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Der Science-Fiction-Film ist eines der bildgewaltigsten und beliebtesten Genres der Filmgeschichte. Die Inszenierungen von technischen Visionen, spektakulären Zukunftswelten und extraterrestrischen Begegnungen verhandeln Fragen menschlicher Identität, gesellschaftliche Visionen und kollektive Ängste. Dieses Zusammenspiel begründet den Reiz des Genres und verleiht den Filmen ihre zeitgenössische Brisanz. Der Band zur Retrospektive der Internationalen Filmfestspiele Berlin präsentiert Essays von internationalen AutorInnen, die das Science-Fiction-Genre über die US-amerikanische Kinematografie…mehr

Produktbeschreibung
Der Science-Fiction-Film ist eines der bildgewaltigsten und beliebtesten Genres der Filmgeschichte. Die Inszenierungen von technischen Visionen, spektakulären Zukunftswelten und extraterrestrischen Begegnungen verhandeln Fragen menschlicher Identität, gesellschaftliche Visionen und kollektive Ängste. Dieses Zusammenspiel begründet den Reiz des Genres und verleiht den Filmen ihre zeitgenössische Brisanz.
Der Band zur Retrospektive der Internationalen Filmfestspiele Berlin präsentiert Essays von internationalen AutorInnen, die das Science-Fiction-Genre über die US-amerikanische Kinematografie hinaus ergründen. Ausgehend von der langen US-Tradition und den Besonderheiten des Genres, widmet sich die reich bebilderte Publikation zudem der Blütezeit des osteuropäischen SF-Films sowie der Science-Fiction innerhalb der deutschen Filmgeschichte und des westeuropäischen Autorenfilms.
Mit Beiträgen von Mark Bould, Tobias Haupts, Aidan Power, Matthias Schwartz
und Sherryl Vint.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Rother, Rainer
Rainer Rother Filmwissenschaftler. Seit 2006 Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin, und Leiter der filmhistorischen Sektion der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Seit 2001 Mitglied der Auswahlkommission für den Wettbewerb der Berlinale. Von 1991 bis 2006 Leiter des Zeughauskinos des Deutschen Historischen Museums, Berlin, und Ausstellungskurator. Autor und (Co-)Herausgeber zahlreicher Publikationen zu Themen der Filmgeschichte, zuletzt: "Deutschland 1966" (2016), "Glorious Technicolor" (2015) und "Bigger than Life. Ken Adam's Film Design" (2014). Lebt in Berlin.

Schaefer, Annika
Annika Schaefer, Filmwissenschaftlerin. Redakteurin der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin. Doktorandin im Bereich Medienwissenschaft an der Filmuniversität Babelsberg "Konrad Wolf". Forschungsschwerpunkt: Inszenierungen der Arbeit im nationalsozialistischen Spielfilm. Zuvor Mitarbeiterin im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Autorin und (Co-)Herausgeberin von "Glorious Technicolor" (2015). Lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2017

Fremde Welten sehnen sich nach uns

Die Retrospektive der Berlinale ist diesmal dem Science-Fiction-Kino gewidmet. In der Vergangenheit der Zukunft gibt es viel zu entdecken.

Jedes Bild in diesem schönen Band fasst, weil das bei Filmstandfotos immer so ist, den jeweiligen Film bis zu dem Moment zusammen, an dem es aus ihm herausfällt. Darüber hinaus aber verweist jedes Bild hier nicht nur auf das, was wahrscheinlich als Nächstes passiert, sondern zugleich, da es dabei ja um Science-Fiction geht, auch auf irgendeine Zukunft oder sonstige Möglichkeitsdimension für die Menschengattung insgesamt. Da alle diese Bilder Rückblicke sind, weil keiner der Filme, aus denen sie stammen, neu ist, wissen wir, wenn wir sie betrachten, dass keine einzige Zukunft, deren Vorschein da vorliegt, Wirklichkeit geworden ist. Es handelt sich um Mahnmale toter Erwartung.

Wer den grandios verlorenen Otto Lackovic als von Gesichtsnarben entstellten und seelisch tief verwundeten Kosmonauten in der Eingangsszene des tschechischen Meisterwerks "Ikarie XB 1" (1963) von Jindrich Polák durch eine Raumschiffkulisse taumeln sieht, die zugleich funktional und wie geträumt wirkt, wird im Vergleich dazu Keir Duellas wie vor den Kopf geschlagenen Ausdruck fassungslosen Staunens über die inkommensurable Weite des Alls in der Schlusssequenz von Stanley Kubricks "2001 - A Space Odyssey" (1968) für die Nachahmung eines Mannes halten, der sein Social-Media-Passwort vergessen hat. "Ikarie XB 1", ein Höhepunkt der diesjährigen Berlinale-Retrospektive und damit auch einer der wertvollsten Hinweise, die man sich in dem hier besprochenen Katalog dazu abholen kann, erzählt nämlich von etwas, das fürs moderne Bewusstsein tieferes Grauen birgt als der ganze ehrfurchtgebietende leere Raum zwischen den Sternen: unsere selbstgemachte große Katastrophe, das Historische.

Der Film ist die elegant freihändige Kinobearbeitung des Romans "Oblok Magellana" (Die Magellansche Wolke, deutsch geläufiger als "Gast im Weltraum") aus dem Jahr 1955 von Stanislaw Lem. Der Grundbau der Handlung gehorcht den Gesetzen des Subgenres "parakoloniale Space Opera": Ein Raumschiff voll vielseitig kompetenter Frauen und Männer wird zu einem extrasolaren Planeten geschickt und stößt unterwegs auf allerlei Wunder und Gefahren, unter anderem auf das Wrack eines Geisterschiffs von der Erde. Das stammt aus dem zwanzigsten Jahrhundert und beherbergt nichts als Leichen, die einander, wie Indizien belegen, mittels Giftgas umgebracht haben. Nach der Begegnung mit dem Zeugnis einer Epoche, die für die Filmschaffenden selbst Gegenwart war, als sie diese Szene drehten, sitzen zwei Kosmonauten bedrückt im Musikzimmer. Einer sagt bitter, was man da gefunden habe, seien Erinnerungen an jene Verbrecher, die auch verantwortlich seien für Auschwitz, Oradour, Hiroshima. Der andere spielt am Klavier ein paar Takte aus Arthur Honeggers "König David" und sagt dann schwermütig, das zwanzigste Jahrhundert habe aber zumindest auch Kunst hinterlassen - die, kommentiert sein Blick das stumm, wohl Vorschein einer anderen, einer menschenwürdigen Zeit habe sein wollen.

Die besten Filme der Retrospektive, die das Buch vorstellt, halten durchgängig dieses Reflexionsniveau der Problematik filmischer Kryptohistoriographie, von Holger-Madsens dänischem Pionierwerk "Himmelsskibet" ("Das Himmelsschiff") aus dem Jahr 1918, in dem Nicolai Neiiendam als Professor Planetaros das Verhältnis der Menschen zu ihren Möglichkeiten in die poetische Metapher von "Welten, die wir ersehnen und die uns ersehnen" fasst, bis hin zu Rainer Werner Fassbinders allseitig in sich selbst verspiegelter Virtualitäts-Fernsehsymphonie "Welt am Draht" aus dem Jahr 1973.

Die klügsten Praktiker des Genres, so lehren diese Filme, sind in keine der beiden Fallen getapert, die in der Sekundärliteratur darüber so selten vermieden werden; sie haben ihre Arbeit nämlich weder dadurch eingeschränkt, dass sie darin bloße Extrapolationen oder kalkulierte Projektionen tatsächlich erwarteter Zukunftsterritorien gesehen hätten, noch der Verflachung ausgeliefert, die sie ereilt, wo immer solche Filme lediglich als Überzeichnungen und Verfremdungen des Gegebenen gemacht oder aufgefasst werden.

Es geht im Science-Fiction-Kino in Wahrheit eben weder bloß um die Übermalung der Gegenwart noch um deren spekulatives Komplement im Möglichen. Es geht da vielmehr wie bei literarischer Science-Fiction, aber mit anderen, eben filmischen Erzählweisen, um die Erarbeitung eines genuin ästhetischen (also gerade nicht futurologischen oder geschichtsphilosophischen) Verhältnisses zur sozialen Grundtatsache der Neuzeit: dass unser Stoffwechsel mit der nichtmenschlichen Natur wie unsere Interaktion in Gesellschaft mehr als bei jedem älteren, auf mächtiger Überlieferung statt auf wechselseitig gewährter Freiheit gegründeten Gemeinwesen durch Wissen und Können vermittelt ist - also durch "Science" und Technik ("Fiction" ist ja pure Technik, nämlich eine erzkünstlerische).

Wie könnte Kunst das schlagender veranschaulichen als in der Eröffnungsszene des ebenfalls in diesem Buch und der Retrospektive enthaltenen und wie "Ikarie XB 1" auf einer Lem-Vorlage basierenden polnisch-sowjetischen Films "Test Pilota Pirxa" ("Der Test des Piloten Pirx", auch: "Testflug zum Saturn", 1979) von Marek Piestrak?

Gummiköpfe nichtlinear denkender Roboter werden da von Menschen sortiert, die sich augenscheinlich damit abgefunden haben, dass unsere Spezies fürs neuzeitliche Leben nicht geeignet ist. Dann hört man ein Orchester, das zwar noch aus Menschen besteht, aber eine im Marschrhythmus gehaltene Musik von Arvo Pärt intoniert, die eine geradezu unmenschliche Spannung aufbaut. Sie lässt erst nach, als zwei Kosmonauten beim Heimaturlaub auf einem schneebedeckten Berg stehen und einer der beiden über die Sterne sagt, sie sähen von der Erde aus betrachtet schöner aus als draußen, in der freien Dunkelheit.

DIETMAR DATH.

Rainer Rother und Annika Schaefer (Hrsg.): "Future Imperfect". Science Fiction Film.

Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2017. 132 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].

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