Der Begriff “Spin-off” kommt eigentlich aus dem Bereich der Wirtschaft. Aber auch in den Medien verwendet man diesen Begriff, wenn beispielsweise im Fernsehen beliebte Nebenfiguren erfolgreicher Serien zu Helden einer neuen Serie werden. In der Literatur sind solche “Ableger” nicht ganz so üblich.
Joan Aiken, die bereits verstorbene erfolgreiche britische Kinder- und Kriminalbuchautorin hat ganze…mehrDer Begriff “Spin-off” kommt eigentlich aus dem Bereich der Wirtschaft. Aber auch in den Medien verwendet man diesen Begriff, wenn beispielsweise im Fernsehen beliebte Nebenfiguren erfolgreicher Serien zu Helden einer neuen Serie werden. In der Literatur sind solche “Ableger” nicht ganz so üblich. Joan Aiken, die bereits verstorbene erfolgreiche britische Kinder- und Kriminalbuchautorin hat ganze fünf solcher Folgeromane in ihrem Oeuvre. Es sind Fortsetzungen einiger Romane von Jane Austen, mit denen sie ihrer Verehrung für diese Autorin Ausdruck verlieh.
Welcher Liebhaber der Werke von Jane Austen hat nicht die Figuren ihres wohl berühmtesten Werkes “Stolz und Vorurteil” vor Augen. Wer erinnert sich nicht, an die herrschsüchtigen Bemerkungen, die die gestrenge Lady Catherine an Elizabeth Bennett oder an den unterwürfigen Mr. Collins richtet. Die Tante von Mr. Darcy spielt, gemeinsam mit ihrer Tochter Anne, die Hauptrolle in Joan Aikens Roman. Ihr Landsitz Rosings, in “Stolz und Vorurteil” nur einer der Nebenschauplätze, wird zur Bühne für das Geschehen.
Ein Kutschenunfall aufgrund eines plötzlichen Wintereinbruchs lässt das Geschwisterpaar Delaval auf dem Landsitz der reichen Lady Catherine stranden. Die gestrenge Hausherrin ist zunächst nicht erfreut über diesen unerwünschten Zuwachs in ihrem Haus. Der gewinnende Charme von Ralph und Priscilla bleibt jedoch nicht ohne Wirkung und schon bald ist von einem Aufbruch der beiden nicht mehr die Rede. Nur Tochter Anne hat Vorbehalte gegen die Gäste. So mischt sich, nach ihrem Empfinden, der junge Mann zu sehr in die Angelegenheiten ihrer Mutter. Seine Absichten erscheinen edel, aber bald schon werden die fatalen Folgen der vermeintlich guten Ratschläge offen kundig und Lady Catherine muss nicht nur um ihren Besitz fürchten.
Joan Aiken hat sich mit ihren Krimis und Psychothrillern einen Namen gemacht und das sie das Metier beherrscht, zeigt sich in diesem Roman. Sehr geschickt spinnt sie bekannte und neue Figuren in ein Netz von Handlungen, dessen harmloser Beginn sich furios wandelt und zwischen düsterem Geheimnis und geheimnisvollen Rätsel changiert. Aus Jane Austens Vorlage übernimmt sie neben Lady Catherine und deren Tochter Anne, die Bewohner des Pfarrhauses Mr. Collins und dessen Frau Charlotte, sowie deren Schwester Maria Lucas. Auch Oberst Fitzwilliam, der gute Freund von Mr. Darcy aus “Stolz und Vorurteil” ist mit von der Partie.
Gerade die Handlung die Aiken um die “alten Bekannten” aus der Austen Vorlage strickt, waren für mich am interessantesten. Allerdings zeigen sich hier, wie ich finde, auch die größten Schwierigkeiten einer solchen Fortsetzung. Lady Catherine ist von Joan Aiken, meiner Meinung nach, perfekt getroffen. Auch Charlotte und Mr. Collins weisen eine vortreffliche Ähnlichkeit auf. Ganz anders die Figuren Maria Lucas, Anne und Oberst Fitzwilliam. Hier hatte ich das Gefühl, dass der Dramaturgie zuliebe eine Persönlichkeitswandlung vorgenommen wurde. Aus Maria (ängstlich, nichtssagend) und Anne (blass, krank, scheu, geistig schwach) werden urplötzlich autark denkende und handelnde selbstbewusste Frauen mit ausgeprägten charakterlichen Eigenschaften. Der vormals ehren- und liebenswerte Fitzwilliam dagegen, wird in einen gewissenlosen Opportunisten verwandelt.
Ich fand diese “Verwandlungen” zwar nicht ganz stimmig, habe das Buch aber dennoch mit Vergnügen gelesen. Mir ging es mehr um, wie es im Klappentext so schön heißt: “Ein Wiedersehen mit alten Freunden”. Wer sich einmal mit dem Jane Austen Virus angesteckt hat, wird ihn ohnehin nicht mehr los. Ihre Helden, oder vor allem die Heldinnen, wachsen einem ans Herz und begleiten einen durchs Leben. Jane Austen zu lesen bedeutet für jeden etwas anderes. Aber jeder der Jane Austen in sein Leben aufnimmt, wird es dadurch bereichern.
Die Folgeromane von Joan Aiken sind für mich daher so etwas wie Marketing für Jane Austen. Merchandising Produkte die man als Anhänger von ihr einfach haben muß.