nur aus genauen Studien über einzelne große Meister, aus der näheren Beleuchtung kurzer, wichtiger Zeiträume, kann allmählich eine wahre Kunstgeschichte erwachsen."
War zunächst die Darstellung von Leben und Werk getrennt gewesen, stellte man nach 1800 Persönlichkeit und Werk zusammen dar. Der Nachweis der Quellen in Fußnoten und das Verzeichnis der Arbeiten der Künstler wurden zum Standard. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts brach der Biographienboom ab. Abrisse von Epochen und Quelleneditionen wurden als die wissenschaftliche Aufgabe angesehen. Kulturgeschichtlich interessierte Kunstwissenschaftler wie Jacob Burckhardt sahen in der Konzentration auf ein Individuum und in der Erforschung der Psyche eines Künstlers keinen Sinn. Er konzentrierte sich in seinen 1898 erschienenen "Erinnerungen aus Rubens" auf die Werke. In den folgenden Jahrzehnten wurden Aspekte wie "Michelangelos Jugendjahre" oder "Rembrandts Handzeichnungen" wichtiger als die Darstellung eines gesamten Lebens.
Um 1900 diskutierte man heftig die romanhafte Ausschmückung der Künstlerbiographie, wie sie Carl Justi mit erfundenen Quellen in seinem Werk über Velázquez auf die Spitze getrieben hatte. Mit den Befürwortern der Biographie als wissenschaftlicher Text und den Stilanalytikern standen sich zwei Schulen des noch jungen akademischen Faches unversöhnlich gegenüber. Die Frage nach der Leistungsfähigkeit biographischer Abrisse wird bis heute gestellt, und sie wird nicht zuletzt in den Geschichtswissenschaften vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung dieser Textgattung diskutiert. Karin Hellwig schließt die Kunstwissenschaft an diese Diskussion endlich an und bietet mit der Bestandsaufnahme der eher trockenen Materie eine Geschichte der Künstlerbiographie ohne die süffigen Ausmalungen der Vitenschreiberei.
ANDREAS STROBL
Karin Hellwig: "Von der Vita zur Künstlerbiographie". Akademie Verlag, Berlin 2005. 206 S., 4 Abb., geb., 49,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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