Im Frühling sind sie angekommen, im Herbst müssen Lukas neue Freunde Oleg, Madame Petrova und Paulinchen weiterziehen, sie sind ja schließlich Zugvögel. Doch sie wollen bleiben, wollen den Winter sehen und in die Schule gehen. Aber wo sollen sie bloß hin? Wovon sollen sie leben? Zum Glück gibt es die gute Frau Lorenz, die ein großes Herz hat und ein großes Nest für alle, die nicht wissen, wohin. Bei ihr sind die drei Freunde gut aufgehoben. In wunderschönen, feinsinnigen und zugleich kräftigen Bildern erzählt das Ausnahmetalent Michael Roher seine neue Geschichte: vom Sesshaftwerden einer Familie unter erschwerten Bedingungen, ein Plädoyer für Toleranz und Liebe, eine Würdigung von Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.02.2013Zuflucht in der Arche
Nicht etwa Storch, Kranich oder Grasmücke kommen jedes Jahr Mitte April in die Stadt – die Zugvögel, die Luka erwartet, sehen anders aus. Die Zeichnungen des Bilderbuches zeigen Menschen mit vorwitzigen Federn statt Haaren und einem Schnabel, der an Pappnasen erinnert. Es sind Gaukler, Komödianten, Musiker, schräge Vögel eben, poetische und surreale Gestalten, die sich einer eindeutigen Interpretation entziehen. Verständigen können sich die Neuankömmlinge mit Luka kaum, aber sich gern haben, das geht.
Kinder, mit denen man das Buch anschaut, werden sich köstlich amüsieren über die Sprachprobleme von Luka und den Zugvögeln. Der einzige Satz, den er kennt, ist „Zschip Zschip“ und das heißt in der Zugvogelsprache: „Ich bin ein großer schwerer Elefant!“ Wenn andererseits das Zugvogelmädchen Pauline statt „Piep“ „Pipi“ sagt und hinter dem Busch verschwindet, weiß jeder, was es bedeutet. Die Zugvögel werden in der grauen Stadt heimisch, und erfreuen mit ihrer Musik die Bewohner! Luka und das Vogelmädchen Pauline freunden sich an. Doch als der Herbst kommt, müssen die Zugvögel wieder fort. Ein Naturgesetz? Nein. Im Winter, wenn die Nahrung knapp wird, wollen die Menschen die Vorräte nicht mit den Fremden teilen, die „Zugvögel“ würden also verhungern und erfrieren. „Ihr gehört überhaupt nicht hierher! Geht doch in den Süden, wo ihr herkommt!“ Und plötzlich erhält das Bilderbuch mit seinen zauberhaften Zeichnungen eine andere Ebene – nicht aufdringlich, aber beklemmend eindeutig für den erwachsenen Vorleser.
Doch das Vogelmädchen Pauline will Schnee sehen und der Menschenjunge Luka seine Freundin nicht verlieren. Wie könnte die Lösung aussehen? Sie kommt von der freundlichen Frau Lorenz, die ein großes Nest für alle hat, die nicht wissen, wohin. Ein Nest in Form einer Arche, in der diejenigen, die bleiben wollen, ihre Flügel ablegen und dazugehören können.
Die Angst vor Fremden, davor, mit ihnen zu teilen, wird in diesem Bilderbuch verwandelt zu einer poetischen Geschichte von Freundschaft, Wärme und dem Reichtum, den Fremde in unser Leben bringen. (ab 4 Jahre)
REGINA RIEPE
Michael Roher: Zugvögel. Picus 2012. 32 Seiten, 16,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nicht etwa Storch, Kranich oder Grasmücke kommen jedes Jahr Mitte April in die Stadt – die Zugvögel, die Luka erwartet, sehen anders aus. Die Zeichnungen des Bilderbuches zeigen Menschen mit vorwitzigen Federn statt Haaren und einem Schnabel, der an Pappnasen erinnert. Es sind Gaukler, Komödianten, Musiker, schräge Vögel eben, poetische und surreale Gestalten, die sich einer eindeutigen Interpretation entziehen. Verständigen können sich die Neuankömmlinge mit Luka kaum, aber sich gern haben, das geht.
Kinder, mit denen man das Buch anschaut, werden sich köstlich amüsieren über die Sprachprobleme von Luka und den Zugvögeln. Der einzige Satz, den er kennt, ist „Zschip Zschip“ und das heißt in der Zugvogelsprache: „Ich bin ein großer schwerer Elefant!“ Wenn andererseits das Zugvogelmädchen Pauline statt „Piep“ „Pipi“ sagt und hinter dem Busch verschwindet, weiß jeder, was es bedeutet. Die Zugvögel werden in der grauen Stadt heimisch, und erfreuen mit ihrer Musik die Bewohner! Luka und das Vogelmädchen Pauline freunden sich an. Doch als der Herbst kommt, müssen die Zugvögel wieder fort. Ein Naturgesetz? Nein. Im Winter, wenn die Nahrung knapp wird, wollen die Menschen die Vorräte nicht mit den Fremden teilen, die „Zugvögel“ würden also verhungern und erfrieren. „Ihr gehört überhaupt nicht hierher! Geht doch in den Süden, wo ihr herkommt!“ Und plötzlich erhält das Bilderbuch mit seinen zauberhaften Zeichnungen eine andere Ebene – nicht aufdringlich, aber beklemmend eindeutig für den erwachsenen Vorleser.
Doch das Vogelmädchen Pauline will Schnee sehen und der Menschenjunge Luka seine Freundin nicht verlieren. Wie könnte die Lösung aussehen? Sie kommt von der freundlichen Frau Lorenz, die ein großes Nest für alle hat, die nicht wissen, wohin. Ein Nest in Form einer Arche, in der diejenigen, die bleiben wollen, ihre Flügel ablegen und dazugehören können.
Die Angst vor Fremden, davor, mit ihnen zu teilen, wird in diesem Bilderbuch verwandelt zu einer poetischen Geschichte von Freundschaft, Wärme und dem Reichtum, den Fremde in unser Leben bringen. (ab 4 Jahre)
REGINA RIEPE
Michael Roher: Zugvögel. Picus 2012. 32 Seiten, 16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Schräge Vögel" sind das, die in Michael Rohers Bilderbuch "Zugvögel" in der Stadt vorbeischauen, berichtet Regina Riepe, anthropomorphe Zwitterwesen, mit denen sich der Menschenjunge Luka trotz Verständigungsproblemen rasch anfreundet. Die surrealen Gestalten und die gestörte Kommunikation seien für Kinder durchaus amüsant, meint die Rezensentin, aber es gibt noch eine weitere Bedeutungsebene, wenn Roher erzählt, dass die Vögel weiterziehen müssen, weil die Menschen sie nicht bei sich behalten wollen und ihnen kein Futter abgeben. Eine Lektion in Sachen Fremdenfeindlichkeit also, die der Rezensentin - jedenfalls in einem Bilderbuch - wichtiger zu sein scheint als akkurate ornithologische Fakten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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