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Reinhard Gehlen hat in der Öffentlichkeit stets bestritten, dass die von ihm geleitete Organisation politische Inlandsspionage betreibe. Tatsächlich gehörte dies jedoch zu ihren zentralen Tätigkeitsfeldern, wie in diesem Buch auf der Grundlage bislang geheimer Akten nachgewiesen wird. Ins Visier des BND-Vorläuferapparates gerieten dabei Institutionen, Personen und Milieus, die nicht in das konservativ-autoritäre Weltbild Gehlens und seiner Mitarbeiter passten oder dem Kurs von Bundeskanzler Adenauer kritisch gegenüberstanden. Sie wurden ausgeforscht und bekämpft - bis hin zum Rufmord. Dreh-…mehr

Produktbeschreibung
Reinhard Gehlen hat in der Öffentlichkeit stets bestritten, dass die von ihm geleitete Organisation politische Inlandsspionage betreibe. Tatsächlich gehörte dies jedoch zu ihren zentralen Tätigkeitsfeldern, wie in diesem Buch auf der Grundlage bislang geheimer Akten nachgewiesen wird. Ins Visier des BND-Vorläuferapparates gerieten dabei Institutionen, Personen und Milieus, die nicht in das konservativ-autoritäre Weltbild Gehlens und seiner Mitarbeiter passten oder dem Kurs von Bundeskanzler Adenauer kritisch gegenüberstanden. Sie wurden ausgeforscht und bekämpft - bis hin zum Rufmord. Dreh- und Angelpunkt dieser geheimen Dienste für Bonn war das symbiotische Verhältnis zwischen Gehlen, der 1956 zum BND-Präsidenten aufstieg, und Hans Globke, dem starken Mann im Bundeskanzleramt.Klaus-Dietmar Henke gibt einen umfassenden Einblick in die illegalen Machenschaften der Organisation Gehlen. Dabei zeigt sich, dass deren kämpferischer Antikommunismus lediglich als Fassade für einen obrigkeitsstaatlichen Antiliberalismus diente, der sich gegen die allmähliche Demokratisierung der jungen Bundesrepublik stellte.
Autorenporträt
Jahrgang 1947, Studium der Neueren Geschichte und Politikwissenschaft in München,1979 - 92 wiss. Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte, 1992 - 96 Leiter der Abt. Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, 1997 - 2001 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, 1997 - 2012 Professor für Zeitgeschichte an der TU Dresden, seit 2011 Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2019

Kuriose Scheinwelt des Nachrichtendienstes
Auslandsaufklärung mangelhaft, für die Innenpolitik reichte es: Der frühe BND im Dienste Adenauers

Geheimdienste stehen oft im Verdacht, ihre Sonderstellung zu missbrauchen. Dieser Vorwurf traf vielfach auch den Bundesnachrichtendienst. So wurde dem für die Auslandsaufklärung zuständigen BND vorgehalten, für Adenauer bundesdeutsche Demokraten zu bespitzeln. In den siebziger Jahren tagte dazu ein Untersuchungsausschuss, und verschiedene Bücher präsentierten Indizien. Wie vielfältig der frühe Bundesnachrichtendienst und sein Vorläufer tatsächlich über westdeutsche Politiker, Journalisten und Intellektuelle berichtete, zeigt nun Klaus-Dietmar Henke anhand von BND-Akten. Ebenso belegt er, dass diese denunziatorischen Meldungen regelmäßig an Hans Globke und damit an Adenauer gingen, der so wöchentlich Interna über seine Kritiker erhielt. Zusammen mit anderen neuen Studien zu den Bundesministerien nach 1945 wirft dies einen gewaltigen Schatten auf die Ära Adenauer.

Für die "Organisation Gehlen", wie der BND-Vorläufer bis 1956 genannt wurde, war zunächst Bayern ein Experimentierfeld für die innenpolitische Spionage. Hier konnte der langjährige BND-Chef Gehlen zahlreiche Leute unterbringen, V-Leute verankern und ranghohe Personen als "Sonderverbindungen" gewinnen. So zählte auch der erste Leiter des frisch gegründeten Münchener Instituts für Zeitgeschichte, Gerhard Kroll, zu Gehlens Zuträgern. Laut Bericht sicherte er zu: "Das Institut wird nichts herausgeben, was den Generalstab belasten könnte."

In Bonn entwickelte sich Adenauers rechte Hand, Hans Globke, zum eigentlichen Dienstherren und Schutzpatron von Gehlens Organisation. Ab 1950 wurde er mit regelmäßigen Berichten über die politische Konkurrenz versorgt. Diesen engen Austausch interpretiert Henke als eine Kompensation dafür, dass Gehlen wegen des alliierten Vetos nicht zugleich Verfassungsschutz-Präsident werden durfte, um beide Dienste zu vereinen. Gehlen versuchte sich so politisch zu profilieren und unentbehrlich zu machen. Auch auf die Personalpolitik in Bonn nahm er beratend Einfluss.

Bereits 1946 setzten erste denunziatorische Berichte ein. Erich Kästner etwa sei von den Sowjets gesteuert. Der Publizist Eugen Kogon habe direkte Kontakte zu den Sowjets und als "Ober-Kapo" im KZ in einer Villa gelebt. Beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) machten sie Journalisten mit "eindeutig linksradikaler Orientierung" aus. Aus dem Sender übermittelte der stellvertretende Politik-Chefredakteur August Hoppe dramatisierte Verleumdungen. Eine interne Aufstellung von 1951 zeigt, wer unter welchen Gesichtspunkten ausspioniert werden sollte. Bei der SPD sei etwa auf deren Haltung zum Schuman-Plan, zur Parteiführung und zu den Gewerkschaften zu achten, bei der FDP auf deren Koalitionspläne und "zu krasses Unternehmertum" und bei CDU-Politikern auf "Abwanderungsbestrebungen" zu anderen Parteien. Auf der langen Liste der Parteien und Bünde, deren Beobachtung erwünscht war, standen etwa "Rotary international", der "Bund Christlicher Gewerkschafter" und der "Ellwanger Kreis", dem auch viele christdemokratische Politiker angehörten.

Damit erstellte Gehlens Organisation über alle diejenigen Berichte für Adenauer, die von dessen Regierungskurs abwichen. Gegner der Wiederbewaffnung, wie Gustav Heinemann und Martin Niemöller, erhielten besondere Aufmerksamkeit. Ebenso überwachte die "Org." Rivalen im eigenen Bereich. Gezielt beobachtet und denunziert wurden etwa Adenauers Sicherheitsberater Gerhard Graf von Schwerin, der konkurrierende Nachrichtendienstleiter Friedrich Wilhelm Heinz sowie der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Otto John. Die Berichte betonten etwa deren unsteten Lebenswandel und deren Unzuverlässigkeit, die sie aus deren Verbindungen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus ableiteten. Ebenso horchte Gehlens Organisation Medien aus und versuchte diese zu beeinflussen. Laut Henke hat der BND beim "Spiegel" positivere Berichte über sich erreicht, indem er dem Blatt Informationen übermittelte. Wenngleich solche Kausalitäten vereinfachend klingen, zeigt Henke zumindest den Austausch mit Gehlens Organisation.

Besonders erfolgreich gelang das Bespitzeln der FDP. Dort besaß der frühe BND mit Victor-Emanuel Preusker einen besonders prominenten V-Mann. Das ehemalige SS-Mitglied startete als FDP-Generalsekretär in Hessen, zog 1949 in den Bundestag ein und wurde 1953 Wohnungsbauminister in Bonn, so dass er auch Interna aus dem Kabinett und der Parteiführung ausplaudern konnte. Preusker nutzte dies, um linksliberale Parteifreunde zu denunzieren. Keinen Alarm schlug der frühe BND hingegen, als ranghohe Nationalsozialisten um Werner Naumann in der nordrhein-westfälischen FDP ein Netzwerk bildeten. Gehlens Informanten führten mindestens elf Gespräche mit Naumann, aber Berichte an Globke schrieben sie hierzu erst, als die Presse dazu publizierte. Während sie vor kommunistischen Gefahren warnten, erschienen FDP-Treffen mit Gauleitern oder hohen SS-Männern vernachlässigenswert.

Weniger erfolgreich waren ihre Versuche, in der SPD-Spitze V-Leute unterzubringen. Dennoch produzierten Gehlens Spitzel zahlreiche verleumderische und falsche Berichte über Sozialdemokraten. Diese erörterten, wie die SPD die Wiederbewaffnung beurteile, welche Koalitionspläne sie habe, wie es um Kurt Schumachers Gesundheit stehe und wer ihm nachfolgen würde. Über mögliche SPD-Kanzlerkandidaten für die Wahl 1953, wie Reuter und Zinn, erstellten sie frühzeitig Dossiers. Nicht minder wichtig war Gehlen, wie die SPD seinen Nachrichtendienst bewertet. Da eine künftige SPD-Regierung nicht auszuschließen war, suchte er anfangs werbend den direkten Austausch mit deren Parteispitze.

Angetrieben wurde Gehlens Organisation durch einen realitätsblinden Antikommunismus. Er war zugleich ein Feigenblatt, um deren Anti-Liberalismus zu kaschieren. Ein weiteres Ziel war es, sich bei Adenauer als loyale Hilfstruppe zu profilieren, um so bundespolitische Förderung zu erhalten. Die CIA, die Anfang der fünfziger Jahre den Pullacher Nachrichtendienst noch finanzierte, missbilligte diese Spitzeleien im Inland und sah den Dienst insgesamt als inkompetent an. Die Berichte an die Bundesregierung tolerierte sie jedoch, da dies den Weg in eine Bundesfinanzierung erleichtern würde.

Henkes Buch ist brisant und von hoher Relevanz zum Verständnis der Ära Adenauer. Der Autor spart nicht mit harten spöttischen Urteilen über die Pullacher Agenten, die in seiner Bewertung durchweg als Dilettanten erscheinen. Die größte Schwäche des Buches ist allerdings sein Umfang. Henke liefert endlos Zitate mit oft ähnlichem Duktus, wo abwägende Synthesen angebrachter wären - zumal einige Bespitzelungen grundsätzlich bekannt sind. Unklar bleibt meist, welche Folgen die Berichte hatten und inwieweit sie mit Adenauers Handeln korrelierten. Die präsentierte kuriose Scheinwelt des Nachrichtendienstes ist dennoch bereits für sich ebenso faszinierend wie verstörend. Und dies ist nur der erste Teil. Henkes Folgeband soll zeigen, dass der BND seit 1953 noch hemmungsloser demokratische Kritiker Adenauers und besonders das Innenleben der SPD ausspionierte. Man darf auch auf das Buch gespannt sein.

FRANK BÖSCH

Klaus-Dietmar Henke: Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946-1953.

Ch. Links Verlag, Berlin 2018. 816 S., 60,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2019

Doktor Schneiders
Sammelwut
Klaus-Dietmar Henke entfaltet die haarsträubenden
Machenschaften des BND in seiner Frühgeschichte
VON NORBERT FREI
Zwischen den Anfängen im Nachkriegsbayern und der Umzugsfeier in Berlin, wo der Bundesnachrichtendienst kürzlich seine gewaltige neue Zentrale bezog, liegt zeitlich die Spanne eines Menschenlebens. Inhaltlich liegt dazwischen die Transformation einer in wirklich jeder Hinsicht dubiosen „Organisation Gehlen“ in einen parlamentarisch kontrollierten Auslandsgeheimdienst, der „Transparenzoffensiven“ unternimmt und dessen Arbeit die Bundeskanzlerin als „unverzichtbaren Beitrag für die Sicherheit und den Frieden in Deutschland“ preist.
Teil der seit Langem laufenden Bemühungen des BND, seinen unter Generalmajor a. D. Reinhard Gehlen, dem ersten Präsidenten, redlich erworbenen schlechten Ruf abzustreifen, war 2011 die Einsetzung einer Unabhängigen Historikerkommission, die bereits eine Fülle beachtlicher Studien vorgelegt hat. Nun präsentiert Klaus-Dietmar Henke, der Sprecher der Kommission, in seinem Werk über die Anfänge der „Org“ den wohl trübsten Part der Geschichte. Es ist die mitunter atemverschlagende Lügenstory des ebenso engstirnig-autoritären wie besessen antikommunistischen vormaligen Chefs der Abteilung Fremde Heere Ost im Oberkommando des Heeres, der sich im April 1945 nahe der „Alpenfestung“ von den Amerikanern gefangen nehmen ließ, der sich seit 1946 beim Geheimdienst der US Army mit ein paar Getreuen als „Utility“ nützlich machen durfte – und der mit seinem seitdem aufgebauten, von Beginn an übergriffigen System der Inlandsspionage die Entwicklung einer liberalen Demokratie in Deutschland nach Kräften zu verhindern suchte.
Wie weit aber reichten die Kräfte des „Dr. Schneider“? Gehlen selbst hat nach seinem glanzlosen Ende als BND-Chef 1968 alles versucht, der ihm nun endlich direkt zugänglichen Öffentlichkeit ein glorioses Bild seines jahrzehntelangen klandestinen Wirkens zu vermitteln. „Der Dienst“, seine 1971 erschienenen Memoiren, gerieten dem Pensionär zu einem im doppelten Sinne märchenhaften Bestseller, der sich nicht zuletzt als Kampfschrift gegen die Neue Ostpolitik verstand und dessen Wahrheitsgehalt Rolf-Dieter Müller im Rahmen der Kommissionsforschungen bereits in einer zweibändigen Biografie zurechtgerückt hat.
Henkes nicht minder umfangreiche Darstellung – allein der jetzt vorliegende erste Teil umfasst mehr als 800 Seiten – konzentriert sich auf die dickste und dauerhafteste Lüge aus dem Reich mit den vielen Namen: die Behauptung nämlich, „Org“ oder „Zipper“ oder „Odeum“, seit 1956 schließlich der BND, habe als Auslandsgeheimdienst mit Inlandsaufklärung nie etwas am Hut gehabt. Tatsächlich waren Gehlens Mannen auf heimatlichem Territorium schon seit dem Winter 1946/47 aktiv, als sich ihr Aktionsradius im Wesentlichen noch auf Bayern beschränkte.
Gehlens „Subversionsphobie“ (Henke) muss geradezu ansteckend gewirkt haben. Mit seinen Warnungen vor angeblich allgegenwärtigen, auch in die Polizei reichenden kommunistischen Unterwanderungsbestrebungen gelang es ihm jedenfalls rasch, im konservativen München Kontakte zu knüpfen. Seine Erkenntnisse über die „KPD in Hintertupfing“ – ein seltener Anflug von Selbstironie in den Akten der „Org“ – und seine Bespitzelung vieler, die es als Schriftsteller (wie Erich Kästner) oder als Journalisten (wie Werner Friedmann von der Süddeutschen Zeitung) mit der neuen Demokratie allzu ernst zu nehmen schienen, verschafften Gehlen Zugang bis in die Spitzen der bayerischen Staatsregierung. Von dort ging es Anfang 1950 mit Ministerialdirektor Hans Ritter von Lex („Sonderverbindung J-1814“) weiter nach Bonn, wo dessen Ex-Kollege aus dem Reichsinnenministerium Hans Globke bereits im Kanzleramt saß.
Mit Globke ins Gespräch zu kommen und über diesen schließlich auch zu Adenauer vorgelassen zu werden, erwies sich für Gehlen gleichwohl als nicht einfach. Der Mann aus Pullach, dessen Organisation die CIA unterdessen von der US Army übernommen hatte, stand immerhin im Sold einer auswärtigen Macht! Auch wenn sich der „Doktor“ selbst als Vertreter ausschließlich deutscher Interessen, vor allem jener der Wehrmacht, sah und seinen Geldgebern mehr als einmal mit aufreizendem Nationalismus kam: In Bonn war man sich darüber im Klaren, dass hinter Gehlen amerikanische Aufpasser horchten. Das lang herbeigesehnte Treffen mit dem Bundeskanzler verschaffte ihm deshalb bezeichnenderweise erst eine Einladung von Kurt Schumacher, mit dem er sich – gewissermaßen von Antikommunist zu Antikommunist – blendend verstand. Als Globke von Gehlens Verabredung mit dem SPD-Chef erfuhr, kam der Termin im Kanzleramt sofort zustande.
Wenn Gehlen für etwas glühte, dann war es die illegale Inlandsaufklärung – also just das Gegenstück zu dem, worin die Zukunft seiner Organisation in der Bundesrepublik vielleicht einmal würde liegen können. Den Kanzler mit Erkenntnissen über seine Gegner im Innern zu munitionieren – Sozialdemokraten und Gewerkschafter, Neutralisten und Friedensfreunde, Gegner einer Wiederbewaffnung, Linke wie Liberale –, darin erblickte „Dr. Schneider“ seine Aufgabe. Globke nahm derlei Informationen, auch wenn es sich oft genug nur um Verdächtigungen und Verleumdungen handelte, gerne entgegen. Doch Gehlens Hoffnung, sich damit für das bald zu besetzende Amt des Verfassungsschutzpräsidenten zu empfehlen, erfüllten sich nicht. Und schlimmer noch: In Bonn bauten sich mit Friedrich Wilhelm Heinz’ „Bundesnachrichtendienst“ und Adenauers Sicherheitsberater Graf von Schwerin ernst zu nehmende Konkurrenten auf, deren „Abschuss“ durch die „Org“ große Kräfte band.
Zeit, mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu mauscheln, wo man den Pullachern nach deren Eindruck „immer maßlos anständig“ begegnete, fand sich trotzdem oder gerade deshalb; mit Redakteur Horst Mahnke, vormals SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt und Experte für diverse Formen der Gegnerbekämpfung, war man im Gleichklang. Auch dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ) war die „Org“ in ihren Anfangsjahren eng verbunden. Dies nicht nur, weil man sich in der Münchner Reitmorstraße eine Sechszimmerwohnung teilte, in der die NS-Zeit erforscht, durch den „Strategischen Dienst“ der „Org“ aber auch das gegenwärtige Europa ausgeforscht werden sollte; Übereinstimmungen ergaben sich überdies im Politischen, denn Gerhard Kroll, der bald gefeuerte Gründungsdirektor des heutigen IfZ, versuchte, aus dem Institut ein Organisationszentrum der katholisch-konservativen Abendland-Bewegung zu machen. Und mit den Generälen Speidel und Foertsch, der eine im Wissenschaftlichen Beirat des Instituts, der andere im Mitarbeiterstab, waren auch über die Zeit von Kroll hinaus die Belange der Wehrmacht prima abgedeckt.
Klaus-Dietmar Henke hat mit seiner minutiösen, nie um ein klares Urteil verlegenen Studie ein eindrucksvolles Panorama geheimdienstlicher Unglaublichkeiten aus der Vor- und Frühzeit der Bundesrepublik entfaltet, das unseren Sinn für die nicht eben günstigen Umstände der zweiten Demokratiebegründung in Deutschland noch einmal schärft. Sein angekündigter zweiter Band, der Gehlens illegale innenpolitische „Aufklärungsarbeit“ durch die Hochzeit der Ära Adenauer weiterverfolgt, wird hoffentlich zeigen können, wo diese Machenschaften der Entwicklung eines freiheitlichen Staatsverständnisses konkret im Wege standen – und wie sie jene gesellschaftlichen Liberalisierungsprozesse behinderten, beschädigten oder verzögerten, die schließlich sogar den „Dienst“ zu transformieren halfen. Man darf gespannt bleiben.
Norbert Frei lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und leitet dort das Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Der Auslandsgeheimdienst
betrieb mit Vorliebe Aufklärung
im Inland – was illegal war und ist
Das Ziel: Kanzler Adenauer
mit Erkenntnissen über seine
Gegner zu munitionieren
Klaus-Dietmar Henke: Geheime Dienste.
Die politische Inlands-
spionage der Organisation Gehlen 1946 – 1953. Ch. Links Verlag, Berlin 2018. 816 Seiten, 60 Euro. E-Book: 29,99 Euro.
Ein bewegtes Leben hatte Reinhard Gehlen (1902 bis 1979), hier 1975, ohne Zweifel. Wehrmachtsgeneral, Chef der Abteilung Fremde Heere Ost, nach 1945 Aufbau der Organisation Gehlen, 1956 bis 1968 Präsident des BND.
Foto: Sven Simon / dpa
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