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Haunted Bauhaus - Otto, Elizabeth (Associate Professor of Art and Executive Director o
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An investigation of the irrational and the unconventional currents swirling behind the Bauhaus's signature sleek surfaces and austere structures.

Produktbeschreibung
An investigation of the irrational and the unconventional currents swirling behind the Bauhaus's signature sleek surfaces and austere structures.
Autorenporträt
Elizabeth Otto
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2019

Im Vorkurs gab es moderne Mischreligion
Lebensreform kannte viele Varianten: Elizabeth Otto nimmt sich die nicht ganz so rationalen Tendenzen des Bauhauses vor

Marcel Breuer war gerade einmal zwanzig Jahre alt, als er 1922 mit seinem Lattenstuhl "ti 1a" eine Studienarbeit vorlegte, die sich an der Königsklasse des Produktdesigns versuchte: dem Sitzmöbel. Sein Entwurf ist längst ein Klassiker. Eine wohl zur selben Zeit entstandene Fotografie rückt die Prinzipien gestalterischer Einfachheit und Transparenz, die für Breuers Entwurf wesentlich sind, vor Augen. Und zugleich produziert sie ein Gefühl des Unbehagens - denn ganz offensichtlich spukte es an Breuers Hochschule, dem von Walter Gropius gegründeten Bauhaus. Nüchterne Gemüter werden die geisterhafte Erscheinung, die hier von Breuers Stuhl Besitz ergriffen hat, als Effekt einer fotografischen Doppelbelichtung entlarven. Doch zeigt die im amerikanischen Buffalo lehrende Kunstwissenschaftlerin Elizabeth Otto in ihrem soeben erschienenen Buch "Haunted Bauhaus", dass es sich unbedingt lohnt, solchen visuellen Spuk ernst zu nehmen.

Gewiss ist es nicht falsch, das Bauhaus als einen Musterfall der rationalistischen Moderne zu diskutieren. In diesem Sinn haben sich Immobilienmakler und Antiquitätenhändler den Namen der Hochschule lange schon als ein gefälliges Schlagwort angeeignet. Doch zeigt Otto auf pointierte Weise, was aus einer solchen Perspektive beinahe zwangsläufig übersehen werden muss: An der Weimarer und dann Dessauer Gestaltungsschule ging es okkulter, spiritueller, queerer und politisch radikaler zu, als sich dies in der pauschalen Formel des "Bauhausstils" ausdrücken lässt.

Das in diesem Jahr gefeierte Jubiläum war eine gute Gelegenheit, an eine ebenso einfache wie wesentliche Tatsache zu erinnern: Als Nachfolgerin der Kunstgewerbeschule in Weimar wurde des Bauhaus im April 1919, also nur fünf Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, eröffnet. Für das von Gropius entwickelte pädagogische Programm war die Latenz des eben beendeten Krieges entscheidend: Er verpflichtete die neue Gestaltungsschule auf Ideen einer umfassenden Lebensreform und öffnete die Türen für Lehrer, die sich einem solchen Ziel auf sehr unterschiedliche Weise verpflichtet sahen. Mit dem Klischee des rationalistischen, irgendwie weißen und rechteckigen Bauhausstiles wird man jedenfalls weder Lyonel Feininger oder Wassily Kandinsky, Paul Klee oder Oskar Schlemmer in Verbindung bringen wollen; und erst recht nicht Johannes Itten. Sein Vorkurs war für alle Schüler am Bauhaus verpflichtend; und für den Meister war es eine willkommene Gelegenheit, die Studenten mit den okkulten Ideen des Mazdaznan zu impfen.

Der 1902 geborene Marcel Breuer war wohl einer der ganz wenigen, der sich an der Weimarer Hochschule einschrieb, ohne zuvor den erzwungenen Umweg über den Militärdienst genommen zu haben. Die Erfahrung eines verlorenen Weltkrieges und die Brüchigkeit traditioneller Männlichkeitsbilder gehörten ganz gewiss zum Gegenstand der am Bauhaus geführten Debatten. Gerade hier liegt der Kern von Ottos Untersuchung: Wenn das Bauhaus als ein paradigmatischer Ort der Moderne diskutiert werden soll, dann muss dies das Interesse für eine neue Ordnung der Geschlechter mit einschließen. Offenkundig hatte das bereits Gropius bei der Konzeption seiner Bauhaus-Idee gesehen und im ersten Jahrgang sogar mehr Studentinnen als Studenten aufgenommen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass er diese Weitsicht bereits ein Jahr später wieder kassierte und nun informell festschrieb, dass der Anteil der Frauen fortan ein Drittel nicht übersteigen durfte.

Beim Lehrkörper war das Verhältnis vollends einseitig: Als sich anlässlich der Eröffnung des Dessauer Hochschulgebäudes die Meister auf dem Dach zu einer Aufnahme versammelten, war Gunta Stölzl, Meisterin in der Webereiwerkstatt, die einzige Frau neben zwölf Männern - und unter ihnen als Jungmeister der im Jahr zuvor zum Leiter der Möbelwerkstatt ernannte Breuer. Zu diesem Gruppenbild mit Dame passt die oft kolportierte Erzählung, dass die Studentinnen in jene Werkstätten abgedrängt wurden, deren Produkte als eher weiblich empfunden wurden. Doch waren es, wie Elizabeth Otto nun betont, gerade die hier entstandenen Entwürfe für Teppiche und Tapeten, mit denen das Bauhaus einen wesentlichen Anspruch an sich selbst tatsächlich erfüllen konnte: ökonomische Unabhängigkeit durch finanziell einträgliche Entwürfe.

Ausgehend von einzelnen Biographien, beleuchtet Otto verschiedene Facetten des Bauhauses, die gerade nicht zu den kanonischen Erzählungen gehören. So gelangt die für die Geschicke der Hochschule tragende Rolle von Ise Gropius in den Blick; sie war weit mehr als "die Frau an seiner Seite". Eindringlich betrachtet werden die fotografischen Experimente von Marianne Brandt, die in ihrem Studio im Prellerhaus vor und mit der Kamera tanzte. Mit den maskenhaften Travestien von Gertrud Arndt schließlich werden Identitätsspiele diskutiert, die Otto zuletzt in eine Frage wendet, die in der Bauhaus-Forschung bislang völlig unterbelichtet geblieben ist: Welche Rolle haben schwul-lesbische Erfahrungen an dieser Hochschule gespielt? Anhand von Max Peiffer Watenpfuhl und Florence Henri, Margaret Leiteritz und Richard Grune lässt sich unterstreichen: keinesfalls eine geringe.

Gewiss war es nicht zu weit hergeholt, sich am Beginn des gerade zu Ende gehenden Jubiläumsjahres vor einer Ermüdung in Sachen Bauhaus zu fürchten. Elizabeth Ottos Buch jedoch zeigt mit einer engagierten Gegenrede, dass längst noch nicht alles gesagt worden ist. Nach dem Bauhaus ist vor dem Bauhaus.

STEFFEN SIEGEL

Elizabeth Otto: "Haunted Bauhaus". Occult Spirituality, Gender Fluidity, Queer Identities, and Radical Politics.

The MIT Press, Cambridge/Mass., London 2019. 282 S., Abb., geb., 30,- [Euro].

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