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Über einen unbekannten Künstler und die Unvorhersehbarkeit von Ruhm und Scheitern. Fredrik Sjöbergs „wunderbarer Versuch, den Zufall zu kontrollieren.“ (Aftonbladet)
1921 malte ein dänischer Künstler in Südfrankreich die Kusinen Hanna und Lillan Adler. Auf der Spur des Gemäldes und seines Schöpfers Anton Dich, „einzigartig abwesend in allem, was Kunstgeschichte heißt“, findet Sjöberg einen ganzen Schatz an nie erzählten, miteinander verwobenen Geschichten, die fröhlich oder nachdenklich, aber immer klüger machen. Über die unabhängigen Frauen der Familie Adler, Anton Dichs Freundschaft mit…mehr

Produktbeschreibung
Über einen unbekannten Künstler und die Unvorhersehbarkeit von Ruhm und Scheitern. Fredrik Sjöbergs „wunderbarer Versuch, den Zufall zu kontrollieren.“ (Aftonbladet)

1921 malte ein dänischer Künstler in Südfrankreich die Kusinen Hanna und Lillan Adler. Auf der Spur des Gemäldes und seines Schöpfers Anton Dich, „einzigartig abwesend in allem, was Kunstgeschichte heißt“, findet Sjöberg einen ganzen Schatz an nie erzählten, miteinander verwobenen Geschichten, die fröhlich oder nachdenklich, aber immer klüger machen. Über die unabhängigen Frauen der Familie Adler, Anton Dichs Freundschaft mit Modigliani, die Würgefeigen in Bordighera, einen Karton voller Briefe und den Kater Kanabriel, der eines Tages verschwand. Aber, so schreibt Sjöberg, „ich wundere mich schon lange nicht mehr. Der Zufall, dieser zerstreute Hallodri, ist des Sammlers bester Freund“.

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Autorenporträt
Fredrik Sjöberg, 1958 in Västervik, Schweden, geboren, studierte Biologie und Geologie und arbeitet neben seiner Schriftstellertätigkeit als Übersetzer und freier Journalist, u. a. als Literaturkritiker für das Svenska Dagbladet. Er lebt auf der Insel Runmarö in der Nähe von Stockholm. 2015 erhielt er den Essaypreis der Schwedischen Akademie. Bei Hanser erschienen zuletzt Wozu macht man das alles? (Geschichten und Essays, 2016) und Mama ist verrückt und Papa ist betrunken (Ein Essay über den Zufall, 2022).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Sophie Wennerscheid folgt in "Mama ist verrückt und Papa ist betrunken" erneut dem "gewundenen Spiel der Schnörkelschreiberei" von Fredrik Sjöberg. Der stets großartige Geschichten sammelnde schwedische Autor betrachtet darin den Lebensweg des unbekannten dänischen Künstlers Anton Dich und nimmt dafür sein Gemälde als Ausgangspunkt, das zwei Mädchen darstellt - die Cousinen Hanna Gottowt und Eva "Lillian" Arosenius, letztere auch bekannt als das am häufigsten abgebildete Kind innerhalb der schwedischen Kunstgeschichte, erklärt Wennerscheid. Man lernt leider nicht viel über Dich, aber die Familiengeschichte der zwei abgebildeten Mädchen findet die Rezensentin interessant und schön plastisch erzählt. Bei mehrfachem Lesen setzt sich das Buch zu einem "Stück Kunst- und Lebensgeschichte" zusammen, das zudem kongenial von Paul Berf ins Deutsche übersetzt wurde, wie sie schließt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.08.2022

Zufall, dieser
zerstreute Hallodri
Wie werden Künstler berühmt?
Fredrik Sjöberg entdeckt einen unbekannten Maler
Fredrik Sjöberg ist ein großartiger Sammler von Geschichten. In „Die Fliegenfalle“ etwa erhielt die Leserin faszinierende Einblicke in die Seele des Insektenforschers und Schwebfliegensammlers Sjöberg selbst. In „Der Rosinenkönig“ hingegen widmete sich Sjöberg der Sammel- und Erkundungsleidenschaft des schwedischen Naturforschers Gustaf Eisen, seines Zeichens Regenwurmspezialist und Begründer der Rosinenindustrie in Kalifornien.
Dass es beim Sammeln aber immer auch um die Lust am Abseitigen und die Kunst des Scheiterns geht, hat Sjöberg wiederum in „Die Kunst zu fliehen“ und „Vom Aufhören“ gezeigt. Immer mit der ihm eigenen Begabung, das zum Leuchten zu bringen, was andere in den dunklen Ecken der Geschichte unbeachtet liegengelassen haben. In seinem neuesten Buch „Mama ist verrückt und Papa ist betrunken. Ein Essay über den Zufall“, wie alle zuvor genannten Werke kongenial von Paul Berf übersetzt, setzt Sjöberg diese Linie fort, oder besser sollte man wohl sagen, dieses gewundene Spiel der Schnörkelschreiberei.
Machte er sich in „Vom Aufhören“ noch auf die einigermaßen erfolgversprechende Suche nach der mittlerweile tatsächlich „wiederentdeckten“ deutsch-schwedischen Malerin Lotte Laserstein und ihrem noch immer weitgehend unbekannten Malerkollegen Olof Ågren, ist es in „Mama ist verrückt und Papa ist betrunken“ der gänzlich unbekannte dänische Künstler Anton Dich, der den Spürhund in Sjöberg geweckt hat. Und hat der erst einmal Witterung aufgenommen, lässt er sich von seiner Fährte nicht mehr abbringen. Wobei er als Polizeihund vermutlich schon längst zum Teufel gejagt worden wäre. Führt ihn seine Nase doch nie von A nach B, sondern immer nur tiefer in das verwirrende Geflecht sich kreuzender, verzweigender und überlagernder Lebenswege hinein. Will man als Leserin Frustrationen vermeiden, sei hiermit geraten, Sjöberg gutgelaunt auf seinen Streifzügen zu begleiten, nicht aber zu erwarten an ein Ziel zu kommen. Entweder man kann jedem seiner Exkurse etwas abgewinnen, oder man bleibt besser gleich zu Hause.
Um die Sache jedoch nicht, was angemessen wäre, zu verkomplizieren, folgen wir hier nur dem, was sich als Hauptspur bezeichnen ließe. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt bei dem Gemälde, das den Umschlag von Sjöbergs Buch ziert. Es zeigt zwei Mädchen, etwa 15 Jahre alt, die auf einer Bank vor einer südlich anmutenden Sommerlandschaft sitzen. Die Hände und Gesichter wirken grobschlächtig, fleischig. Sie sind von einem dunklen Konturstrich eingefasst, der Ausdruck ist melancholisch, ein wenig wie man es von den Porträts Paula Modersohn-Beckers kennt. Ein schönes Bild. Es wurde 1921 gemalt und stellt die Cousinen Hanna Gottowt und Eva „Lillan“ Arosenius dar. Über den Maler, Anton Dich, zu dem Sjöberg drei Jahre lang recherchiert hat, erfahren wir nur Bruchstücke. Er wurde 1889 in Kopenhagen geboren und starb, erst 45 Jahre alt, in Bordighera, einem kleinen Ort an der Italienischen Riviera. Böse Zungen sagen, er habe sich zu Tode gesoffen. Die Familiengeschichte der beiden Mädchen, vor allem die von Eva, genannt Lillan, ist interessant. Sjöberg widmet sich ihr voller Leidenschaft, aber mit Respekt. Das ist insofern bemerkenswert, als er das Thema auch ganz anders hätte ausschlachten können. Handelt es sich bei Lillan doch um „das am häufigsten abgebildete Kind der schwedischen Kunstgeschichte“. Als Kleinkind nicht nur zigmal gemalt und gezeichnet von ihrem Vater, dem früh gestorbenen, aber legendären Maler Ivar Arosenius, sondern später eben auch von Anton Dich, dem zweiten Mann ihrer Mutter Eva Arosenius-Dich, geborene Adler, und, last but not least, von keinem geringerem als Amedeo Modigliani, der „irgendwo im Nebel“, aber immerhin nachweislich mit Anton Dich befreundet war. Damals, in Paris, in den wilden 1910er Jahren.
Natürlich lässt Sjöberg sich diesen Teil seiner Geschichte nicht entgehen. Sie ist spannend und hilft ihm bei dem, was vielleicht das eigentliche Anliegen seines Buches ist: verstehen oder zumindest nachvollziehen zu können, was einen Menschen glücklich oder unglücklich, und was einen Künstler erfolgreich oder unbedeutend werden lässt. Und natürlich, welche Abstufungen und Schattierungen zwischen diesen Polen liegen. Sind es die Umstände, das Talent, das Geschick im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens und des Kunstmarkts, zu viel Geld, zu wenig Geld, der Alkohol? Oder einfach Zufall?
Für den Zufall interessiert Sjöberg sich nicht nur als aus psychologischen und kunsthistorischen Gründen, sondern auch als Sammler von Geschichten. Als ihm unerwarteter Weise ein Karton voller alter Dokumente und Fotografien in die Hände fällt, der ihm bei seiner Spurensuche nach dem Werdegang des Malers Dich hilft, hält sich seine Überraschung in Grenzen. „Ich wundere mich schon lange nicht mehr. Der Zufall, dieser zerstreute Hallodri, ist des Sammlers bester Freund. Vielleicht veranlasst mich meine frühe Laufbahn als Entomologe, stets darauf gefasst zu sein, dass jederzeit alles Mögliche auftauchen kann, wie aus dem Nichts, wenn man nur die Geduld aufbringt zu warten. Nicht endlos, aber lange.“
Als Autor kann Sjöberg dem Zufall zwar nicht auf die Sprünge helfen, aber er kann das, was ihm der Zufall verwehrt, trotzdem erzählen. So malt er uns zum Beispiel eine Szene aus, die ihm nur als Anekdote überliefert worden ist. Die Familie Dich – Vater, Mutter und zwei Kinder – befindet sich auf einem Bahnsteig, es ist heiß, alle sind gereizt. Als der Mutter ihr Nähkasten auf die Erde fällt und die Garnrollen in alle Richtungen auseinanderstieben, flüchtet sich Anton, der Vater, in eine nahegelegene Bar, unter dem Arm sein großes Gemälde, von dem er hofft, es in Paris verkaufen zu können. Als die Familie später im Zug sitzt, stellt sich heraus, dass er das Bild in der Bar vergessen hat. „Das Bild tauchte nie wieder auf. Verschwunden.“ Doch damit nicht genug. Die Eltern streiten, die Kinder schauen aus dem Zugfenster, ein französischer Soldat, von dem sich später herausstellen wird, dass er Schwedisch versteht, betritt das Abteil. „Das ist der Moment, in dem Lillan ihre Bemerkung fallen lässt, halb für sich, in ihrer Muttersprache, ohne die vorbeirauschende Landschaft aus den Augen zu lassen. ,Mama ist verrückt und Papa ist betrunken.‘“
Ist es Resignation, Bitterkeit oder ein Gefühl tiefer Verlassenheit, das aus diesen Worten spricht? Wir wissen es nicht. Wahrscheinlich weiß das Mädchen es selbst nicht. Aber es ist schön, als Leserin mit ihr im Zug zu sitzen und von ihrer Familiengeschichte zu hören. Und wenn man das Buch zweimal liest, ergibt sich aus den vielen Puzzleteilen tatsächlich so etwas wie ein Stück Kunst- und Lebensgeschichte.
SOPHIE WENNERSCHEID
Der unbekannte Maler war
im Paris der 1910er immerhin
mit Modigliani befreundet
Fredrik Sjöberg:
Mama ist verrückt und Papa ist betrunken. Ein Essay über den Zufall. Aus dem Schwedischen von
Paul Berf. Hanser,
München 2022.
189 Seiten, 24 Euro.
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"'Mama ist verrückt und Papa ist betrunken' ist ein Buch der Zufälle, der beglückenden und der tödlichen. Ein Buch das Kunst-, Zeit- und Familiengeschichte miteinander in Einklang bringt, das von starken Frauen erzählt, von Nazis und Bohemiens, geglückten und gescheiterten Leben." Carsten Hueck, Deutschlandfunk Kultur Buchkritik, 25.06.2022

"Einen 'Essay über den Zufall' nennt Sjöberg sein einzigartiges Buch, es ist zugleich ein Essay über das Scheitern, über das Vergessen, über das Wesen unseres Erdendaseins." Richard Kämmerlings, Literarische Welt, 03.04.2022