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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zugewachsen von Geschichte–
Thomas Hardings „Sommerhaus am See“
Dieses Buch verdankt seine Existenz dem deutschen Denkmalschutzgesetz. Nach dem Tod seiner Großmutter Elsie erinnerte sich der britische Journalist Thomas Harding an ihre Erzählungen von den Sommern in einem Haus am Groß Glienicker See bei Berlin. Einmal nur, 1993, war er mit ihr nach Deutschland zu dem Haus gereist. Es war für ihn eine Reise in das Leben der Großmutter gewesen, ein Leben, das von den Pogromen Nazideutschlands beendet worden war und die Familie ins Londoner Exil gezwungen hatte. Was wohl aus diesem Seehaus geworden war? 2013 flog Harding wieder nach Berlin und suchte das Haus. „Es war kleiner, als ich es in Erinnerung hatte, nicht viel größer als ein Sportpavillon oder eine Doppelgarage, zugewachsen von Büschen, Kletterpflanzen und Bäumen.“ Bei der Kommunalverwaltung erfährt er, dass das Grundstück inzwischen der Stadt Potsdam gehört, und das Haus abgerissen werden soll. Verhindert werden könne dies, wenn es gelänge, dessen „kulturelle und historische Bedeutung“ zu beweisen. Das ließ sich der Journalist nicht zweimal sagen: Aus Archiven, Familiendokumenten und Gesprächen mit Zeitzeugen trug er die Geschichte des Hauses zusammen. Reportageartige Kapitel über die Recherche wechseln sich mit romanhaften, detailreichen Erzählungen des Lebens der verschiedenen Hausbewohner ab, darunter der Arzt Alfred Alexander, von dem sich die damalige Berliner Prominenz bevorzugt behandeln ließ, und der Komponist Will Meisel. An ihren Beispielen lässt Harding 100 Jahre deutscher Geschichte passieren. Eindrucksvoll sind die Schilderungen der Dreißigerjahre, wenn in der Nähe des Sees zuerst ein Flugplatz, dann ein Truppenübungsplatz und mehrere Panzerhallen errichtet werden. Bald marschieren SA-Verbände am Seeufer. Später verläuft quer durch den Garten die Berliner Mauer. Thomas Hardings Buch ist nicht nur die Geschichte des Sommerhauses und seiner Bewohner, es ist die deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts, erzählt aus der Perspektive des Einzelnen. NICOLAS FREUND
Thomas Harding: Sommerhaus am See. Aus dem Englischen von Daniel Bussenius. dtv, München 2018. 432 Seiten, 14, 90 Euro.
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