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Im Zentrum dieses zwei Jahrhunderte übergreifenden Rückblicks steht der Mythos des "Meisterwerkes", dessen Geschichte weder in der gegenwärtigen Kunstpraxis noch Kunstliteratur zu einem Ende gekommen ist. Da aber das Kunstwerk nur die Ideen und Ideale unserer Kultur spiegelt, weitet sich Hans Beltings Buch zur faszinierenden Bestandsaufnahme über die Kunst einer Epoche - vom Zeitalter der Museumsgründungen um 1800 bis zur Gegenwart. Seinen Anfang nahm das "Meisterwerk" als Mythos der Kunst im Zeitalter der Museen. In ihnen feierte das neue Publikum des bürgerlichen Zeitalters im Kult der Kunst…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum dieses zwei Jahrhunderte übergreifenden Rückblicks steht der Mythos des "Meisterwerkes", dessen Geschichte weder in der gegenwärtigen Kunstpraxis noch Kunstliteratur zu einem Ende gekommen ist. Da aber das Kunstwerk nur die Ideen und Ideale unserer Kultur spiegelt, weitet sich Hans Beltings Buch zur faszinierenden Bestandsaufnahme über die Kunst einer Epoche - vom Zeitalter der Museumsgründungen um 1800 bis zur Gegenwart.
Seinen Anfang nahm das "Meisterwerk" als Mythos der Kunst im Zeitalter der Museen. In ihnen feierte das neue Publikum des bürgerlichen Zeitalters im Kult der Kunst seine Religion. So spannt dieses große Buch den Bogen von der Gründung des Louvre und den Dramen des Pariser Salons, über Gauguin, Picasso, Duchamp bis zur Pop art und Konzeptkunst unseres Jahrhunderts. In einem Epilog erfährt auch die heutige Moderne eine Würdigung. Diese betrieb die Befreiung vom Werk mit der gleichen Originalität, die einmal der Schöpfung des Werks abverlangt wurde - oder feierte Rituale zu dessen Erinnerung.
Autorenporträt
Hans Belting, geboren 1939 in Andernach, leitete von 2004 bis 2007 das Internationale Forschungszentrum für Kulturwissenschaften in Wien. Zuvor lehrte er nach Stationen an den Universitäten Heidelberg und München an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, die er 1992 mitbegründete, und hatte 2003 den Europäischen Lehrstuhl am Collège de France in Paris inne. Er ist Mitglied des Ordens pour le Mérite für Wissenschaften und Künste.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Der arme reiche Mann
Seltene Münzen sind bei ihm nicht selten: Doch Hans Belting fehlt es an kunsthistorischem Kleingeld / Von Thomas Wagner

In der Novelle "Madonna of the Future" erzählt Henry James 1873 die Geschichte des Malers Theobald, der es sich in den Kopf gesetzt hat, Raffaels "Madonna della sedia" mit einem neuen Meisterwerk zu übertreffen. Zwar hat der Maler ein ideales Modell gefunden, aber er schiebt die Ausführung des Bildes so lange auf, bis die junge eine alte Frau geworden, ihre unvergleichliche Schönheit nur mehr Erinnerung ist. Der Wettstreit des wunderlichen Malers mit seinem legendären Vorgänger findet nicht statt. Niemand bekommt Theobalds Gemälde zu sehen, das ein "Résumé aller Madonnen der italienischen Schule" sein sollte, "ähnlich jener antiken Venus, die eine Nase von einem großen Bild lieh und einen Schenkel von einem anderen". In seinem Atelier sitzt der alt gewordene Theobald vor einer Leinwand, "die nichts als eine tote weiße Fläche war, rissig und entfärbt mit der Zeit". Da beginnt der Maler noch einmal zu sprechen. Alle notwendigen Elemente habe er besessen, "aber meine Hand ist gelähmt, und so werden sie nie gemalt werden. Ich brauche nur Raffaels Hand, denn ich habe sein Gehirn".

Henry James' Künstlernovelle beschreibt ein Dilemma, von dem Hans Belting behauptet, es sei das zentrale der Moderne. Zwar habe der Begriff von einer Vollendung durchaus im modernen Bewußtsein gelegen, doch konnte diese nicht mehr ausgeführt werden. Als die Meisterwerke der Alten entstanden, habe ihnen noch ein zureichender Begriff gefehlt; doch als man den Begriff besaß, habe man die Kraft zu dessen Realisierung verloren.

Lange hat die Geschichtsschreibung der Kunst einen immanenten Fortschritt unterstellt. Jetzt, so scheint es, wird die Sache umgekehrt. Doch nicht mit jenem Augenzwinkern, von dem Belting noch in der Revision seiner Abhandlung "Das Ende der Kunstgeschichte" sprach. Nun, in "Das unsichtbare Meisterwerk", stellt sich die Geschichte der Moderne als Niedergang, als Verdünnung eines einstmals produktiven Werkbegriffs dar: das nach Vollendung strebende Schöpfertum ist erlahmt, der Künstler zu einem bloßen Gehirntier geworden: Raffael ohne Hände.

Als ob er - wie die in die einander widerstreitenden Folgen ihrer Geschichte verstrickte Kunst selbst - das Beste wenigstens in der Erinnerung festhalten wollte, erzählt Belting noch einmal die alte Heldengeschichte. Doch er tut es mit dem Anspruch, eine neue Geschichte zu erzählen. Sein Ziel ist die verschlungene, von allerlei Rückgriffen und unbewußten Bindungen geprägte Geschichte des modernen Werkbegriffs. Diese wiederum kleidet er ins Gewand einer Problemgeschichte. Doch unter dem scheinbar so edlen Wams, an dem alle bekannten kunsthistorischen Ehrenzeichen prangen, verbirgt sich in Wahrheit nur die in den Feinripp einer Überblicksvorlesung gezwängte Konvention. Gleichwohl sucht der Autor aus der Debatte über den Werkbegriff abermals eine Meistererzählung zu machen. Wo ironische Elastizität gefordert gewesen wäre, dominiert heiliger Ernst.

Der Namen sind viele, die der Held in der Erzählung annimmt. Bald heißt er Frenhofer, bald Leonardo, bald Plinius, Vasari, Manet, Picasso oder Rodin; bald hört er auf den Vornamen Marcel, bald auf Vincent oder Kasimir. Über allen Metamorphosen und Variationen des Personals und seiner geistreichen und kunstvollen Hervorbringungen und Kommentare aber schwebt wie ein Menetekel ein Zauberwort: das absolute Meisterwerk. Noch immer, meint Belting, verehrten wir den Kunstbegriff des neunzehnten Jahrhunderts, da in der bürgerlichen Kultur das Werk "zum einzigen Ort" geworden sei, an dem sich beweisen müsse, was es mit Kunst auf sich habe. Deshalb sei es das Werk, das die Bemühungen der Künstler auslöse, "mit anderen Währungen zu zahlen, um Kunst zu machen" oder den "verdächtigen Anspruch" des Künstlers zu spiegeln, sich selbst als autonomes Subjekt auszudrücken. Zugleich aber habe das Kunstwerk die paradoxe Rolle übernommen, eine Idee zu verkörpern: die Idee der Kunst.

Das Kunstwerk, mit seiner Aura des Hier und Jetzt, sei, so Belting mit Malraux, "die letzte ,Münze des Absoluten'" gewesen. Wer aber glaubt, Belting zahle dieses edle Geldstück in funkelndem kunsthistorischen Kleingeld aus, der sieht sich getäuscht. An Beschreibungen und Werkanalysen, Anekdoten und Künstlerlegenden herrscht zwar kein Mangel, doch wird alles nur im großen Bogen entworfen.

Die Ursache der Auszahlung in großen Scheinen, die nirgendwo gewechselt werden, liegt vor allem in einer idealistischen Verengung des Werkbegriffs. Noch einmal wird das Absolute gut hegelianisch als Idee aufgefaßt, die im Werk gegenständlich erscheint. So hört der Autor in der Aura des Werks auch allein das mächtige Echo der Religion nachklingen, deren Erbe die Kunst angetreten habe, vermag aber weder die leiseren Töne zu vernehmen, die den Werkbegriff in der Moderne zunehmend dissonant orchestrierten, noch den Gewinn einzusammeln, den eine weniger voreingenommene Analyse einzelner Werke hätte einbringen können.

Beltings aufgefrischter Idealismus überschattet die ganze Konstruktion: Weil die Moderne an der Aufgabe orientiert geblieben sei, sie müsse ein absolutes Meisterwerk hervorbringen, dieses sich aber als nicht realisierbar erwies, habe sie sich im Versuch erschöpft, die Idee der Kunst selbst zum Werk zu machen. Was immer auch das Thema eines Werks sein mochte, es war die Kunst selbst, auf die es bezogen wurde. Abstraktion etwa sei nicht nur im Verzicht der Maler auf einen Gegenstand erreicht, sondern bereits dort, wo sie ihre Werke auf eine abstrakte Idee beziehen - eben auf die Kunst. Die Rede vom unsichtbaren Meisterwerk erweise sich also in Wahrheit als der Verzicht auf einen praktikablen Werkbegriff.

Die von Belting beschworene "dunkle Wolke einer absoluten Kunst" überschattet indes zuallererst seine eigene Erzählung, das Exemplum einer pompösen Kunstschriftstellerei, der das Rückgrat fehlt. In mehrfacher Hinsicht als fatal erweist sich die Orientierung am Begriff des Meisterwerks. Sie verhindert, daß kleine Veränderungen und Verwerfungen im Werkbegriff überhaupt wahrgenommen werden, andere Werke als die hinlänglich bekannten überhaupt in den Blick kommen. Statt mit der Lupe untersucht Belting seinen Gegenstand mit Hilfe eines umgedrehten Fernglases.

Belting verwirrt, was Marx die Methode der Untersuchung und die der Darstellung nannte. Denn was sich der Autor auch vornimmt, ob Ingres' "Große Odaliske", Courbets "Atelier", Picassos "Demoiselles d'Avignon" oder Duchamps "Großes Glas", die Rezeption jedes Werks wird zumeist auf den Aspekt verkürzt, es stelle "die Kunst" dar. Da die Auseinandersetzung mit der Forschung bei der Profilierung der These offenbar gestört hat, wird ganz auf sie verzichtet. So aber wird der Leser bei fortschreitender Lektüre den Eindruck nicht los, das Ergebnis der Untersuchung stehe schon fest.

Am Ende wagt sich Belting an die Gefilde der zeitgenössischen Kunst. Neben den "Parolen der Freiheit" sind es die "Rituale der Erinnerung", die für ihn zum Epilog der modernen Werkidee gehören. Zwar entstehen noch immer Werke, ja mehr denn je, aber "es sind Werke anderer Art". Statt diese aber in ihrer Andersartigkeit ernst zu nehmen, statt Werkformen - etwa die Land Art - anzusprechen, in denen der Bezug zum Museum gerade nicht relevant ist, statt das Eindringen sozialer und politischer Themen in die Kunst zur Kenntnis zu nehmen, fesselt Belting auch die zeitgenössische Kunst dialektisch an seine Konstruktion des Werkbegriffs. Auch hier führt Hegel unsichtbar die Hand des Schreibenden. Denn in der pathetischen Formel vom "Verlust des Werks", in dem Belting auch den Verlust eines Bekenntnisses sieht, das ein Künstler mit seiner ganzen Existenz veranworten müsse, kehrt Hegels Gedanke wieder, die Kunst sei nach ihrer höchsten Bestimmung ein Vergangenes. Was als eine vorsichtige, die Sedimente der Vergangenheit Schicht um Schicht abtragende "Archäologie der Moderne" propagiert wird, erweist sich als der Versuch einer Kartographie der Rückseite des Mondes, die glaubt, auf den Einsatz einer Sonde verzichten zu können.

Hans Belting: "Das Unsichtbare Meisterwerk". Die modernen Mythen der Kunst. Verlag C. H. Beck, München 1998. 551 S., 192 Abb., geb., 84,- DM.

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